Australische Kohle für Indien
22:08 Minuten
Mitten durchs Weltnaturerbe Great Barrier Reef will der Rohstoffkonzern Adani jährlich Millionen Tonnen Kohle aus der Carmichael-Mine nach Indien verschiffen. Auch mit Hilfe von Siemens. Klimaschützer protestieren. Doch Australiens Kohlelobby ist stark.
Treffen mit der Klimaaktivistengruppe "Stop Adani" an der australischen Gold Coast. Da ist Gründer Matt Ross, 34, ein rotblond gelockter Sozialarbeiter aus Sydney, den es aus Liebe zum Surfen nach Queensland verschlagen hat. Und seine Stellvertreterin:
"Hallo, ich bin April Broadbent und bin seit ungefähr 2013 in der Klimaschutzbewegung, seit meiner Zeit an der Uni."
Die Lehreranwärterin April Broadbent ist mit 26 schon eine Veteranin der Klimaschutzbewegung. Früher ging es um Schadstoffemissionen, heute heißt der Feind: Adani. Der indische Rohstoffkonzern, der im Hinterland Queenslands Australiens größte verbliebene Kohlereserven abbauen, 400 Kilometer per Zug an die Küste transportieren und dann nach Indien verschiffen will. Mitten durch das Weltnaturerbe des Great Barrier Reefs.
Matt und seine Gruppe helfen seit Jahren, den von der Regierung genehmigten Bau und die Inbetriebnahme der Mine zu verzögern.
"Das Verbrennen von Kohle zur Stromgewinnung ist der Hauptgrund für den Klimawandel, deshalb müssen wir neue Kohleminen verhindern. Das Great Barrier Reef muss um jeden Preis geschützt werden und Adanis Carmichael-Mine ist – gegen deren Willen – auf dem Land der örtlichen Aborigines geplant. Wir schulden es den Ureinwohnern, für ihre Rechte zu kämpfen."
Die schockierende Umweltbilanz des indischen Konzerns Adani
Der harte Kern der Aktivisten trifft sich jede Woche in Suzette Markwells Wohnzimmer. Mit 75 ist sie das älteste Mitglied. "Ich hatte ein sorgenfreies Leben", sagt sie. "Meine Enkel sollten diese Welt genauso genießen dürfen, wie ich das konnte."
"Adani hat eine schockierende Umweltbilanz. Er wird die unterirdischen Grundwasser-Reservoirs zerstören, wenn er da draußen bohrt. Diese Vorräte sind lebenswichtig für uns. Wir sind ein trockener Kontinent."
Indischer Rohstoffmilliardär und bekannter Umweltvandale plündert mit Hilfe der Regierung Australiens letzte Kohlereserven... Der Politikprofessor Quentin Beresford von der Deakin-Universität Geelong fand das Arrangement so bezeichnend, dass er ein Buch darüber schrieb.
Die Macht der Kohleindustrie
Es beginnt 2017 im Parlament von Canberra, als Scott Morrison, damals noch Finanzminister, ein Stück Kohle hochhielt und vom schwarzen Gold Australiens schwadronierte. Heute ist Morrison amtierender Premier und der größte Fürsprecher des Rohstoffsektors. "Es ist völlig egal, wer in Canberra an der Macht ist", glaubt Quentin Beresford. Denn in den Hinterzimmern der Macht regierten andere:
"Die Kohleindustrie ist einfach zu mächtig, sie ist die wohl einflussreichste Lobbygruppe in Australien. Eine echte Klimapolitik wird sie nie zulassen. Der Kohleklumpen, den der Premier ins Parlament brachte, stammte vom Bergbauverband. Er wurde vorher lackiert, damit Morrison keine schmutzigen Hände bekam. Australiens Politik wird längst von Großkonzernen, ihren Parteispenden und PR-Kampagnen bestimmt."
Mit Crowdfunding gegen Großkapital, mit Freiwilligen und Hashtags gegen eine gut geölte und bestens vernetzte Pressemaschinerie: David hatte bessere Chancen gegen Goliath als die Gegner der Adani-Mine im Kampf um die öffentliche Meinung. April Broadbent von der "Stop Adani"-Gruppe an der Gold Coast hat schnell gelernt, dass nicht der gehört wird, der am lautesten schreit oder die besseren Argumente hat, sondern der mit den besseren Beziehungen:
"Über die Hälfte unserer Medien gehört Rupert Murdoch, der ein persönliches Interesse hat, die Fossilbrennstoff-Industrie zu schützen. Dazu kommen mächtige, rohstofffreundliche Politiker, die uns als verrückte Hippies und Lügner abtun, weil wir sagen: 'Solarenergie ist billiger und schafft Arbeitsplätze.' Aber wenn die einzige Zeitung und der einzige Fernsehsender der Gegend gleichgeschaltet sind, dann ist es schwer dagegen anzukommen und die Leute wachzurütteln."
