Autorin: Stephanie Kowalewski
Sprecherin und Sprecher: Stephanie Kowalewski, Norbert Schwarz
Regie: Klaus-Michael Klingsporn
Ton: Jan Fraune
Redaktion: Martin Mair
Produktion: Deutschlandfunk Kultur 2019
Darf's ein bisschen mehr sein?
32:02 Minuten
Ultraschall der Eierstöcke, PSA-Test, Hyaluronsäure fürs Knie: Solche "individuellen Gesundheitsleistungen" (IGeL) müssen Patienten selbst bezahlen. Für die Ärzte ein Milliardengeschäft - nicht unbedingt zum Wohl des Patienten.
An den individuellen Gesundheitsleistungen – kurz IGeL - scheiden sich die Geister. Notwendig und wirksam sagen die einen, verzichtbar und schädlich sagen die anderen.
Seit 1998 dürfen niedergelassene Ärzte Selbstzahlerleistungen anbieten. Anfangs gab es etwa ein Dutzend IGeL, die die Patienten aus der eigenen Tasche zahlen mussten. Heute sind es mehrere hundert, sagt Christian Weymayr. Er ist Projektleiter beim IGeL-Monitor, der Patienten über den Nutzen und Schaden einzelner IGeL informiert.
"Ich registriere die Anfragen von Nutzerinnen und Nutzern, welche IGeL ihnen unter den Nägeln brennen, welche sie gerne bewertet haben wollen", so Wermayr. "Die Liste ist mittlerweile fast 400 Einzelleistungen lang und sie wächst ständig."
Die Bandbreite reicht vom Sport-Check über Hyaluronsäure-Spritzen bei Kniearthrose bis hin zum PSA-Test zur Früherkennung des Prostatakrebses. Es ist ein ziemlich ungeregelter und undurchsichtiger Markt. Etwas Licht ins Dunkel hat jetzt die jüngste Analyse des wissenschaftlichen Instituts der AOK gebracht.
Die Ergebnisse:
- Mehr als jedem vierten gesetzlich Versicherten sind im vergangenen Jahr Selbstzahlerleistungen angeboten worden. Das sind rund 18 Millionen Menschen.
- Rund ein Viertel der Patienten hat sie dann auch tatsächlich in Anspruch genommen.
- Im Durchschnitt kostet eine IGeL-Leistung 74 Euro.
- Der Umsatz liegt bei rund einer Milliarde Euro pro Jahr.
- Fast immer ging die Initiative dazu vom Arzt aus - und nicht vom Patienten – wie es die Bundesärztekammer eigentlich vorschreibt.
"Ja, das ist sehr deutlich", sagt Gerhard Schillinger vom AOK-Bundesverband. "Also je mehr Geld die Menschen verdienen, desto häufiger wird es angeboten – interessanterweise Frauen auch häufiger als Männern. Wie krank die Menschen sind, spielt augenscheinlich keine Rolle für das Angebot."
Erschreckend findet das die Patientin Iris Brenkers: "Fühlt sich so an, als würde es da um was Wirtschaftliches für den Arzt gehen und nicht um meine Gesundheit."
Zum Beispiel Glaukom-Früherkennung
Beispiel Augenuntersuchung zur Früherkennung des Glaukoms, also des grünen Stars.
"Ich sage Ihnen mal eine Standardsituation, die fast allen Patientinnen und Patienten passiert", so Gregor Bornes, Patientenberater beim Kölner Gesundheitsladen. Der Verein macht sich seit mehr als 30 Jahren für die Belange von Patienten stark.
"Sie gehen zum Augenarzt und das Erste, was sie angeboten bekommen, ist die Augeninnendruckmessung. Und die bekommen Sie oft noch nicht mal vom Arzt angeboten, sondern von der Praxishelferin. Und das ist auf diese Art und Weise von vorne bis hinten Mumpitz. Weil, diese Art von medizinischer Untersuchung muss vom Arzt individuell als notwendig erkannt und verordnet werden."
Auch der IGeL-Monitor bewertet die Untersuchung zur Glaukom-Früherkennung mit "tendenziell negativ", meint also, der Schaden wiegt höher als der Nutzen. Dennoch gehört sie zu den am häufigsten verkauften Selbstzahlerleistungen.
"Es wird einfach unterschiedslos allen angeboten und in einer Art und Weise, dass man sehr viel Mut haben muss, drum rum zu kommen oder es abzulehnen", kritisiert Borne. "Tut jetzt auch nicht so weh, kostet 'nur' 20 Euro. Das kann man den meisten Leuten aus der Tasche leiern. Da macht dann die Menge die Einnahme für den Arzt."
