Verzweifeln oder Wachsen
Eine Mutter verliert ihr an Leukämie erkranktes Kind. Eine junge Frau ist nach einem Unfall querschnittsgelähmt. Manche Menschen verzweifeln an schweren Krisen, andere wachsen sogar daran. Das Zauberwort psychischer Widerstandsfähigkeit: Resilienz.
Mit 16 Jahren starb die Tochter von Isabel Schupp an Leukämie, nach mehrjährigem Kampf:
"Man denkt sich, das ist nicht zu überleben, man kann es nicht überleben! Das denkt man sich vor allem vorher, das ist nicht möglich als Mutter das zu überleben. Und dann auch nachdem meine Tochter dann gestorben war, die Vorstellung eine Trauerfeier auszurichten, einen Leichenschmaus auszurichten, völlig undenkbar eigentlich alles."
Der Tod eines Kindes ist ein Verlust, der nur schwer zu verarbeiten ist.
"Und irgendwie geht es dann doch irgendwie weiter. Es ist auch ein Prozess, auch ein auf und ab, ein, wie soll ich sagen, es ist dann mal wieder leichter und dann mal wieder katastrophal."
Das Leben kann sich von einem Tag auf den anderen ändern, bei jedem.
Kirsten Bruhn war 21, als sie mit ihrem Freund auf einer griechischen Insel Motorrad fuhr. Ein entgegenkommendes Auto drängte sie von der Straße. Seitdem ist sie querschnittgelähmt. Schwimmen, ihre Leidenschaft, half ihr während der Reha und auch später, nicht zu verzweifeln.
Kirsten Bruhn: "Das vegetative Nervensystem hatte so ein Erinnerungs- und Aha-Erlebnis. Das waren ja Momente, wo ich schöne und fröhliche Momente erlebt habe im Wasser. Das war immer so mein Vitamin A, B, C, D, das wollte ich auch und da hatte ich auch ein Talent für und das war immer diese Assoziation, sobald ich Chlor in der Nase hab, ist für mich eine Leichtigkeit und eine Freude da. Und das merkte man, glaube ich, auch in der Therapie und das hat man dann auch versucht, entsprechend zu unterstützen und zu fördern."
Kirsten Bruhn musste lernen, mit den Einschränkungen zu leben, die mit einer Querschnittlähmung verbunden sind.
"Einschränkungen, die einfach so in jungen Jahren, was ja auch Jugend definiert, Spontanität, Freiheit und Leichtigkeit, extrem einschränken. Und das sind Toilettengänge, das Kathedern, wenn man selbst nicht Wasser lassen kann, das sind einfach Sachen, wo man merkt: a) man ist nicht mehr spontan und b) man ist auch abhängig von Materialien, von der Technologie, und gar nicht mal in Form des Rollstuhls, sondern in mehreren anderen Situationen. Und das ist nach wie vor etwas, wo ich heute noch damit ringe."
Schreiben, um zu trauern
Isabel Schupp hat viel nachgedacht über die Zeit, als sie mit ihrer Tochter hoffte, dass sie den Krebs besiegen möge. Dass die Chemotherapie anschlägt und sich alles zum Guten wendet. Sie hat ihre Erfahrungen und ihre Trauer in einem Buch zu Papier gebracht: "Die Nacht bringt dir den Tag zurück".
Isabel Schupp: "Ich habe gemerkt nach zwei Jahren, wie viel ich schon vergessen hatte und ich musste dann, um das alles so einzufangen, auch die Stimmungen und um deutlich zu machen, wie das ist, wenn man so ein krankes Kind zu Hause hat, dafür musste ich wirklich auch noch mal ganz ganz tief da rein, um mich auch noch mal zu erinnern und um zu versuchen die Atmosphäre zu erwischen. Und ich könnte mir einfach vorstellen, dass das hilfreich war. Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich nach dem Buch wie Phönix aus der Asche hervorgegangen bin, aber ich glaube schon, dass das für eine Trauerverarbeitung auch wieder ein kleiner Schritt ist. Es sind alles kleine Schritte und jede Lesung, die ich mit dem Buch mache, wo ich ja auch wieder irgendwie ganz tief reingehe, ist auch wieder ein Schritt.
