Hafen mit Hindernissen
Als Jahrhundertprojekt lobten Politiker den JadeWeserPort in Wilhelmshaven einst. Hunderte Millionen Euro wurden in den Bau von Deutschlands einzigem Tiefwasserhafen gesteckt. Nach der Eröffnung im September 2012 fand aber kaum ein Schiff zu der gewaltigen Anlage.
Behutsam steuert David de Leeuw seinen 45 Meter langen Kutter "Royal Frysk" durch die Jademündung. In der Ferne macht der Kapitän bereits die Hafenanlagen des JadeWeserPorts mit ihren hoch aufragenden Kränen aus. Der Niederländer und seine drei Mitarbeiter an Bord sind "Bauern der Meere". So nennen sich die Muschelfischer, weil sie die jungen Miesmuscheln zunächst von Wildbänken sammeln, sodann auf günstiger gelegenen Kulturen aussähen, um sie dort ein bis zwei Jahre später zu ernten. Dabei muss Kapitän de Leeuw zusehen, dass er den gewaltigen Containerfrachtern, die Wilhelmshaven anlaufen, nicht in die Quere kommt:
"Das ist unsere elektronische Seekarte. Die Flächen sind ja in der Seekarte markiert, wo wir die ausgebracht haben - und so findet man die auch, ne?"
Ärgernis für die Muschelfischer
Im Schutz der Ostfriesischen Inseln wachsen die Muscheln in ein bis zwei Jahren zu ihrer vollen Verzehrgröße heran. Ein Muschelweibchen kann fünf bis zwölf Millionen Eier produzieren, sagt de Leeuws Kollege Karel Jan van Ijsseldijk. Doch das Volumen der angelandeten Meeresfrüchte geht seit Jahren zurück. Der Ausbau des Containerhafens nur wenige Seemeilen weiter südlich könnte dafür eine Ursache sein, vermutet van Ijsseldijk:
"Wenn man all die Änderungen sieht - der JadeWeserPort: Das geht nicht mit der Natur! Das stört uns! Und wir sehen auch wie sich das Wasser ändert durch die Baggerung. Das ist Wahnsinn!"
Für die Errichtung des Container-Terminals wurden im Jadestrom 47 Millionen Kubikmeter Sand aufgespült. Auch die Umweltorganisation WWF fürchtet, dass die Gezeitenströme im komplexen Lebensraum Wattenmeer nach zehn Jahren Bauzeit empfindlich gestört sein könnten.
Zurück an Land: Andreas Bullwinkel steht im Schatten einer riesigen Containerbrücke und schaut zu, wie der Hafenkran einen stählernen Transportbehälter nach dem anderen in den Laderaum eines vertäuten Frachters hievt. Die Klagen der Umweltschützer zählen noch zu den geringsten Sorgen, die den Geschäftsführer der Hafengesellschaft umtreiben:
"Wir müssen uns darum kümmern, dass wir Ladung finden, dass wir eine Ansiedlung oder Ansiedlungen bekommen, die dem Hafen Unterstützung geben. Und Eurogate muss dafür sorgen, dass noch mehr Reedereien hier regelmäßig anlaufen!"
Sehr bedächtiger Startbetrieb
Als "Jahrhundertprojekt" hatten Politiker in Bund und Ländern den einzigen Tiefwasserhafen in Deutschland einst gepriesen - doch seit der Eröffnung 2012 ging es hier eher bedächtig zu. Im Vorjahr haben sie in Wilhelmshaven 67.000 Container gelöscht. Für 2,7 Millionen der stählernen Boxen hätte es Kapazitäten gegeben. Nur zum Vergleich: 10 Millionen Container gingen im gleichen Zeitraum im Hamburger Hafen über die Kaimauer. Bullwinkel kennt die Zahlen, doch er sieht seinen Hafen nun im Aufwind:
"Das sind auch langwierige Prozesse, weil die Reeder auch langlaufende Verträge in den anderen Häfen haben. Wir glauben, dass die Durststrecke definitiv überwunden ist."
18 Meter tief ist das Wasser vor Wilhelmshaven. Im JadeWeserPort – direkt am Meer gelegen - können auch die Megafrachter der jüngsten Generation tideunabhängig anlegen. Mit bis zu 20.000 Standardcontainern – auf Neudeutsch: "TEU" - sind solche Schiffe beladen.
