Umstrittene Blasphemiegesetze
Die Ermordung von Osama bin Laden hat den Eindruck vieler Pakistanis noch verstärkt, die USA beziehungsweise der christliche Westen führe einen Kreuzzug gegen den Islam. Eine Gruppe leidet unter dieser Wahrnehmung besonders: die Christen in Pakistan, die auch unter den Blasphemiegesetzen leiden.
Ein Dutzend zehn- bis zwölfjähriger Kinder übt vor der Kirche für den Gottesdienst am Sonntag. Daneben spielen einige Jungen auf einer Grünfläche Cricket. Die Kathedrale, ein neugotischer Bau aus rotem Sandstein, liegt im Herzen der pakistanischen Metropole Lahore.
Das Gelände, über das die protestantische Church of Pakistan hier verfügt, ist weitläufig. Deswegen ist der Lärm der Großstadt nur gedämpft zu hören. Aber die friedliche Atmosphäre trügt. Viele Christen in Pakistan fühlen sich an den Rand gedrängt, ja mehr noch, sie fühlen sich bedroht - die Einfahrt zum Kirchengelände ist durch einen Schlagbaum versperrt. Sicherheitsleute überprüfen jeden, der hinein will. Bischof Alexander John Malik ist nicht glücklich über diese Entwicklung:
"Wir hatten früher nie so etwas. Jetzt sind mehrere Überwachungskameras installiert. Jeden Sonntag werden die Menschen kontrolliert. Einige sind verängstigt und kommen nicht mehr. Früher war Pakistan nicht so. Ich selbst habe in einer muslimischen Schule gelernt, weil ich den Islam studieren wollte. Von der sechsten bis zur zehnten Klasse war ich der einzige Christ unter 2000 muslimischen Schülern – nie habe ich mich bedroht gefühlt, aber jetzt schon."
Seit 31 Jahren ist Alexander John Malik Bischof von Lahore – der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Punjab. Mehrfach ist er vom Staat für seine Bemühungen im interreligiösen Dialog ausgezeichnet worden. Aber heute, sagt er, sei dieser Dialog ernsthaft gestört - der Hauptgrund dafür seien die umstrittenen Blasphemiegesetze. Diese verbieten die Schändung heiliger Stätten und Schriften, die Verletzung religiöser Gefühle – und insbesondere die Beleidigung des Propheten Mohammed. Darauf steht nach pakistanischem Strafgesetzbuch die Todesstrafe.
Zwei prominente Politiker, die sich für eine Änderung der Gesetze ausgesprochen haben, wurden in diesem Jahr ermordet: Anfang Januar wurde Salmaan Taseer, der Gouverneur der Provinz Punjab von seinem eigenen Leibwächter auf offener Straße erschossen. Taseer war eine Art Freigeist der pakistanischen Politik, wegen seines ausschweifenden Lebenswandels hatten Islamisten ihn als "schlechten Muslim" bezeichnet. Nach seinem Tod rief ein Abgeordneter dazu auf, im Parlament ein Totengebet für Taseer zu sprechen. Der Wunsch wurde ignoriert.
Rameeza Nizami ist stellvertrende Chefredakteurin der konservativen Tageszeitung "The Nation”. Sie sagt, es sei erschreckend, wie über den Mord in der Öffentlichkeit gesprochen worden sei - oder genauer gesagt, wie nicht:
"Eine öffentliche Diskussion nach dem Mord an dem Gouverneur, die hat fast gar nicht stattgefunden. Ich glaube, weil er so sehr mit den Blasphemie-Gesetzen in Verbindung gebracht wurde. Dieses Thema ist jetzt so politisiert, so radikalisiert, dass über das Gesetz wohl nicht weiter diskutiert wird. Die Angelegenheit ist vergleichbar mit einer Landmine – jeder, der drauf tritt, findet ein schlimmes Ende."