Der Arzt als Verkäufer
"Man kann auch sagen, das ist alles Ausdruck der Ökonomisierung des Gesundheitswesens", findet der Kölner Hausarzt Achim Mortsiefer, der die Privatleistungen eher kritisch sieht.
"Die Ökonomisierung haben nicht die Ärzte angefangen, sondern das ist ein Trend, der gesellschaftlich und politisch gewollt ist: also zum Beispiel Wettbewerb, Leistungsbezogenheit der Vergütung, Patient, der mündiger sein soll, was ich gut finde, aber was eben auch so einen Kundencharakter bekommt."
Und die Ärzte sind seit der Einführung der Selbstzahlerleistungen nicht mehr nur Therapeuten, sondern auch Verkäufer, beklagt Patientenberater Gregor Bornes: "Da fängt für mich eine Grauzone an, wo die Ethik in der Medizin einer Ethik des Geldverdienens untergeordnet wird. Das finde ich hoch problematisch."
Die Mediziner halten dagegen, dass die meisten Praxen ohne IGeL und Privatpatienten pleite wären. So war es war vor einiger Zeit in der Ärztezeitung zu lesen. Das ist Jammern auf sehr hohem Niveau, kritisiert Gerhard Schillinger vom AOK-Bundesverband. Er macht eine andere Rechnung auf:
"Die Ärzte verdienen netto im Durchschnitt mehr als 7000 Euro pro Monat, da sind alle Kosten weg – für die Praxis, das Personal - das ist der reine Verdienst nach Steuern", betont er.
"Und für diesen Verdienst zahlen wir als Krankenkassen pro Jahr 37 Milliarden Euro. Dazu kommt noch das Geld der privatversicherten Patienten und jetzt kommt noch mal eine Milliarde Euro obendrauf für IGeL-Leistungen. Wenn an diesen das Wohl und Wehe der Arztpraxis hängt, dann täte es mir sehr leid. Das glaube ich nicht."
Wie viel einzelne Ärzte mit den individuellen Gesundheitsleistungen verdienen, weiß niemand. Es gibt keine offiziellen Zahlen. Klar ist aber: Allgemeinmediziner und Kinderärzte igeln vergleichsweise wenig, während bei vielen Fachärzten Selbstzahlerleistungen inzwischen selbstverständlich dazu gehören. Spitzenreiter sind Frauenärzte, Augenärzte und Orthopäden.
Ultraschall zur Krebsfrüherkennung
Neben der Glaukom-Früherkennung ist der Ultraschall zur Krebsvorsorge bei Frauen die mit Abstand meist verkaufte Privatleistung. Diese beiden Untersuchungen machen 45 Prozent des gesamten IGeL-Marktes aus.
"Man kann hier schon Veränderungen, die fünf Millimeter sind ganz gut darstellen, wenn sie da wären", erklärt Bernd Bankamp. Er ist Frauenarzt und Sprecher seines Berufsverbades in Nordrhein. In seiner Krefelder Praxis spielen die IGeL, die hier Wunschleistungen heißen, eine gewichtige Rolle – auch wirtschaftlich:
"Auf jeden Fall, ja. Weil wir ja auch entsprechend teure Geräte haben. Ich habe jetzt gerade zwei neue Ultraschallgeräte angeschafft und die Kosten dafür belaufen sich pro Gerät, je nachdem was es kann, auf zwischen 20.000 bis 50.000 Euro. Und die Einnahmeseite ist ja relativ budgetiert."
Im Durchschnitt bekommt der Frauenarzt für die Versorgung einer Patientin knapp 20 Euro pro Quartal von der Krankenkasse.
"Mit den 20 Euro ist mein gesamter Aufwand abgerechnet – egal wie oft sie kommt, egal was ich mache", sagt Bankamp.
Die 20 Euro fließen aber auch, wenn sich eine Frau nur ein Rezept abholt. Es ist eben eine Mischkalkulation. Will der Arzt mehr an einer Patientin verdienen, geht das nur über die individuellen Gesundheitsleistungen – wie etwa Früherkennungsuntersuchungen.
Gut ein Drittel kommt als Vorsorge-Patientin", erklärt der Frauenarzt. "Und bei diesen Patientinnen ist das Thema IGeL-Ultraschall zum Beispiel – ja, Standard."
