Auch junge Katholiken wollen Sex vor der Ehe
Neun von zehn Jugendlichen halten sich nicht an die kirchliche Sexuallehre, so die Einschätzung von Lisi Maier, Vorstand im Bund der Deutschen Katholischen Jugend. Belegt sei dies nun durch eine aktuelle Umfrage des Vatikans.
Britta Bürger: Niemals zuvor sind die Gläubigen in solcher Weise zu Wort gekommen. Katholikinnen und Katholiken aus aller Welt wurden vom Vatikan aufgefordert, die kirchliche Sexuallehre zu bewerten. Zum ersten Mal konnte jeder seine Meinung äußern, zu Verhütung, vorehelichem Sex und Homosexualität. In Deutschland zeigt das Ergebnis eine riesige Kluft zwischen der kirchlichen Moral und der Lebensrealität insbesondere junger Menschen.
Seit gestern beraten die deutschen Bischöfe in Würzburg über die Umfrageergebnisse. Auch der Bund der deutschen katholischen Jugend hat seine Mitglieder befragt und ist auf große Resonanz gestoßen. Wir haben Lisi Maier eingeladen, die zum Vorstand gehört. Schönen guten Tag, Frau Maier!
Lisi Maier: Guten Tag!
Bürger: Viele Bistümer und katholische Organisationen mussten diesen Original-Vatikan-Fragebogen für ihre jeweiligen Zielgruppen ja erst mal übersetzen, vereinfachen, anpassen. Im Bistum Mainz hat man die Sprache des Originalfragebogens als Zumutung bezeichnet. Der "Spiegel" zitierte eine Frau, die sich um mindestens 100 Jahre zurückversetzt fühlte. Wie ging es Ihnen mit diesem Originalbogen?
Maier: Wir haben uns auch vorgenommen, diesen Originalbogen zunächst aus der Perspektive von jungen Menschen auch ein Stück weit zu übersetzen. Wenn ich dort lese beispielsweise, wie wird Katechese in der Familie umgesetzt, dann ist das ein Wort, Katechese, das viele junge, aber auch ältere Menschen nicht eindeutig identifizieren können, was damit alles verbunden ist.
Und deshalb haben wir uns dann auch vorgenommen, diese Worte in die Lebensrealität von jungen, aber auch älteren Menschen zu übersetzen, aber auf der anderen Seite natürlich auch ein Stück weit noch mal fragen an der einen oder anderen Stelle verschoben, um deutlich zu machen, wenn jetzt die eine Frage vorgelagert gewesen wäre, wäre die Tendenz, wohin die Antwort gehen sollte, klarer gewesen, wie wenn man diese Fragen getauscht hätte. Und das konnte man auch nachvollziehen.
Das haben wir auf unserer Homepage dementsprechend gekennzeichnet, welche Fragen wir wie angepasst haben, um zu verdeutlichen, wir haben uns nicht selbst Fragen überlegt, sondern bewusst auch theologisch fundiert, aber das einfach in eine andere Sprache noch mal, in eine jugendgerechtere Sprache übersetzt.
Die Jugendlichen kennen die katholische Lehre - sie halten sich nur nicht daran
Bürger: Mehr als 10.000 Jugendliche haben den Fragebogen dann ausgefüllt. Fragen zu Sex vor der Ehe, zu Verhütung und dazu, ob Homosexualität als Sünde zu betrachten sei – was sind die wichtigsten Ergebnisse?
Maier: Aus unserer Perspektive sind die wichtigsten Ergebnisse natürlich, dass ein Großteil der Jugendlichen, jungen Erwachsenen, die diesen Fragebogen ausgefüllt haben, sehr wohl sagen, wir kennen die Lehre der Kirche, sie ist uns bekannt. Aber eben neun von zehn Jugendlichen sagen, wir halten uns nicht an diese Lehre der Kirche oder können uns gar nicht an diese Lehre der Kirche aus verschiedenen Gründen halten.
Was beispielsweise im Bereich der Empfängnisverhütung sagen 95 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, dass sie Empfängnisverhütung verwenden und nutzen, und dass beispielsweise, viele äußern sich, neun von zehn, dass sie dies auch aus einer wirtschaftlichen Notwendigkeit heraus tun. Also, dass junge Menschen heute die Empfängnisverhütung auch aus der Perspektive, weil sie in befristeten Arbeitsverhältnissen et cetera stehen und erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt Kinder haben können und möchten.
Bürger: Sie verantwortungsvoll ihr Leben planen.
Maier: Und so verantwortungsvoll ihr Leben planen, auch in Bezug auf Krankheiten, übertragbare Geschlechtskrankheiten.
Bürger: Sex vor der Ehe ist selbstverständlich?
Maier: Sex vor der Ehe ist auch eine Frage gewesen, insbesondere auch das Zusammenleben als Experimentum, wie es bezeichnet wird, und im Vatikan-Fragebogen auch als schwierig umschrieben wurde, schwierige Beziehung. Und Jugendliche und junge Erwachsene sehen das eben keinesfalls als schwierig an, sondern nehmen das als normales Beziehungsverhältnis.
Bürger: Wie ist es mit der Homosexualität? Wurde da auch gezielt nach gefragt? Kann man sich beim Vatikan kaum vorstellen.
Maier: Gezielt wurde nicht danach gefragt, aber die Freitextantworten, wo Jugendliche und junge Menschen noch mal darauf antworten konnten, was ihre Bedürfnislagen sind in der Kirche für die Zukunft. Dort haben sich viele sehr deutlich geäußert. Bis zu einem Drittel der Freitextantworten zielten in diese Richtung Homosexualität.
