Umgang mit Skandalen im Sport

Spritzen, Schmieren, Schummeln

Keines Blickes würdigen sich die beiden amerikanischen Eiskunstläuferinnen Tonya Harding (l) und Nancy Kerrigan während des Trainings.
Skandal auf dem Eis: Die beiden amerikanischen Eiskunstläuferinnen Tonya Harding (l) und Nancy Kerrigan würdigen sich keines Blickes während des gemeinsamen Trainings. © picture-alliance / dpa
Von Günter Herkel |
Tonya Harding, Jan Ullrich, Usain Bolt. Was hat der Sport aus den Skandalen der letzten Jahre gelernt? Nicht viel, stellt Günter Herkel im Feature fest. Sein Fazit: Der Sport ist nicht in der Lage, seine Probleme zu lösen.
"Amerika – Sie wollen jemand, den sie lieben können. Aber sie wollen auch jemand, den sie hassen können. – Ich meine, ich bitte Sie: Was für’n Freak zertrümmert denn die Kniescheibe seiner Freundin, echt jetzt? Wer tut ner Freundin sowas an?"
Ein Ausschnitt aus dem Kinofilm "Ich, Tonya". Er erzählt die dramatische Geschichte der US-Eiskunstläuferin Tonya Harding, die ihre härteste Team-Konkurrentin Nancy Kerrigan auf reichlich robuste Weise ausschalten ließ.
Margot Robbie als Tonya Harding im Film "I, Tonya"
Margot Robbie als Tonya Harding im Film "I, Tonya"© DCM
"Ich kann mich nicht erinnern, dass sowas im Sport jemals vorgekommen ist. Das sind ja reine Mafia-Methoden, dass man missliebigen Gegnern die Beine bricht oder den Arm oder die Rippen – so weit ist man im Sport bisher nie gegangen."
Sportwissenschaftler und Philosoph Gunter Gebauer. Während der US-Meisterschaften 1994 verletzte ein Unbekannter mit einer Eisenstange das Knie der Favoritin Kerrigan. Polizeiliche Ermittlungen ergaben, dass Hardings Mann die Attacke in Auftrag gegeben hatte – wie sich später herausstellte, mit Wissen von Harding. Zwar gewann Harding die Meisterschaften, musste später den Titel aber wieder zurückgeben. Weitere Strafen: zwei Jahre Haft auf Bewährung und eine lebenslange Sperre.
"Es ist auch die Situation, dass zwei Individuen um die Weltspitze kämpfen, und das beim Eiskunstlauf der Frauen in USA, das heißt, das ist eine Sportart, die extrem stark nachgefragt wird. Die weiblichen Stars werden ganz besonders angehimmelt, und dahinter stecken dann nicht nur erste Plätze und Goldmedaillen, sondern auch extrem lukrative Verträge. Und dann kommt hinzu: In Amerika zählt ja eigentlich nur der erste Platz, und nicht der zweite."