IGeLn lohnt sich
So auch bei Stephanie Helders. Einmal im Jahr kommt die 43-Jährige zur Krebsfrüherkennung in die Krefelder Praxis.
"Sie kennen unsere Wunschleistungen?", wird sie gefragt. Stephanie Helders bejaht. "Ich sag mal vaginaler Ultraschall, Ultraschall vom Busen oder auch diverse andere Zusatzleistungen. Haben Sie dazu noch Fragen oder haben sie sich schon entschieden, ob sie von den Dingen etwas machen möchten? Wir machen wie immer: einmal Ultraschall Vaginalbereich und vom Busen."
Beides zahlt die Patientin aus der eigenen Tasche.
"Für mich ist das in Ordnung, weil ich denke, das Gesundheitssystem muss ja auch noch finanzierbar bleiben für alle", sagt Helders. "Es beruhigt mich persönlich einfach mehr. Das kostet komplett jetzt 110 Euro. Der Vaginalbereich 44 Euro und der Busenbereich 66 Euro."
110 Euro - das ist mehr als fünfmal so viel, wie der Arzt für die Behandlung einer Patientin im gesamten Quartal von den Kassen bekommt. "Igeln" lohnt sich finanziell also deutlich. Da wundert es nicht, dass in vielen Arztpraxen mit Plakaten, Broschüren und Werbefilmen dafür geworben wird.
"Wir haben auch im Wartezimmer so ein Wartezimmer-TV, wo tonlos ab und zu so Filme eingespielt werden zum Beispiel zum Ultrasachall vom Busen, wo auch manche Patientinnen uns darauf ansprechen", sagt Frauenarzt Bernd Bankamp. "Das soll nicht aufdringlich wirken aber es soll natürlich Interesse wecken."
Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient leidet
Es gibt sogar Kurse für Ärzte und Praxispersonal, wie sie besser "igeln" können.
"Ja, das zeigt, dass es hier um Verkaufen geht", kritisiert Christian Weymayr vom IGeL-Monitor.
Das alles belastet das wichtige Vertrauensverhältnis zum Arzt. Mehr als 70 Prozent der Versicherten fürchten, dass sich die Beziehung zu ihrem Arzt durch die IGeL verschlechtert. Das hat die jüngste Befragung der AOK gezeigt. Und es schürt das gegenseitige Misstrauen. In einer Pressemeldung des Berufsverbandes der Frauenärzte heißt es beispielsweise:
"Die Krankenkassen haben mit dem IGeL-Monitor ein Instrument geschaffen, das diese modernen Individuellen Gesundheits-Leistungen in der Öffentlichkeit vielfach in Misskredit bringt und gleichzeitig tiefes Misstrauen gegen Ärztinnen und Ärzte sät, die diese Leistungen erbringen."
Und Christian Weymayr beklagt, dass die vielen Selbstzahlerleistungen den Eindruck vermitteln, die Kassenleistungen reichen nicht: "Also, wenn Ärzte auftreten, ja, das ist hier Holzklasse, was die Kassen bezahlen und das richtig Gute, das muss ich dir leider selber verkaufen – dann erschüttert es das Vertrauen, und das finde ich nicht gerechtfertigt."
Auf den Internetseiten mancher Ärzte klingt das dann so:
"Ausreichende oder bestmögliche Medizin? Entscheiden Sie, was Ihnen Ihre Gesundheit wert ist!"
Jeder dritte Patient fühlt sich unter Druck gesetzt
Aber wie soll der Patient entscheiden, ob die Kassenversorgung ausreicht, oder ob es doch ein bisschen mehr sein darf?
"Ich denke, dass Informiertsein schon ein wichtiger erster Schritt zur Mündigkeit ist", sagt Christian Weymayr. "Und der IGeL-Monitor kann da etwas Unterstützung leisten."
Ebenso wie Patientenberatungsstellen und Verbraucherzentralen. Doch in den Praxen wird den Versicherten oft ein schlechtes Gewissen gemacht, kritisiert die 44-jährige Patientin Iris Brenkers:
"Ich finde das sehr schwierig heute, egal ob beim Hautarzt, Gynäkologen oder Zahnarzt. Überall hat man das Gefühl, das müsste mir ja eigentlich meine Gesundheit wert sein. Also alleine, dass diese IGeL-Leistungen existieren, alleine, dass die einem angeboten werden, vermittelt einem ja schon das Gefühl, ich bin nicht sorgsam genug mit mir und meiner Gesundheit, wenn ich die jetzt nicht in Anspruch nehme. Alleine durch die Plakate, die in den Wartezimmern hängen, fühle ich mich schon unter Druck gesetzt."
