"Der Wahlkampf ist kein Pferderennen"
11:13 Minuten
Täglich erscheinen Umfragewerte darüber, wer im Rennen um das Kanzleramt führt. Die Medienwissenschaftlerin Margreth Lünenborg kritisiert, dass es bei diesem "Pferderennen" zu wenig um Inhalte geht und auch statistisch oft zweifelhaft gearbeitet wird.
Die Geschichte vom Aufstieg und Fall der Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbocks – ungefähr so kann man die politische Berichterstattung der letzten Wochen und Monate zusammenfassen. Dabei gab es noch keine Wahl, die Berichte beziehen sich auf Umfragewerte über die Beliebtheit der Politikerin.
In den USA ist "Horse-Race-Journalismus" schon lange ein fester Begriff. Auch in Deutschland wird der Bundestagswahlkampf inzwischen wie ein Pferderennen betrachtet, bei dem ständig darüber informiert wird, wer gerade führt.
Es sollte mehr um Inhalte gehen
"Beim Pferderennen geht es wirklich nur darum, welcher Gaul die Nase vorn hat", sagt die Medienwissenschaftlerin Margreth Lünenborg. Schönheit oder Laufstil seien dann eben irgendwie banal.
"Aber im politischen Geschehen der Gesellschaft sollte es doch um Inhalte gehen", sagt die Berliner Professorin. "Die Aufgabe von Journalismus ist zweifelsohne, auf den Zahn zu fühlen und kritisch zu prüfen, ob die Versprechen, die da jetzt ausgeschüttet werden, auch tatsächlich tragfähig sind. Also tatsächlich Inhalte in den Mittelpunkt zu stellen."
Dass die Berichterstattung über die Ergebnisse von Umfragen so stark zugenommen habe, liege auch daran, dass diese dank neuer Technologien immer preiswerter zu bekommen seien. Gleichzeitig würden die Befragungen immer unsicherer. Das hänge mit einem größeren Parteienspektrum zusammen, aber auch an der größeren Zahl von Wechselwählerinnen und Wechselwählern. Dies führe zu Prognosen, die teils beachtlich daneben lägen, so Lünenborg.
Die Medien als Akteure
Medien sollten Daten besser einordnen, indem sie beispielsweise erwähnten, wie groß die Unschärfe in der Erhebung ist, wünscht sich Lünenborg. Aber es sei auch wichtig zu hinterfragen, weshalb bestimmte Medienhäuser teils seit Jahrzehnten mit denselben Umfrageinstituten zusammenarbeiten. Bei ihnen könne man auch immer wieder die gleiche Tendenz beobachten. "Da wird auf statistisch ziemlich dünnen Boden dramatisiert."
Der Medienwissenschaftlerin geht es nicht darum, Umfragewerte generell zu verpönen. Allerdings sei es wichtig, die Ergebnisse in eine Relation zu den eigentlichen Themen zu setzen, um einen echten journalistischen Zugewinn zu erhalten. Doch dies müsse vorsichtig geschehen.
Indem Medien selbst Umfragen in Auftrag geben, würden sie zum Akteur und seien nicht mehr nur neutral, kritisiert Lüneborg. Die immer neuen Zahlen im Tagestakt erzeugten ein eigenes Meinungsklima. Dies führe wiederum zu den höheren Wechseldynamiken bei Wählerinnen und Wählern, die ihr Kreuz auf der Basis von Prognosen dann taktisch einsetzten.
(hte)