Henning Hoff, studierte Zeitgeschichte in Köln und London, arbeitete nach der Promotion als freier Korrespondent in der britischen Hauptstadt. Seit 2011 ist er Editor-at-Large bei der Zeitschrift "Internationale Politik", die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik herausgegeben wird, und betreut zudem deren neues englischsprachiges Pendant "Berlin Policy Journal". Er ist Mitgründer des Verlags Weltkiosk.
Größere Neugier und klarere Kante
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Vom schlafenden Riesen spricht schon lange keiner mehr. Zugleich fasziniert und verschreckt, beobachtet die sogenannte westliche Welt den Aufstieg Chinas. Der Journalist Henning Hoff rät dringend, strategischer mit China umzugehen.
Im Sommer 2015, als Donald Trump noch bloß ein Außenseiterkandidat im amerikanischen Wahlkampf war, machte ein amüsant zusammengeschnittenes Online-Video die Runde. Darin sprach der heutige US-Präsident mit immer neuer Betonung wieder und wieder den Namen des Landes aus, das er für den angeblichen Niedergang der Vereinigten Staaten verantwortlich macht: China.
Was damals als eine von vielen spleenigen Obsessionen des Kandidaten Trump erschien, ist heute US-Außenpolitik – das Kräftemessen mit dem vermeintlichen Rivalen ein schlingernder Zickzack-Kurs, den der US-Präsident wie stets mit Vollgas fährt.
Schwer vorstellbar ist allerdings, dass Trump mit der Mischung aus Umschmeichelung des chinesischen Präsidenten Xi Jinping und Strafzöllen sein Ziel einer ausgeglichenen Handelsbilanz erreichen wird. Zuletzt wuchs das US-Handelsdefizit von jährlich rund 400 Milliarden Dollar sogar noch weiter an.
Nun ist "China, China, China" auch in Europa angelangt. Immer öfter warnen Politiker und Anfang des Jahres selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie vor dem "Systemkonkurrenten China" – der seit 2016 Deutschlands größter Handelspartner ist.
Die Bundesregierung tut sich dennoch schwer damit, den chinesischen Anbieter Huawei vom Aufbau des 5G-Mobilfunknetzes ausschließen. Und Außenminister Heiko Maas tadelt das Anbändeln der italienischen Regierung mit Chinas Projekt der Neuen Seidenstraße, bevor Bundeskanzlerin Angela Merkel eine "aktive Rolle der EU" bei dem Projekt ankündigt.
Westen zeigt Desinteresse an strategischem Denken
Woher kommt diese Verwirrung des Westens beim Umgang mit China – mit Asien überhaupt, zu dessen Gunsten sich die globalen Kräfteverhältnisse seit Jahren verschieben? Sie hat vor allem mit Ignoranz zu tun – und mit Desinteresse an strategischem Denken, auf das man sich gerade in Peking so vorzüglich versteht.
Seit 2013 treibt die chinesische Regierung die Neuen Seidenstraße-Initiative voran, ein Eine-Billion-Dollar-Infrastrukturprojekt, das mittlerweile Teil der Verfassung der Kommunistischen Partei ist. Geschickt hat es China verstanden, Europas Ränder – Länder in Osteuropa und auf dem Balkan, Griechenland, Portugal und nun eben auch Italien – mit Investitions- und Kreditversprechen in seinen Einflussbereich zu ziehen.
Diese Prozesse werden dafür sorgen, dass der Eurasische Kontinent so eng zusammenwächst wie nie zuvor in der Geschichte. Und dieses Zusammenwachsen läuft nach einem neuen, für unsere Außenpolitik unbequemen Muster ab: teils kooperativ, teils kompetitiv, teil konfrontativ.
Während sich die Vereinigten Staaten unter Trump neuerdings als Partner und Gegner Deutschlands und Europas gerieren, so ist China längst genau das: ein Land, das von Win-win-Lösungen spricht und auf den eigenen Vorteil, um nicht zu sagen: die Vorherrschaft bedacht ist.
Mit Verteidigung eigener Werte verbundene Beschäftigung mit Asien
Wie sollten wir damit umgehen? Zum einen brauchen wir mehr kritische Auseinandersetzung. Das fängt in den Schulen an und reicht über verstärkte China- und Asien-Forschung in Think-Tanks und Instituten bis hin zu neuen Medien, die uns den eben gar nicht mehr "Fernen Osten" nahe bringen.
Es ist ein Risiko, die chinesische Sprach- und Kulturvermittlung allein staatlich gesteuerten Konfuzius-Instituten zu überlassen, in denen man über den totalitären Anspruch der chinesischen KP oder die Unterdrückung der muslimischen Uiguren in der Provinz Xinjiang eher wenig erfährt.
Diese intellektuelle, mit der Verteidigung eigener Werte verbundene Beschäftigung mit Asien und insbesondere China sollten wir selbstbewusst suchen. Dass der oft dünnhäutige chinesische Staat versucht, all seine Kritiker zu kontrollieren, muss dabei ein Ansporn sein. Auf dieser Grundlage ließe sich dann auch leichter, und weniger konfus Außenpolitik machen.
Und wenn es um Werte und unsere Sicherheit geht – Stichwort Huawei, Stichwort NATO –, sollten wir wissen, wo unsere Interessen liegen: im Bündnis mit unseren westlichen Partnern einschließlich der USA. Größere Neugier also gegenüber dem vielen Neuen, das sich im Osten unserer Welt tut, und klarere Kante – dann müssten wir nicht mehr so oft aufgeregt "China, China, China" rufen.