Radikal verformte Monster-Geigen
Er wird bald 80 Jahre alt. Deshalb widmet das Festival Ultraschall Berlin dem Komponisten Helmut Lachenmann einen ganzen Tag. Diesen Tag und das gesamte Festival beschließt ein Konzert des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin, das wir live aus dem Radialsystem am Berliner Ostbahnhof übertragen.
Dieses Abschlusskonzert bringt mit "Schwankungen am Rand" ein selten gespieltes Orchesterstück Lachenmanns aus dem Jahr 1975 zu Gehör, das Konventionen radikal aufbricht, wenn man dieses Werk der Gattung "Orchesterfantasie" zurechnen würde.
Über die Besetzung seines Stücks, das den Untertitel "Musik für Blech und Saiten" trägt, hat sich der Komponist folgendermaßen geäußert und damit alle Zweifel beseitigt, er könne damit Neo-Bartok-mäßig komponiert haben, der ja schließlich mit seiner "Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta" schon einmal ähnlich konkret geworden war:
"Ein eigenartig zusammengesetzter, sehr genau durchdachter Organismus aus benachbarten Klängen und Geräuschen, gewonnen aus hohen Streichern, vierfachem Blech ohne Hörner und Tuben, dazu zwei Klavieren, zwei Gitarren und einzelnen Ad-hoc-Requisiten, dazu einer Klangverlagerungs-Apparatur aus Lautsprechern, wobei jedes Element als umgeformter Verwandter von jedem anderen Element sich umdeuten und in immer wieder anderes Licht rücken ließ."
Im Zentrum des Stücks stehen eigens angefertigte Donnerbleche, "radikal verformte Monster-Geigen, mit Super-Pizzicatofluido-Klängen, oder Riesenflexatone, mit großen Nachhallzeiten".
Der zweimaligen Aufführung der Schwankungen am Rand werden zwei kurze kammermusikalische Werke junger Komponisten gegenübergestellt, die die Idee einer "Musique concrète instrumentale" auf ganz andere Weise weiterdenken. Enno Poppe setzt in seinem Stück für Geige-Solo seinen Material-Zyklus fort - passend zum klingenden Material eines Geigenbogens heißt es "Haare". Sein dänischer Kollege Simon Steen-Andersen hat eine frühere Streicherstudie für das selten zu hörende Duo aus Posaune und Cello bearbeitet.
Live aus dem Radialsystem V, Berlin
Helmut Lachenmann
"Schwankungen am Rand" - Musik für Blech und Saiten
1. Aufführung
Enno Poppe
"Haare" - für Violine solo
ca. 20.45 Uhr Konzertpause
darin: "Lachenmann-Perspektiven" - Musique concrète instrumentale – ein Generationenprojekt
von Rainer Pöllmann
Simon Steen-Andersen
"Study for String Instruments #1" - Fassung für Posaune und Violoncello
Helmut Lachenmann
Schwankungen am Rand - Musik für Blech und Saiten
2. Aufführung
Hannah Weirich, Violine
Two New Duo:
Stephen Menotti, Posaune
Ellen Fallowfield, Violoncello
Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin
Leitung: Emilio Pomàrico