Braucht auch einen Raum in unserer Kirche und vor allem, es dürfen junge Menschen, die homosexuell sind, nicht ausgeschlossen werden, nicht auch eine andere Rolle einnehmen müssen wie heterosexuelle und eine gleiche Anerkennung verschiedener Formen des Zusammenlebens muss dementsprechend auch anerkannt werden.
"Da gibt es in der Kurie entsprechende Gegenspieler"
Bürger: Wie ging es Ihnen selbst bei der Beantwortung dieser Fragen, als Katholikin im Vorstand einer katholischen Organisation? Kommen Sie da auch immer wieder in Konflikt mit der katholischen Lehre?
Maier: Spannenderweise ist es so, dass mir bei der Beantwortung des Fragebogens, wie ich den erst mal für mich auch so ausprobiert habe natürlich, weil wir versuchen auch, den mal durchzugehen natürlich, um zu sehen, wie der umsetzbar ist oder beantwortbar ist. Und spannenderweise habe ich mir da auch gedacht gehabt, das sind so viele Fragen, die ich immer wieder mit Freundinnen und Freunden auch diskutiert habe in meiner Jugend, gerade im Verbandsleben diskutiert habe.
Ich glaube, dass junge Menschen, so wie ich es selbst auch erlebt habe in meinem Freundeskreis, dass junge Menschen in den Jugendverbänden sehr wohl ethisch beurteilen können, wie sie mit Sexualität und ihrem Geschlechtsleben umgehen und wie sie das auch noch mal verantwortungsvoll damit umgehen. Und ich glaube, dass es dazu eben mehr Wertevermittlung von Kirche bräuchte als Regeln und Verbote, sondern eher einen bewussteres Vertrauen, das man in junge Menschen setzt.
Bürger: Ehe, Familie, Partnerschaft. In Deutschland lehnen junge Gläubige die Sexualmoral der katholischen Kirche ab. Zum ersten Mal hat der Vatikan sie nach ihrer Meinung gefragt. Im Deutschlandradio Kultur sprechen wir darüber mit Lissi Maier vom Vorstand des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend.
"Der Spiegel" hat ja das Stimmungsbild in allen 27 deutschen Bistümern recherchiert und ganz ähnliche Ergebnisse wie Sie gesammelt. Die Basis geht in punkto Sexuallehre eigene Wege und lehnt eben die alten Dogmen ab, anscheinend wirklich auch generationenübergreifend. Muss man also wirklich von einer Zerrissenheit der Kirche sprechen? Sind die Positionen nicht mehr vermittelbar?
Maier: Wir sehen auf alle Fälle, dass die kirchliche Autorität und die Lebensrealität eben nicht nur von jungen Christinnen und Christen, sondern auch von älteren, unglaublich weit auseinanderklafft. Und wir glauben, dass es deshalb an der Zeit ist, dass die Deutsche Bischofskonferenz jetzt eben tagt, der ständige Rat sich dessen auch annimmt und sich mal bewusst drauf einlässt, auch die Gläubigen zu Wort kommen zu lassen und mehr auch noch mal fragend voran geht als immer nur mit Verboten und Regeln.
Bürger: Dafür müssen die Bischöfe natürlich diese Ergebnisse auch klipp und klar weiter geben. Bislang wollten die Päpste der Realität nicht ins Auge sehen. Jetzt wird Papst Franziskus dann im Oktober Bischöfe aus aller Welt nach Rom einladen, um über diese Umfrageergebnisse zu sprechen. Ist denn zu erwarten, dass es weltweit den Wunsch nach Veränderung gibt?
Maier: Wir glauben, dass es auf alle Fälle weltweit unterschiedliche Wünsche und unterschiedliche Realitäten bei vielen jungen und älteren Menschen auch noch mal gibt, was die Sexualmoral angeht, und wir glauben auch, wenn wir in unseren internationalen Kontexten mit Verbänden im Gespräch sind, dass dort auch viel Potenzial ist für eine Erneuerung in diesem Bereich.
Wir wünschen uns auf alle Fälle, dass es einen transparenten Umgang mit den Ergebnissen gibt, um dann eben auch entsprechend noch mal zu sehen, wie in den unterschiedlichen Ländern, in den unterschiedlichen Diözesen auf der Welt mit den Ergebnissen auch umgegangen wird und wie diese auch nach Rom kommen.
Bürger: Wie sehr hängt der Reformprozess denn tatsächlich an der Person des Papstes? Oder, andersherum gefragt, wer macht es dem Papst besonders schwer, solche grundlegenden Reformschritte durchzusetzen?
Maier: Also auf der einen Seite glaube ich natürlich, dass der Papst die Möglichkeit hat, hier ein gutes Zeichen zu setzen, aus unserer Perspektive ein gutes Zeichen zu setzen und voranzuschreiten. Und ich würde mich noch nicht unbedingt darauf einlassen.
Natürlich, immer wieder wird gesagt, da gibt es in der Kurie entsprechende Gegenspieler, und ich glaube, ich würde mich noch nicht darauf einlassen, zu sagen, da ist Hopfen und Malz verloren, sondern wir haben schon noch die Möglichkeit, dort auch gerade durch solche Ergebnisse in den Fragebögen oder durch ein solches Ergebnis der Umfrage auch hier noch mal gezielt als Gläubige auf der ganzen Welt Rückmeldung zu geben und diesem Papst – einen bislang sehr hörenden Papst – auch die Chance zu geben, hier auch was anzupacken.
Bürger: Ihre Worte in des Papstes Ohren, sage ich dann zum Schluss. Danke, Lisi Maier vom Vorstand des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend. Vielen Dank für Ihren Besuch!
Maier: Vielen herzlichen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.