Ulrike Herrmann über Medien in der Krise

Ein Fall wie Relotius macht nicht die Branche kaputt

Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der Tageszeitung "taz"
Der deutsche Journalismus sei vor 60 Jahren auch nicht anders – nicht besser oder schlechter – als heute gewesen, Ulrike Herrmann. © picture alliance / dpa / Karlheinz Schindler
Moderation: Anke Schaefer |
Springer-Chef Mathias Döpfner sieht die Medien in einer Krise - weil sie sich selbst viele Jahre angelogen haben und ihre Inhalte unter Wert im Netz preisgeben. "Taz"-Redakteurin Ulrike Herrmann sagt: Medien brauchen mehr wirkliche Debatten.
Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer, kritisierte in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur, Journalisten würden ihre Inhalte im Netz unter Wert verschenken – etwa, indem sie ihre Rechercheergebnisse via Twitter und Facebook, für alle zugänglich, veröffentlichten. Allgemein müssten die Medien sich seiner Einschätzung nach einer wachsenden Entfremdung zwischen Lesern und Redaktionen stellen.
Nicht die Digitalisierung sei das Problem von Zeitungen und Zeitschriften, sondern eine sich seit Jahren hinziehende "intellektuelle und inhaltliche Krise" des Journalismus.

Journalismus ist in Deutschland weltanschaulich

Diese Einschätzung teilt die "taz"-Redakteurin Ulrike Herrmann nicht: Der deutsche Journalismus sei vor 60 Jahren auch nicht anders – nicht besser oder schlechter – als heute gewesen, meint Herrmann. Schon immer sei "Journalismus in Deutschland sehr weltanschaulich geprägt". Das zeige sich besonders deutlich in den Wirtschaftsressorts – die eher konservativen Zeitungen verträten durchweg neoliberale Wirtschaftstheorien.
Und: Wie vor 60 Jahren gibt es auch heute in deutschen Medien "zu wenige wirkliche Debatten".

Zeitungen sind nicht qualitativ schlechter als früher

Die Wirtschaftsjournalistin sieht die Tatsache, dass viele Leser abwandern und keine Zeitungen mehr lesen, jedoch nicht darin begründet, dass Zeitungen qualitativ so schlecht seien. Vielmehr sei es so, dass die sozialen Medien wie Facebook Zeitungen als Informationsquelle abgelöst hätten. Wer sich viel mit Facebook beschäftige, habe meist keine Zeit mehr für Zeitungen.
"Facebook wird als Vertriebsweg für die Zeitungen benutzt. Und was dahinter steht, ist, dass die Zeitungen doof genug sind, ihren Inhalt kostenlos ins Netz zu stellen, obwohl es ja Kosten verursacht hat, diesen Inhalt zu produzieren."

Die Bezahlschranke ist richtig

Mathias Döpfner habe vollkommen recht mit seiner Online-Bezahlschranke für die Zeitungen seines Konzerns. Die Verlagshäuser hätten mit ihren kostenlosen Inhalten einen falschen Kurs eingeschlagen.
Mathias Döpfner am Rednerpult
Warnung an die Verleger: Die Medien haben sich jahrelang selbst angelogen - und sind dadurch in eine Krise geschlittert, glaubt Axel Springer-Chef Mathias Döpfner.© Fabian Sommer / dpa
Zum Aspekt der Glaubwürdigkeit nach dem Fall Relotius sagte Herrmann: "Ich finde es falsch zu sagen, die gesamte Medienlandschaft ist diskreditiert, weil da einer wie der Herr Relotius – sehr begabt, aber offenbar auch mental leicht gestört, was er, glaube ich selber auch so sieht – die Lücken im System ausgenutzt hat."
Gegen den Glaubwürdigkeitsverlust helfen nach Meinung von Ulrike Herrmann nur saubere Recherche und eine stärkere Debatten-Kultur in den Medien. (mkn)

Ulrike Herrmann ist Wirtschaftsredakteurin bei der Berliner Tageszeitung "taz", für die sie seit 2000 arbeitet. Zu ihren Buchveröffentlichungen zählen: "Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam. Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen" (2013) und "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie oder Was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können." (2016)

Die komplette Sendung mit Ulrike Herrmann hören Sie hier: Audio Player

(Redaktioneller Hinweis: In einer früheren Version dieses Textes stand, Döpfner habe die Kritik in einem Brief an die Zeitungsverleger geäußert. Das ist nicht korrekt. Die Kritik stammt aus einem Interview mit der Deutschen Presse Agentur.)
Mehr zum Thema