Umstrittene Auftragsforschung durch Historiker

Nazis zählen geht vor

Eine Limousine kommt vor dem Bundesaußenministerium an.
Auch das Auswärtige Amt hat seine Rolle in der NS-Vergangenheit von Historikern untersuchen lassen. © picture alliance / dpa / Kay Nietfeld
Von Max Muth |
Viele deutsche Ministerien und Behörden haben in den vergangenen Jahren Historiker-Kommissionen damit beauftragt, deren eigene Rolle in der NS-Zeit zu untersuchen. Doch die Arbeitsweise und Ergebnisse solcher Auftragsforschung ist nicht unumstritten, wie eine Tagung in Tutzing zeigt.
Wer nach Tutzing gekommen war, um zu erfahren, ob die Deutsche Geschichtswissenschaft "endlich genug von Hitler" hat, wie der Titel der Historikertagung vermuten ließ, der wurde enttäuscht. Auch die Vortragenden auf dem Podium ließen bisweilen erkennen, dass sie die Fragestellung für nicht sehr passend hielten. So auch die Historikerin Ulrike Jureit.
"Ich hätte den Titel nicht gewählt. Eigentlich geht es ja auf der Tagung um andere Fragen, nicht darum ob es genug ist oder nicht, sondern um die Frage wie denn, und wie geht’s dann weiter und da ist die Auftragsforschung ein wichtiges Feld, das sich in den letzten zehn Jahren etabliert hat und einen wichtigen Anteil an der sogenannten Vergangenheitsaufarbeitung hat."

Für Historiker ist Auftragsforschung ein heikles Thema

Auftragsforschung, das ist unter Historikern seit der Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Auswärtigen Amts ein bisschen vermintes Gelände. 2006 wurde diese erste Kommission zur Aufarbeitung eines Bundesministeriums eingesetzt. 2010 wurden die Ergebnisse veröffentlicht, und erst zu einem gefeierten Bestseller. Schon bald sorgten sie aber für Diskussionen unter Historikern.
Die Erkenntnisse, die vorgestellt wurden seien nicht neu, Interpretationen zur Rolle des Amtes beim Holocaust übertrieben und kaum zu belegen so der Vorwurf vieler Experten. Die Gefahr bei solcher Auftragsforschung sieht Ulrike Jureit vor allem darin, dass das Interesse einer Behörde meist nicht mit dem Erkenntnisinteresse eines Historikers vereinbar ist. Behörden, so Jureit, erhoffen sich von den Kommissionen heute oft einen Schlussstrich unter ungeliebte Diskussionen.
"Vor Jahren war immer noch die Diskussion, sind die Auftraggeber daran interessiert bestimmte Aspekte der Belastung zu verheimlichen, die Intentionen sind heute umgekehrt. Der Auftraggeber erwartet, eine hohe Belastung, damit die Behörde sagen kann: "Wir wissen um die Belastung, wir haben uns der Verantwortung gestellt und jetzt ist’s gut."

Besonders viele NS-Belastete beim BND

"Mein Name ist Gerhard Sälter und arbeite in der Kommission zur Aufarbeitung der Geschichte des BND…"
Fast nirgendwo ist die personelle Kontinuität von NS-Belasteten so hoch gewesen, wie beim Bundesnachrichtendienst. Die verhältnismäßig hohe Anzahl ehemaliger Nazikader ist für Sälter einfach erklärbar.
"Wenn sie eine normale Behörde nehmen, da kann die Öffentlichkeit sehen was sie tut. Es gibt Presseartikel, die sagen, das ist gut, das gefällt uns nicht, das gibt es bei einem Geheimdienst nicht. Genauso bei der Personalstruktur. Wenn sie eine Arbeitseinheit haben, in der drei ehemalige SS-Hauptsturmführer sitzen, dann haben sie auch intern keinen Druck irgendwas zu verändern"
Beim BND zeigt sich den Wissenschaftlern auch das, was Ulrike Jureit als das eigentlich interessante Phänomen für Historiker bei Behörden und Ministerien in den Kommissionen ansieht: nicht personelle, sondern ideologische Kontinuität. Nicht Nazis zählen, sondern konkret: Die Frage, ob die Überzeugungen der ehemaligen Nazi-Funktionäre auch in ihrer späteren Arbeit in der Bundesrepublik eine Rolle gespielt haben.
Beim BND gab es das, der Geheimdienst jagte nach seiner Gründung jahrelang ein Gespenst: die sogenannte "roten Kapelle". Diese kommunistische Geheimorganisation war schon währende des NS-Regimes im Visier der Gestapo gewesen. Und auch nach Ende des zweiten Weltkriegs folgte der neue deutsche Geheimdienst weiter ihrer Spur, oder dem was er dafür hielt.
"An diesem Beispiel kann man ganz gut sehen, dass die alliierten Dienste sich relativ schnell von dieser Fiktion verabschieden, und der BND die Spur noch jahrelang weiterverfolgt, obwohl es für diese Annahme nicht mal das gibt, was wir heute ein schwaches Indiz nennen würden, dass es die Organisation gibt und dass sie gegen die Bundesrepublik arbeitet."
Solche Kontinuitäten herauszuarbeiten, das ist für Ulrike Jureit die eigentliche Aufgabe der Historikerkommissionen:

Nazis zählen geht vor

"Wie war die Einflussnahme von NS-Belasteten in der Frage der Verjährung zum Beispiel, in welchen Ausschüssen haben die mitgearbeitet, haben die Positionen, die sie vertreten haben etwas damit zu tun, dass sie eine NS Belastung haben, oder gab es diese Haltung auch bei Personen, die diese Belastung nicht hatten, haben die sich auch dafür eingesetzt, dass Beihilfe zum Mord verjährt?"
Doch ob solche Fragen gestellt und beantwortet werden können, ist in den Kommissionen oft auch eine Frage des Geldes. Projekte, die von vornherein auf zwei bis drei Jahre angelegt sind, müssen sich meist auf die wissenschaftlich weniger spannende Frage der personellen Kontinuität beschränken. Nazis zählen geht vor. Doch nicht alle Historiker sehen die Arbeit der Kommissionen so kritisch wie Ulrike Jureit.
Dr. Constantin Goschler etwa, der den Bundesverfassungsschutz untersucht hat, glaubt, dass die jeweiligen Erwartungen von Medien, Behörden und Historikern ein funktionierendes Gleichgewicht herstellen, das verhindert, dass Dinge aus dem Ruder laufen – wenn Wissenschaftler etwa besonders schlechte Forschungsbedingungen vorfinden.
Jureit ist da nicht so optimistisch, gerade die Frage der Finanzierung der Projekte macht ihr Sorgen. Im chronisch unterfinanzierten Hochschulsektor ist die Auftragsforschung nämlich inzwischen zu einem wichtigen Geldgeber geworden. Viele Kollegen sagen, sie können es sich nicht leisten, auf solche Gelder zu verzichten.
"Ich hab die Erfahrung bei einer anderen Diskussion gemacht, dass die, die solche Aufträge übernehmen, sagen: "das kommt ja überhaupt nicht in Frage, dass ich so etwas ablehne. Ein Ministerium gibt mir ein bis zwei Millionen, ich kann fünf Doktoranden beschäftigen". Dass das gar nicht in ihrem Vorstellungsbereich liegt, das finde ich schon irgendwie beunruhigend."
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