Wie werde ich Demokrat? Re-Education durch Film nach 1945
Regie: Dieter Reifarth
Absolut Medien, ARTE Edition
2 DVDs, Schwarzweiß, 24,90 Euro
Wie man aus Nazis Demokraten macht
Wie bringt man Gleichgültigen und Nazi-Mitläufern Demokratie bei? Mit diesem Problem waren die westlichen Besatzungsmächte nach 1945 in Deutschland konfrontiert. Die Lösung: Umerziehungsfilme. Ihr Tonfall schwankt zwischen scharfer Anklage und dem Nachsicht verheißenden, biederen Charme der Betulichkeit.
"Hitler – weg! Hakenkreuze – verschwunden! Nazi-Propaganda – ausgeschaltet! Die Nazi-Partei scheint verschwunden. Aber das Nazi-Denken ist geblieben."
Schock und Fassungslosigkeit durchzieht, hörbar, diesen Aufklärungsfilm der Amerikaner für ihre Soldaten. Und für die Deutschen schickten sie so genannte Atrocity pictures in die Kinos - mit Aufnahmen, die bei der Befreiung von Konzentrationslagern gemacht wurden, wie "Die Todesmühlen", gedreht vom emigrierten Regisseur Hans Burger, aber fertiggestellt unter der Oberaufsicht von Billy Wilder.
"Hundert Kreuze, tausend Kreuze, Millionen Kreuze – für die Opfer der deutschen Todesmühlen."
Aber bald merkten die Westalliierten, dass die Schocktherapie so nicht funktionierte: Schließlich sollten nicht Fanatikerder letzten Stunde bekehrt werden, sondern Pragmatiker der so genannten Stunde Null, die irgendwie bemüht waren, von der gerade vergangenen Normalität in die nächste zu wechseln. Unter ihnen viele junge Deutsche, die in der der Naziverblendung groß geworden waren und gar nichts anderes kannten. Aber Demokratie sollte nicht verordnet, sondern verstanden werden.
Umerziehungsfilme sind die Lösung
Re-Education hieß die Lösung: Umerziehungsfilme, mit positiven Aussagen über freie Presse, das neue Rechtswesen, die Volkshochschule oder Asylrecht für Flüchtlinge aus dem Osten; über Schüler, die einen Tag lang die Stadtverwaltung übernehmen dürfen, oder einen Tag aus dem Leben eines deutschen Polizeiwachtmeisters. An die 100 Filme ließ die Militärregierung in den westlichen Besatzungszonen (hauptsächlich die Amerikaner) zur Verbesserung des Charakters von Nazimitläufern herstellen.
"Sie lernen zum Beispiel die Aufgabe des Verkehrspolizisten. Dieser hier ist eifrig dabei, ein nützliches Mitglied des neuen Deutschland zu werden."
Der Filmproduzent und Autor Dieter Reifarth hat die 89-minütige Filmcollage "Wie werde ich Demokrat?"vollständig aus dem Originalmaterial der amerikanisch-britischen Wochenschau "Welt im Film" und aus diesen Re-Education-Filmen zusammengeschnitten: unbarmherzig und sehr dicht.
Die übergangslose und unkommentierte Montage saugt einen hinein in dieses merkwürdige Vakuum aus Misstrauen und Erziehungswillen nach der so genannten Stunde Null, in diese drängende Frage "Wie macht man aus einstigen 'Herrenmenschen' und Gleichgültigen echte Demokraten?", und in das verzweifelte Werben der Demokratie-Propaganda auch mit erfreulichen Ereignissen: Panzerfäuste werden zu Küchensieben, Armprothesen werden benötigt zum Autofahren – und ermutigende Worte gegen das allgemeine Unwohlsein.
"Was hat die größte Gruppe der Verantwortlichen zu erwarten, die Mitläufer? Das Gesetz gibt den Mitläufern die Möglichkeit, durch Zahlung einer Buße für den Wiedergutmachungsfonds oder durch freiwillige Arbeitsleistung den Übergang in die Reihen der aufbauwilligen demokratischen Kräfte zu finden."
Vieles an dieser Demokratiepropaganda war naiv - es gab sogar fröhlich Gereimtes! -, aber die Amerikaner wollten die Deutschen ja für die Idee der Demokratie gewinnen. Und gelegentlich griffen sie dabei auch zu sanften Ermahnungen.
"Ich kümmere mich nicht mehr um Politik, davon hat man nichts als Ärger. Das muss ich doch schon mal gehört haben. Sie reden wie n'alter Na... Na, lassen wir das."
In der Doppel-DVD-Box "Wie werde ich Demokrat?" (erschienen bei absolut Medien) gibt es neben der gleichnamigen Filmcollage noch als PDF-Datei u.a. die seit langem vergriffene 180-seitige Aufsatzsammlung der Babelsbeger CineGraph-Schriftenreihe zum Thema und (über drei Stunden lang!) 13 Originalfilme aus dem Re-Education-Programm.