Den Druck in der Praxis spüren offenbar viele. Die jüngste Analyse des wissenschaftlichen Instituts der AOK hat ergeben, dass sich jeder Dritte bei seiner Entscheidung für oder gegen eine Selbstzahlerleistung stark beeinflusst fühlt. Gregor Bornes vom Kölner Patientenladen rät dennoch zur Gelassenheit, denn:
"Das Gute an Privatangeboten ist: die sind nie dringend. Ich bin nicht tot am nächsten Morgen, wenn ich das nicht tue. Sie können immer sagen: Können wir beim nächsten Mal drüber sprechen? Heute nicht, vielen Dank."
Nur zwei Leistungen gelten als tendenziell positiv
Tatsächlich ist der Nutzen nur bei wenigen der vielen hundert Angebote unstrittig – etwa beim Sportcheck für den Tauchkurs oder der Impfung vor einer Fernreise. Bei fast allen anderen individuellen Gesundheitsleistungen ist das nicht so klar, denn eine generelle Qualitätskontrolle gibt es nicht. Der IGeL-Monitor – eine Art TÜV für die individuellen Gesundheitsleistungen - versucht diese Lücke zu verkleinern, sagt Christian Weymayr.
"Wir haben 50 IGeL-Leistungen bewertet. Wir haben fünf Kategorien: positiv bis negativ. Es ist keine dabei, die wirklich ganz klar positiv ist, aber immerhin zwei tendenziell positiv."
Das sind die Akupunktur bei Migräne und die Lichttherapie bei der Winterdepression. Hier deuten Studien darauf, dass die Therapie tatsächlich hilft.
"Die Hälfte der Bewertungen ist unklar bei uns. Das sind eigentlich die IGeL, die im IGeL-Markt auch ihren Platz haben, wenn man sagt Nutzen und Schaden halten sich die Waage. Das wäre ein Markt, wo ich sagen würde, das ist ok."
Die Bewertung "unklar" hat zum Beispiel die Professionelle Zahnreinigung bekommen. Ebenso der PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs. "Unklar" heißt: Nutzen und Schaden dieser IGeL sind etwa gleich groß, oder es gibt zu wenige Studien, um eine klare Aussage treffen zu können.
21 der 50 untersuchten Selbstzahlerleistungen bewertet der IGeL-Monitor als tendenziell negativ – dazu gehören die Hyaluronsäure-Spritzen bei Kniearthrose und die Messung des Augeninnendrucks zur Früherkennung des Grünen Stars.
Negativ bewertet: Ultraschall der Eierstöcke
Vier IGeL sind sogar völlig durchgefallen und mit negativ bewertet worden. Das gilt unter anderem für durchblutungsfördernde Infusionen bei einem Hörsturz und den Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung. Diese Methoden schaden deutlich mehr, als sie nutzen.
Derart vernichtende Urteile nimmt die Ärzteschaft nicht kommentarlos hin.
"Das ist schon sehr komisch, dass alle unklar oder schlecht wegkommen. Das kann auch nicht sein. Da stimmt auch mit dem System was nicht", sagt Bernd Bankamp, Gynäkologe in Krefeld und Sprecher des Berufsverbades der Frauenärzte in Nordrhein. Er wirft dem IGeL-Monitor vor, nicht objektiv zu sein, sondern der verlängerte Arm der Krankenkassen. Es geht darum, Untersuchungen und Therapien zu verhindern, so der Vorwurf. Es stimmt, dass die gesetzlichen Kassen den IGeL-Monitor finanzieren, sagt Projektleiter Christian Weymayr, aber:
"Es ist schon eine Menge Arbeit, darf man nicht unterschätzen. Ist ein großer Aufwand. Da braucht es auch jemanden, der das Geld in die Hand nimmt. Und in dem Fall waren es eben die Kassen. Obwohl wir kassenfinanziert sind, sind wir völlig unabhängig in den Bewertungen und in der Auswahl der Bewertungen."
Welche IGeL überprüft werden, hängt unter anderem davon ab, wie häufig sie angeboten und genutzt werden. Jede dieser Privatleistungen wird von externen Gutachtern nach den Prinzipen der evidenzbasierten Medizin unter die Lupe genommen. Die Bewertung stützt sich also ausschließlich auf wissenschaftliche Studien. Welche das sind, wird auf den Internetseiten des IGeL-Monitors veröffentlicht. Ein transparenter und unabhängiger Prozess, findet Patientenberater Gregor Bornes:
"Die Ärzteschaft hat es noch nicht einmal geschafft, irgendeine von den als überflüssig identifizierten IGeL-Leistungen zu belegen, dass das doch sinnvoll ist. Insofern kann man sich getrost zurücklehnen."