Durch Protestmärsche, Kundgebungen und Kampagnen in sozialen Netzwerken ist die "Stop Adani"-Gruppe an der Gold Coast in nur drei Jahren von einer Handvoll auf heute über 3.000 Mitglieder angewachsen. "Ganz organisch", witzelt Gründer Matt Ross. Durch Klinkenputzen und Mundpropaganda.
Mehr als eine Million Australier sind gegen die Mine
Im Staat Queensland gibt es mittlerweile 30 "Stop Adani"-Gruppen, etwa 100 in ganz Australien. Für den Autor Quentin Beresford das Musterbeispiel einer echten Bürgerinitiative:
"Mehr als eine Million Australier haben als Mitglieder einer Anti-Adani-Organisation versucht, diese Mine zu stoppen. Das ist die größte Umwelt-Protestbewegung in der Geschichte unseres Landes. Es ist erstaunlich, wie viel Druck diese Bürgergruppen durch ihren Zusammenhalt selbst auf die Geldgeber großer Rohstoffprojekte ausüben können."
Die Anti-Adani-Bewegung redete Finanzinstitutionen ins grüne Gewissen, den indischen Bergbaukonzern zu boykottieren. Nachgeholfen wurde mit Protesten vor den Hauptsitzen der Geldinstitute oder Bankfilialen. Mit Erfolg.
Boykott: Großbanken verweigern Adani Milliardenkredite
Erst verweigerten alle australischen Großbanken Adani die nötigen Milliardenkredite zur Finanzierung der Carmichael-Mine, dann auch ausländische Geldinstitute. Das Dreieinhalb-Milliarden-Euro-Projekt schrumpfte auf eineinhalb Milliarden zusammen, die der Adani-Konzern jetzt selbst aufbringen muss. Genehmigt für ein Fördervolumen von 60 Millionen Tonnen Kohle im Jahr sollen anfangs nur zehn Millionen Tonnen gefördert werden. Ob es jemals mehr werden, ist fraglich. Tim Buckley vom Institut für Energiewirtschaft in Sydney ist skeptisch:
"Die Kosten für Solarenergie in Indien sind in den letzten zwei Jahren um 55 Prozent gesunken und damit günstiger als Kohlestrom. Der australische Bergbau dachte, Indien wäre der Wachstumsmarkt für die nächsten 50 Jahre, doch dort will man die nächsten zehn Jahre keine kohlebefeuerten Stromkraftwerke mehr bauen."
Zwar haben erste Baumaßnahmen an der Mine begonnen, aber selbst die geplante 400 Kilometer lange Frachtlinie von der Carmichael-Mine zum Verladehafen Abbot Point ist aus Kostengründen auf eine halb so lange Ergänzung einer bereits existierenden Schmalspurbahn zusammengeschrumpft.
Enttäuscht von Siemens
Eines aber ist geblieben: Trotz weltweiter Proteste von Klimaschützern wird Siemens die Signalanlage für die Strecke liefern. Anti-Adani-Aktivist Matt Ross ist darüber bitter enttäuscht:
"Für mich hat Siemens seinen Ruf international beschädigt – und nur wegen dieses kleinen Auftrags. Außerdem hat Siemens-Chef Joe Kaeser glatt gelogen, als er behauptet hat, die Ureinwohner der Gegend wären für die Mine. Das Gegenteil ist der Fall. Das hätte Kaeser mit einer einfachen Google-Suche herausfinden können. Von einer Firma mit Multimilliardenumsatz darf man mehr erwarten."
Die Genehmigung für die Adani-Mine wurde durch Gerichtsverfahren der Umweltgruppen immer wieder verzögert. Entlang Queenslands Ostküste hat die jahrelange Ungewissheit Spuren hinterlassen. Nirgendwo mehr als in der 10.0000-Einwohner-Stadt Bowen, 200 Kilometer südlich von Townsville.
Ein Straßenmusikant ohne Publikum, Läden ohne Kunden. Der vorhergesagte Immobilienboom ist ausgeblieben, 400 neu gebaute Häuser haben keine Mieter, Geschäfte in der Hauptstrasse stehen leer. Hotelbesitzer Carl Link ist, vorsichtig ausgedrückt, nicht allzu gut auf die "Stop Adani"-Protestgruppen zu sprechen.
"They go screaming: 'That might hurt the reef'. Check your facts first what is to hurt the reef before you condemn people. It is knocking the hell out of us."
Die Klimaaktivisten würden Lügen über den Zustand des Great Barrier Reefs verbreiten, schimpft Carl. Er wartet seit Jahren darauf, dass die Carmichael-Mine Kohle produziert. Denn mit den Arbeitern käme auch wieder Geld in die Stadt. Der frühere Farmer hat all seine Ersparnisse in zwei Motels in Bowen gesteckt, in denen so gut wie niemand übernachtet.
