Umbau statt Neubau

Muck Petzet im Gespräch mit Britta Bürger |
Vermeiden - Weiterverwenden - Wiederaufbereiten: Das ist das Motto für den Deutschen Pavillon bei der Architekturbiennale in Venedig. Für den zeichnet der Architekt Muck Petzet verantwortlich. Es gehe vor allem darum, "überhaupt den Wert des Vorhandenen zu akzeptieren als gesellschaftlichen Wert", betont Muck.
Britta Bürger: "Reduce, reuse, recycle" – vermeiden, weiterverwenden, wiederaufbereiten. Drei Schlagworte umreißen das Konzept des Münchener Architekten Muck Petzet. Als Generalkommissar des deutschen Pavillons präsentiert er seine Ideen ab morgen auf der Architekturbiennale in Venedig. Schönen guten Morgen, Herr Petzet!

Muck Petzet: Guten Morgen!

Bürger: Welche Idee steckt hinter diesen drei Begriffen – vermeiden, weiterverwenden, wiederaufbereiten?

Petzet: Ja, das ist fast selbsterklärend. Das sind Begriffe aus der Abfallwirtschaft. Es geht um Abfallvermeidung hauptsächlich als oberstes Gut, und das vielleicht Ungewöhnliche ist, dass wir diese Begriffe auf den Umgang mit Gebautem, also mit bestehender Architektur anwenden.

Bürger: Ist diese Reihenfolge zufällig gewählt oder steckt da auch eine hierarchische Ordnung drin?

Petzet: Ja, das ist die sogenannte Abfallhierarchie, das heißt, in der Reihenfolge dieser Begriffe ist eine Wertung enthalten, das heißt, in dem Fall ist der geringste Energieaufwand, also die geringste Änderung ist die beste.

Bürger: Das heißt, Recyceln tatsächlich die letzte von vielen anderen Möglichkeiten?

Petzet: Genau. Es geht natürlich zuerst, wie der Name schon sagt, um die Vermeidung, das heißt, das Recycling kommt an letzter Stelle, weil dort sozusagen der Müll schon angefallen ist. Und das Interessante ist, wenn man das auf Architektur bezieht, dass bei Architektur natürlich am Anfang meistens der Wunsch nach Veränderung steht und auch der Wille nach Veränderung. Und interessant fanden wir, diese zwei Gedankenwelten mal gegenüberzustellen.

Bürger: Ist denn Ihrer Ansicht nach grundsätzlich jedes bestehende Gebäude, jede Bausubstanz erhaltenswert und sanierungswürdig?

Petzet: Es geht nicht drum, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Es geht sehr wohl um Veränderung, aber es geht darum, überhaupt den Wert des Vorhandenen zu akzeptieren als gesellschaftlichen Wert und von diesem Wert auszugehen, also nicht von einem Veränderungsautomatismus, wie er teilweise gerade in prosperierenden Regionen wie München noch üblich ist, sondern das Bestehende hat zunächst zumindest mal einen energetischen Wert. Und es geht einfach dann drum, abzuwägen, wie viel Energie muss ich reinstecken, um was wiederum Zukunftsfähiges zu bekommen.

Bürger: Und dort darf die Ästhetik aber ja nicht zu kurz kommen, sonst leben wir irgendwann in grottenhässlichen Städten.

Petzet: Natürlich. Also wir haben ja den Energiebegriff auch sehr weit gefasst. Es geht nicht nur um die physikalische, graue Energie, die gebunden ist in dem Gebäude, sondern es geht auch um ästhetische Qualitäten, um geschichtliche Qualitäten. Und das ist natürlich auch das Interessante an unserem Beruf, wenn man ihn betreibt im Bereich des Umbaus, dass wir natürlich als Architekten auch sehr stark dort eine ästhetische Rolle spielen. Das heißt, wir beurteilen ja auch das, was vorhanden ist, ob es erhaltenswert ist, und entwickeln Ideen, wie wir das weiterentwickeln können.