Sportskandale als Abbild der Gesellschaft

Konkurrenzkampf, Leistungsdruck, der – auch wirtschaftlich motivierte Wille, um jeden Preis zu gewinnen – das ist normal im heutigen Leistungssport. Ein Skandal wird daraus erst dann, wenn noch weitere Zutaten hinzu kommen. Der Soziologe Karl-Otto Hondrich definiert den Skandal als eine moralische Verfehlung "von hochgestellten Personen oder Institutionen", die enthüllt werde und kollektive Empörung auslöse. Eine solche Enthüllung ziehe unsere Aufmerksamkeit magisch auf sich:
"Mit lustvollem Entsetzen nähern wir uns dem Skandal. Aber auch das moralisch Verwerfliche, das uns abstößt, entwickelt eine Anziehung eigener Art. Es zieht unsere Gefühle an. Es verlangt ihnen die uralte Unterscheidung ab zwischen Böse und Gut. Es entrüstet. Der Skandal, mag er auch kunstvoll inszeniert sein, ist im Kern eine spontane Bewegung der Gefühle."
Betrug, Korruption, Manipulation – solche Delikte sind nicht unbedingt sportspezifisch. Warum sollte es auch ausgerechnet im Sport anders zugehen als in Politik und Wirtschaft? Insofern zeigen die Skandale den Sport als das, was er wohl immer war: als Abbild der Gesellschaft. Und doch gibt es einige Besonderheiten. Christoph Rasche, Professor für Management und Sportökonomie an der Uni Potsdam.
"Sportskandale unterscheiden sich insofern von Ökonomieskandalen oder Politikskandalen, als dass der Sport bislang immer von positiven Zuschreibungen profitiert hat. Das heißt, beim Sport gilt ein besonders hoch gestecktes Normen- und Werteinventar. Ich denk da insbesondere an die Grundtugenden des alten griechischen olympischen Sports, und insofern ist die Messlatte beim Sport mitunter etwas höher als vielleicht bei Finanzskandalen."
Uli Hoeneß spricht am 25.11.2016 auf der Jahreshauptversammlung des FC Bayern München im Audi Dome in München (Bayern). 
Sport, Politik und Finanzen: Der Skandal um Uli Hoeneß erreichte viele Bereiche. © dpa/ picture alliance / Matthias Balk
Da ist was dran. Einem Investmentbanker traut man immer mal krumme Machenschaften zu, einem Politiker auch. Nicht umsonst stehen Manager und Politiker seit Jahren am unteren Ende des Rankings, wenn es um das Ansehen von Berufen geht. Beim Sport dagegen wurden –wenigstens bis in die jüngere Vergangenheit – den Athleten eher hehre Absichten und Vorbildcharakter unterstellt.
"Und wenn diese hehren Absichten nunmehr nicht erfüllt werden, dann ist natürlich der Aufschrei im Bereich von Politik, Wirtschaft, Sponsoren, aber auch allgemeiner Öffentlichkeit besonders groß."
Anders als in Politik und Wirtschaft geht es beim Sport in der Regel nicht um Intrigen und Machtspielchen, die mit mehr oder weniger subtilen Mitteln ausgetragen werden. Sportwissenschaftler Gebauer:
"Im Sport steht ja der Wettkampf im Mittelpunkt, und zwar ein physischer Wettkampf. Mit zwei Athleten und Athletinnen, mit zwei intakten Körpern, und da geht es darum, dass der Körper in einer besonders guten Verfassung ist und stärker ist als der Körper des anderen. Und das ist in vielerlei Hinsicht manipulierbar. (...) und das ist der Etappensieger, hier in Saint Etienne, seine zweite Etappe, die er im Laufe der diesjährigen Tour de France gewinnt. Und natürlich ein weiterer Erfolg, ein Doppelerfolg für das Team Deutsche Telekom."

