Keine Angst vor Staatsverschuldung
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Der Bund verteilt Milliarden, um wirtschaftliche Härten durch Corona abzumildern. Richtig so, findet der Ökonom Daniel Stelter. Steigende Schulden seien in Deutschland nicht das Problem. Sorgen bereiten ihm aber andere europäische Länder.
Liane von Billerbeck: Heute gibt es weitere Vorgespräche zwischen Bund und Ländern über die Maßnahmen, die Corona eindämmen sollen, und die Hilfen für die Verluste durch die Einschränkungen, das wissen wir ja, die kosten sehr viel Geld. Von mehr als 160 Milliarden ist da jetzt die Rede, das sind Summen, die wir uns kaum noch vorstellen können, und klar ist, dass die Staatsverschuldung steigt.
Wie verändert sich durch Corona unser Verhältnis zum Geld? Darüber will ich jetzt mit dem Makroökonomen und Strategieberater Daniel Stelter reden.
Heute dürfte in den Vorgesprächen ja festgeklopft werden, worüber Bund und Länder dann morgen ganz offiziell entscheiden. Die Beschränkungen, das wird schon klar, die werden weiter gelten, Teile der Gesellschaft sind komplett heruntergefahren, und das bedeutet, weiter keine Einnahmen für die Gastronomie, Theater und Kinos. Umfangreiche Hilfen sind versprochen, mit der Folge, dass die Staatsverschuldung wächst. Darüber machen sich viele Sorgen, Sie auch?
"Wir sind nicht alleine in Europa"
Stelter: Nein. Sagen wir so, zum einen ist es richtig, dass der Staat hilft und unterstützt. Ich meine, er sollte teilweise effizienter helfen, als er es tut. Wir wissen ja, das Geld kommt oftmals gar nicht an, das heißt, was zugesagt wird, ist immer noch in den Kassen von Herrn Scholz. Insofern glaube ich, ist das eher ein Problem vom Ausgeben und vom Verwenden des Geldes, denn ein Problem als solches, dass die Schulden steigen.
Wir hatten eine sehr tiefe Staatsverschuldung gerade auch im internationalen Vergleich vor Corona. Wir werden sie auch nach Corona noch haben. Insofern ist das kein Problem. Ich glaube, das Problem, das wir eher haben, ist: Wird das Geld immer sinnvoll ausgegeben? Da gibt es ein paar Fragezeichen. Vor allem ist das Problem, dass wir nicht alleine sind in Europa.
Unsere Nachbarn, mit denen wir die Währung teilen – Italien, Frankreich, Spanien –, sind in einer anderen Lage. Das heißt, die addieren auch enorme Schulden, aber zu viel höheren Schuldenbergen, und das wird perspektivisch eher zu einem Problem werden.
von Billerbeck: Warum ist denn die Staatsverschuldung auch bei uns immer so ein Schreckgespenst?
Stelter: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, wir haben in Deutschland einfach die Historie: Wir finden Sparen gut, was ja im Prinzip auch eine Tugend ist. Nur muss man natürlich sehen, ökonomisch, wenn alle sparen, also wenn die privaten Haushalte sparen – und das sollen sie ja tun fürs Alter –, wenn Unternehmen sparen, was sie ja eh nicht tun sollten, was sie in den letzten Jahren aber getan haben, weil sie eben schlechte Aussichten schon vor Corona gehabt haben, und wenn der Staat dann auch noch spart, bedeutet das nichts anderes, als dass wir unsere Ersparnisse im Ausland anlegen.
Wir geben anderen Kredit in der Welt. Da zeigen Studien, dass kein Land das so schlecht macht wie wir. Das heißt, wir legen unser Geld im Ausland an, wir verlieren es auch gerne im Ausland. Also bei jeder Krise sind die Deutschen mit dabei und verlieren dann immer gleich ein paar Hundert Milliarden, und das sind grundlegende Probleme, an denen wir arbeiten müssen.
Eine "nationale Diskussion" ist nicht sinnvoll
von Billerbeck: Nützt oder schadet uns eigentlich der Euro in dieser Corona-Krise?
