Umschichtungen und weniger Zinsversprechen
"Man kann sich nicht mehr mit 22 aufs Sofa setzen, einen Vertrag abschließen und sagen, mit 62 kriege ich das Geld ausgezahlt", sagt Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur der Zeitschrift "Finanztest" angesichts der Bilanzregeln, die künftig bei Lebensversicherungen zu Grunde gelegt werden sollen.
Jörg Degenhardt: Keiner möchte im Alter alt aussehen, und deswegen sparen die Deutschen fleißig für den Lebensabend, denn wer weiß schon, was die gesetzliche Rentenkasse später noch hergibt. Und diese Sorge hat dazu geführt, dass es zwischen Flensburg und Garmisch-Partenkirchen mehr Lebensversicherungspolicen gibt als Bundesbürger, nämlich 95 Millionen. Allerdings, ohne Ihnen Angst machen zu wollen: Die Branche soll neue Bilanzregeln erhalten, und das könnte auf die Lebensversicherungen, so wie wir sie bisher kennen, erheblichen Einfluss haben. Worauf wir uns einstellen müssen, das kann uns Hermann-Josef Tenhagen sagen. Er ist Chefredakteur des Monatsmagazins "Finanztest", herausgegeben von der Stiftung Warentest, und dort sitzt er auch im Studio. Guten Morgen, ich grüße Sie.
Hermann-Josef Tenhagen: Guten Morgen!
Degenhardt: In einer großen deutschen Zeitung war vom Tod der Lebensversicherung, so wie wir sie bisher kennen, zu lesen. Kommt es wirklich so dicke?
Tenhagen: Also so dicke kommt es, glaube ich, nicht. Lebensversicherungen machen halt das Versprechen, dass man in 30 Jahren Geld herausbekommt von dem, was man eingezahlt hat, und zwar mehr Geld, als man eingezahlt hat. Und dafür müssen die für die 30 Jahre eben diese Zinsen auch erwirtschaften können. Und wenn man, wie das im Augenblick ist, es sehr schwer hat, hohe Zinsen zu erwirtschaften, tun sich auch Lebensversicherer schwer, und das führt dazu, dass sich die Lebensversicherer und auch Finanzexperten mehr Sorgen um die niedrigen Zinsen machen, als viele in der Bevölkerung, die mehr sich um die Inflation sorgen. Es gibt einen Bundesbankbericht aus dem November, der darüber nachdenkt, wie lange die Lebensversicherer eigentlich mit den niedrigen Zinsen klar kommen können und ihre Versprechen, die sie ihren Kunden gemacht haben, oder die vertraglichen Zusicherungen sogar einhalten können.
Degenhardt: Also es geht um den richtigen Zins. Aber darum ging es doch eigentlich auch schon in der Vergangenheit. Die Frage ist, warum jetzt die Bilanzexperten etwas zu Mosern haben.
Tenhagen: Na ja, die Bilanzexperten, das wird auch auf europäischer Ebene sozusagen vereinheitlicht. Bisher war das eben so, dass jedes Land so ein bisschen geguckt hat, wie man seine Lebensversicherungen regelt, und die einen haben ein bisschen strenger kontrolliert und den Versicherern ein bisschen mehr Spielraum gelassen, die anderen haben ein bisschen weniger streng kontrolliert und dann ist es auch schon mal in die Bux gegangen in anderen europäischen Ländern, und jetzt will man sich einheitlich einigen, weil auch die Versicherer natürlich alle grenzüberschreitend arbeiten. Die Allianz ist in den USA unterwegs, Generali, die Italiener, sind in Deutschland unterwegs, die Axa, französisch, ist in Deutschland unterwegs, britische Lebensversicherer sind hier unterwegs. Dann muss man gucken, dass man ein gemeinsames Regelwerk hat. Und das gemeinsame Regelwerk, um auf der vorsichtigen Seite zu sein, sagt dann halt, ihr müsst mehr Geld vorhalten, um eure Verpflichtungen in Zukunft erfüllen zu können.
Degenhardt: Ist das eine Folge auch der aktuellen Finanzkrise?
Tenhagen: Das wird natürlich im Lichte der Finanzkrise der letzten zwei Jahre auch von denen, die da für Regulierung sorgen sollen, deutlich schärfer gesehen, als das vorher gesehen wurde, und das hat auch eine Auswirkung da, natürlich ja.
Degenhardt: Was ist denn mit den staatlich geförderten Riester-Policen eigentlich? Geht es denen auch an den Kragen?