Die Sportler stehen unter einem hohen sozialen Druck

Jan Ullrich am Ziel des Einzelzeitfahrens über 55 km nach St. Etienne bei der Tour de France 1997. Zu der Zeit fährt Ullrich wie von einem anderen Planeten. Alle Topstars erreichen erst drei Minuten nach ihm das Ziel. Ein Meilenstein in Jan Ullrichs Karriere, kommentierten begeisterte Sportreporter. Doch der Verdacht, dass bei seinen sportlichen Erfolgen nicht alles mit rechten Dingen zugeht, wächst. 2006 wird Ullrich von der Teilnahme an der Tour ausgeschlossen und erhält die fristlose Kündigung vom Team T-Mobile. Zu einem Schuldbekenntnis vermag er sich nicht durchzuringen.
"Ja gehen wir mal langsam durch – was ist für Sie Doping? – Was ist für mich Doping? Doping ist, wenn man (lange Pause), ja, wenn man sich n Vorteil verschaffen will mit Arzneimitteln, mit was weiß ich auch immer, gegenüber seinen Gegnern. – Uhum. – Und sehen Sie Doping als Vergehen an? – Ja, natürlich!"
Jan Ullrich am 26. Februar 2007 in der ARD-Gesprächssendung "Beckmann" - am Tage seines Rücktritts vom aktiven Radsport. Bis zuletzt behauptete er, nie jemanden betrogen zu haben und ein fairer Sportler gewesen zu sein. Inzwischen ist längst nachgewiesen, dass Ullrich in die Dopingaffäre um den spanischen Arzt Eufemiano Fuentes verwickelt war, mit seiner Unterstützung aktiv Blutdoping betrieben hatte. Anders verhielt sich der im Sommer 2007 ebenfalls des Blutdopings überführte Patrick Sinkewitz. In einer Studie über "Skandale und die Macht öffentlicher Empörung" schreibt das Autoren-Duo Jens Bergmann und Bernhard Pörksen:
"Er tat, was die Öffentlichkeit von ihm erwartete, legte in vorbildlicher Weise ein umfassendes Geständnis ab – und zahlte dafür einen hohen Preis. Statt als reuiger und geläuterter Athlet wieder mit offenen Armen in den Kreis seiner Kollegen aufgenommen zu werden, sieht er sich gemobbt, vor allem von Sportfunktionären, die Teil des Doping-Systems sind. Für die Rolle des Bauernopfers, so sagt er, sei er die Idealbesetzung gewesen."
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Jan Ullrich hat zugegeben, dass er gedopt hat (Bild: picture alliance / dpa / Gero Breloer)© picture alliance / dpa / Gero Breloer
Ein misslicher Zustand. Der Sündenbock als willkommenes Opfer, damit die Branche anschließend - mit dem Verweis auf die erfolgten harten Sanktionen – weitermacht wie zuvor? Das kann nicht die Lösung sein, findet Sportwissenschaftler Rasche.
"Die Sportler selbst stehen natürlich unter sozialem Druck. Sie wollen nicht als Kameradenschwein geoutet werden, als das Schwarze Schaf der Branche, was im Grunde allgemein akzeptierte Usancen auf einmal aufdeckt und demaskiert. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass man vielleicht über so eine Kronzeugenregelung im Sport nachdenkt, dass derjenige, der sich zu seinem Verhalten offensiv, präventiv bekennt, dann auch mehr oder weniger schadlos davonkommt oder ihm nur eine kleine Strafe zuteilwird, nicht dieselbe Strafe, als wenn er alles abstreiten würde."
Auch andere Akteure reagieren auf Skandale. Im Falle des dopingverseuchten Radsports zogen sich etwa Sponsoren zurück. Fernsehsender reduzierten die Live-Berichterstattung. So auch ARD und ZDF, die nach dem Ulrich-Skandal 2007 die Übertragungsrechte für die Tour zurückgaben. Worauf allerdings prompt der Privatsender Sat.1 den Platz der Öffentlich-Rechtlichen einnahm. Erst im Sommer 2015 kehrte die ARD wieder zu einer breiten Live-Berichterstattung zurück. Zu früh? Sportwissenschaftler Gebauer:
"Es gab neue, junge Radsportler, die den Eindruck erweckten, sie seien frisch und ungedopt und wirklich gute Sportler. Dann gibt es einen Druck von Seiten der Radsportverbände und auch der Radsportfans, dass man die Sportler sehen möchte bei den großen Wettbewerben. Und dann gibt es den Druck auf die ARD und andere Fernsehanstalten, dass man das auch zeigen möchte."
ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky verteidigt die Wiederaufnahme der Live-Übertragungen. Warum?
"Ich glaube, man kann eine Sportart nicht grundsätzlich für das bestrafen, was in der Vergangenheit passiert ist, sondern man muss wirklich sehen, welche Maßnahmen sind ergriffen worden, und da hat die ASO als Veranstalterin der Tour de France wahnsinnig viel getan, und ist jetzt Vorreiter vor vielen anderen Sportarten. Das heißt nicht, dass es dort keine Doping-Fälle geben kann, um Gottes Willen, aber es heißt schon, dass sie sehr viel mehr tun als andere. Und dann kann man glaube ich jemand nicht mehr bestrafen, wenn es darum geht, ein Ereignis sportlich zu bewerten, wie es eine Tour de France ist, die ein sportliches Weltereignis ist, nach wie vor."
Zweifel erscheinen angebracht. Auch in diesem Jahr dürfte der viermalige britische Tour-Sieger Chris Froome erneut bei der Frankreich-Rundfahrt antreten. Und das, obgleich bei ihm 2017 stark erhöhte Werte eines verbotenen Asthma-Mittels festgestellt wurden. Doch der Radsport Weltverband UCI drückt sich auch sieben Monate nach der Kontrolle vor einer Entscheidung.