Das Buch enthält auch Texte ihrer Tochter, Tagebucheinträge, Gedanken über die Krankheit, das Leben und den Tod.
Isabel Schupp: "Sie hat auch deshalb geschrieben, weil sie irgendein Ventil brauchte, um mit ihren Ängsten umzugehen. Und sie hat ja auch gesagt, das steht ja auch im Vorwort, dass sie das schreibt, damit sie später mal anderen Leuten Mut machen kann. Sie hat sich natürlich vorgestellt, dass sie das überlebt und dann das Buch da ist und sie anderen Kindern Mut machen kann. Und deshalb habe ich mich auch getraut, die Sachen zu verwenden, weil sie eben dazu bestimmt waren letzten Endes, dass es mal in ein Buch kommt.
Der Umgang mit Krisen und Schicksalsschlägen ist von Mensch zu Mensch verschieden. Dem einen fällt es leichter, andere zerbrechen oder finden keinen Weg, das Leben wieder in den Griff zu bekommen. Die psychische Widerstandsfähigkeit, die Menschen hilft, Krisen zu bewältigen, nennt man Resilienz.
Donya Gilan vom Deutschen Resilienzzentrum in Mainz: "Resilienz kommt ja eigentlich aus der Materialkunde und wird für Werkstoffe benutzt die eine besondere Elastizität haben, die trotz Druckeinwirkung wieder in ihren ursprünglichen Zustand gelangen können. Übertragen auf den Menschen bedeutet das, dass man die Beobachtung gemacht hat, dass viele Menschen trotz stressiger Lebenssituationen oder kritischer Lebensereignisse bis hin zu Traumata die Fähigkeit besitzen, wieder ihre psychische Widerstandsfähigkeit zurückzuerlangen oder eben nach einer kurzen Phase, wo durchaus auch psychische Symptome empfunden werden, wieder ihre psychische Widerstandsfähigkeit zurück gewinnen und dann stabil aus der Situation herausgehen.
Schutz durch emotionale Bindung zur Familie
Zu den Pionierarbeiten zum Thema Resilienz zählen die Forschungen von Emmy Werner. Sie begleitete auf Kauai, einer hawaianiischen Insel, eine Gruppe von Kindern, beginnend in den 1950er-Jahren über vier Jahrzehnte. Sie wollte herausfinden, wie sie sich entwickeln, trotz teilweise schwieriger familiärer Umstände. Das überraschende Ergebnis: 72 von insgesamt 200 Kindern in der Hochrisikogruppe wuchsen zu erfolgreichen und selbstständigen Erwachsenen heran – mit einer positiven und verantwortungsvollen Lebenseinstellung. Als Grund wurden verschiedene Schutzfaktoren ausgemacht: Eine enge emotionale Beziehung zu mindestens einem Familienmitglied, das Erleben von Akzeptanz und Respekt, ein unterstützendes Umfeld in Schule, Nachbarschaft oder der weiteren Familie.
Donya Gilan: "Da geht es darum, dass soziale Bindung, soziale Unterstützung einen schützenden einen protektiven Faktor darstellt in Krisensituationen, weil dadurch ein subjektives Gefühl der Geborgenheit, des Rückhaltes entsteht und man dadurch auch besser durch Krisensituationen gehen kann. Es gibt viele weitere Faktoren, Problemlösungsfähigkeit, Optimismus, aktives Gestalten seines Lebensumfeldes, das sind alles Aspekte, die man schon durch die Prägung innerhalb der Kindheit entwickelt zu unterschiedlicher Ausprägung."
Während man früher den Fokus auf die Kindheit und Jugend legte, hat sich inzwischen der Fokus der Forschung geweitet, auf das Erwachsenenalter. Auch da ist es noch möglich, Schutzfaktoren für die Seele aufzubauen.
