Von Rechtspopulisten und ihren seltsamen Quellen
Die etablierten Parteien zerbrechen sich derzeit den Kopf, wie sie mit der AfD umgehen sollen. Der Politikberater Erik Flügge denkt mit - und eher langfristig. Er empfiehlt unter anderem, die politische Bildungsarbeit zu überdenken. Auch die Qualität des Lokaljournalismus sieht er als Problem.
Was ist das Besondere an AfD-Wählern? Laut dem Politikberater Erik Flügge sind es die "sehr seltsamen" Quellen, die sie benutzen. Blogs im Internet, deren Urheber unklar sind und in denen Verschwörungstheorien verbreitet werden. Facebook-Postings, die einen Lieferwagen zeigen, in dem angeblich Flüchtlinge gefahren sind, die jetzt in der Nachbarschaft einbrechen.
Solche Beiträge in den sozialen Medien verbreiten sich oft schnell. Denn die AfD-Wähler säßen keineswegs apathisch im Wohnzimmer und seien desinteressiert an der Welt, sagte Flügge im Deutschlandradio Kultur. Im Gegenteil: Sie seien in der Regel "extrem aktiv", schickten Links weiter und sprächen Freunde an.
Mit dem Lügenpressen-Vorwurf versuche die AfD, ihre Anhänger von seriösen Informationsquellen abzuschneiden, sagte Flügge. Er empfiehlt, bei der Auseinandersetzung mit den Rechtspopulisten auf mehreren Ebenen anzusetzen. Dazu gehört die Stärkung des Printjournalismus in der Fläche – also das Anbieten besserer, seriöser Quellen auf lokaler Ebene. Und eine andere politische Bildung, die nach Ansicht Flügges nicht mehr nur auf das Vermitteln der politischen Strukturen setzen soll, sondern auch auf Medienkompetenz und Quellenkritik.
Weitere Möglichkeiten: Die "Propagandaschlacht" der AfD mit einer eigenen Propagandaschlacht bekämpfen. Und, vor allem: Juristisch Möglichkeiten schaffen, "viel leichter" gegen Falschmeldungen vorgehen zu können. Lügen über andere Menschen und Gruppen zu verbreiten sei nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, betonte Flügge. (ahe)
Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Am Montag, zwischen den Wahlen, vor einer Woche hatten wir Meck-Pomm und den Schock über das Ergebnis der AfD. Am Ende dieser Woche dann Berlin, die Abgeordnetenhauswahlen und schon eine klare Ahnung, auch hier wird die AfD ziemlich sicher ziemlich gewaltig ins Parlament einziehen.
Warum? Woher kommt dieser Erfolg, und warum helfen all die guten Argumente nichts, die eigentlich gegen das Wählen von Populisten sprechen? Der Politikberater Erik Flügge hat eine These und auch ein paar Lösungsvorschläge. Beides wollen wir gern hören von dem Mann, dessen Beratungsfirma nach eigener Angabe vor allem mit SPD und Grünen zusammenarbeitet. Herr Flügge, guten Morgen!
Erik Flügge: Guten Morgen!
Frenzel: Ihre These: Wähler, die Rechtspopulisten wählen, sind nicht dumm, sie sind nicht allesamt Nazis. Sie sind auch nicht unpolitisch und erst recht nicht uninformiert. Was läuft dann schief?
AfD-Wähler sind extrem aktiv
Flügge: Ich glaube, wir haben schon einen Unterschied, den wir erleben, wenn wir die AfD-Wählerschaft anschauen, zu anderen Wählerschaften. Das eine ist, sie ist extrem aktiv, also es sind Menschen, die sehr viele Links durch die Gegend schicken, die andere Menschen zu informieren versuchen, die Freunde ansprechen. Das spricht stark dagegen, dass es sich um jemanden handelt, der apathisch in seinem Wohnzimmer sitzt, sich nicht für die Welt interessiert und dann irgendwann mal an einem Sonntag in ein Wahllokal geht und das Kreuz bei der AfD macht aus reinem Zorn und reiner Wut.
