Schöner leben am Wasser
Die Hauptstadt Schleswig-Holsteins soll attraktiver werden. Für rund 400 Millionen Euro entstehen Hotels, Wohnbauten und ein Kanal. Der Kieler Oberbürgermeister Ulf Kämpfer träumt von einer skandinavischen Stadt am Wasser.
Das alte Kieler Rathaus ist ein Symbol für das Wachstum. 106 Meter hoch ist der Rathausturm, der die Bombardements im Zweiten Weltkrieg überstanden hat. Errichtet wurde das gigantische Backsteingebäude 1911 - in einer Zeit, in der die Stadt an der Förde sich rasant vergrößert hatte und sich nun einen neuen Verwaltungssitz gönnte.
Vorausgegangen war die Entscheidung von Kaiser Wilhelm I., die preußische Marine von Danzig nach Kiel zu verlegen. Dieser Beschluss fiel 1865. Mit spürbaren Folgen für die bis dahin verträumte Universitätsstadt.
"Und innerhalb von wenigen Jahrzehnten sind wir dann auf über 250.000 Menschen angewachsen. Das war in vielen Städten damals so, aber in Kiel noch mal ganz besonders. Und schon vor der Zerstörung durch den Zweiten Weltkrieg hat sich Kiel schon immer wieder gehäutet und sein Gesicht stark verändert",
sagt Ulf Kämpfer. Kiels Oberbürgermeister weiß, dass seine Stadt nicht das beste Image in der Bundesrepublik hat. Was vor allem mit der Nachkriegs-Architektur in der Innenstadt zu tun hat.
"Kiel ist eine Stadt auf den zweiten Blick. Oder ich sage manchmal: Kiel ist eine ungekämmte Schönheit!"
Wohnraum, attraktive Geschäfte, Hotels
Doch seit einigen Jahren tut sich etwas in der Kieler Innenstadt. Überall im Zentrum wird kräftig gebaut. Rund 400 Millionen Euro sollen investiert werden – in neue Hotels, Einkaufsgebäude, Wohnanlagen und einen 170 Meter langen Kanal nahe des Kielers Rathauses. Die Stadt möchte auf diese Weise ihr Zentrum wiederbeleben. Unweit des Hauptbahnhofs entstehen zudem ein neues Parkhaus und ein neuer ZOB.
Das sozialdemokratische Stadtoberhaupt weiß, dass die Baustellen den Bewohnern viel abverlangen, Kraft und Nerven kosten. Doch er sagt: Genau diese Probleme wolle er als Oberbürgermeister haben.
"Wie wir das Wachstum, den Umbau einer Stadt am besten organisieren können. Ich glaube ja, dass alles davon notwendig ist. Wir brauchen hier gerade in der Innenstadt mehr Wohnraum, wir brauchen eine attraktive Fußgängerzone, wir brauchen Wasser in der Stadt, wir brauchen auch Hotels, wir brauchen attraktive Geschäfte. Und an vielem hat es uns gemangelt oder man hat es lange schleifen lassen, weil auch Kiel lange kaputt gespart wurde."
Noch vor 15 Jahren galt Kiel als schrumpfende Stadt. Arbeitsplatzverluste bei den Werften, aber auch die Streichung beziehungsweise Verlegung vieler Marinejobs nach der Wiedervereinigung trugen dazu bei. Die Aussichten für die Stadt an der Förde waren trübe. Doch diese Entwicklung wurde längst gestoppt. Bis zum Jahr 2030 könnten 270.000 Menschen hier leben, sagen die Prognosen. Die Stadt boomt. Und im Zentrum kreisen seit vielen Jahren die Abrissbirnen und dröhnen die Presslufthämmer. Das bauliche Gesicht der Stadt wandele sich – genauso wie die Identität, sagt Kämpfer.
Ein Symbol für diesen Wandel soll der Kiel-Kanal sein. Damit will die Stadt das Wasser ins Zentrum zurückbringen. Denn noch bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts war die damalige Altstadthalbinsel von einem Ostseearm umgeben – nun soll die Stadt eine neue Mitte bekommen.
"Ein Ort, wenn man Besuch bekommt, wo man sagt, wir gehen in die Innenstadt, ich zeig' dir mal Kiel. Dann sollen die Leute nicht ins Einkaufscenter gehen, sondern in die Innenstadt, da schlägt das Herz der Stadt. Und dafür brauchen wir mehr Aufenthaltsqualität. Und viele Städte wie zum Beispiel Århus haben damit gute Erfahrungen gemacht, das Wasser auch direkt in die Innenstädte zu holen."
Kritik am Kiel-Kanal: "Ein großes Mist-Ding"
Es bedarf dafür aber dann doch ein bisschen Fantasie. Viele der Visualisierungen des 170 Meter langen und zehn Meter breiten Kanals verströmen eine eher sterile und künstliche Stimmung. Dieser Eindruck wird auch nicht besser durch einen Besuch am Baustellenzaun, wo deutlich sichtbar zwei lange Betonbecken gegossen wurden, die eher an ein Schwimmbad erinnern.