Donya Gilan: "Es ist jedem möglich, weil wir eben durch Untersuchungen die Erkenntnis erlangt haben, dass Resilienzfähigkeit oder die Faktoren, die im Bezug zu Resilienzfähigkeit stehen, formbar sind. Es gibt natürlich einen Teil, der genetisch disponiert ist, beispielsweise Optimismus, aber ein ganz großer Teil bei Resilienz vollzieht sich in der Interaktion mit anderen Menschen, mit der biologischen, psychologischen Umwelt, das heißt mit Umweltbedingungen, mit dem gesellschaftlichen Kontext. Und deshalb ist er stark formbar. Und die Motivation, die man mitbringt, tagtäglich seine Stressbewältigung zu betrachten und zu schauen, wie man sich in bestimmten Bereichen neue Ressourcen heranziehen kann, führt dazu dass man seine Resilienzfähigkeit stärken kann."
Es gibt, wie sie erklärt, eine Reihe von Faktoren, die die Resilienz verstärken können. Neben Optimismus, Religiösität, Spiritualität und dem sozialen Netzwerk stehen auf dieser Liste Selbstwertgefühl, kognitive Flexibilität, das regelmäßige Erleben positiver Gefühle und "Hardiness", also die Grundhaltung Situationen als kontrollierbar und Stressoren als Herausforderung wahrzunehmen. Viel hängt davon ab, wie Situationen eingeschätzt und bewertet werden und ob man es schafft, in der Krise nach vorne blicken zu können.
Bei Kirsten Bruhn war es vor allem die Unterstützung durch die Familie, die ihr halfen, nach dem Unfall nicht zu verzweifeln.
"Ganz ganz extrem meine Eltern, die immer auch mir kritisch auch zur Seite standen, die immer gesagt haben: Wir helfen Dir, du musst die Richtung angeben, wir tun, was irgendwie in unseren Möglichkeiten und Macht steht, du musst halt wirklich der Motor sein, der Initiator und sagen, in welche Richtung es geht."
Und sie versuchte, ihren Optimismus nicht zu verlieren.
Kirsten Bruhn: "Ich wusste, ich bin nicht der Typ dafür, der miesgrämig ist. Und so sind wir auch nicht erzogen worden, da waren immer so die Sprüche, die man als Kind von seinen Eltern hört, die auch in bestimmten Phasen genervt haben, die aber doch so einen tiefen Strang an Wahrheit mit sich ziehen, sei es nun: Stell dich nicht so an, bis Du verheiratet bist, ist alles wieder vorbei! Oder: Mäuschen, da musst du jetzt durch! Dieses pragmatische, einfach mit den Dingen, die einem zur Verfügung stehen, dass man mit denen werkelt, als Handwerkzeug die benutzt, und entsprechend aus der Situation versucht das Beste zu machen, das kann man sicherlich initiativ selbst für sich und mit sich, aber man braucht einfach Hilfe, und diese Hilfe muss man auch annehmen."
Akzeptanz ist ein wichtiger Schritt, das sagt auch Georg Pieper, einer der erfahrensten Krisenpsychologen Deutschlands. Er wird bei Katastrophen gerufen, um Opfer, Angehörige und Einsatzkräfte zu betreuen. So wie nach dem Grubenunglück in Borken, bei dem 51 Bergleute starben, dem ICE Unglück in Eschede und dem Amoklauf von Erfurt.
Georg Pieper: "Es gibt Dinge, die können wir einfach nicht ändern mit unserem Willen. Natürlich wollen wir alle ein schönes, ungefährdetes von Unglücken freies Leben haben, aber solche Dinge passieren und wenn sie denn passieren, dann müssen wir es schaffen, das zu akzeptieren und daraus dann wiederum das Beste zu machen. Das sind die Möglichkeiten, die wir haben, um aus schweren Schicksalsschlägen nicht nur relativ unbeschadet, sondern unter Umständen sogar gestärkt hervorzugehen."