Ich glaube, das Besondere an AfD-Wählerinnen und -Wählern ist, dass sie sehr seltsame Quellen benutzen, Quellen, auf die Sie und ich schauen würden, und wir würden sagen, das ist sehr unseriös, das ist nicht recherchiert oder das sind falsche Fakten. Dennoch werden sie genutzt.
Frenzel: Nämlich zum Beispiel welche? Welche sind das?
Flügge: Da können Sie sich unterschiedliche Seiten, diverse Blogs mit skurrilen Namen wie "Politically Incorrect" oder dergleichen anschauen, bei denen Sie auch nicht genau im Impressum nachlesen können, wer ist eigentlich derjenige, der diese Seiten fabriziert, wo sind die gehostet, liegen die eventuell im Ausland, mit irgendwelchen Verschwörungstheorien zu Chem Trails dazwischen und dergleichen. Und dennoch nutzen Leute diese Quellen.
Und manchmal sind es auch einfach Facebook-Postings, bei denen irgendjemand einen Lieferwagen fotografiert hat und sagt, das ist jetzt eine Truppe von Ausländern, die gerade in einer Nachbarschaft stehlen gehen.
Frenzel: Aber hatten wir denn früher mehr Menschen, die das besser konnten, erkennen, woher eine Information kommt? Oder gab es einfach weniger Quellen, also im Zweifel eben nur die Tagesschau und die Tageszeitung?
Flügge: Das Besondere ist, dass wir vor dem Internet in der Gesamtgesellschaft ja nur eine medial vermittelte Faktenlage hatten. Die Leute haben in der Zeitung, im Fernsehen und im Radio mitbekommen, was passiert. Und dann gab es im nächsten Schritt unterschiedliche Interpretationen und Bewertungen dieses Geschehens, und die konnten durchaus weit auseinandergehen.
Es gibt einen Dissens über die Faktenlage
Heute haben wir, wenn wir zwischen AfD-Wählerschaft und etablierten Parteien uns den Unterschied anschauen, dann haben wir schon den Dissens über die Faktenlage.
In Mecklenburg-Vorpommern hatten wir beispielsweise nachweislich fast keine Flüchtlinge, fast keine Ausländer, und dennoch konnte eine Situation beschworen werden, in der das Gefühl in der Bevölkerung war, genau dagegen vorgehen zu müssen. Also, es gibt einen Dissens über die Faktenlage, und das ist was Neues, und das funktioniert, glaube ich, durch sehr viele unseriöse Quellen im Internet.
Frenzel: Ist das dann ein Bildungsproblem? Das klingt ja danach. Wenn wir nur mehr Medienkompetenz hätten, dann würde sich schon irgendwie die Ratio durchsetzen. Oder ist das letztendlich auch der Unwille, also trotz besserer Informationen sich auf diese Informationen einzulassen?
Flügge: Ich glaube, dass genau dieses Problem, dass Menschen Quellen noch nie oder vielleicht auch heute weniger als früher, aber ich glaube, im Kern noch nie so richtig kritisieren konnten in der Masse, nicht wussten, was ist seriös und was nicht. Aber es gab eben fast nur seriöse Quellen.
In diesem Unterschied, dass heute diese unterschiedlichen Quellen und auch die unseriösen so leicht zugänglich sind, in den wurde hineinagitiert. Und das ist, glaube ich, das, was funktional die AfD tatsächlich tut. Wenn Sie "Altparteien" und "Lügenpresse" sagt und solche Begriffe nutzt, die stark abgrenzend sind, dann kann sie damit ja im Kern nur einen Zweck verfolgen: Die eigenen Anhänger sollen so von anderen Informationsquellen abgeschnitten werden, dass sie weder der Presse noch anderen Parteien glauben können. Und dann nutze ich nur AfD-nahe Informationen, und das ist ein Problem.