So wie Shabaz Bhatti. Der Christ und Minister für Minderheiten in der Zentralregierung fiel im März einem Attentat der pakistanischen Taliban zum Opfer. Für Bischof Malik sind die Reaktionen auf die beiden Morde ein Beleg dafür, dass die militanten Islamisten die gesamte pakistanische Gesellschaft in Geiselhaft genommen haben:
"Die Extremisten sind eine kleine Minderheit, viele Leute sind gemäßigt, nur sehr wenige sind wirklich liberal. Aber die Gemäßigten und die Liberalen melden sich nicht zu Wort. Sie sind schweigende Zuschauer! Das ist das Problem. Diese beiden Tötungen haben dazu geführt, dass alle Stimmen verstummten. Ich rede nicht mehr öffentlich, ich habe Angst."
Gerade beim Thema Blasphemiegesetze wägt der Bischof seine Worte vorsichtig. Er fordert weder ihre Abschaffung noch eine Änderung. Vielmehr sagt er, dass die Gesetze "überprüft" werden müssten. Das größte Problem sei, dass sie allzu leicht missbraucht werden könnten, insbesondere um Angehörigen der religiösen Minderheiten zu schaden.
Dem widerspricht Latif Khosa. Er ist der neue Gouverneur von Punjab. Anders als sein ermordeter Vorgänger und Bischof Malik sieht er die Blasphemiegesetze nicht als politisches Problem. Er sagt, er vertraue der Justiz:
"Missbrauch kann es bei jedem Gesetz geben. Zeugen können falsch sein, die Strafverfolgung kann behindert werden. Was das Blasphemiegesetz betrifft, so gab es bei rund 1600 Fällen keinen, bei dem eine Verurteilung letztinstanzlich aufrecht erhalten wurde. Wir haben eine unabhängige und starke Justiz, die sich nach Prinzipien richtet, die international als rechtmäßig und vernünftig anerkannt werden."
Aber auch ohne Verurteilung wiegt der Vorwurf der Blasphemie schwer in einem Land, in dem religiöse Gefühle leicht entflammbar sind. Mehrere Menschen, die angeblich den Propheten Mohammed beleidigt haben, wurden auf der Straße erschossen, andere in ihrer Gefängniszelle tot aufgefunden. Bei der Frage, ob die Blasphemieparagraphen nicht doch mehr Schaden anrichten als sie nutzen, windet sich der Gouverneur zunächst etwas, bevor er eine Antwort findet:
"Die Frage ist nicht, ob das ein schlechtes Gesetz ist. Das Gesetz ist gut. Jeder muss doch verstehen, dass man nicht einfach so den Glauben eines Menschen verletzen darf, unter dem Vorwand der Redefreiheit. Freiheit heißt nicht, wild und zügellos auf den Rechten anderer herumzutrampeln. Es gibt eine Grenze der Freiheit, eine Grenze der Grundrechte - alles hat seine Grenze."
Khosas Verweis auf die unbegrenzte Meinungsfreiheit zielt gen Westen. Wie viele Pakistaner bemüht er Ereignisse in Europa und den USA, um religiösen Extremismus im eigenen Land zu erklären. Er nennt die Mohammed-Karikaturen, das Minarett-Verbot in der Schweiz und die Verbrennung des Korans durch einen christlich-fundamentalistischen Pastor in Florida. Auch Bischof Malik spricht von einem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Weltsichten. Und er befürchtet, dass dabei die Christen in Pakistan in der Mitte zerrieben werden.
"Was in der westlichen Welt geschieht, hilft uns nicht. Die Mohammed-Karikaturen mögen für Menschen im Westen Ausdruck der Meinungsfreiheit sein, aber hier sind die Menschen sehr sensibel. Selbst die Christen mögen das nicht. Unsere eigenen Leute akzeptieren uns nicht, weil sie glauben, dass wir Agenten des Westens sind, was natürlich nicht stimmt. Und die Menschen im Westen akzeptieren uns nicht, weil ihnen Religion nichts bedeutet, weil ihnen Religion nicht wichtig ist."