Kirsten Bruhn begann nach der Reha eine Ausbildung zur Sozialversicherungsfachangestellten bei der AOK. Doch irgendwann spürte sie, dass sie nicht zufrieden war:
"1991 war der Unfall – 1995 war so eine Scheide, wo ich einfach mit mir, der Welt und irgendwie dem, das jetzt Leben bedeutet nicht mehr klar kam. Egal was ich gemacht hatte, es wirkte immer falsch, also ich konnte nach rechts gehen, es war falsch, ich konnte nach links gehen, es war falsch, vorwärts, rückwärts, es wirkte für mich nie richtig."
Durch Zufall lernte sie einen Mentaltrainer kennen.
"Dann dacht ich mir, gehst mal hin, du hast nichts zu verlieren. Und da hab ich einfach diese Selbstreflexion für mich noch mal wesentlich visueller für mich besser darstellbar bekommen, so dass ich merkte, ich muss einfach in mir, an mir selber arbeiten, damit ich für mich vorankomme, nach außen hin auch entsprechend wieder im Leben reagieren kann. Und hab dann einiges aufgeräumt, in mir drin und an mir und auch meine Familie. Ich habe dann mit meinen Eltern ein Sechs-Augen-Gespräch geführt, weil Eltern sind natürlich immer sehr sehr fürsorglich und wollen ihr Kind behüten. Und manchmal ist das aber nicht unbedingt von Vorteil, weil sie dieses Kind zu sehr behüten und im wahrsten Sinn "behindern". Kinder müssen nun mal auch Fehler machen, um zu lernen, Erfahrungen machen, um zu lernen, und da war jetzt die Situation, dass ich gesagt habe: Es braucht vielleicht alles ein bisschen länger, aber ihr müsst es mich machen lassen."
Achtsamkeit wichtig für Annahme der Situation
Sie habe durch das Mentaltraining gelernt, sich zu konzentrieren und ihre Mitte zu finden. Zu sich selbst kritisch und ehrlich zu sein - und vor allem sich anzunehmen. Und: Nein zu sagen.
Kirsten Bruhn: "Es fällt mir heute noch nicht leicht, nein zu sagen oder eine Ablehnung zu geben, aber das muss man im Leben einfach machen, um vorwärts zu kommen. Aber es fällt mir schwer und damals ist es mir noch schwerer gefallen alle mal im jungen Alter und dann noch mit dieser für mich völlig mich überfordernden Situation, jetzt ein Mensch mit Handicap zu sein, nicht mehr so schnell zu sein, nicht mehr so aktiv sein zu können und auch mein Leben nicht mehr so zu lieben, wie ich es immer getan habe. Und das Gefühl zu haben, dass du in dieser Gesellschaft nicht willkommen bist, das war sehr sehr dominant, das Gefühl, und das war für mich nichts, was ich in meinem Leben weiter so erleben und fühlen wollte."
Auch Isabel Schupp holte sich Hilfe von außen: "Ich habe gemerkt, dass als Mutter es eigentlich zu wenig Raum gab zum Weinen. Es gab soviel Situationen, wo ich mich am liebsten weggeheult hätte, aber das geht dann halt nicht, weil Kinder mögen keine heulenden Mütter und das verstehe ich auch, ich mochte meine Mutter auch nicht, wenn sie geheult hat, das mögen die nicht, und deswegen tut man sich sehr oft doch auch zusammen reißen. Und dafür war das für mich ganz wichtig, dass ich zu meiner Therapeutin gehen konnte und mich so richtig ausheulen."
Bei vielen Menschen spielt Spiritualität eine wichtige Rolle im Umgang mit Schicksalsschlägen und Krisen. Isabel Schupp fand Halt in buddhistischen Gedanken und in Meditations- und Achtsamkeitsübungen. Auch ihrer Tochter gelang es so, nicht an der Krebserkrankung zu zerbrechen.