Am Baustellenzaun steht Ortwin Hahne. Der 75-Jährige aus dem Vorort Kronshagen kommt oft in die Kieler Innenstadt – und kann mit dem Kanalprojekt so gar nichts anfangen.
"Der Kiel-Kanal wird 'n großes Mist-Ding werden. Das dauert 'n halbes Jahr und dann ist das zugewuchert. Und dann ist das tatsächlich die Pissrinne, die mal in der Zeitung stand."
Das Projekt war lange umstritten. Vor allem wegen der hohen Kosten, die die Stadt derzeit mir rund 15 Millionen Euro beziffert. Ende dieses Jahres soll der Kiel-Kanal fertig sein. Am Rande sollen Holzterrassen und Bänke für Entspannung sorgen.
Sicher ist: Er wird eine andere Stimmung an die Holstenbrücke bringen. Denn noch vor eineinhalb Jahren brausten hier die Autos lang und hielten die Busse an einer hässlichen Haltestelle. In Zukunft müssen die PKW dem Kanal weichen und die Busse dürfen nur noch langsam am Rand entlang fahren.
Hier konzentrieren sich die Bauaktivitäten er Stadt. Und das sieht eher so aus, als sei eine Bombe eingeschlagen. Nicht nur ein Kanal wird hier errichtet. Ein paar Schritte weiter werden am Bootshafen auch zwei neue Hotels, Wohnungen sowie ein riesiges Geschäftsgebäude für die irische Bekleidungskette Primark errichtet. Die Stadt will damit vor allem junge Menschen anlocken.
Senior Hahne kann dem nur wenig abgewinnen.
"Hier gab das mal wunderschöne Straßenbahnlinien über den Alten Markt hier und da rum. Überall wird gebaut, die Geschäfte sind leer, nach vier Wochen wieder 'n neuer abgerissen. Und jetzt machen sie hier so 'n Unsinn um Steuergelder zu versauen. Was soll denn das?"
Christian Schmieder dagegen lobt erst mal die Idee, wieder verstärkt das Wasser in die Innenstadt zu bringen und damit den Kleinen Kiel vor dem Opernhaus auf der einen und den Bootshafen auf der anderen Seite wieder zu verbinden.
"Die Planung ist aus meiner Sicht da sehr vielversprechend. Da erwarten wir uns auch schon eine sehr hohe Aufenthaltsqualität. Weil das auch 'n Bereich ist, der sehr lange Abendsonne bekommt und der auch mit gastronomischer Nutzung auf der südlichen Seite begleitet wird."
Landeshauptstadt mit eher rauem Charme
Schmieder ist der Landesvorsitzende des Bunds Deutscher Architekten. Sein Büro liegt nur wenige Schritte von der Kanalbaustelle entfernt.
Kiel sei eine Landeshauptstadt mit eher rauem Charme. Das habe vor allem mit dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg zu tun, in der autogerecht breite Straßen angelegt wurden.
"Es ist eine Liebe, die erst auf den zweiten Blick ist. Anders als in Lübeck, da fühlt sich jeder wohl, da wollen auch die ganzen Kreuzfahrer hin, weil es halt die kuschelige Hansestadt ist. Aber wenn man in Kiel lebt, dann finde ich eigentlich, dass Kiel im Augenblick das größere Potenzial hat auch für zukünftige Entwicklungen."
Schicki-Micki ist in Kiel bisher die Ausnahme - bei den Menschen, aber auch in der Architektur. Doch auch in Kiel steigen die Immobilienpreise stetig an, wenngleich sie immer noch weit entfernt sind von Metropolen wie Hamburg oder München.
An vielen Ecken der Innenstadt entstehen nun teure Eigentumswohnungen. Mit der Alten Feuerwache und dem Schlossquartier sind gleich zwei Projekte in die Innenstadt gekommen, die vor allem auf Mieter und Käufer mit dickerem Geldbeutel abzielen. "Mit dem Schlossquartier kehrt das Wohnen in die Kieler Innenstadt zurück" verkündete ein großes Schild großspurig vor den steil hochwachsenden Backsteinfassaden. "Wohnen am Puff" ergänzte irgendwann jemand mit Edding-Stift und wies damit auf die räumliche Nähe zum kleinen Kieler Rotlichtviertel am Hafen hin.
Christian Schmieder findet die neuen Wohnhäuser der alten Feuerwache gelungen. Das Schlossquartier sieht er kritischer.
"Das ist aus meiner Sicht 'n bisschen zu dicht bebaut und das hätte vielleicht 'n bisschen besser werden können."
Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer träumt davon, dass Kiel den gleichen Weg einschlägt wie manche skandinavische Großstadt, die das Wasser für sich wiederentdeckt hat: Städte wie Kopenhagen, Århus oder Malmö. Das könne durchaus gelingen, meint Christian Schmieder. Dafür brauche es aber noch stärkere Visionen und es müsse mehr an der Verkehrsinfrastruktur gearbeitet werden.