In Pakistan sei das anders, sagt Bischof Malik, der in einem Jahr in den Ruhestand geht. Die Gottesdienste sind gut besucht und die Zahl der Gemeindemitglieder steigt - trotz aller Schwierigkeiten. So düster Bischof Malik zuweilen die Lage der Christen in seinem Land beschreibt - auswandern, sagt er, sei für ihn keine Option.
Das Gelände, über das die protestantische Church of Pakistan hier verfügt, ist weitläufig. Deswegen ist der Lärm der Großstadt nur gedämpft zu hören. Aber die friedliche Atmosphäre trügt. Viele Christen in Pakistan fühlen sich an den Rand gedrängt, ja mehr noch, sie fühlen sich bedroht - die Einfahrt zum Kirchengelände ist durch einen Schlagbaum versperrt. Sicherheitsleute überprüfen jeden, der hinein will. Bischof Alexander John Malik ist nicht glücklich über diese Entwicklung:
"Wir hatten früher nie so etwas. Jetzt sind mehrere Überwachungskameras installiert. Jeden Sonntag werden die Menschen kontrolliert. Einige sind verängstigt und kommen nicht mehr. Früher war Pakistan nicht so. Ich selbst habe in einer muslimischen Schule gelernt, weil ich den Islam studieren wollte. Von der sechsten bis zur zehnten Klasse war ich der einzige Christ unter 2000 muslimischen Schülern – nie habe ich mich bedroht gefühlt, aber jetzt schon."
Seit 31 Jahren ist Alexander John Malik Bischof von Lahore – der Hauptstadt der pakistanischen Provinz Punjab. Mehrfach ist er vom Staat für seine Bemühungen im interreligiösen Dialog ausgezeichnet worden. Aber heute, sagt er, sei dieser Dialog ernsthaft gestört - der Hauptgrund dafür seien die umstrittenen Blasphemiegesetze. Diese verbieten die Schändung heiliger Stätten und Schriften, die Verletzung religiöser Gefühle – und insbesondere die Beleidigung des Propheten Mohammed. Darauf steht nach pakistanischem Strafgesetzbuch die Todesstrafe.
Zwei prominente Politiker, die sich für eine Änderung der Gesetze ausgesprochen haben, wurden in diesem Jahr ermordet: Anfang Januar wurde Salmaan Taseer, der Gouverneur der Provinz Punjab von seinem eigenen Leibwächter auf offener Straße erschossen. Taseer war eine Art Freigeist der pakistanischen Politik, wegen seines ausschweifenden Lebenswandels hatten Islamisten ihn als "schlechten Muslim" bezeichnet. Nach seinem Tod rief ein Abgeordneter dazu auf, im Parlament ein Totengebet für Taseer zu sprechen. Der Wunsch wurde ignoriert.
Rameeza Nizami ist stellvertrende Chefredakteurin der konservativen Tageszeitung "The Nation”. Sie sagt, es sei erschreckend, wie über den Mord in der Öffentlichkeit gesprochen worden sei - oder genauer gesagt, wie nicht:
"Eine öffentliche Diskussion nach dem Mord an dem Gouverneur, die hat fast gar nicht stattgefunden. Ich glaube, weil er so sehr mit den Blasphemie-Gesetzen in Verbindung gebracht wurde. Dieses Thema ist jetzt so politisiert, so radikalisiert, dass über das Gesetz wohl nicht weiter diskutiert wird. Die Angelegenheit ist vergleichbar mit einer Landmine – jeder, der drauf tritt, findet ein schlimmes Ende."
So wie Shabaz Bhatti. Der Christ und Minister für Minderheiten in der Zentralregierung fiel im März einem Attentat der pakistanischen Taliban zum Opfer. Für Bischof Malik sind die Reaktionen auf die beiden Morde ein Beleg dafür, dass die militanten Islamisten die gesamte pakistanische Gesellschaft in Geiselhaft genommen haben:
"Die Extremisten sind eine kleine Minderheit, viele Leute sind gemäßigt, nur sehr wenige sind wirklich liberal. Aber die Gemäßigten und die Liberalen melden sich nicht zu Wort. Sie sind schweigende Zuschauer! Das ist das Problem. Diese beiden Tötungen haben dazu geführt, dass alle Stimmen verstummten. Ich rede nicht mehr öffentlich, ich habe Angst."