Stelter: Hätten wir die D-Mark noch, würde es dem Staat nicht schaden. Ich glaube, das Problem, das wir im Euro haben, ist, dass wir oftmals eine nationale Diskussion führen, die aber nicht sinnvoll ist. Nehmen wir mal an, wir hätten zu hohe Schulden – was wir auch nach Corona nicht hätten –, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten für den Staat, damit umzugehen.
In Deutschland würde man sagen, lasst uns die Steuern erhöhen, und dann würden wir die Schulden runterbringen und dann wäre das alles wieder okay. Wenn wir jetzt aber im Euroraum unterwegs sind, nach Italien blicken – Italien nähert sich in den Staatsschulden fast 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den nächsten paar Jahren, wir sind immer noch deutlich unter 100, nur zum Vergleich –, dann sagen die Italiener, und das haben sie letzte Woche schon mal wieder diskutiert: Ach, lasst uns doch einfach die Kredite, die uns die Europäische Zentralbank gegeben hat, einfach abschreiben, also einfach sagen, das Geld ist weg.
So was klingt jetzt für die Hörer wahrscheinlich total unglaublich, aber so was gab es schon und so was wird es auch wieder geben. Vermutlich wird es auch so was im Euro irgendwie geben müssen, das wird man ein bisschen verpacken, dass das nicht so offensichtlich ist. Und dann kommt natürlich die Frage auf, Moment mal, die Deutschen machen das nicht, die Italiener und die Franzosen, die Spanier machen das, wir haben aber die gemeinsame Währung, und dann sehen Sie schon das Problem. Das heißt, was im Euro passiert …
von Billerbeck: ... kostet uns alle Geld.
Stelter: Ja, aber das determiniert auch, wie wir damit umgehen sollten, mit Schulden. Darum halte ich zum Beispiel Diskussionen bei uns über Steuererhöhungen und Ähnliches für völlig falsch. Wir sollten eher intelligent überlegen auf europäischer Ebene, wie wir gemeinsam mit den vielen Staatsschulden umgehen und das zum Nutzen unserer Partner, aber auch zum eigenen Nutzen.
Verbreitete Sorge um Ersparnisse
von Billerbeck: Nun ist ja das Vertrauen ins Geld auch schon vor der Pandemie nicht mehr so richtig groß gewesen, denken wir nur an das wunderbare Wort Negativzins. Also, dass man dafür zahlen muss, wenn man sein Geld auf die Bank legt. Das ist ja ein Prozess, der ist schon lange am Laufen, oder?
Stelter: Ja, das Spiegelbild dazu ist natürlich der Anstieg der Schulden. Wir hatten weltweit – nicht nur in Europa, aber auch in Europa, in der Eurozone – einen sehr starken Anstieg der Verschuldung gehabt, und zwar von Staaten, aber auch von privaten Haushalten und Unternehmen außerhalb Deutschlands. Dieser Schuldenberg ist eigentlich nur zu immer tieferen Zinsen überhaupt noch tragbar, deshalb auch die Negativzinsen jetzt. Das hat in der Tat dazu geführt, dass es schon Fluchtbewegungen gab.
Und wenn Sie mit Bürgern sprechen, ist es schon sehr verbreitet, die Sorge um die Ersparnis. Dann gibt es Flucht in Immobilien – das sehen wir an den Immobilienpreisen –, dann gibt es die Diskussion: Sollte man Gold kaufen? Dann gibt es Bitcoin, alle möglichen anderen Dinge, und das sind alles Symptome dafür, dass ein Vertrauen erodiert. So richtig weg ist es noch nicht, sonst würden Sie das Gehalt, das Sie bekommen, sofort am nächsten Tag versuchen irgendwie loszuwerden. Da sind wir noch lange nicht, aber wir haben eine Erosion, eine langsame.
Natürlich ist es klar, desto stärker die Maßnahmen werden, desto größer ist die Gefahr, dass dieses Vertrauen auch in breiteren Bevölkerungsschichten erodiert, und das kann dann auch zu Problemen führen auch Richtung der Preisstabilität.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.