Mit IGeL mehr Geld verdienen
Denn wenn die Mediziner vom Nutzen einer Selbstzahlerleistung überzeugt sind, können sie sie beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) prüfen lassen. Die Selbstverwaltung der Ärzte, Krankenkassen und Krankenhäuser kann die Behandlung zur Kassenleistung machen: Die Stoßwellentherapie beim Versenschmerz etwa war einst IGeL-Leistung. Jetzt zahlt das die Krankenkasse. Doch das Interesse der Ärzte hält sich in Grenzen.
"Man muss sehen, was der G-BA daraus macht", gibt der Frauenarzt Bernd Bankamp zu bedenken.
"Wir haben das gesehen im Rahmen des Chlamydien-Screenings. Haben wir auch damals gesagt: ist eine sinnvolle Geschichte. Ist dann aufgenommen worden und zu null Euro eingepreist worden. Das heißt, es wird gemacht, aber es gibt nicht einen Euro mehr dafür. Da muss ich jetzt als Niedergelassener sagen, das ist jetzt gar nicht so toll, wenn es reine Kassenleistung würde, wenn es nicht umgesetzt wird in etwas mehr Geld, denn die Geräte muss ich weiterhin selber kaufen."
Im Klartext: Mit IGeL verdienen Mediziner mehr Geld, als wenn die Krankenkasse die Leistung bezahlt.
Es fehlt an hochwertigen Studien
Der ausschließlich streng wissenschaftliche Blick auf die individuellen Gesundheitsleistungen hat auch eine Schattenseite, räumt Gregor Bornes vom Kölner Patientenladen ein, denn medizinische Verfahren ohne große Studien bleiben außen vor:
"Das ist eine Schwierigkeit in dieser ganzen Debatte, dass nur die hochwertigen Studien gut genug sind, um fachlich klare Kante zu zeigen und es eine Menge Graubereiche gibt."
Genau diese Graubereiche sind jedoch fester Bestandteil im medizinischen Alltag, sagt der Kölner Hausarzt Achim Mortsiefer:
"Es wird ja immer gesagt, der Arzt soll das machen, was notwendig ist, und das, was nicht notwendig ist, soll er nicht machen. Aber so einfach ist es eben nicht, weil ja immer Risikoabwägungen dahinter stehen. Es ist nützlich, dass man das grundsätzlich macht, wissenschaftliche Evidenz, aber als Regel, der dann alle unterworfen sind, das geht gar nicht, weil wir eine hohe Behandlungsvariabilität haben und die auch sein muss. Und es ist auch eine Art von Zuwendung, also dann machen wir noch mal Ultraschall und dann gucken wir nochmal ganz gründlich. Das hat auch eine Eigendynamik, der auch schwer zu entkommen ist."
Es drohen Überbehandlung und Falschbehandlung
So kommt es, dass Untersuchungs- und Behandlungsmethoden ohne wissenschaftlich nachgewiesenen Nutzen dennoch angeboten werden. Bei einem Großteil der Selbstzahlerleistungen geht es darum, bei gesunden Menschen so früh wie möglich Krankheiten aufzuspüren. Die Idee klingt einleuchtend. Stephanie Helders zum Beispiel kommt einmal im Jahr zur Krebsfrüherkennung zu ihrem Frauenarzt Bernd Bankamp.
"Da gehört routinemäßig dazu, dass ich eine Anamnese mache, untersuche, Abstrich mache, das ist der Pap-Abstrich", erklärt er.
Bis hierhin ist es Kassenleistung.
"Und dann ist die Frage, möchte die Patientin ein bisschen mehr, als das Notwendige. Die Krebsvorsorge im Rahmen der Kassen nach den so genannten WANZ-Kriterien, also Wirtschaftlichkeit, Ausreichend, Notwendig, aber nicht mehr als zweckmäßig. Also in der Schule würde man sagen 4+. Ist sicher ok und viel besser als in anderen Ländern. Aber ich könnte auch ne 2 draus machen, wenn zusätzlich der vaginale Ultraschall gemacht wird."