Vorsichtige Entwarnung im Radsport

Die Doping-Affäre um Jan Ullrich war 2007 auch der Auslöser für die Gründung der ARD-Dopingredaktion gewesen. Einem gebührenfinanzierten Sender steht es schließlich gut an, jenseits der aktuellen Live-Bilder auch die dunklen Seiten des Sports zu beleuchten. Prominentes Mitglied dieser Redaktion war von Beginn an Hajo Seppelt. In Sachen Radsport gibt er vorsichtig Entwarnung:
"Was den Radsport betrifft: Der ist durch sein Tal der Tränen gegangen, der hat wirklich eine massive Krise durchlitten, und er hat partiell – wohlgemerkt partiell – Veränderungen vorgenommen. Und ich finde, wenn die Situation eine bessere geworden ist, dann kann man sich durchaus überlegen, ob man als Programmverantwortlicher zum status quo ante zurückkehrt und sagt: Okay, wir übertragen das jetzt wieder und zwar unter Vorbehalt. Sollte es dann wieder solche Dinge geben, finde ich’s genauso konsequent zu sagen: Man macht es nicht mehr."
Sportwissenschaftler Rasche pflichtet ihm bei:
"Meines Erachtens hat der Radsport in der Vergangenheit auch seine Hausaufgaben gemacht. Die Dopingfälle sind deutlich zurückgegangen, die Sportler sind hochsensibilisiert, wenngleich es natürlich hier und da immer mal wieder den einen oder anderen Dopingfall geben kann, aber ich glaube, die Dopingproblematik hat sich dann doch jetzt eher in etwas andere Sportarten verlagert."
Ende 2015 legte die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada in einem umfangreichen Bericht Beweise für einen jahrelangen flächendeckenden, systematischen Betrug russischer Leichtathleten vor. Nachgewiesen wurden Doping, Vertuschung positiver Kontrollen und Korruption. In der Folge durfte auf Beschluss des Leichtathletik-Weltverband IAAF keine russische Leichtathletik-Mannschaft an den Olympischen Sommerspielen in Rio de Janeiro teilnehmen. Ein trauriger negativer Tiefpunkt einer insgesamt fatalen Entwicklung in vielen Bereichen des Spitzensports. Gunter Gebauer:
"Ich denke, im Augenblick ist der Sport – insbesondere der Fußball, aber die Leichtathletik ist sogar einen Schritt weiter – dabei, den Bogen zu überspannen. Ich hab noch nie diesen Eindruck in dieser Stärke gehabt. Ich hab immer gedacht, das sagt man immer so: Schlimmer kann’s nicht werden. Aber im Augenblick ist glaube ich ein Punkt of no return erreicht. Da geht’s nicht mehr weiter."
"What? What?" Eine Pressekonferenz während der Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2017 in London. In seinem letzten großen Rennen hat Usain Bolt, der den Sprint zehn Jahre lang dominierte, die Bronzemedaille gewonnen. Jetzt stellt er sich gemeinsam mit den US-Springern Justin Gatlin und Christian Coleman den Medien. Eine Journalistin fragt, ob die in diesem Rennen erzielten vergleichsweise langsamen Zeiten möglicherweise mit verstärkten Dopingkontrollen zusammenhingen. Bolt reagiert sichtlich und hörbar verärgert:
"Zuerst mal bin ich mir sicher, dass das jetzt für uns alle hier oben eine Beleidigung gewesen ist. Wir haben alle hart gearbeitet. Justin hatte in den vergangenen Jahren immer wieder Topzeiten und hat sich immer wieder bewiesen. Genauso wie ich auch."
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Usain Bolt nach seinem dritten Platz im 100-Meter-Finale der Männer am 05.08.2017 in London.© picture alliance / Bernd Thissen/dpa
Topzeiten hatte Gatlin in den vergangenen Jahren tatsächlich immer wieder erzielt. Allerdings häufig mit unerlaubten Mitteln. Als Wiederholungstäter entkam der 100-m-Olympiasieger von Athen 2004 vor 12 Jahren einer lebenslangen Sperre nur, weil er sich als Kronzeuge gegen Doping-Trainer Trevor Graham zur Verfügung stellte. Dass Superstar Bolt sich vor einen solchen in der Szene mißtrauisch beäugten Athleten stellte, enttäuschte sogar viele seiner Bewunderer.
"Das Problem mit Usain Bolt ist, dass er sehr selten kontrolliert worden ist. Und immer nur dann, wenn es ihm genehm war. Das ist der absolute Superstar der internationalen Leichtathletik und der Olympischen Spiele. Das heißt, wenn diese Galionsfigur fällt, dann sind die Olympischen Spiele unwiederbringlich beschädigt. Und ich glaube, da wird man sehr aufpassen, bevor man ihm irgendetwas nachweisen wird."
Ob es dazu jemals kommen wird, erscheint zweifelhaft. Nach den Leichtathletik-WM 2017 beendete Bolt seine sportliche Karriere.