Bürger: Diese Ideen präsentieren Sie ab morgen im deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale in Venedig, und die Gestaltung des deutschen Pavillons soll ungewöhnlich sein, nämlich keinerlei Modelle zeigen, stattdessen ausschließlich Fotos. Warum haben Sie sich dafür entschieden und was sieht man auf diesen Fotos?

Petzet: Ja, auf diesen Fotos sieht man eben Projekte, die wir beispielhaft finden für den Umgang mit bestehender Architektur. Ein ganz kleines Beispiel wäre ein Anbau an ein Einfamilienhaus von den Amunt-Architekten in Aachen. Das ist sehr schön, wie dort mit minimalsten Eingriffen in ein eigentlich zu kleines Haus richtig erweitert wird und wo aber die bestehende Architektur trotzdem unverändert oder sogar verstärkt wird und gleichzeitig mit was Neuem ergänzt, aber nicht als Dialog, sondern als Weiterentwicklung, Weiterstricken.

Bürger: Ist noch sehr abstrakt. Was wurde verändert an diesem Haus?

Petzet: Ja, es ist ein Anbau, also ein klassischer Grund für einen Umbau – zu wenig Platz –, und man hat im Prinzip die Form des Dachs verändert komplett und hat ein Stück angebaut und dann mit einem anderen Material, aber einem sehr ähnlichen Material. Es ist wirklich so, dass wir – um auch auf die Ausstellung zurückzukommen –, dass wir Bilder zeigen, in denen man quasi fast in diesem Projekt steht.

Also meine Meinung ist, dass man Architekturausstellungen sich am besten beschränkt, das heißt, sich für ein Medium entscheidet – das könnten auch Modelle sein, ich hab überhaupt nichts gegen Modelle, es ist sehr spannend, Modelle sich anzuschauen, sehr spannend, sich Zeichnungen anzuschauen. Es ist nur wichtig bei Architekturausstellungen, sich einfach auf ein Medium zu beschränken, was man dann möglichst gut präsentiert.

Wir haben uns für Bilder entschieden, die auch in entsprechender Größe und Präsenz da sein werden und die für uns sozusagen einen Perspektivwechsel, so, wie wir ihn uns wünschen, dass man eben auf einen Bestand liebevoll blickt, die diesen Perspektivwechsel quasi schon vorwegnehmen.

Bürger: Was heißt in entsprechender Größe?

Petzet: Ja, sehr groß sind die Bilder. Wir haben auch eben den Pavillon als wiederum Bestand ernst genommen und haben keine Ausstellungsarchitektur hineingebracht, sondern wir arbeiten mit den bestehenden Wänden, mit dem bestehenden Boden, wir verbinden unsere Ausstellung mit dieser Architektur. Das heißt, die Bilder sind direkt auf die Wände aufgebracht, die Beschriftung ist direkt auf dem Boden aufgebracht und so weiter. Das heißt, die Art, wie die Ausstellung gemacht ist, ist ähnlich wie die Haltung, die die Projekte auch auszeichnet.

Bürger: Gestaltet hat den deutschen Pavillon der Designer Konstantin Grcic, bekannt geworden ist er ja vor allem mit Lampen und Stühlen. Hat er den Pavillon jetzt auch damit möbliert?

Petzet: Nein. Es wird eine Art Möblierung geben, die sich allerdings sehr stark wiederum mit dem Bestand auseinandersetzt. Wir sind in Venedig. Und dort kann man Dinge ausleihen. Also, wir haben versucht, auch möglichst wenig diesen Wahnsinn zu betreiben, den man jetzt in vielen anderen Bereichen dort sieht, dass natürlich mit einem sehr großen Aufwand Dinge transportiert werden müssen. Wir haben vor Ort Stege, Hochwasserstege ausgeliehen, die sozusagen unsere Möbel gleichzeitig sein werden. Möbel, auch Displayträger, die sehr vielseitig verwendbar sind und die gleichzeitig einen Ortsbezug darstellen und einen Alltagsbezug, der uns sehr wichtig ist.