Isabel Schupp: "Das Schlimme ist, wenn so ein Damokles über einem hängt, so eine Angst vor einem Rückfall. Es ging ihr ja erst recht gut und man dachte, sie schafft es und dann kam eben dieser erste Rückfall und dann hing auch in der Luft, dass ein zweiter kommen könnte, der ja dann auch kam. Und mit dieser Angst umzugehen, das geht eigentlich nur, in dem man sich immer wieder darauf besinnt, was jetzt gerade ist: Jetzt gerade sind wir am Leben, jetzt gerade ist keine Spritze, jetzt gerade scheint die Sonne. Und ja, dass man das übt, nicht immer mit der Konzentration und mit der Aufmerksamkeit beim Morgen zu sein, sonst hat man immer nur Angst, immer nur Panik. Und das war für meine Tochter ganz wichtig, immer dieses: Jetzt ist jetzt. Und jetzt leben wir und jetzt genießen wir das Leben auch."
Kirsten Bruhn war vor dem Unfall Leistungssportlerin und fand über das Schwimmen wieder Freude am Leben:
"Das bedeutet für mich Beweglichkeit, Freiheit, Leichtigkeit, Glückseligkeit, einfach die Medizin, die ich brauche, um klarzukommen. Das war für mich die Stütze schlechthin, die Ritterrüstung, die mich halt psychisch wie physisch wieder so gestärkt, dass andere negative Dinge einfach nicht an mich rankamen, und das ist glaube ich ganz entscheidend."
2002 startete sie erstmals wieder bei einem Schwimmwettkampf. Der Beginn einer Ausnahme-Karriere, mit unzähligen Titeln in Freistil, Brust- und Rückenschwimmen. Sechsfache Welt- und achtfache Europameisterin, elf paralympische Medaillen und mehr als 50 Welt- und 60 Europarekorde.
Bruhn: "Ein zündender Punkt war wahrscheinlich der erste Weltrekord innerhalb der Nationalmannschaft des paralympischen Schwimmens und das war 2003 in Edmonton/Kannada 100 Meter Brust. Ich glaube das war so für mich nicht der Moment, wo ich sagte, dass hat alles so seinen Sinn, aber dass ich für mich so eine Art Genugtuung hatte dem Unfall gegenüber und meiner Situation gegenüber. Was nicht heißt, dass ich dankbar bin für den Unfall, aber das war schon so eine Situation, wo Gedanken aufkamen: Kann es jetzt sein, dass ich vielleicht durch den schlimmsten Tag in meinem Leben doch die schönsten Momente erleben werde? So ungefähr. Und da war glaube ich so dieser Weltrekord für mich ein Schlüsselmoment."
Resilienz ist heute ein populäres Schlagwort, fast schon ein Lifestylethema. Die Buchhandlungen sind voll mit Ratgebern. Kurse über das Geheimnis psychischer Widerstandsfähigkeit sind im Programm vieler Volkshochschulen. Und natürlich gibt es eine Vielzahl von Seminaren und Coaching-Angeboten. Maria Moll gibt in München seit acht Jahren Resilienzseminare, in Firmen und Institutionen, zum Beispiel auch für Doktoranden an der Universität. Und sie coacht in Einzelsitzungen Menschen in Umbruchssituationen. Von den Krankenkassen werden ihre Kurse nicht bezahlt:
Maria Moll: "Es sind Menschen, die ein bestimmtes Anliegen haben und dafür Geld ausgeben wollen. Ich vergleiche das immer mit jemand, der zum Friseur geht und dafür auch 80 Euro hinlegt, warum nicht für ein Coaching auch dementsprechend etwas investieren, wo es um die Seele geht, wo es um das Wohlbefinden geht, wo es um die Kraft geht, die man erhält, um präventiv sozusagen, Krisen vorzubeugen."
Sie will in ihren Seminaren Anstöße geben zur persönlichen Weiterentwicklung, auf vier Ebenen: Gedanken, Emotionen, Körper und Verhalten. Körperübungen gehören deswegen immer dazu.
Maria Moll: "Es gibt auch Übungen, wo es zum Beispiel um das Verhalten geht, wie kann man Grenzen setzen und warum sage ich nicht klar, was ich will. Und dann mache ich auch Kleingruppenarbeit manchmal."