Da ist er wieder, der Richtungsstreit: Die einen sagen Kassenleistung reicht, und ist gut. Die anderen sagen, es reicht nicht, und es geht besser. Auch viele Patienten wundern oder ärgern sich, dass sie sogar bei der Krebsfrüherkennung aus eigener Tasche zuzahlen sollen. Gerhard Schillinger vom AOK-Bundesverband versucht, das zu erklären:
"Wenn es einen klaren Nutzen hat, dann kommt es auch in die Versorgung, die die Kassen bezahlen. Und wenn der Nutzen nicht klar ist oder sogar weniger ausgeprägt ist wie der Schaden, dann zahlt es die Kasse auch nicht."
Tatsächlich ist in vielen Fällen nicht belegt, dass eine Früherkennungsuntersuchung wirklich nützlich ist. Manche schaden sogar, warnt Patientenberater Georg Bornes:
"Die ergeben eben nicht: krank oder nicht, sondern die ergeben fast immer nur ein Indiz, auf das weitere Untersuchungen folgen. Es passieren viele Fehler. Und wenn diese Ungenauigkeit der Tests zu groß ist, dann führt man sie besser nicht durch, weil sie bei viel zu vielen Patientinnen und Patienten zu Überbehandlung, zu Falschbehandlung, zu Mehrbehandlung führt."
Viele unnötige Operationen sind die Folge
Beispiel vaginaler Ultraschall der Eierstöcke zur Krebsfrüherkennung.
Hier haben große Studien gezeigt, dass keine Frau dadurch länger lebt, aber viele unnötig operiert wurden.
"Das heißt, es wurde festgestellt, es ist Krebs da, wo gar kein Krebs da war", sagt Schillinger. "Darum ist so eine Leistung eher negativ zu sehen, sie hat mehr Schaden als Nutzen."
Dennoch wird diese Selbstzahlerleistung angeboten! Massenhaft. Wie kann das sein?
"Es geht ja nicht nur um den Eierstockkrebs", meint Frauenarzt Bankamp, Sprecher seines Berufsverbades in der Region Nordrhein.
"Wenn ich von der Scheide aus schalle, sehe ich z.B. im Bereich der Blase: entleert sie sich gut oder nicht. Ich sehe im Bereich der Gebärmutter: gibt es Myome, gutartige Veränderungen. Sind die Eierstöcke normal oder erwarten wir eventuell in den nächsten ein bis zwei Jahren Beschwerden, dann weiß man schon wo die Reise hingeht. Es muss jeder Patient für sich entscheiden, möchte ich ein bisschen mehr wissen als das Nötigste..."
Andere sagen: das Ausreichende…
"…oder möchte ich es eben nicht. Wir bieten was an, wo wir glauben, das macht Sinn, aber wir werden keinen nötigen."
"Der Nutzen der Früherkennung ist relativ gering"
Aber glauben ist eben nicht wissen. Krankenkassen, Ärzte und Patienten sind auf nachprüfbare und objektive Fakten aus Studien angewiesen, wenn sie den Nutzen von Therapie- und Diagnoseverfahren bewerten wollen, stellt der Allgemeinmediziner Achim Mortsiefer klar:
"Und ich sage immer, dass ja der Nutzen dieser ganzen Früherkennung – auch wenn das Ärzte, Patienten und Politiker immer nicht so gerne hören – relativ gering ist im Vergleich zum gesunden Leben, also z.B. nicht rauchen, Sport machen, glücklich sein. Das ist wichtig. Sodass wir grundsätzlich sagen, bleiben Sie mal ruhig bei dem klassischen Früherkennungsprogramm, was die Krankenkassen empfehlen. Und das, was nicht da in den Katalog aufgenommen wird, das ist in der Regel vom Nutzen her nicht eindeutig gesichert."
Aber es geht letztlich immer auch um die individuelle Risikoabwägung, um das persönliche Sicherheitsbedürfnis, sagt der Arzt. Während Stephanie Helders, die langjährige Patientin des Krefelder Frauenarztes, die Frage, ob es ein bisschen mehr sein darf, eindeutig mit Ja beantwortet…...
"Meine Gesundheit ist mir einfach wichtig. Die hat Priorität in meinem Leben und ich mache es, weil ich mich dann besser fühle. Mehr Sicherheit habe."
...winkt die 60-jährige Christel Treetzen entspannt ab.
"Ich bin der Meinung, dass das, was die Kasse gesetzlich vorschreibt, in meinem Fall reicht. Wenn der Doktor jetzt irgendetwas feststellen würde, was ihn beunruhigt, könnten wir immer noch über weitere Untersuchungen reden."
