Verzichten als Kulturtechnik

Alles eine Frage der Gewohnheit

12:05 Minuten
Illustration einer Person in rotem Kleid, die zwischen lauter Süßigkeiten und vor blauem Hintergrund hinunter fällt.
Erzwungener Verzicht: Ohne Verbote wird es in der Klimakrise nicht gehen, findet Ulrich Wegst. © Getty Images / fStop / Malte Müller
Ulrich Wegst im Gespräch mit Kirsten Dietrich |
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Ohne Verzicht wird es angesichts des Klimawandels zukünftig nicht gehen. Doch kaum jemand will das offen sagen. Diese Selbsttäuschung muss aufhören, fordert Ulrich Wegst. Aber er macht auch Hoffnung: Ans Verzichten kann man sich gewöhnen.
Kirsten Dietrich: Die Hälfte vom ersten Monat im neuen Jahr ist vorbei und da stellt sich die bohrende Frage: Wie steht es mit den guten Vorsätzen? Ich kenne das von mir, immer wieder am Jahreswechsel nehme ich mir die üblichen Dinge vor, also mehr Sport, weniger Süßkram. Das klappt dann natürlich nicht, trotzdem mache ich es immer wieder. Dabei wäre eigentlich eher die ernsthafte Version angesagt, also Hardcore-Verzichten statt niedlicher guter Vorsätze, denn ohne das Verzichten lässt sich das Umkippen des Klimas ins Menschenfeindliche nicht verhindern.
Das sagen fast alle, die dazu forschen, und das sagt auch Ulrich Wegst. Er hat ein Buch dazu geschrieben, warum es trotzdem so schwierig ist, den dazu notwendigen Verzicht hinzubekommen. „Keine Angst vor Verzicht“ heißt es und es versteht sich als „Plädoyer für die wichtigste Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts“. Ulrich Wegst arbeitet im politischen Betrieb, er war lange Büroleiter beim Deutschen Gewerkschaftsbund, er arbeitet jetzt im niedersächsischen Umweltministerium.
Herr Wegst, gute Vorsätze, der immer beliebtere Dry January, also kein Alkohol nach dem Zuviel der Feiertage. Ist das schon Verzicht?
Ulrich Wegst: Ja, klar, es fehlt einem ja schließlich auch was, das macht man nicht umsonst. Der Ansatz kommt aus Großbritannien, dass man nach der Völlerei der Feiertage über den Jahreswechsel dann ein bisschen zurücksteht, weil man versucht, seine Gesundheit sozusagen wieder auf Kurs zu bringen. Das ist schon Verzicht, ich würde das allerdings einordnen in das Thema Lifestyle-Verzicht.

Lifestyle-Verzicht als Geschäftsmodell

Es gibt eine ganze Menge Lifestyles, der Zuckerverzicht ist zum Beispiel einer, der sehr populär ist, der auch in den Medien gefeiert wird, der vor allem dann gefeiert wird, wenn es Prominente vorleben. Gwyneth Paltrow, die US-amerikanische Schauspielerin ist da ein ganz berühmtes Beispiel, die hat daraus ein regelrechtes Geschäftsmodell gemacht.
Das Problem an diesen Lifestyles ist, dass man sich nicht auf sie verlassen kann. Man kann sich am 1. Januar vornehmen, dass man auf Alkohol verzichtet, man kann es aber am 15. Januar auch schon lassen. Das alles ist ein bisschen der Willkür unterworfen.
Zur Lösung unserer Probleme kann das letztendlich nicht wirklich beitragen. Wir werden nicht drumherum kommen, bei der einen oder anderen Problemlage auch konkrete Vorschriften machen zu müssen. Beim Thema Ernährung wäre das zum Beispiel, dass wir in Deutschland endlich dazu kommen, eine Lebensmittelampel einzuführen, dass man also auf jedes Lebensmittel druckt, wie gut oder schädlich ist es.
Das haben die Franzosen inzwischen gemacht und die stellen fest, dass dadurch der Einkauf etwas gesünder wird bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Das wäre für mich wichtig, dass man das immer im Hintergrund hat. Ein alkoholfreier Januar ist gut und schön, aber auf solche Lifestyle-Verzichte können wir uns alleine nicht verlassen.