Was hilft, sei individuell verschieden. Vor allem komme es darauf an, regelmäßig etwas für sich zu tun, was bei der Stressbewältigung helfen könne, um gestärkt zu sein, wenn Krisen kommen.
Maria Moll: "Manchen dient ein Tagebuch schreiben, andere müssen wieder eine Körperübung machen, die nächsten sagen, ich brauche da einfach mal Ruhe, ich meditiere gerne und wenn ich das jeden Morgen mache, geht es mir besser. So ist jeder Mensch unterschiedlich und muss seinen eigenen Weg finden und ich versuche im Training eine Palette von Farben zu stellen, und sie müssen die Farben aussuchen."
Verarbeiten ist besser als Verdrängen
Die Kunden, die zu Maria Moll kommen, wollen nicht schwere Schicksalsschläge verarbeiten, sondern die alltäglichen Schwierigkeiten besser bewältigen können, im Job, im Studium, in der Beziehung. Resilienztraining also als eine Art Baustein zur Selbstoptimierung, um den steigenden Anforderungen einer immer komplexeren Welt standhalten zu können.
Der Psychologe Georg Pieper sagt, dass es durchaus sinnvoll sei, sich auch für größere Krisen zu wappnen:
"Zum Beispiel machen wir das mit Einsatzkräften, mit Feuerwehrleuten, mit Polizisten, Soldaten, wo man dann bestimmte Szenarien sich schon überlegt, und diese gedanklich durchspielt. Dadurch ist man in einer Gefahrensituation deutlich besser vorbereitet und man kann, ich sag mal cooler reagieren."
Auch im Privatbereich sollten wir uns damit beschäftigen, dass das Leben sich schnell ändern kann, durch einen plötzlichen Unfall oder durch eine Krankheit:
"Ich sag mal ein Beispiel einer Frau, die mit der Diagnose Brustkrebs konfrontiert wurde, und diese Frau, von der habe ich diesbezüglich viel gelernt, die sagte als erstes: Ja, warum eigentlich ich nicht? Warum soll nicht ich auch so eine Erkrankung bekommen, es gibt doch so viele, die diese Erkrankung bekommen. Und sie hat eben von daher einen riesen Vorsprung gegenüber all den Frauen, die mit ihrem Schicksal hadern und die sozusagen von einem inneren Anspruch auf Glück, auf Gesundheit, auf Lebenszufriedenheit ausgegangenen sind und die das dann als absolut ungerecht empfinden, dass gerade sie von einer solchen Krankheit heimgesucht werden. Also diese mentale Vorbereitung kann uns in der Extremsituation wirklich helfen."
Der Tod der Tochter war für Isabel Schupp ein tiefer Einschnitt, obwohl er nicht unvorbereitet kam:
"Ich bin acht Wochen nach dem Tod meiner Tochter auf ein Trauerseminar gegangen, und das hat mir wahnsinnig geholfen, da kam ich rein in diesen Raum, da waren noch 20 andere Mütter und Väter, die ebenfalls den Tod eines Kindes zu beklagen hatten und ich fühlte mich sofort so aufgehoben und so verstanden. Ich bin da rein gegangen und hab sofort angefangen zu weinen, habe glaube ich fünf Tage durchgeweint, weil es war ein sehr intensives fünftägiges Trauerseminar. Und ja, es ist so ein gutes hilfreiches Gefühl, sich mit Menschen zu verbinden, die das gleiche erlebt haben, die einzigen, die das wirklich nachvollziehen können. Es kann sonst niemand nachvollziehen."
Heute bietet sie selbst Trauerseminare an, für verwaiste Eltern und Menschen, die einen Freund, Partner oder Angehörigen verloren haben. Und Kommunikationsseminare für Palliativmediziner, denn zu oft hatte sie im Krankenhaus erlebt, dass Mediziner im Umgang mit den Kranken und ihren Angehörigen wenig sensibel waren.
