Umgang mit der Zeit

Das schwarze Loch der Langeweile

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Der Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski ist dem Phänomen der Zeit auf der Spur © picture alliance / dpa / Patrick Seeger
Rüdiger Safranski im Gespräch mit Thorsten Jantschek |
In der Langeweile ist die Zeit am besten sichtbar und erlebbar, sagt der Philosoph Rüdiger Safranski. Die Angst vor ihr treibe den Menschen an, aktiv zu werden, schreibt er in seinem neuen Buch "Zeit – was sie mit uns macht". Zudem warnt er vor der Überforderung durch die globale Gleichzeitigkeit.
Fast jeder behaupte, er kenne keine Langeweile, sagte der Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski im Deutschlandradio Kultur. "Das ist natürlich rundweg gelogen." In Wahrheit kenne jeder diese Erfahrung, wenn Zeit so gar nicht vergehen wolle. "Da erleben wir Zeit gewissermaßen ausdrücklich, weil sie nicht mit Ereignissen gefüllt ist." Deshalb habe er sein neues Buch "Zeit – was sie mit uns macht" damit begonnen, sagte Safranski.
Das Leben im Pendelschlag
"Die Angst vor der Langeweile ist gewissermaßen die Anschubfinanzierung für allen unseren Aktivismus", sagte Safranski. "Denn in dieses schwarze Loch der Langeweile wollen wir nicht fallen." Es gebe eine Art "Pendelschlag" mit dieser Angst vor der Leere und auf der anderen Seite eine ungemein beschleunigte Zeiterfahrung. "Die Zeit selber beschleunigt sich ja nicht, sondern wir packen sie mit Ereignissen so voll, dass die Zeit knapp wird." Es gebe heute eine große Hysterie und Eiligkeit.
Überforderung durch globale Gleichzeitigkeit
Früher habe jeder Ort in seiner eigenen Zeit gelebt. "Heute sind wird durch die modernen Kommunikationsmedien in der Lage, in Echtzeit global zu kommunizieren", sagte Safranski. Das bedeute, dass soviel Gleichzeitiges auf den Einzelnen wirke, dass es zu einer grundlegenden Veränderung führe. "Das muss erstmal gelernt werden, mit diesem Andrang von Gleichzeitigkeit fertig zu werden."

Ein längeres Gespräch mit Rüdiger Safranski ist am Sonntag, 23. August ab 13 Uhr im Philosophiemagazin von Deutschlandradio Kultur "Sein und Streit" zu hören.

Rüdiger Safranski: "Zeit - was sie mit uns macht"
Hanser-Verlag, 2015
272 Seiten, 24,90 Euro


Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: Zeit, so könnte man heute sagen, ist das, was wir nicht haben, aber was ist das überhaupt, die Zeit? Auf diese Frage antwortete der Philosoph Augustinus vor gut 1.500 Jahren, immer wenn er nicht danach gefragt wird, wisse er es ganz genau, aber wenn er danach gefragt wird, dann wisse er es nicht zu sagen. Rüdiger Safranski, gefeierter Biograf und Bestsellerautor – er hat ja Bücher unter anderem über Heidegger, Schiller und Goethe geschrieben – stellt sich nun in seinem neuen, in diesen Tagen erscheinenden Buch dieser ganz großen Frage, und mein Kollege Thorsten Jantschek hat ihn natürlich zunächst gefragt, was ist denn die Zeit?
Rüdiger Safranski: Ja, was ist die Zeit? Einerseits ist es rätselhaft, weil wir durch die Zeit einfach mit dem Unwirklich werden konfrontiert sind. Was eben geschieht, ist wirklich und dann ist es schon nicht mehr da, nicht mehr wirklich, und was uns künftig geschehen wird, ist auch noch nicht da, ist auch noch nicht wirklich, aber wir können drauf hinausblicken. Und diese seltsame Erfahrung, dass wir, wenn wir Zeit erfahren, immer zugleich das Nicht-Wirkliche und Noch-nicht-Wirkliche und Nicht-mehr-Wirkliche erfahren, das hat die Menschheit, seitdem sie bewusst darüber reflektiert, immer alarmiert und in Faszination versetzt.
Jantschek: Wenn Sie darüber nachdenken, dann setzen Sie bei der Langeweile an – Sie nennen das das lähmende Rendezvous mit dem reinen Zeitvergehen. Was macht denn die Langeweile für das Nachdenken über die Zeit so interessant?
Safranski: Zunächst mal, wenn ich Freunden davon erzähle oder Bekannten, dass sich mein Buch mit der Langeweile beginne, dann sagt fast jeder, ja, ich kenne diese Erfahrung gar nicht, ist natürlich rundweg gelogen.
Jantschek: Hätte ich jetzt auch gesagt.
Safranski: Ja, aber wir kennen die natürlich alle, die Erfahrung. Deswegen beginne ich dabei auch, wenn die Zeit so gar nicht vergehen will – mindestens in der Kindheit gibt es solche Situationen – und man vielleicht den tröpfelnden Tropfen hört und eigentlich nichts sonst geschieh. Da sage ich, da erleben wir Zeit gewissermaßen ausdrücklich, weil sie nicht mit Ereignissen gefüllt ist, deswegen ist das für mich der erste Zugang – wo ist die Zeit am sichtbarsten, am erlebbarsten. Und dann sagen wir, Langeweile - jetzt aber los, jetzt muss was geschehen! Und so geschieht dann auch was!
Ich denke mal, die Erfahrung oder auch die Angst vor der Langeweile ist gewissermaßen die Anschubfinanzierung für allen unseren Aktivismus, denn in dieses schwarze Loch der Langeweile wollen wir nicht fallen. Deswegen sagen wir ja auch "Unterhaltung" – wir brauchen Unterhaltung. Wenn man in den Ausdruck hineinhört, dann merkt man, er besagt ja, unterhalten werden müssen die Absturzgefährdeten, die müssen untergehalten werden, damit sie nicht irgendwo hinfallen. Und wohin fallen sie, wohin fallen wir – ja, wir fallen wieder in dieses berühmte schwarze Loch, wo nichts geschieht.
Unterhaltung soll uns vor der Begegnung mit dem Nichts bewahren
Jantschek: Aber ist denn diese Unterhaltung nicht auch heutzutage mit einer ganzen Industrie verbunden, die Möglichkeiten bietet, die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes totzuschlagen?
Safranski: Ja, natürlich! Schauen Sie, unser produktives Genie in allen Bereichen liegt ja darin, dass wir unsere Mängel, die wir eigentlich haben, kompensieren. Das tun wir durch Zivilisation, das tun wir durch Produkte in allen Bereichen. Unterhaltung ist auch ein zivilisatorisches Produkt, um uns vor einer unangenehmen Begegnung mit dem Nichts, mit der leeren Zeit zu bewahren. Deswegen ist es natürlich ratsam, dass man so ein bisschen gewisse Reichtümer in sich aufhäuft, damit man sich nicht allzu sehr langweilt, wenn man nur auf sich selbst angewiesen ist.
Der Berliner hat ja diesen schönen Spruch: "Mensch, geh in dir - War ich schon, ist auch nichts los". Vor dieser Erfahrung laufen wir natürlich davon. Und deswegen ist es eigentlich ganz gut, so ein bisschen beim Innenleben nachzurüsten, damit uns die Langeweile nicht allzu sehr plagt, wenn meinetwegen die äußere Pensionsgrenze erreicht ist, die Rentengrenze erreicht ist und dann die Leute gar nicht mehr wissen, was sie machen sollen außer fernzusehen.
Unglaubliche Hysterie und Eiligkeit
Jantschek: Naja, so schlimm ist es ja nun nicht, Herr Safranski, denn eigentlich erlebt doch der moderne Mensch die Zeit als verdichtete Zeit, also als gedrängte Zeit, alles will gleichzeitig passieren, alles zugleich, Multitasking sind da die Stichworte, aber auch eben auch der überforderte Mensch, durch die Beschleunigungen, denen er im Alltag ausgesetzt ist – wie kann man denn da überhaupt die Zeit noch wahrnehmen, wenn die rast und rast?
Safranski: Es ist ganz schön – wir kommen hier wirklich auf die beiden Aspekte, das ist der Pendelschlag: Wir haben auf der einen Seite natürlich die Angst vor der Leere, vor der Langeweile und dann haben wir eine unglaublich beschleunigte Zeiterfahrung. Natürlich, die Zeit selber beschleunigt sich ja nicht, sondern wir packen sie mit Ereignissen so voll, dass die Zeit knapp wird, die kriegen wir alle gar nicht unter, wir machen viele Dinge gleichzeitig. Es ist natürlich eine unglaubliche Hysterie und Eiligkeit in diesem ganzen Getriebe drinnen – das ist eine Erfahrung, die wirklich auch mit der Neuzeit eigentlich so erst so richtig beginnt, diese Art von Beschleunigung, vor allem auch ...
Eine Sache, die scheint mir ungeheuer wichtig und in der Tiefenwirkung überhaupt gar nicht abzuschätzen: Frühere Zeiten, jeder Ort lebte in seiner eigenen Zeit, da gab es ja gar keine Möglichkeit, die Gleichzeitigkeit von Ereignissen in einem Raum entfernten Punkt wahrzunehmen. Heute sind wir durch die modernen Kommunikationsmedien in der Lage in Echtzeit global zu kommunizieren. Das heißt wir erleben an jedem Jetzt-Punkt das Eindringen von so ungeheuer vielem Gleichzeitigem, was jetzt geschieht. Ich habe den Eindruck, dafür sind wir eigentlich zunächst mal biologisch noch gar nicht gemacht, aber wir verändern uns. Wir sind auf dieser Wahrnehmungsebene in einer veritablen Mutation drin, denn das muss erstmal gelernt werden, mit diesem Andrang von Gleichzeitigkeit fertig zu werden. Wir können das in uns aufnehmen, und das ist ein großes Problem, was wir mit dieser Erregungsquantität, die da auf uns einstürmt, was wir da eigentlich damit anfangen.
Jantschek: Müssen wir Entschleunigung wieder lernen?
Safranski: Ja, ganz gewiss. Wenngleich ... Aber das macht ja auch nichts, ist jetzt auch so ein bisschen ein Modeausdruck, entschleunigen, aber es ist schon ganz gut, wenn die Sensibilität sich darauf richtet, selber auf kluge Weise in seinem eigenen Leben aufzupassen, dass man sich nicht zu sehr hetzen und treiben lässt. Jeder hat da noch ein Potential, wie er sein Eigentempo besser bestimmen kann.
Brink: Rüdiger Safranski im Gespräch mit Thorsten Jantschek über sein neues Buch "Zeit: Was sie mit uns macht und was wir aus ihr machen" – es erscheint in diesen Tagen im Münchener Hanser Verlag, hat 270 Seiten und kostet rund 25 Euro. Und wenn Sie sich die Zeit nehmen wollen, dann können Sie das ausführliche Gespräch mit Rüdiger Safranski gern hier bei uns im Deutschlandradio Kultur am Wochenende hören, nämlich in unserem Philosophiemagazin "Sein und Streit" am Sonntag ab 13 Uhr.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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