Klare Vorschriften bringen Verbindlichkeit

Dietrich: Wie sähe denn dann ein Verzicht aus, der etwas Verlässliches hat, einer, auf den man Politik aufbauen kann, einer, mit dem man das Klima dann retten kann?
Wegst: Ein gutes Beispiel dafür ist immer der Verkehr, weil der Verkehr einer der Bereiche ist, der sich am zähesten gegen Klimaschutzmaßnahmen wehrt. Wir haben bei den CO2-Emissionen alle anderen volkswirtschaftlichen Bereiche runtergekriegt, nur den Verkehr nicht. Man kann jetzt natürlich hingehen – und die Politik tut das ja, die vergangene und die jetzige Bundesregierung – und jahrelang noch hinter der Elektromobilität hersubventionieren.
Das kostet wahnsinnig viel Geld und führt eigentlich gar nicht wirklich zu den gewünschten Ergebnissen, denn der Verkauf von Elektrofahrzeugen ist noch viel zu langsam, damit wir bis 2045 zu einem klimaneutralen Verkehr kommen.
Man könnte stattdessen auch hergehen und sagen, ab dem Jahr 2030 oder 2035 ist die Neuzulassung von Verbrennermotoren in Deutschland schlicht und einfach verboten. Das wäre wahnsinnig billig und das wäre wahnsinnig effektiv, weil das dann für alle vorgeschrieben verbindlich vorgeschrieben wäre.
Das meine ich: Momentan ist es quasi eine Lifestyle-Frage: Finde ich einen Tesla cool oder nicht, kaufe ich mir den oder nicht, finde ich ein Elektroauto cool oder nicht, kaufe ich es mir oder nicht? Und wir müssen bei diesen Themen zu mehr Verbindlichkeit kommen. Das können wir aus meiner Sicht tatsächlich nur, wenn wir auch das eine oder andere vorschreiben.

Verzicht war immer eine Notfallmaßnahme

Dietrich: Aber mit Verboten hat Verzicht natürlich dieses harsche Gesicht, das von allen immer gefürchtet wird. Weshalb der Verzicht selbst bei denen, die für ein ganz engagiertes Weniger in allem Verbrauch plädieren, als Wort nicht gerne in den Mund genommen wird. Der Verzicht hat so etwas Unheimliches, so etwas Gruseliges, das ist so eine dunkle Schattenseite, die man lieber nicht beschwört.
Wegst: Das ist genau der Grund, warum die Politik ihn so ungern anspricht, deswegen habe ich ja auch mein Buch geschrieben: Weil es mich geärgert hat, dass alle verantwortlichen Politiker wissen, wir kommen ohne Verzicht nicht aus, aber keiner spricht es an.
Das liegt daran, dass der Verzicht in der Vergangenheit immer eine Notfallmaßnahme war. Man hat ihn dann geübt, wenn es nicht anders ging. Wenn Hungersnöte ausgebrochen sind, hat man Verzicht geübt, weil man keine andere Wahl hatte, oder wenn Kriege übers Land gezogen sind, dann hat man Verzicht geübt, weil es halt nicht anders ging.