Tenhagen: Wenn man einen Vertrag hat, hat man einen Vertrag, dem geht es natürlich erst mal nicht an den Kragen. Aber das Problem ist an der Stelle das gleiche. Es ist immer das Problem mit den Zusicherungen für 25 oder 30 Jahre. In der Vergangenheit war es so, dass die Versicherer ein bisschen auch davon gelebt haben, dass viele der Kunden ihre Verträge dann nicht durchgehalten haben. Das heißt, die Kunden haben nach 10 oder 15 Jahren den Vertrag dann gekündigt und haben deutlich weniger herausgekriegt, als sie mal ursprünglich gedacht haben, und der Versicherer hat ein bisschen was übrig behalten, was er für sein Gesamtgeschäft genutzt hat. Wenn man die Versicherer ein bisschen dazu nötigt, den Kunden auch das rauszugeben, was sie eingezahlt haben, und auf die Lange Frist Leute nur noch die Verträge machen, wenn sie sie denn auch tatsächlich durchhalten können, ist auch das etwas, was Versicherern ein Problem macht, wenn da keine Sonder-Stornogewinne am Rande mehr anfallen. Also von daher verändert sich auch das. Aber eigentlich ist es so: Wenn man denn fürs Alter vorsorgt, dann sollte man natürlich gefördert vorsorgen. Man sollte mit dem anfangen, wo der Staat was dazutut – aus zwei Gründen. Erstens tut der Staat was dazu und zweitens: Wenn der Staat was dazutut, kümmert er sich auch besser darum, dass das auch auf die Dauer klappt.
Degenhardt: Läuft alles nach Plan, dann werden diese neuen Bilanzregeln noch in diesem Jahr von der EU-Kommission anerkannt. Betroffen wären dann neue Versicherungsverträge, für die der Sparer dann keine Zinsgarantien erhält. Was oder wo wäre dann die Alternative?
Tenhagen: Langsam! Das ist erst mal noch nicht klar. Also was klar ist, ist, dass, wenn die Bilanzregeln kommen, alle Versicherer gucken müssen, wie sie in Zukunft Versprechen oder vertragliche Zusagen, die sie machen, einhalten können vor dem Hintergrund von strengeren Regeln. Möglicherweise werden dann die Zusagen, die die Versicherer machen, niedriger. Also man wird weniger Zinsen den Kunden zusagen und versprechen. Ob da nun gar keine Zinsen mehr versprochen werden, das wird man sehen.
Das andere, dass sie jetzt versuchen, die Leute umzuschichten, von klassischen Lebensversicherungen, wo es Zinsversprechen gibt, zu fondsgestützten, das machen die Versicherer schon seit einigen Jahren und dahinter steckt natürlich auch – wie soll ich sagen? -, die Mathematiker bei den Versicherern sagen, lasst uns mal den Leuten nicht so viel versprechen, lasst uns die Kunden die Unsicherheiten vom Kapitalmarkt tragen, die müssen wir ja nicht tragen. Das muss man als Kunde aber nicht mitmachen.
Degenhardt: Das heißt, die Deutschen müssen umdenken, man kann sich nicht mehr einfach so aufs Sofa setzen und warten, dass die Zinsen über die Jahre anfallen?
Tenhagen: Genau. Man kann sich nicht mehr mit 22 aufs Sofa setzen, einen Vertrag abschließen und sagen, mit 62 kriege ich das Geld ausgezahlt. Das wird auch in Zukunft nicht mehr funktionieren.
Degenhardt: Die Deutschen müssen umdenken, mit der Lebensversicherung in der bisherigen Form geht es zu Ende. Das war im Gespräch Hermann-Josef Tenhagen, der Chefredakteur der Zeitschrift "Finanztest". Vielen Dank für das Gespräch.
Tenhagen: Gerne.
Hermann-Josef Tenhagen: Guten Morgen!
Degenhardt: In einer großen deutschen Zeitung war vom Tod der Lebensversicherung, so wie wir sie bisher kennen, zu lesen. Kommt es wirklich so dicke?
Tenhagen: Also so dicke kommt es, glaube ich, nicht. Lebensversicherungen machen halt das Versprechen, dass man in 30 Jahren Geld herausbekommt von dem, was man eingezahlt hat, und zwar mehr Geld, als man eingezahlt hat. Und dafür müssen die für die 30 Jahre eben diese Zinsen auch erwirtschaften können. Und wenn man, wie das im Augenblick ist, es sehr schwer hat, hohe Zinsen zu erwirtschaften, tun sich auch Lebensversicherer schwer, und das führt dazu, dass sich die Lebensversicherer und auch Finanzexperten mehr Sorgen um die niedrigen Zinsen machen, als viele in der Bevölkerung, die mehr sich um die Inflation sorgen. Es gibt einen Bundesbankbericht aus dem November, der darüber nachdenkt, wie lange die Lebensversicherer eigentlich mit den niedrigen Zinsen klar kommen können und ihre Versprechen, die sie ihren Kunden gemacht haben, oder die vertraglichen Zusicherungen sogar einhalten können.
Degenhardt: Also es geht um den richtigen Zins. Aber darum ging es doch eigentlich auch schon in der Vergangenheit. Die Frage ist, warum jetzt die Bilanzexperten etwas zu Mosern haben.