"300 Kilometer von hier liegen Berge von Kohle, die viel Energie liefern, aber schadstoffarm sind. Viel besser als das, was in Indien verbrannt wird. Aber diese Klimaclowns im Süden schreien: 'Nein zu Adani'. Es geht um unseren Lebensunterhalt. Wir wollen den Kohleabbau hier, aber niemand gräbt das Zeug aus."
Happy Hour nur mit der Adani-Mine?
Im "Larrikin Hotel" nebenan ist Happy Hour. Einen glücklichen Eindruck macht Pubbesitzer Bruce Hadditch aber nicht. "Wir brauchen die Adani-Mine, denn wir brauchen Jobs", sagt er. Der Klimaschutz stelle nun mal kein Essen auf den Tisch:
"Sollten wir Adani vergraulen, hätten wir eine Gelegenheit verpasst, die so schnell nicht wieder kommt. Ausländische Unternehmen würden es sich künftig zweimal überlegen, bevor sie in Australien investieren. Wir haben einfach nicht die finanziellen Möglichkeiten, solche Großprojekte selbst zu stemmen."
Stoßzeit bei AlCo Engineering, einem Depot für Bergbaugeräte am Stadtrand von Bowen. Gabelstapler stapeln, Lastwagen fahren leer vor und voll beladen wieder weg. Der Mann mit Klemmbrett unterm Arm, Sicherheitsweste und Helm auf dem Kopf ist Alex Quinn, der Manager. Er hat sich in einer der Lagerhallen eine kleine Kochecke mit Gasgrill eingericht. Auf Lunch in der Innenstadt ist ihm der Appetit vergangen, seit die lokale "Stop Adani"-Gruppe dort mittags Flugblätter verteilt.
"Australien braucht die Mine"
"It is insulting when I see someone in the Main Street of Bowen with an Anti-Adani-T-Shirt it's like smack them in the face."
Umweltschützer in ihren schwarzen Anti-Adani-T-Shirts sind ein rotes Tuch für Alex. "Wenn ich sie in der Hauptstraße von Bowen nur sehe", sagt er, "würde ich ihnen am liebsten eine runterhauen".
"Verwandte und Freunde von mir leben in Melbourne und sogar dort sieht man überall Protestschilder gegen die Adani-Mine. Herrgott nochmal, das ist zweieinhalbtausend Kilometer weit weg. Unseren Wohlstand mit Computern, Laptops und iPhones verdanken wir der Kohle. Das zu leugnen, ist unehrlich und sehr frustrierend."
Alex' Betrieb läuft. Er hat 25 Angestellte, die für ihn arbeiten, zehn sind Lehrlinge. Wenn die Adani-Mine gebaut wird und Kohle fördert, könnte er 50 beschäftigen, schätzt Alex. Jobs für junge Leute aus der Gegend, die sonst anderswo nach Arbeit suchen müssten.
"Es geht nicht nur um die Mine, sondern auch um die Infrastruktur, die sie mit sich bringt: die Bahnverbindung, Brücken, der Ausbau des Hafens und all die Leute, die in die Stadt kommen werden". betont er. "Australien braucht die Mine und wir brauchen sie gegen unsere hohe Arbeitslosigkeit. Das Adani-Projekt wird vieles besser machen."
Adani verspricht 9000 Jobs
"That is about 8250 jobs expected in the first phase of the Carmichael project."
Garantiert über 8.000, vielleicht bis zu 9.000 Jobs verspricht ein Adani-PR-Video durch den Bau und den Betrieb der Carmichael-Mine, die Zugverbindung an die Küste und das Verschiffen der Kohle am Verladehafen Abbot Point. Zahlen, die der konservative, kohlefreundliche Adani-Befürworter Scott Morrison so oft wiederkäute, dass er dank der Stimmen aus Queensland letztes Jahr zum Regierungschef gewählt wurde. "Zahlen, die frei erfunden sind", behauptet Buchautor Quentin Beresford. Adanis Jobversprechen für die Mine sei pure Propaganda:
"Es gibt nicht mehr als vierzehn- bis sechzehnhundert direkte und noch einmal so viele indirekte Jobs. Mit anderen Worten: nur ein Drittel der Arbeitsplätze, die zugesagt wurden. Das kam heraus, als in einem Gerichtsverfahren gegen eine Umweltgruppe die Richter Adanis eigene Experten zu den Jobzahlen verhörten. Wie eng muss die Beziehung zwischen Bergbaukonzernen und Politikern sein, dass sie sich nicht zu schade sind, deren Lügen zu verbreiten?"