Inflation als nationales Trauma

Das hat sich tief ins kollektive Gedächtnis eingebrannt, dass Verzicht immer verbunden ist mit Katastrophen. In Deutschland zum Beispiel, das wissen wir ja, ist es geradezu ein nationales Trauma, die Inflationsjahre der Weimarer Republik, das kommt dann jedes Mal hoch, sobald die Inflation – wie jetzt zum Beispiel – wieder nach oben geht, weil das sofort dann mit dem Thema Verzicht verbunden ist. Dieser Katastrophenfarbfilm, der läuft in der Psychologie immer ab, wenn jemand das Wort Verzicht erwähnt, das ist regelrecht ein Trigger.
Der Punkt ist allerdings, deswegen heißt mein Buch auch „Keine Angst vor dem Verzicht“: An die allermeisten Verzichte können wir uns gewöhnen. Das kann jeder nachvollziehen. Denn wir hatten in den 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts eine große Debatte über die Anschnallpflicht in Autos.
Ulrich Wegst, kurze graue Haare, schwarze Brille und schwarzes Hemd, lehnt an einer Backsteinwand.
Beim Verzichten gehe es nur darum, die Umstellungsphase durchzustehen, sagt Ulrich Wegst.© Iris Klöpper
Viele Menschen haben das als Zumutung empfunden, dass der Staat jetzt daherkommt und ihnen die Freiheit nimmt, in ihrem Auto zu tun und zu lassen, was sie wollen, und sie zwingt, sich da anzuschnallen. Sie haben das als Verzicht auf Freiheit empfunden. Und heute, wo wir uns daran gewöhnt haben, steigen wir ins Auto ein und machen das total automatisch, nehmen es auf jeden Fall nicht mehr als Verzicht wahr.
Deshalb die versöhnliche Botschaft: Verzicht ist eigentlich nicht harsch, wir müssen die Diskussionsphase überstehen und wir müssen die Umstellungsphase überstehen, da fehlt einem tatsächlich was. Aber wenn wir mal in die Gewöhnungsphase kommen, das ist bei den allermeisten Verzichten der Fall, dann kann man Verzicht gut aushalten und ertragen. Das ist eigentlich das Wichtige, was ich auch rüberbringen will.

Verzicht ist nur ein Werkzeug, keine Sinnstiftung

Dietrich: Es gibt ja noch eine andere Möglichkeit, mit Verzicht umzugehen, indem man ihn nämlich in sinnstiftende Erzählungen, sinnstiftende Weltbilder einbindet. Die meisten Religionen haben das zum Beispiel, indem sie das Konzept des Fastens haben. Man könnte auf einer alltagsspirituellen Ebene Konzepte wie den Minimalismus nennen. Das sehen Sie aber nicht als einen Ausweg, um das Verzichten irgendwie besser und leichter durchführbar zu machen?
Wegst: Ich finde es grundsätzlich gut, dass sich Religionen mit dem Thema Verzicht auseinandersetzen. Ich habe das ja schon gesagt, die Politik tut es nicht, deswegen ist es gut, dass Religionen das offensiv angehen und auch leben. Gerade die Fastenzeiten sind ja ein gutes Beispiel dafür: Alle Weltreligionen haben mehr oder weniger lange Fastenzeiten vorgesehen.
Man muss allerdings beim Verzicht sagen: Für mich ist der Verzicht ein Werkzeug, ganz frei von Ideologie oder Weltanschauung, ganz nüchtern und pragmatisch betrachtet ein Werkzeug zur Lösung spezifischer Problemlagen. Ab dem Moment, wo Sie eine Weltanschauung oben drauf packen, steigt Ihnen sofort die Hälfte aller Leute aus der Verzichtsdebatte wieder aus. Das ist die große Gefahr.
Ich habe das in meinem Buch nicht nur am Thema Religion deutlich gemacht, sondern habe zum Beispiel auch die Linkspartei aufgegriffen, die das Thema Umwelt und Klimaschutz, das sagt sie ganz offen, auch als Instrument dafür sieht, den Kapitalismus zu überwinden. Da können Sie sich ausrechnen, da steigen dann Dreiviertel aller Leute, wenn sie das hören, sofort wieder aus der Verzichtsdebatte aus, weil das gar nicht ihr Ziel ist.

Ein weltanschaulicher Überbau schadet nur

Ich finde es gut und richtig, dass sich Religionen mit dem Thema Verzicht auseinandersetzen, es auch vorleben, man muss nur aufpassen, dass man die Debatte nicht erdrückt durch sozusagen diesen weltanschaulichen Überbau, dass die Leute nicht aussteigen, das ist ganz wichtig.
Dietrich: Trotzdem braucht man bei so etwas wie dem Klima auf jeden Fall auch einen großen Zusammenhang, das ist ja nicht nur mit kleinen Verzichten im Alltagsleben zu regeln, die kriegt man einigermaßen leicht hin, aber volkswirtschaftliche Eingriffe dann eben doch nicht so leicht. Was heißt das denn dann, wenn Sie Verzicht zur Kulturtechnik machen wollen, was heißt das in der konkreten, praktischen Umsetzung, was ändert sich dadurch?