Die Lobbyisten des JadeWeserPorts erinnern gern daran, dass ihre Pläne für den Hafen zu einer Zeit reiften, als Reeder noch händeringend nach Kapazitäten suchten. Wilhelmshaven hatte, was der Konkurrenz in Hamburg und Bremerhaven fehlte: tiefe Wasser und reichlich Platz. Das klang einmal so einleuchtend, dass die Landesregierungen in Niedersachsen und Bremen 650 Millionen Euro für das Prestigeprojekt im strukturschwachen Ostfriesland locker machten.
Herausgekommen sind bislang nur Verluste. Denn nach der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 ging das Volumen der transportierten Container drastisch zurück. Seither ringen die deutschen Häfen miteinander um jedes Schiff.
Niedersachsens Ministerpräsident wirbt für Geduld
"Das war eine mutige aber auch eine sehr weitsichtige Entscheidung für den JadeWeserPort! Und daran wird der ganze Wirtschaftsstandort Deutschland noch viel Freude haben."
Warb Niedersachsen Ministerpräsident Stephan Weil bei einem Besuch im Sommer um Geduld für einen Hafen, dessen Zeit noch kommen werde. Erste Anzeichen dafür gibt es schon, bemerkt der Sozialdemokrat.
Im Mai bereitete eine tragische Havarie dem JadeWeserPort unverhoffte Kundschaft: Als in Bremerhaven eine Containerbrücke brach und in den Laderaum eines Schiffes stürzte, blieb der Liegeplatz über Wochen blockiert. Die Schiffe wurden den Sommer über nach Wilhelmshaven umgeleitet.
Unterdessen lassen die beiden weltgrößten Reedereien Maersk Line und Mediterranean Shipping Company (MSC) die Jadestadt im Wochenturnus von Containerschiffen ansteuern, die auf Handelsrouten nach Asien und in den Mittleren Osten verkehren. Kleinere Feederschiffe transportieren die gelöschten Container Richtung England, Skandinavien und in den Ostseeraum weiter.
Dass er zu wenig für den Hafenneuling trommelt, wie ihm die Landtagsopposition aus CDU und FDP vorhält, hört Stephan Weil nicht so gern. Von einer Reise ins ferne China brachte der Standortpolitiker jüngst frohe Kunde mit:
"Die Chinesen sind sehr klar, sie sagen: Der JadeWeserPort ist auf Sicht die Anlaufstation, die wir in Deutschland haben! - daran haben sie keinen Zweifel gelassen. In China ist mir dann auch übrigens als Erstes die Frage gestellt worden: Glauben Sie denn, dass die Kapazitäten ausreichen werden?"
Investitionsruine oder Zukunftsprojekt?
Zwar ist der Hamburger Hafen in Jahrhunderten gewachsen - und noch immer die Nummer eins in Deutschland. Aus Sicht der Reeder aber zieht sich das Verfahren um die Elbvertiefung schon quälend lange hin. Der Fluss muss breiter und tiefer werden, damit ihn die neuen Riesenfrachter überhaupt noch anlaufen können.
Wenn sich der weltweite Containerhandel wieder belebt, wird Wilhelmshaven wohl weniger mit Hamburg als vielmehr mit dem frisch ausgebauten Konkurrenzhafen Rotterdam wetteifern, vermutet Jan Ninnemann. An ein kooperatives norddeutsches Hafenkonzept wie es vor allem Umweltverbände fordern, glaubt der Logistik-Experte von der Hamburg School of Business Administration nicht:
"Der Ansatz, politisch hier Ladung steuern zu wollen, ist absolut unrealistisch! Das geht zum einen juristisch nicht, das geht vor allem nicht, weil die Ladung - wie man so schön sagt - sich ihren Weg sucht. Es gibt in der Tat im Hafen-Wettbewerb unterschiedliche Faktoren wie persönliche Kontakte, die man in Zollbehörden und anderen Administrationen hat, die eben bestimmte Prozesse vereinfachen. Trotzdem gilt natürlich eine grundsätzliche Ökonomie, das heißt, wenn ich einen Hafen nicht mehr attraktiv anlaufen kann, aufgrund der Zeitfenster, aufgrund weiterer Restriktionen, die ich am Standort habe, die auch die Planbarkeit und Verlässlichkeit meiner Verkehre massiv beeinflussen, dann wird einfach nur noch knallhart nach diesen wirtschaftlichen Faktoren entschieden."
Als Investitionsruine wurde der JadeWeserPort lange belächelt. Seehandels-Experte Ninnemann sagt voraus, dass die Schiffe noch kommen werden. Die rot-grünen Landesregierungen in Niedersachsen und Bremen glauben ohnehin an den späten Erfolg des Hafenprojekts. Die Politiker sind so optimistisch, dass sie derzeit eine zweite Ausbaustufe mit einer Studie zur Machbarkeit prüfen lassen.