Es fehlt an neutraler Information
Damit sich Patienten frei und mit guten Gewissen für oder gegen eine Selbstzahlerleistung entscheiden können, gibt es Regeln, auch von der Ärzteschaft selbst. Mehr als Empfehlungen sind sie aber nicht. Sanktionsmöglichkeiten Fehlanzeige. Und so machen viele Patienten ihrem Ärger beim IGeL-Monitor Luft:
"Tausendfach haben wir diese Zuschriften", sagt Christian Weymayr. "Wir gucken mal." Er klickt sich durch die Zuschriften der letzten Monate.
Hier ein paar Beispiele für häufige Regelverstöße:
- Weiterbehandlung wird verweigert.
"Also hier schreibt ein Herr: Bin 81 Jahre alt, ich soll 20 Euro für eine Kontrolluntersuchung zahlen, sonst ist eine Untersuchung nicht möglich. Gemeint ist damit, was wir öfter hören, dass Ärzte eine ganz normale Kassenleistung davon abhängig machen, ob Versicherte eine IGeL kaufen und das ist ein absolutes Unding."
- Nicht der Arzt informiert, sondern das Praxispersonal.
Leider keine Seltenheit, wie die Patientin Iris Brenkers bestätigt:
"Mit fehlt einfach die Information bei solchen IGeL-Leistungen. Ich hab die Erfahrung gemacht, ich komme zum Arzttermin und werde von der Sprechstundenhilfe zum kurzen Vorgespräch gebeten. In diesem Vorgespräch soll ich mich schon entscheiden, welche IGeL ich gerne hätte, ohne vorher mit dem Arzt gesprochen zu haben. Ich fühle mich überrumpelt."
- Patienten werden nicht sachlich und wertneutral aufgeklärt.
"Hier schreibt auch ein Herr: Haben Sie eine Beurteilung zur Messung der Hornhautdicke? Der Augenarzt hat uns total kirre gemacht. Also, es ist eben keine entspannte, neutrale Aufklärung, sondern das müssen Sie machen, das ist wichtig, das sollte Ihnen Ihre Gesundheit doch wert sein."
Laut der jüngsten Erhebung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK fühlt sich nur rund die Hälfte der Patienten gut über Nutzen, Risiken und die Notwendigkeit der Zusatzleistung aufgeklärt.
- Ablehnung einer angebotenen IGeL soll unterschrieben werden.
"Ganz, ganz wichtig", sagt Frauenarzt Bankamp. "Wir lassen auch zu meiner Absicherung immer unterschreiben, wenn sie keine Wunschleistung möchte."
Frauenarzt Bernd Bankamp findet das völlig richtig. Völlig falsch findet es der Patientenberater Gregor Bornes:
"Das ist nicht zulässig. Das dient ganz klar dem Druck, der da aufgebaut wird: Wenn Sie sterben – so nach dem Motto – bin ich nicht schuld, weil Sie haben ja die Vorsorgeuntersuchung nicht machen lassen."
- Es wird weder ein Vertrag noch eine Rechnung ausgestellt.
"Das findet in weniger als der Hälfte der Fälle statt", sagt Gerhard Schillinger vom AOK-Bundesverband.
Dabei ist das eine eindeutige Vorschrift bei Privatleistung im medizinischen Bereich.
Manche IGeL sind Kassenleistung geworden
Ärzte, die sich an die Spielregeln halten, klären sachlich und verständlich über den Nutzen und mögliche Risiken einer individuellen Gesundheitsleistung auf. Sie erklären, warum sie die Kasse nicht zahlt und sie räumen dem Patienten Bedenkzeit ein. Aber ist das im oft hektischen Praxisalltag realistisch?
"Nicht realistisch. Nein! Ganz klar", sagt der Krefelder Frauenarzt Bernd Bankamp.
"Wir haben 20 Minuten Zeitfenster pro Patient eingeplant. Das ist schon sehr gut. Da ist auch Zeit fürs Gespräch. Sie kaufen ja damit kein Auto. Es ist ja nicht so, dass Sie sich verausgaben mit den Wunschleistungen. Also, ich mache jetzt auch keine Nutzen-Schaden-Analyse, ne. Wir sagen, was es gibt, sagen, wo der Vorteil ist, wir sagen, was es kostet, wir lassen sie unterschreiben. Wenn die Patientin sagt, ich weiß noch nicht, ist das ok. Und die, die regelmäßig kommen, da braucht man nicht jedes Mal den ganzen Sermon von vorne anzufangen."