Bürger: Da kriegt man große Lust, nach Venedig zu kommen. Der Architekt Muck Petzet ist verantwortlich für den deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale, die morgen in Venedig beginnt. Und wir sprechen hier im Deutschlandradio Kultur über das dort vorgestellte Konzept zum Umgang mit bestehenden Bauten.

"Reduce, reuse, recycle": Ist dieser architektonische Ansatz für Sie, Herr Petzet, vor allem eine rationale Notwendigkeit, eine Pflicht, oder sind Sie da auch richtig mit Leidenschaft dabei? Also worin bestand für Sie zum Beispiel der Spaß, Plattenbauten in Sachsen und Thüringen zu verändern?

Petzet: Ja, es ist tatsächlich auch Spaß dabei. Mir persönlich macht es Spaß, mich auch mit bestehenden Architekturen auseinanderzusetzen, weil es zumeist, im guten Fall, zu einer Verdichtung führt. Also es führt zu Dingen, auf die man selber sonst nicht kommen würde. Man hat auch natürlich Aufgaben, auf die man sonst nicht kommen würde. Zum Beispiel haben wir ein ganzes Stadtquartier in Leinefelde umbauen dürfen. Das ist eine Größenordnung, die man im Neubau heute nur noch sehr selten erreichen könnte. Aber da kommt wirklich dann Spaß dazu, sich mit den Gedanken auch, die dort schon vorhanden sind, mit der Geschichte, mit dem Ganzen auseinanderzusetzen und das weiterzuentwickeln, das macht Spaß.

Bürger: Ist das aber für Ihre Zunft doch eher noch ein Problem? Wollen sich viele Architekten einfach nicht in dieser Weise selbst zurücknehmen, wie Ihr Konzept das ja verlangt?

Petzet: Ja, ich denke, dass, ich sag mal, vielleicht so ein bisschen veraltete Bilder vielleicht auch selbst in uns selbst vorhanden sind, was Architekten machen, dass Architekten halt schöne neue Welten schaffen, spektakuläre neue Gebilde. De facto ist es so, dass wir in Deutschland zum Beispiel im Wohnungsbau fast 80 Prozent des Bauvolumens in bestehender Architektur haben, das heißt, ich denke, dass durch diese Beschäftigung sich auch das Bild in der Gesellschaft und von den Architekten selbst ändern wird. Dass wir einfach Entwickler auch sind, dass wir nicht nur die Schöpfer des Neuen sind. Wir sind auch Entwickler. Und es kommt immer auf die Aufgabe drauf an, was hier angemessen und richtig ist.

Bürger: Und ist das bereits auch ein neuer Trend in der Architektenszene, sich zu verbünden, miteinander zu kooperieren? Wie ist das bei all den Büros, die Sie ausgewählt haben?

Petzet: Wir sind, fürchte ich, immer noch sehr stark Einzelkämpfer. Und das ist auch sicher ein Grund dafür, dass diese ganze Wirtschaftsstruktur für Architekten immer noch sehr prekär ist. Und wir kämpfen, jeder kämpft für sich und da ist so eine Ausstellung oder so ein Gedanke auch wie "Common Ground" von Chipperfield, nicht sozusagen nur einzelne Architekten einzuladen, sondern die wiederum anzuregen, zusammenzuarbeiten, andere Leute zu suchen, die sie mit ausstellen wollen. Das sind wirklich tolle Ansätze, und insofern ist auch diese Biennale ein ganz wichtiger Ort, weil dort einfach so ein Treffen und Austausch stattfindet. Und man hofft immer, dass sich mal eine stärkere Gemeinsamkeit bildet, aber noch sind wir sehr stark im Einzelkampf verhaftet.

Bürger: Die Architekturbiennale in Venedig. Morgen wird sie eröffnet und ist dann bis zum 25. November zu sehen. Verantwortlich für den deutschen Pavillon ist der Münchner Architekt Muck Petzet. Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Petzet!

Petzet: Ja, ich danke Ihnen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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