FIFA - ein kaum trocken zu legender Sumpf

Eine Konferenz des Weltfußballverbandes FIFA in Zürich im Jahre 2015. Der damalige FIFA-Chef Sepp Blatter will gerade mit seinem Vortrag beginnen, als der englische Comedian Simon Brodkin plötzlich auftaucht und Blatter mit den Worten "Das ist für die WM 2026 in Nordkorea!" mit einem Bündel nachgemachter Banknoten bewirft. Von Blatter herbeigerufene Sicherheitsleute schaffen den Störenfried heraus.
"Ladies and Gentlemen, wir müssen hier jetzt erst mal sauber machen. Sonst sehe ich mich nicht in der Lage, mit Ihnen über Fußball zu reden. Das hier hat nichts mit Fußball zu tun. Ich bin in ein paar Minuten zurück."
Sauber machen klingt gut aus dem Munde dieses Fußballfunktionärs. Ende 2015 wurde Blatter von der Ethikkommission der FIFA unter anderem wegen Amtsmissbrauch und Vorteilsannahme für acht Jahre für alle Fußball-Funktionen gesperrt. Eine Sperre, die später auf sechs Jahre reduziert wurde. Sein Nachfolger Gianni Infantino kündigte als erstes an, die bisherige FIFA-Ethikkommission personell neu zu strukturieren. Nach Ansicht von Experten ein durchsichtiger Versuch, das effektiv gegen Korruption in den eigenen Reihen arbeitende Gremium zu entmachten.
Joseph Blatter steckt sich bei einer Pressekonferenz die Zeigefinger in beide Ohren.
Noch-FIFA-Präsident Joseph Blatter verteidigte sich wortreich gegen die Entscheidung der Ethikkommission. Ihm blieb nur ein Trostpflaster.© picture alliance / dpa / Patrick B. Kraemer
"Es sieht so aus, als könnte man diesen Teich überhaupt nicht trockenlegen. Es ist ja so: Wenn jemand verabschiedet wird wie Blatter, dann kommt ein anderer – Infantino – der sich genau das System Blatter angekuckt hat, der hinter ihm stand sozusagen, kopiert es und zieht es auf ne noch effizientere und scheinbar unschuldigere Weise durch. Jeder weiß: Das ist mindestens so schlimm, wie das, was Blatter macht. Aber es geht so weiter."