"Diese Seminare sind auch noch wirklich so ein Herzstück von mir, wo ich auch das Gefühl habe, ich tu ein echt gutes Werk. Und das ist dann wieder diese Befriedigung, wenn aus dem Schlimmen was passiert ist, wenn da was Gutes draus entsteht, was anderen Menschen auch hilft. Deshalb sind wahrscheinlich auch viele Menschen, die so einen Schicksalsschlag durchlitten haben, die arbeiten dann auch irgendwo, wo sie ihrerseits wieder hilfreich sein können. Und das ist auch was, wo ich sagen würde, das ist wirklich was, was einem hilft, mit so einer schlimmen Situation klar zu kommen, wenn da plötzlich was draus erblüht, was es nicht umsonst gemacht hat, dass ich da sechs Jahre lang in diesem Krankenhäusern rumgeschwirrt bin."
Isabel Schupp hat für sich diesen Weg gewählt, den Tod der Tochter zu verarbeiten. Georg Pieper, der Traumatherapeut, rät dazu, belastende Erlebnisse nicht zu verdrängen.
"Wenn sie versuchen, das zu verdrängen, nicht daran zu denken, dann werden sogar die Bilder immer schlimmer. Das heißt also, wir können ganz klar sagen, es ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Bearbeitung zu reden, und sich zu öffnen. Der beste Prädictor für eine positive Verarbeitung von schweren Schicksalsschlägen ist der, dass Menschen es schaffen, aus der Vereinsamung der Verdrängung rauszukommen und beginnen zu reden, sich auszutauschen mit anderen Menschen, sich selber einzugestehen, was passiert ist, es zum Beispiel aufschreiben, es mit ihren engsten Angehörigen zu besprechen. Mit allem Schmerz, der natürlich dabei entsteht, mit viel Weinen, mit viel Traurigkeit. Aber wie gesagt, der Weg zu verdrängen, zu vergessen, führt zu erhöhten Symptomen postraumatischer Belastungsstörungen."
Nach Schicksalsschlag sind tiefere Beziehungen möglich
Klar ist auch, dass es in den meisten Fällen kein Zurück gibt in die Zeit vor dem Schicksalsschlag. Der Blick auf die Welt hat sich verändert, für immer:
Isabel Schupp: "Der Gedanke der Sterblichkeit ist auf jeden Fall bei mir und ich weiß bei andern Menschen, die so was erlebt haben auch, ist viel viel näher. Und die Auseinandersetzung damit und von daher auch die Frage: Was mache ich hier eigentlich mit dem Rest meines Lebens. Da finde ich mich immer noch nicht gut genug, ich mache immer noch viel zu viel was ich eigentlich nicht machen wollen würde. Aber da bin ich im Prozess."
Für Kirsten Bruhn begann im November 2014 ein neuer Lebensabschnitt, sie beendete ihre Karriere als Leistungssportlerin.
"Es ist heute noch so, dass ich nach den Wettkämpfen mich nicht zurück sehne, ich sehne mich einfach zu dieser Glückseligkeit zurück, die mir dieses Training gegeben hat, dieses körperliche Zufriedensein, in mir drin, an mir drin, das ist das, was mir fehlt. Und da jetzt für mich wieder einen Flow oder einen Weg zu finden, ist so ein bisschen wie damals, als ich '95 das erste Mal zum Mentaltraining gegangen bin. Ich muss selber wieder so diese Erfüllung im Leben finden, die ich einfach mit diesem Leistungssport hatte."
Es hilft ihr, dass sie am Unfallkrankenhaus Berlin arbeiten kann, als Botschafterin für Rehabilitation und Sport. So kann sie ihre Erfahrungen weiter geben, vor Schulklassen zum Beispiel.
