Umfrage

Schottlands Separatisten erstmals vorne

Befürworter der Unabhängigkeit Schottlands.
Befürworter der Unabhängigkeit Schottlands. © Andy Buchanan / AFP
Von Jochen Spengler |
Sensation in Schottland: Nur zwei Wochen vor der Volksabstimmung spricht sich eine Mehrheit der Wähler für die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich aus. Selbst die Queen soll nun äußerst besorgt sein.
In den letzten zwei Jahren signalisierten mehr als 80 Umfragen, dass eine Mehrheit der vier Millionen Schottischen Wähler nicht unabhängig werden und sich aus dem Vereinigten Königreich herauslösen wollte. Doch das gilt seit heute nicht mehr.
Weniger als zwei Wochen vor der Volksabstimmung erschüttert ein Schock die Briten, denn erstmals überhaupt liegen die Separatisten vorn. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov hat ermittelt, dass derzeit 51 Prozent der Wähler "Ja" zur Unabhängigkeit sagen, und "49" Prozent "Nein", nicht mitgerechnet jene, die sich noch nicht entschieden haben. Berücksichtigt man diese 7 Prozent so sind 47 für und 45 Prozent gegen die Unabhängigkeit Schottlands.
Mit ihrer Begeisterungsfähigkeit, mit leidenschaftlichen Debatten und zehntausenden Freiwilligen hat eine breite und bunte Bewegung aus der regierenden Schottischen Nationalpartei SNP, Grünen, Linkssozialisten und Radikalen in gerade einmal einem Monat einen 22 Punkte betragenden Rückstand gedreht. Nicola Sturgeon, Vizechefin der SNP, sagt, die Ja-Seite werde keineswegs selbstgefällig werden:
"Aber die Umfrage zeigt, dass eine wachsende Anzahl von Menschen zu der Auffassung kommen, dass die Unabhängigkeit der beste Weg ist, unser nationales Gesundheitssystem zu schützen, die Wirtschaft anzuschieben, Jobs zu schaffen und sicherzustellen, dass wir niemals wieder Konservative Regierungen bekommen, die wir nicht gewählt haben, sondern immer die in Schottland, für die wir gestimmt haben."
Selbst die Queen soll besorgt sein
Die Konserverativen haben spätestens seit Maggie Thatchers Deindustrialisierungspolitik in Schottland einen schweren Stand. Das 5-Millionen-Volk entscheidet sich in Wahlen meist mehrheitlich für Mitte-Links-Parteien; doch das schlägt sich angesichts einer Gesamtbevölkerung von 63 Millionen nicht immer im Wahlergebnis für Großbritannien nieder, wo seit vier Jahren eine konservativ-liberale Regierung unter David Cameron am Ruder ist.
Das britische Establishment fürchtet nun um die Zukunft des 307 Jahre alten Vereinigten Königreichs; auch die Queen – offiziell neutral – soll, so meldet die Sunday Times, äußerst besorgt sein.
Die "Better-Together-Kampagne", die von einer großen Koalition der Konservativen Partei, der Liberaldemokraten und Labour getragen wird, spricht angesichts der Umfrage von einem Weckruf. Gordon Brown, Ex-Labour-Premier und selbst Schotte, will sich in den verbleibenden elf Tagen an die Spitze der Unionisten stellen, es gehe jetzt um zwei verschiedene Visionen für die Zukunft Schottlands:
"Die erste ist die der Nationalisten, die vollkommen mit dem Vereinigten Königreich und allen Verbindungen brechen wollen. Und die zweite ist jene, die ich die patriotische Vision nennen würde, meine Vision. Ich will mehr Macht für das schottische Parlament, also Wechsel, um es stärker zu machen, aber ich will ebenso unseren Reichtum mit dem Rest des United Kingdom teilen."
Trösten mit einer zweiten Umfrage
Schottland entscheidet schon seit Jahren autonom in Fragen des Schul- und Hochschulwesens, der Justiz, der Polizei oder der Gesundheitspolitik. Doch die Außen-, Verteidigungs- und Finanzpolitik bestimmt die Regierung im Westminister. Um die Schotten in letzter Minute davon abzuhalten, von der Fahne zu gehen, wollen die Unionisten nun ein Angebot aus dem Hut ziehen, das die Schotten nicht ausschlagen können. Schatzkanzler George Osborne:
"Es ist klar, dass Schottland mehr Kontrolle über die Entscheidungen haben will, die es betreffen. Da werden wir liefern. In den kommenden Tagen wird es einen Aktionsplan geben, Schottland mehr Kompetenzen zu geben, mehr Besteuerungsrechte, mehr Ausgabe-Rechte, mehr Macht über den Sozialstaat."
Es darf bezweifelt werden, dass dieses Angebot den Schwung der Separatisten noch aufhalten kann. Die Unionsfreunde aber setzen auf eine angeblich schweigende Mehrheit, die das Risiko der Unabhängigkeit scheut und sie trösten sich damit, dass eine zweite Umfrage vom Wochenende die Nein-Sager bei 52 und die Befürworter nur bei 48 Prozent sieht.
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