Umgang mit Coronaprotesten

Ignorieren oder ernst nehmen?

87:30 Minuten
Demonstration gegen die aktuelle Coronapolitik. Das Foto zeigt Menschen, die gegen die Coronavirus-Auflagen demonstrieren. Sie tragen Plakate mit der Aufschrift "Mündige Bürger statt vollmundiger Politiker" und "Für Freiheit und Selbstbestimmung".
Gespaltene Gesellschaft - doch in Teilen vereint im Protest gegen die Coronamaßnahmen. © picture alliance
Moderation: Vladimir Balzer |
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Corona spaltet unsere Gesellschaft: In jene, die die staatlichen Maßnahmen hinnehmen und befolgen, und jene, die sie infrage stellen, kritisieren und dagegen demonstrieren. Wie sollen wir mit den Protesten umgehen?
Die Bilder vom vergangenen Samstag, dem 29. August, gingen um die Welt: Reichsfahnen und Rechtsextreme auf den Stufen des Parlaments in Berlin. Zehntausende hatten zuvor in der Hauptstadt gegen die staatlichen Coronamaßnahmen protestiert, darunter Familien mit Kindern, Aktivisten mit Regenbogenfahnen, Impfgegner, aber auch rechte Verschwörungstheoretiker und sogenannte Reichsbürger.

"Unsere Gesellschaft steht vor einer großen Herausforderung"

"Ich hatte Covid-19 und mache mir Sorgen um Euch" – mit diesem Schild mischte sich Karoline Preisler unter die Demonstrierenden. Sie habe ein Gesprächsangebot senden wollen, sagt die FDP-Politikerin aus Mecklenburg-Vorpommern. Sie war im März an Covid-19 erkrankt und hat noch heute mit den Nachwirkungen zu tun. Ihre Überzeugung: "Die Politik muss aufhören, Demonstrationen mit Gegendemonstrationen zu begegnen. Jeder durfte an dem Samstag laut brüllen, aber so kommt kein Gedankenaustausch zustande."
In ihrem Tagebuch auf Twitter schrieb sie nach der Demonstration: "Wer die Verhältnismäßigkeit von Corona-Maßnahmen hinterfragt, muss die Verhältnisse der Demokratie erst einmal als Maßstab zugrunde legen. Das fehlte der Demo."

Es sei kontraproduktiv, die Demonstrierenden als "Covidioten" zu bezeichnen. "Wenn wir uns erhöhen und die anderen erniedrigen, kommen wir nicht weiter. Unsere Gesellschaft steht gerade vor einer großen Herausforderung. Und es liegt an uns, etwas daraus zu machen."

Die Krise der repräsentativen Demokratie

"Jede Ausnahmesituation ist eine Herausforderung für die Demokratie", sagt Paula Diehl, Professorin für Politische Theorie, Ideengeschichte und Politische Kultur der der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. "Es gibt durchaus berechtigte Zweifel über die Art und Weise, wie die Verordnungen durchgezogen worden sind. Das ist natürlich ein Problem für die Demokratie. Und dann ist es immer normal, dass es Proteste gibt, die dann zu einer Korrektur beitragen."
Bei den aktuellen Coronaprotesten sehe sie aber auch bedenkliche Tendenzen: "Erstens die Duldung von rechtsradikalen Positionen, zumindest entsteht dieser Eindruck, weil es kaum Distanzierung gibt. Zweitens: Die Realitäten sind verschieden. Und in einer Gesellschaft, die sich nicht auf eine Realität einigen kann, ist keine Politik mehr möglich."

Ihre Beobachtung: "Das Ganze profitiert von einer Krise der repräsentativen Demokratie, bei der sich Teile des Volkes nicht mehr repräsentiert fühlen, sich nicht mehr gehört fühlen. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung geht nicht mehr wählen. Wir haben eine Auflösung der Ideologien, die Diskurse sind komplexer geworden."

Umgang mit den Corona-Protesten: Ignorieren oder ernst nehmen?
Darüber diskutiert Vladimir Balzer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit der Politikerin Karoline Preisler und der Politikwissenschaftlerin Paula Diehl.

Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de.
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