Bruhn: "Es ist oftmals so, dass wir für unmöglich halten, blind zu sein, wir halten für unmöglich ohne Arme zu leben, wir halten unmöglich, ohne Beine und Arme zu leben. Und diese Menschen mit Handicap oder mit Behinderung, gerade im paralympischen Bereich, die beweisen genau das Gegenteil, dass sie damit leben können und auch zufrieden und auch teilweise glücklich sind und vor allen Dingen auch sehr aktiv und auch erfolgreich. Und das ist doch genau das, was wir wollen, wir wollen in bestimmten Teilen sein. Und das heißt nicht, dass wir gleich reich sind oder in der Welt bekannt sind, aber das wir für uns eine Definition haben, es lohnt sich morgens aufzustehen und dann kaputt abends wieder ins Bett zu gehen, um den nächsten Morgen wieder zu genießen."
Der Unfall hat ihr Leben verändert. Hat ihr Erfolge und unerwartete Glückserlebnisse gebracht. Und sie noch mehr zur Realistin gemacht, wie sie sagt:
"Ich glaube, das Leben ist auch irgendwie ein Kampf, der eine kämpft stärker, der andere kämpft strukturierter, der nächste hat das Gefühl, er muss gar nicht wirklich so kämpfen, aber er ist schon immer einer Herausforderung."
Wie man durch dieses Leben kommt, mit all den Herausforderungen, Krisen und Schicksalsschlägen hängt von vielen Faktoren ab, nicht nur von Prägungen und Erlebnissen in der Kindheit und Jugend. Resilienz, psychische Widerstandsfähigkeit, lässt sich auch noch im Erwachsenenalter aufbauen, doch längst sind nicht alle Zusammenhänge wissenschaftlich erforscht. Bleibt die Frage, ob man an Krisen und Schicksalsschlägen wachsen und gestärkt aus ihnen hervor gehen kann. Ja, sagt Donya Gilan vom Deutschen Resilienzzentrum in Mainz:
"Man hat festgestellt, dass gerade Personen, die sehr starke Krisen durchgegangen sind, mit einem zeitlichen Abstand sehr gestärkt da rausgekommen sind, tiefere Beziehungen zu anderen Menschen beispielsweise entwickeln konnten, eine neue Lebensperspektive entdeckt haben, das Leben insgesamt auch stärker schätzen. Viele haben auch so etwas wie eine intensive Spiritualität entwickelt, und in vielen Studien wurde eben festgestellt, dass trotz extremer Lebensereignisse Resilienz kein seltenes Phänomen ist und auch posttraumatisches Wachstum."
Psychologe Pieper: "Ich habe sogar Menschen erlebt, die sagen, ich könnte mir mein Leben, wie es vor der Katastrophe war, gar nicht mehr vorstellen, ich wollte es gar nicht mehr haben, ich lebe heute viel bewusster und ganz anders, habe viel wichtigere Ziele in meinem Leben, als ich sie vorher jemals gehabt habe."
Isabel Schupp: "Ich glaube natürlich total, dass man daran wachsen kann, ich glaube, dass vor allem das Herz wächst, ich glaube, dass es Herzensbildung ist, wenn man nicht verbittert, das kann natürlich auch sein. Also wir von den verwaisten Eltern, wir sagen oft, das hat es uns beschert, das hat es uns beschert, da bin ich gewachsen, wir pflegen dann grundsätzlich noch hinzuzufügen, dass wir gerne auf diesen Bonus verzichtet hätten, wenn wir dafür unsere Kinder hätten behalten dürfen."
Kirsten Bruhn: "Man kann an Krisen wachsen, aber es gibt auch viele, die an den Krisen kaputt gehen. Das ist ein Spruch, wie es so viele gibt, ja, es wäre schön, wenn viele aus ihren Krisen stärker heraus wachsen und dazu muss man aber auch erst mal stabil genug sein. Und dazu braucht man glaube ich Vorbilder, die einem das vorgelebt haben, so dass man motiviert ist, animiert ist, da vielleicht einen Weg zu gehen, den man sich gewünscht oder ausgesucht hat, aber der, der jetzt für einen der Weg ist, den man gehen kann. Und wenn man da weiß, das haben andere schon geschafft, dann ist das vielleicht leichter."
Das "Zeitfragen"-Feature ist eine Wiederholung vom 30. April 2018.