Wettbetrug mit korruptem Schiedsrichter

Wie lange die weltweite Fußball-Gemeinde sich solche Vorgänge noch anschaut? Allen Enthüllungen zum Trotz: Die Popularität des Fußballs bleibt einstweilen ungebrochen. Richtig ungemütlich reagieren Fans indes, wenn die Substanz des Spiels – das Fair Play – ernsthaft attackiert wird. So geschehen im bislang einzigen spektakulären Wettbetrug-Skandal in der Bundesliga im Jahr 2004/2005.
Damals trat der Hamburger SV im DFB-Pokal gegen den Drittligisten SC Paderborn an. Nach einer schnellen 2:0-Führung des HSV gewann am Ende Paderborn überraschend mit 4:2, auch dank zweier äußerst fragwürdiger Elfmeter, die der junge Schiedsrichter Robert Hoyzer gegen die Hamburger pfiff. Der damalige HSV-Verteidiger Bastian Reinhardt:
"Man denkt dann: Okay, hier ist n parteiischer Schiedsrichter, der – sagen wir es mal positiv – n Herz für n Underdog hat und vielleicht auch nicht seinen besten Tag hat."
Was die HSV-Spieler damals nicht ahnten: Dass ein korrupter Schiedsrichter im fatalen Doppelpass mit der kroatischen Wettmafia das Spiel manipuliert hatte.
"Du hast dich dann wirklich verschaukelt gefühlt. Aber du denkst ja, du bist in Deutschland, du bist ja nicht irgendwie in Osteuropa oder so, wo man sich das vielleicht annähernd vorstellen kann. Du glaubst einfach, in Deutschland gibt’s das nicht, das ist Quatsch."
Später kam heraus: Hoyzer hatte eine sechsstellige Summe kassiert, um einige Partien nach den Wünschen der Mafiosi zu beeinflussen. Vor Gericht zeigte er sich reuig und geständig. Das Landgericht Berlin verurteilte ihn zu zwei Jahren und fünf Monaten Haft. Vom DFB wurde er zudem lebenslang gesperrt. Trotz dieses dramatischen Ereignisses glaubt Sportwissenschaftler Gunter Gebauer nicht, dass in der Fußball-Bundesliga ein Spiel ohne weiteres manipuliert werden könne.
"Wenn wir Wettbetrug nehmen im Fußball, passiert er in der 4. Liga. Da ist kein Fernsehteam dabei, da gibt es 150 Leute auf der Tribüne, die sind sich sowieso immer uneinig, weil da zwei Lokalrivalen aufeinanderstoßen, aber das ist relativ unwahrscheinlich, dass da irgendetwas rauskommt, was wirklicher Wettbetrug ist. Zumal man gar nicht weiß, worauf irgendwelche chinesischen Wetter dann ihr Geld gesetzt haben, dass der und der Mittelstürmer in der 57. Minute nen Elfmeter schießt oder ähnliches. Das ahnen wir doch gar nicht."

"Game Fixing" besonders in Osteuropa und der Türkei

Auch Christoph Rasche sieht die Urheber und Schauplätze künftiger Wettskandale eher in Osteuropa. Dafür sorge schon das Prinzip des so genannten "law dumping".
"Das heißt, Rechtsbetrüger suchen sich immer den Rechtsraum mit den jeweils schwächsten Rechtsystemen aus. Und der deutsche Spielmarkt ist einigermaßen gut überwacht und kontrolliert. Dann verlagert sich natürlich der Wettbetrug verstärkt osteuropäische Länder, nach Albanien, nach Kroatien, nach Serbien oder auch in die Türkei. Die türkische Liga wurde ja schwer heimgesucht durch Game Fixing, also von Sportbetrug."
Gelegentlich ist der Fußball sogar für Skandale aus – nennen wir es – politischer Leidenschaft gut. Während des EM-Qualifikationsspiels zwischen Mannschaften der verfeindeten Nachbarstaaten Serbien und Albanien im Jahr 2014 kochten die Emotionen hoch. Aus einem Bericht des Privatsenders RTL.
"41. Minute: Zum wiederholten Male fliegen Feuerwerkskörper aufs Spielfeld. Die Situation eskaliert völlig. Eine pro-albanische Fahne fliegt per ferngesteuertem Quadrokopter durchs Belgrader Stadion - eine Provokation für die serbischen Fans und Spieler."
Nach einer wüsten Schlägerei unter den Mannschaften und Krawallen serbischer Zuschauer kommt es zum Spielabbruch. Später verhängt die UEFA Geldstrafen gegen beide Verbände, Serbien wird zur Austragung von zwei "Geisterspielen" – also ohne Zuschauer – verdonnert. Die abgebrochene Partie wird zunächst mit 3:0 für Serbien bei gleichzeitigem sofortigen Punktabzug gewertet. Später revidiert der Internationale Sportgerichtshof CAS die Wertung des Spiels kurioserweise zugunsten von Albanien. Für Gunter Gebauer liegt die Verantwortung für den Flaggen-Skandal nicht allein bei den unmittelbar Beteiligten.
Leere Sitze in der Khimki-Arena in Moskau. Hier findet ein Geisterspiel gegen Bayern München in der Champions League statt
Leere Sitze in der Khimki-Arena in Moskau. Hier findet ein Geisterspiel gegen Bayern München in der Champions League statt© dpa / Peter Kneffel
"Dass überhaupt solche gefährlichen Spiele angesetzt werden, die ja ab und zu mal tatsächlich stattfinden, wo jeder Kenner der politischen Situation sich sagt: Das geht schief. Das kann nur in einer Schlägerei enden, und es wird noch nicht genügend abgesichert, sodass im Grunde diese schlechten Organisationen und Vorentscheidungen durch die Sportverbände auch im Grund skandalös sind."