Der Kohlebergbau ist Australiens wertvollster Exportsektor, beschäftigt aber nur etwa 50.000 Menschen. Moderne Minen sind hochautomatisiert, der Rohstoffabbau maschinell. Selbst die vollbeladenen Lastwagen, die zwischen Abräumgrube und Abtransport hin und her pendeln, sind immer öfter fahrerlos und völlig autonom. Im Tourismus arbeiten zwanzigmal so viele Australier, gut eine Million. Allein 70.000 entlang des Naturwunders des Great Barrier Reefs. Doch viele fürchten, dass der Kohlebergbau ihre Zukunft buchstäblich untergräbt.
Leinen los in Airlie Beach. Jeden Tag segelt Lynn Thomas Touristen hinaus aufs Great Barrier Reef. Ihr Büro sind die Whitsundays, 74 überwiegend unbewohnte Inseln im Weltnaturerbe des 2.300 Kilometer langen Riffs. Auf Lynns Passagiere wartet ein Unterwasserparadies, in dem man nicht nur Nemo findet, sondern zehntausende, oft einmalige Fisch-, Korallen- und Weichtierarten. 2017 aber waren die Wassertemperaturen so hoch, dass zwei Drittel der Riffkorallen ihre Farbe verloren oder abstarben. Heute zeigt Lynn Thomas den Touristen auch, wie die Folgen des Klimawandels aus nächster Nähe aussehen:
"Das Great Barrier Reef ist ernstlich gefährdet, vor allem nach der großen Korallenbleiche der letzten Jahre. Das war ein Vorgeschmack. Es könnte sein, dass das Riff noch zu unseren Lebzeiten abstirbt. Deshalb ist es Irrsinn neue, gigantische Kohleminen im Hinterland zu eröffnen. Die Regierung ist dafür, wir sind es nicht. Das ist eine verfahrene Situation für unsere Politiker."
"Die größte Gefahr für das Riff lauert an Land", glaubt Tim Fraser, der sich um die Tauchausrüstungen auf Lynns Boot kümmert. Das Ausbeuten der Adani-Mine bedeute noch mehr Kohle, die verbrannt wird, noch mehr Erderwärmung und letztendlich noch höhere Wassertemperaturen. "Eine Entscheidung, Kohle statt Korallen", meint Tim, wäre nicht nur ein weiterer Sargnagel für das Riff, sondern auch wirtschaftlich eine Milchmädchenrechnung.
"Sollten wir das Riff verlieren, was möglich ist, dann war es das auch mit unzähligen Jobs und dem Einkommen vieler Familien. Australiens größtes Finanzhaus hat ausgerechnet, dass das Riff der einheimischen Wirtschaft jährlich vier Milliarden Euro einbringt. Keine Kohlemine ist auch nur annähernd soviel wert."
Abbot Point, Queenslands größter Kohleverladehafen. 50 Millionen Tonnen werden von hier jedes Jahr verschifft. Zu See warten gewaltige Frachter geduldig auf ihre Ladung, an Land leeren turmhohe Lastkräne unablässig Eisenbahncontainer voller Kohle auf fußballfeldgroße Abräumhalden. Für eine Milliarde Euro hat sich Adani für die nächsten 99 Jahre die Nutzungsrechte des Hafens gesichert. Um zusätzlich die Kohle der Carmichael-Mine zu verschiffen, muss die Fahrrinne erweitert und vertieft werden.
"Adani kümmert sich keinen Deut um Fische"
Hugh Wilson lebt seit 20 Jahren in einem Wohnwagen nahe Abbot Point. Ihm graut davor, was Adani mit den fünf Millionen Tonnen Schlamm machen könnte, die beim Hafenausbau ausgebaggert werden.
"Ich fürchte, das Zeug wird einfach auf Lastkähne geladen und weiter draußen aufs Riff gekippt. Adani kümmert sich keinen Deut um Fische oder Korallen. Sie wollen nur ihre schwarze Kohle verkaufen, Australien ist denen doch egal."
Warum kann nur eine gigantische Kohlemine den Menschen in Nordqueensland Arbeit verschaffen? Warum riskiert die Regierung die Unversehrtheit des Großen Artesischen Beckens, eines riesigen unterirdischen Wasserreservoirs, und erlaubt den Betreibern der Adani-Mine, jährlich 12 Milliarden Wasser daraus abzupumpen? Und mit wie vielen australischen Steuergeldern soll das Projekt gefördert werden, um einen indischen Milliardär noch reicher zu machen? Die Adani-Mine ist der Lackmustest für den Bergbau in Australien. Wird sie zum Milliardengrab, wäre das wohl der Anfang vom Ende der Kohleförderung. "Stop Adani"-Aktivisten hoffen auf Veränderung: Dass ihre Protestbewegung letztendlich zu einer australischen Klimapolitik führt, die diesen Namen auch verdient - egal, ob der Kohlepreis steigt oder fällt.