"Selbst Marken wie H&M schließen ihre Geschäfte"
Auch Doumorh El-Riz glaubt, dass Kiel hier noch einen weiten Weg zu gehen hat. Sie wünscht sich bei der Stadtplanung einen größeren Einsatz von Designern. Denn bisher sei die Kieler Innenstadt leider sehr stark kommerziell ausgerichtet.
"Kommerziell bedeutet ja nicht gleich, dass es falsch ist. Allerdings ist diese einseitige Ausrichtung ein auch langfristiges Problem für die Stadt. Wir sehen das ja jetzt auch, dass wir sehr viel Leerstand haben, dass wir viele Strukturprobleme einfach generell in der Innenstadt haben. Es ist bisschen verödet, selbst Marken wie H&M schließen ihre Geschäfte, also das ist schon sehr auffällig."
Eben weil der Online-Handel, aber auch die Sharing Economy immer wichtiger würden, bezweifelt Doumorh El-Riz, dass zum Beispiel die Ansiedlung des irischen Bekleidungsgiganten am Bootshafen die Innenstadt wirklich beleben wird.
Die 29-Jährige hat sich in ihrem Studium an der Kieler Muthesius-Kunsthochschule viel mit der Beziehung zwischen Menschen und Räumen auseinandergesetzt. Inzwischen ist El-Riz Koordinatorin für den Studiengang Industriedesgin. Und weitehrhin auch als Raumstrategin tätig.
Die Stadt müsse sich mehr dem Wasser zuwenden, der bereits errichtete Bootshafen, aber auch der nun entstehende Kiel-Kanal seien richtige Schritte dahin.
"Klar sagen auch viele, wir brauchen mehr schöne Architektur in der Innenstadt. Ich glaube tatsächlich, dass die schöne Architektur das eine ist tatsächlich, was vielleicht auch Touristen anziehen kann oder das Stadtbild für das Auge schöner ist. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Inhalte vielleicht nicht stimmen, die in der Innenstadt sind."
Doumorh El-Riz sitzt in einem Café an der Faulstraße. An der Schaufensterscheibe tropft der Regen herunter, dahinter erstreckt sich ein kleiner Parkplatz. Der Regen und der Parkplatz haben auch eine Rolle in ihrer Masterarbeit gespielt, in der El-Riz die Mensch-Raum-Beziehung in der Kieler Innenstadt untersuchte. Eine ihrer Ideen: Den mit alten Bäumen gesäumten Parkplatz an der Faulstraße umzugestalten.
"Dieser Parkplatz eignet sich eigentlich nicht wirklich als Parkplatz, weil die Bäume quasi auch sehr viel Dreck abgeben und der Fußboden schon uneben ist, weil die Wurzeln herauskommen und man merkt so richtig, dass dieser Ort ein sehr schöner Ort ist. Allerdings zurzeit nur zum Durchgang genutzt wird. Und meine Idee war es, ist es quasi, eine Installation hier zu bauen, wo sich Menschen begegnen können."
Wohnzimmer in der Pleitebank
El-Riz schwebt eine Installation mit dem Titel "Wasserloch" vor die die Ostsee aber auch den Regen widerspiegelt. Es ist eine begehbare Rauminstallation auf zwei Etagen. In der unteren Ebene befindet sich eine Zisterne die das Regenwasser der Umgebung sammelt. Sie ist begehbar, mit Stufen versehene und wird bei Regen wie von einem Wasserfall gefüllt. El-Riz geht es um einen Ort, der Identität stiftet, der Leute für Konzerte und andere Veranstaltungen zusammenbringt, aber auch an den Klimawandel erinnert. Denn der würde in Kiel zu noch mehr Regenfällen führen
Nur ein paar Meter vom Café entfernt ragt das Hochhaus der HSH-Nordbank empor. Die gerade privatisierte Pleitebank wird hunderte Stellen in Kiel streichen, und Doumorh El-Riz träumt davon, dort Raum für Werkstätten, Büchereien, Indoor-Spielplätze oder auch einfach nur Ecken zu schaffen, die sich wie das heimische Wohnzimmer anfühlen.
"Reizvoll ist es für mich, dass halt Steuergelder genutzt wurden, um die HSH Nordbank aus ihrer momentanen Situation zu retten. Und da war halt die Idee: Ja, okay, ihr habt Steuergelder genutzt, gebt uns doch zumindest das Gebäude in der Innenstadt, so schön gelegen und wir können das irgendwie revitalisieren und daraus einen Ort für die Bürger der Stadt machen."
Im nahe gelegenen Dänemark würde es gelingen, derartige Orte wiederzubeleben. Aber in Kiel würden viele wohl so ein Vorhaben belächeln, glaubt die Industrie-Designerin.