Ulrich Wegst: "Keine Angst vorm Verzicht – Ein Plädoyer für die wichtigste Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts"
Büchner-Verlag, 217 S., 18 Euro

Wegst: Wir hatten ja schon angesprochen, dass der Verzicht in der Vergangenheit immer verknüpft war mit Notlagen, man hat ihn immer nur dann geübt, wenn man nicht anders konnte. Verzicht als Kulturtechnik meint, dass man ihn auch dann übt, wenn es die unmittelbaren Umstände eigentlich gar nicht erfordern.
Konkretes Beispiel: dass ich heute schon auf Inlandsflüge verzichte, obwohl mich kein Mensch davon abhält, das zu machen, dass ich diesen Verzicht übe, um ein Problem, das möglicherweise erst in der Zukunft auftaucht, nämlich der Klimawandel, jetzt schon zu bekämpfen. Es ist ja bekannt, wenn ich auf Inlandsflüge oder andere Dinge erst dann verzichte, wenn der Klimawandel schon voll ausgebrochen ist, dann ist es zu spät.

Der Erfolg des Verzichts zeigt sich in der Zukunft

Das ist ein zweiter Aspekt des Themas Verzicht als Kulturtechnik: Wir werden in Zukunft leben müssen mit einer zeitlichen Lücke zwischen Verzicht und Erfolg. Ich muss den Verzicht jetzt schon üben, um in Zukunft einen Erfolg zu haben.
Bei dem Thema Nitrat im Grundwasser ist das zum Beispiel so. Wir haben ganz viele unserer Wasserquellen, die zu hohe Nitratwerte aufweisen. Da müssen wir heute schon darauf verzichten, vor allem die Landwirtschaft, so viel zu düngen, wie sie es tut, aber der Erfolg wird sich erst in Jahren und Jahrzehnten einstellen, weil diese Quellen schlicht und einfach Zeit brauchen, um sich zu erholen.
Das ist also der zweite wichtige Aspekt beim Thema Verzicht als Kulturtechnik: dass wir lernen, eine zeitliche Lücke auszuhalten zwischen dem Verzicht, den wir heute üben, und dem Erfolg, der sich in der Zukunft einstellt. Das fällt uns Menschen wahnsinnig schwer, weil wir eigentlich darauf konditioniert sind, unmittelbare Probleme und Gefahren abzuwenden und zu managen, da sind wir recht gut. Wir sind aber ziemlich schlecht darin, auf Gefahren in der Zukunft zu reagieren. Das muss Teil der Kulturtechnik sein.

Ohne Verbote geht es nicht

Dietrich: Mit welchem Instrument macht man das? Sie sagen ja selber, Vernunft und mehr Wissen sind eben nicht die Dinge, die Verzicht wirklich einsichtig und plausibel machen.
Wegst: Es tut mir leid, wir werden da die Brücke schlagen müssen, indem wir auch auf Ordnungspolitik zurückgreifen oder, um es mal direkt auszudrücken: auf Verbote. Wir haben die Erkenntnis, in der Zukunft wird der Klimawandel kommen oder auch andere Probleme, wir wissen, wie schlimm das wird. Und die Politik hat diese Erkenntnis und weiß es. Das individuelle Handeln richtet sich aber nicht danach.
Deswegen werden wir früher oder später, eher früher, bestimmte Regeln festlegen müssen, damit das persönliche und tägliche Handeln sich daran ausrichtet. Ich habe das eine Beispiel schon genannt bei den Verbrennermotoren, ich würde auch sagen, da sind wir ja gerade dabei gewesen, dass man Inlandsflüge – Frankreich hat das vor Kurzem beschlossen – auch verbietet, denn man kann diese ganzen Strecken auch mit dem Zug zurücklegen. Diese Ordnungspolitik würde also helfen, die zeitliche Lücke zu überbrücken zwischen Erkenntnisgewinn und individuellem Handeln und Eintritt dieser vorhergesehenen Zukunft oder Auftreten des Problems in der Zukunft.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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