Frenzel: Was tue ich denn dann? Sie haben das Stichwort "Lügenpresse" genannt. Ist denn überhaupt eine Chance da, in diesen Gruppen, die die AfD unterstützen, die sie dann wählen, überhaupt noch durchzukommen mit, ich sage mal, dem seriösen Angebot?
Die Verantwortung liegt auch beim Printjournalismus
Flügge: Ich glaube, im Status quo heute nein. Die Medien sind so stark diskreditiert worden, auch andere Parteien und Meinungen sind so stark diskreditiert worden, dass wir in der Kernwählerschaft der AfD, glaube ich, vorerst chancenlos sind. Spannend wird es dann, wenn es in die Mitte der Gesellschaft hineingeht. Und da liegt, glaube ich, auch eine Verantwortung mit beim Print-Journalismus, der in der Fläche ja auch niedergeht. Wir haben Gegenden in Deutschland, in denen kaum noch lokalpolitische Berichterstattung stattfindet. Und dann suchen sich die Leute eben andere Informationen und sind es immer mehr gewohnt, eben auch schlecht geschriebene oder schlecht recherchierte Artikel nutzen zu müssen, weil es nichts anderes gibt, Informationen über ihr Dorf, über ihre Gemeinde, über ihre Kleinstadt. Und so gewöhnt man sich auch daran, solche andere Quellen zu nutzen.
Da liegt eine Verantwortung, glaube ich, definitiv in der Fläche beim Print-Journalismus. Die zweite ist, dass wir in der politischen Bildung, glaube ich, eine langfristige Strategie fahren müssen und dass wir wegkommen davon, nur das politische System in seinen Funktionen zu erklären, wer wählt wen, und wie funktioniert das, und zu erklären, dass unsere Verfassung als Gegenmodell zum Nationalsozialismus gebaut ist, sondern eben auch anfangen, konsequent Menschen zu befähigen, Quellen kritisieren zu können. Es muss einen Unterschied machen, ob ich "Russia Today" konsumiere oder die "Süddeutsche Zeitung" lese. Dass ich verstehe, welche Agenda hinter welchem Medium steht, und dass ich der "Süddeutschen Zeitung" mehr glauben kann.
Frenzel: Sie fordern mehr Websites, Blogs und Videos, die einfach und zum Teil auch polemisch, das ist ein Zitat, eine andere Sicht auf die Wirklichkeit formulieren. Ist das nicht ein, ich sage mal, Populismus der Mitte, der am Ende auch zu Vereinfachungen führt, die letztendlich der Komplexität der Dinge, wie sie nun mal sind, nicht gerecht wird?
Auf Propaganda mit Propaganda antworten
Flügge: Ich glaube, dass Sie am Ende nur ein relativ geringes Repertoire zur Verfügung haben. Die erste Möglichkeit ist die, die Sie gerade geschildert haben, wie ich sie beschreibe. Sie können gegen eine Propagandaschlacht der AfD mit einer Propagandaschlacht handeln. Und dann habe ich genau die Probleme, die Sie eben geschildert haben.
Ich kann aber auch mit einem zweiten Ansatz losziehen: Ich kann mir zum Ziel setzen, juristisch Falschmeldungen zu begrenzen, also tatsächlich die Möglichkeit aufzumachen, dass ich viel leichter dagegen vorgehen kann, wenn falsche Informationen in Deutschland verbreitet werden.
Dann müssten wir daran was ändern, weil die Meinungsfreiheit ja tatsächlich nicht deckt, dass ich Lügen bewusst über andere Menschen oder ganze Gruppen von Menschen verbreite und gleichzeitig unser demokratisches System angreife. Ich muss auf einem dieser beiden Hebel mich bewegen. Entweder ich kommuniziere selber mehr in eine ähnliche Richtung, oder eben ich unterbinde die andere Kommunikation.
Frenzel: Vorschläge des Politikberaters Erik Flügge im Umgang mit der AfD. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Flügge: Vielen Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.