Jazzpianistin auf den Spuren des Haiku
Sie war Gründungsmitglied der Pop- Band Rainbirds, machte Hörspiele, spielte in einer Frauen-Bigband. Jetzt spürt Ulrike Haage der Minimal Music nach. Auf ihrem neuen Album "For All My Walking" hören wir sie mit einer sehr reduzierten Klangsprache. Ein Besuch in ihrem Berliner Aufnahmestudio.
"e- moll , f … und dann gehe ich runter und intensiviere das und da bist du eigentlich noch oben"
Ulrike Haage und Eric Schaefer beim Arbeiten zuzusehen, ist ein echtes Erlebnis. Es ist diese Mischung aus höchster Konzentration und spielerischer Leichtigkeit, die einem sofort ins Auge fällt, und die sich auch durch fast alle ihrer gemeinsamen Kompositionen zieht
"Na ich spiel mal von hier, und dann hörst die Tonalität, mit der wir da enden." "Okay.“
Seit mittlerweile acht Jahren arbeiten Haage und Schaefer zusammen, die erfahrene Jazzpreisträgerin und der junge Schlagzeuger, der ursprünglich aus dem Punkrock kommt und der sich in der deutschen Jazz-Szene einen Namen gemacht als Sideman von Leuten wie Michael Wollny und Arne Jansen. Man spürt den großen Respekt, mit dem die beiden einander begegnen. Ihre musikalische Kommunikation, sagt Ulrike Haage, sei manchmal eine geradezu spirituelle Erfahrung.
Ulrike Haage über Eric Schaefer:
"Ich schätze an Eric in erster Linie seine unglaubliche Sensibilität und Flexibilität auf dem Instrument und dass man mit ihm immer wieder Grenzen aufbrechen kann, dass man sagen kann: So nicht, lass uns was Neues ausprobieren! Also eine spielerische Umgangsform mit dem Instrument und gleichzeitig aber auch ein Respekt vor jedem einzelnen Ton – und das ist etwas ganz, ganz Besonderes!"
"For All My Walking" ist das dritte gemeinsame Album von Haage und Schaefer – und dieser Titel ist programmatisch zu verstehen, denn entstanden sind die meisten der Kompositionen auf einer gemeinsamen Wanderreise nach Japan. Drei Monate lang, von September bis Dezember 2012, waren die beiden auf den Spuren der japanischen Haiku-Dichter Matsuo Basho und Santoka Taneda unterwegs. Jetzt erzählen sie unter Rückbesinnung auf ihre Tagebücher und auf Haiku-Dichtungen in abstrakten Lautgemälden von ihrer Begegnung mit einem Land voller Widersprüche.
"Das Interessante daran war eigentlich, dass Japan einen ganz stark in Kontakt gebracht hat mit sich selbst und ich glaube, dass ich da in dem Land ganz anders geschrieben habe, als ich hier schreiben würde. Ich glaube auch, dass die CD, die wir gemeinsam produziert haben oder die Musik, die wir darauf geschrieben haben, einen ganz eigenen Charakter. Also, sie klingt sicherlich anders, als wenn wir das in Brasilien oder Indonesien komponiert hätten."
Ungewohnt klingt das regelrecht putzig
"Small Book of Suiron" heißt beispielsweise dieser Titel, den Eric Schaefer geschrieben hat und in dem das präparierte Klavier von Ulrike Haage auf das Suiron trifft, ein kleine Keramik-Trommel aus der japanischen Sakralmusik. Ungewohnt klingt das, regelrecht putzig. Und doch war es nicht der Exotismus fremdländischer Skalen oder Instrumente, der ihn gereizt hat, sagt Eric Schaefer, sondern die grundlegend andere Philosophie der japanischen Musik.
"Diese Musik besitzt 'ne Qualität, dass sie die Zeit aufzuheben in der Lage ist. Rhythmisch unterteilt wird da wenig, sondern man betritt eher einen Raum von Klang, der an Architektur erinnert. Und mit dieser Idee von Klangskulptur anzufangen zu komponieren ist ganz was anderes als wenn man so diskursiv schreibt mit einer Melodie, die sich entwickelt, die ´ne Geschichte erzählt. Ich glaube diese Haltung war für uns sehr inspirierend“
"For All My Walking" ist ein Doppelalbum. Neben den rein instrumentalen Kompositionen für präpariertes Klavier, Tastenglockenspiel, Schlagzeug und diverse Perkussionsinstrumente gibt es noch eine zweite CD, eine Art Hörbuch, in dem Haage und Schaefer Textfragmente, Impressionen und Klangschnipsel ihrer Japanreise gesammelt haben. Anderthalb Jahre nach Fukushima stand das Land noch immer stark unter dem Eindruck der Nuklear- Katastrophe und ihrer Nachwirkungen.
"Bequerel-Zahlen, neuer Ausstoß von Radioaktivität usw – also immer nur so kurze Schlagzeilen, die aber wie so kryptische Botschaften in einer Art luftleeren Raum standen und eigentlich immer noch stehen. Deswegen diese dissoziativen, völlig unzusammenhängenden Schlagzeilen. Das war glaube ich das Bild, was wir vor Augen hatten, um dieses Ereignis zu beschreiben. Also weniger jetzt eine Geschichte darüber zu erzählen, wie wir das empfinden, sondern einfach: Da passiert was. Man weiß nicht, was es ist. Hier `ne Schlagzeile, da `ne Schlagzeile, zack zack zack! Aber es gibt keinen wirklichen Reim und keine Lösung dafür.
"For All My Walking“ ist das Porträt einer hoch zivilisierten und zugleich zutiefst verunsicherten Gesellschaft. Komplex ist das, manchmal auch ein wenig überambitioniert und nicht immer einfach zu hören. Aber – wenn man bereit ist, sich darauf einzulassen – eine faszinierende Klangreise in ein hierzulande immer noch ziemlich unbekanntes Land.