Medien als Skandal-Beschleuniger

Skandale im Sport wären nur halb so spektakulär ohne Beteiligung der Medien. Der Sport steht unter permanenter Beobachtung via TV und so genannter sozialer Medien. Unregelmäßigkeiten, Manipulationen und andere üble Machenschaften kommen so meist schnell ans Licht der Öffentlichkeit. Das Interesse der Medien am Aufdecken von Skandalen ist aber nicht allein aufklärerischer Natur. Medienökonom Rasche:
"Die Rolle der Medien ist im Grunde sehr doppelbödig. Auf der einen Seite profitiert der Sport natürlich sehr stark über die Medien. Im Rahmen eines digitalen Zeitalters haben wir die Möglichkeit, Sportarten weltweit zu übertragen, hohe Werbeeinnahmen, Sponsoringeinnahmen zu realisieren. Auf der anderen Seite hat die Medienwirtschaft auch Interesse an einer Skandalisierung des Sports. Weil Skandale erzeugen Aufmerksamkeit, und Medien leben in einem Aufmerksamkeitswettbewerb – auch negative Aufmerksamkeit ist immer noch besser als gar keine Aufmerksamkeit."
Für Hajo Seppelt stellt sich die Situation noch widersprüchlicher dar. Doping-Skandale etwa seien lange Zeit unter den Teppich gekehrt worden, weil sportliche Höchstleistungen – selbst wenn sie durch Einsatz unerlaubter Mittel erzielt würden - fast allen Beteiligten nützten: den TV-Sendern, den Sponsoren, der Politik, nicht zuletzt den Sportlern, die ihre illegal erreichten Rekorde mit hohen Prämien versilberten.
"Und dann kommt der investigative Sportjournalist und sagt: Das ist aber alles nicht in Ordnung, hier ist geschummelt worden, hier ist manipuliert worden, hier gibt es kriminelle Praktiken, und deswegen ist eigentlich das das Geschäftsschädigende, dass man darüber redet, nicht dass es das Problem Doping gibt. Das ist über Jahrzehnte so gewesen, und das ist eigentlich der ganz große Interessenskonflikt des organisierten Sports, dass er nämlich auf der einen Seite behauptet, gegen Doping zu kämpfen und auf der anderen Seite – jedenfalls sehr häufig – mehr das Interesse hat, dass das Doping-Thema bitte nicht öffentlich thematisiert wird."
Ein runder Kasten hängt über der Tribüne mit Blick auf das Fußballfeld
Horrende Preise für TV-Übertragungen von Sportereignisse befeuern Skandale.© sporttotal.tv
Seppelt weiß, wovon er redet. Selbst innerhalb der ARD waren seine Recherchen rund ums Doping lange Zeit misstrauisch beäugt worden. Die Preise für attraktive Sportrechte explodieren – da wird allzu viel Aufklärung gelegentlich als Beschädigung des eigenen Produkts angesehen. Sein Resümee:
"Das Geschäftsmodell des organisierten Sports ist es, Höchstleistungen zu verkaufen so optimal wie möglich, dabei stören Nebengeräusche, und ab und zu liefern wir die Nebengeräusche. Und das führt dann auch zu gewissen Spannungen."
Wie werden diese Spannungen aufgelöst? In der griechischen Tragödie gibt es das Motiv der Katharsis: Auf die Verfehlung folgen Reinigung und Läuterung. In der Politik heißt es gelegentlich, dass Skandale die Demokratie reinigen. Schwachstellen des Systems würden erkannt und durch entsprechende Reformen eliminiert. Lässt sich das auf den Sport übertragen? Gunter Gebauer glaubt nicht so recht an dessen Selbstheilungskräfte. Speziell in der Doping-Frage.
"Der Sport ist nicht in der Lage, seine Probleme zu lösen. Sport kann nichts gegen Doping definitiv tun, da braucht er auch den Staat, da braucht er auch unter Umständen die Justiz mit möglichen Strafen, nicht nur Geldstrafen, sondern auch Gefängnisstrafen. Abschreckende Wirkung – ich bin sonst nicht dafür, aber in dem Fall finde ich, ist ein starker Staat wirklich notwendig, um den Sport einigermaßen sauber zu halten – das heilt sich nicht von selbst."
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