Tenhagen: Na ja, die Bilanzexperten, das wird auch auf europäischer Ebene sozusagen vereinheitlicht. Bisher war das eben so, dass jedes Land so ein bisschen geguckt hat, wie man seine Lebensversicherungen regelt, und die einen haben ein bisschen strenger kontrolliert und den Versicherern ein bisschen mehr Spielraum gelassen, die anderen haben ein bisschen weniger streng kontrolliert und dann ist es auch schon mal in die Bux gegangen in anderen europäischen Ländern, und jetzt will man sich einheitlich einigen, weil auch die Versicherer natürlich alle grenzüberschreitend arbeiten. Die Allianz ist in den USA unterwegs, Generali, die Italiener, sind in Deutschland unterwegs, die Axa, französisch, ist in Deutschland unterwegs, britische Lebensversicherer sind hier unterwegs. Dann muss man gucken, dass man ein gemeinsames Regelwerk hat. Und das gemeinsame Regelwerk, um auf der vorsichtigen Seite zu sein, sagt dann halt, ihr müsst mehr Geld vorhalten, um eure Verpflichtungen in Zukunft erfüllen zu können.
Degenhardt: Ist das eine Folge auch der aktuellen Finanzkrise?
Tenhagen: Das wird natürlich im Lichte der Finanzkrise der letzten zwei Jahre auch von denen, die da für Regulierung sorgen sollen, deutlich schärfer gesehen, als das vorher gesehen wurde, und das hat auch eine Auswirkung da, natürlich ja.
Degenhardt: Was ist denn mit den staatlich geförderten Riester-Policen eigentlich? Geht es denen auch an den Kragen?
Tenhagen: Wenn man einen Vertrag hat, hat man einen Vertrag, dem geht es natürlich erst mal nicht an den Kragen. Aber das Problem ist an der Stelle das gleiche. Es ist immer das Problem mit den Zusicherungen für 25 oder 30 Jahre. In der Vergangenheit war es so, dass die Versicherer ein bisschen auch davon gelebt haben, dass viele der Kunden ihre Verträge dann nicht durchgehalten haben. Das heißt, die Kunden haben nach 10 oder 15 Jahren den Vertrag dann gekündigt und haben deutlich weniger herausgekriegt, als sie mal ursprünglich gedacht haben, und der Versicherer hat ein bisschen was übrig behalten, was er für sein Gesamtgeschäft genutzt hat. Wenn man die Versicherer ein bisschen dazu nötigt, den Kunden auch das rauszugeben, was sie eingezahlt haben, und auf die Lange Frist Leute nur noch die Verträge machen, wenn sie sie denn auch tatsächlich durchhalten können, ist auch das etwas, was Versicherern ein Problem macht, wenn da keine Sonder-Stornogewinne am Rande mehr anfallen. Also von daher verändert sich auch das. Aber eigentlich ist es so: Wenn man denn fürs Alter vorsorgt, dann sollte man natürlich gefördert vorsorgen. Man sollte mit dem anfangen, wo der Staat was dazutut – aus zwei Gründen. Erstens tut der Staat was dazu und zweitens: Wenn der Staat was dazutut, kümmert er sich auch besser darum, dass das auch auf die Dauer klappt.
Degenhardt: Läuft alles nach Plan, dann werden diese neuen Bilanzregeln noch in diesem Jahr von der EU-Kommission anerkannt. Betroffen wären dann neue Versicherungsverträge, für die der Sparer dann keine Zinsgarantien erhält. Was oder wo wäre dann die Alternative?
Tenhagen: Langsam! Das ist erst mal noch nicht klar. Also was klar ist, ist, dass, wenn die Bilanzregeln kommen, alle Versicherer gucken müssen, wie sie in Zukunft Versprechen oder vertragliche Zusagen, die sie machen, einhalten können vor dem Hintergrund von strengeren Regeln. Möglicherweise werden dann die Zusagen, die die Versicherer machen, niedriger. Also man wird weniger Zinsen den Kunden zusagen und versprechen. Ob da nun gar keine Zinsen mehr versprochen werden, das wird man sehen.
Das andere, dass sie jetzt versuchen, die Leute umzuschichten, von klassischen Lebensversicherungen, wo es Zinsversprechen gibt, zu fondsgestützten, das machen die Versicherer schon seit einigen Jahren und dahinter steckt natürlich auch – wie soll ich sagen? -, die Mathematiker bei den Versicherern sagen, lasst uns mal den Leuten nicht so viel versprechen, lasst uns die Kunden die Unsicherheiten vom Kapitalmarkt tragen, die müssen wir ja nicht tragen. Das muss man als Kunde aber nicht mitmachen.
Degenhardt: Das heißt, die Deutschen müssen umdenken, man kann sich nicht mehr einfach so aufs Sofa setzen und warten, dass die Zinsen über die Jahre anfallen?
Tenhagen: Genau. Man kann sich nicht mehr mit 22 aufs Sofa setzen, einen Vertrag abschließen und sagen, mit 62 kriege ich das Geld ausgezahlt. Das wird auch in Zukunft nicht mehr funktionieren.
Degenhardt: Die Deutschen müssen umdenken, mit der Lebensversicherung in der bisherigen Form geht es zu Ende. Das war im Gespräch Hermann-Josef Tenhagen, der Chefredakteur der Zeitschrift "Finanztest". Vielen Dank für das Gespräch.
Tenhagen: Gerne.