Gerade beim Thema Blasphemiegesetze wägt der Bischof seine Worte vorsichtig. Er fordert weder ihre Abschaffung noch eine Änderung. Vielmehr sagt er, dass die Gesetze "überprüft" werden müssten. Das größte Problem sei, dass sie allzu leicht missbraucht werden könnten, insbesondere um Angehörigen der religiösen Minderheiten zu schaden.
Dem widerspricht Latif Khosa. Er ist der neue Gouverneur von Punjab. Anders als sein ermordeter Vorgänger und Bischof Malik sieht er die Blasphemiegesetze nicht als politisches Problem. Er sagt, er vertraue der Justiz:
"Missbrauch kann es bei jedem Gesetz geben. Zeugen können falsch sein, die Strafverfolgung kann behindert werden. Was das Blasphemiegesetz betrifft, so gab es bei rund 1600 Fällen keinen, bei dem eine Verurteilung letztinstanzlich aufrecht erhalten wurde. Wir haben eine unabhängige und starke Justiz, die sich nach Prinzipien richtet, die international als rechtmäßig und vernünftig anerkannt werden."
Aber auch ohne Verurteilung wiegt der Vorwurf der Blasphemie schwer in einem Land, in dem religiöse Gefühle leicht entflammbar sind. Mehrere Menschen, die angeblich den Propheten Mohammed beleidigt haben, wurden auf der Straße erschossen, andere in ihrer Gefängniszelle tot aufgefunden. Bei der Frage, ob die Blasphemieparagraphen nicht doch mehr Schaden anrichten als sie nutzen, windet sich der Gouverneur zunächst etwas, bevor er eine Antwort findet:
"Die Frage ist nicht, ob das ein schlechtes Gesetz ist. Das Gesetz ist gut. Jeder muss doch verstehen, dass man nicht einfach so den Glauben eines Menschen verletzen darf, unter dem Vorwand der Redefreiheit. Freiheit heißt nicht, wild und zügellos auf den Rechten anderer herumzutrampeln. Es gibt eine Grenze der Freiheit, eine Grenze der Grundrechte - alles hat seine Grenze."
Khosas Verweis auf die unbegrenzte Meinungsfreiheit zielt gen Westen. Wie viele Pakistaner bemüht er Ereignisse in Europa und den USA, um religiösen Extremismus im eigenen Land zu erklären. Er nennt die Mohammed-Karikaturen, das Minarett-Verbot in der Schweiz und die Verbrennung des Korans durch einen christlich-fundamentalistischen Pastor in Florida. Auch Bischof Malik spricht von einem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Weltsichten. Und er befürchtet, dass dabei die Christen in Pakistan in der Mitte zerrieben werden.
"Was in der westlichen Welt geschieht, hilft uns nicht. Die Mohammed-Karikaturen mögen für Menschen im Westen Ausdruck der Meinungsfreiheit sein, aber hier sind die Menschen sehr sensibel. Selbst die Christen mögen das nicht. Unsere eigenen Leute akzeptieren uns nicht, weil sie glauben, dass wir Agenten des Westens sind, was natürlich nicht stimmt. Und die Menschen im Westen akzeptieren uns nicht, weil ihnen Religion nichts bedeutet, weil ihnen Religion nicht wichtig ist."
In Pakistan sei das anders, sagt Bischof Malik, der in einem Jahr in den Ruhestand geht. Die Gottesdienste sind gut besucht und die Zahl der Gemeindemitglieder steigt - trotz aller Schwierigkeiten. So düster Bischof Malik zuweilen die Lage der Christen in seinem Land beschreibt - auswandern, sagt er, sei für ihn keine Option.