"Wir haben 20 Minuten Zeitfenster pro Patient eingeplant. Das ist schon sehr gut. Da ist auch Zeit fürs Gespräch. Sie kaufen ja damit kein Auto. Es ist ja nicht so, dass Sie sich verausgaben mit den Wunschleistungen. Also, ich mache jetzt auch keine Nutzen-Schaden-Analyse, ne. Wir sagen, was es gibt, sagen, wo der Vorteil ist, wir sagen, was es kostet, wir lassen sie unterschreiben. Wenn die Patientin sagt, ich weiß noch nicht, ist das ok. Und die, die regelmäßig kommen, da braucht man nicht jedes Mal den ganzen Sermon von vorne anzufangen."
Es ist auch aus Patientensicht nicht realistisch, findet Christel Treetzen.
"Das wird angeboten und ich hab die Möglichkeit Nein zu sagen. Ich hab ja die Wahlmöglichkeit."
Soweit die Theorie. Im Alltag ist die 60-Jährige aber froh, überhaupt zeitnah einen Termin beim Facharzt zu bekommen. Da muss man als Patient auch schon mal die eine oder andere Kröte schlucken, oder sich eben auf eine Diskussion mit dem Arzt einstellen, sagt sie.
"Ich kenne wohl einen Arzt, der mal ganz massiv böse war, weil ich die IGeL-Leistung nicht genommen habe, der aber einen Befund hatte. Nur, wenn er Befund hat und muss die Leistung dann über die gesetzliche Krankenkasse abrechnen, kann er natürlich keine IGeL, die ja wesentlich mehr einbringt, abrechnen. Das fand ich nicht so nett. Da in dem Bereich aber die Ärzte knapp sind, bin ich ja wohl gezwungen, weiter zu dem Doktor hinzugehen."
Tatsächlich gibt es IGeL, die bei Krankheitsverdacht oder ab einem bestimmten Alter zur Kassenleistung werden. Dazu gehören auch der Ultraschall der Eierstöcke, der PSA-Test beim Urologen oder die Glaukomfrüherkennung.
Aber die meisten Selbstzahlerleistungen richten sich an gesunde Menschen, die sie nach Ansicht des Kölner Hausarztes Achim Mortsiefer gar nicht brauchen:
"Das ist ein großes Problem, was wir bei IGeL haben – abgesehen davon, dass es meistens nicht viel nützt. Aber es ist auch so, dass die Patienten mündiger werden, sie recherchieren und auch selbst eine Nachfrage in Gang setzen. Ich sag mal ein Beispiel. Patient kommt und will den Testosteronwert bestimmt haben, er würde den auch selbst zahlen. Sag ich: gibt jetzt zwei Möglichkeiten. Wir machen den jetzt, Sie kriegen den Wert und gehen nach Hause oder aber wir gucken, was steckt dahinter, welche Beschwerden."
Letztlich kam heraus, dass der Mann sich ständig müde fühlte und dafür eine Erklärung suchte. Arzt und Patient einigten sich in einem langen Gespräch darauf, bestimmte Blutwerte zu testen, die die Krankenkasse bezahlt.
Der Mann hatte tatsächlich eine Erkrankung, die aber mit dem Hormonspiegel nichts zu tun hatte.
"Ja, das ist eben Praxis", sagt Achim Montsiefer. "Wir haben Patienten mit unterschiedlichen Sicherheitsbedürfnissen. Die Menschen brauchen unterschiedliche Ansprachen und es gibt verschiedene Wege, die wir mitgehen – mal mit mehr, mal mit weniger Bauchschmerzen."
Die Patienten müssen auch mal Nein sagen
So ist letztlich der gesamte IGeL-Markt: Er bereitet allen Beteiligten mal mehr, mal weniger Buchschmerzen.
Für weniger Bauchschmerzen im IGeL-Markt könnten Ärzte sorgen, die penibel darauf achten, dass die Therapie im Vordergrund steht und nicht der Verkauf von individuellen Gesundheitsleistungen.
Heilsam wäre es auch, wenn Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen, die das Geld an die niedergelassenen Ärzte verteilen, das Gespräch zwischen Arzt und Patient besser vergüteten.
Und wir Patienten? Wir sollten tatsächlich so mündig werden, dass wir uns trauen, Fragen zu stellen. Und selbstbewusst Nein zu sagen, wenn wir von einer Selbstzahlerleistung nicht überzeugt sind.