Umstrittener Regisseur

"Er hat dem Dokumentarfilm Türen geöffnet"

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Der US-Dokumentarfilmer Michael Moore vor der Oscar-Verleihung 2012 © dpa/pa / Paul Buck
Moderation: Stephan Karkowsky |
Der Regisseur Michael Moore wird für seine polarisierenden Filme nicht nur gefeiert, sondern auch kritisiert - zu Recht, meint der Leiter des Leipziger DOK-Festivals, Claas Danielsen. Dennoch habe er sich um den Dokumentarfilm verdient gemacht.
Stephan Karkowsky: Es ist noch gar nicht allzu lange her, da gaben sich US-amerikanische Touristen in aller Welt als Kanadier aus. In den acht Jahren der Bush-Regierung 2001 bis 2009 schämten sich viele für das Bild, das man anderswo von den USA hatte. Daran hatte sicher auch der Welterfolg der Filme von Michael Moore seinen Anteil, allen voran "Bowling for Columbine" 2002. Moore beleuchtet darin polemisch das Schulmassaker von Littleton. Die US-Amerikaner stellt er als unbelehrbare Nation von Waffennarren dar.
Heute wird Moore 60, deshalb wollen wir seine Bedeutung einschätzen lassen vom Filmregisseur Claas Danielsen, seit zehn Jahren Direktor des Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm. Herr Danielsen, guten Tag.
Claas Danielsen: Einen schönen guten Tag!
Karkowsky: Leipzig verbindet mit Michael Moore eine lange Geschichte. Noch zu DDR-Zeiten, 1989, da gewann Moore auf der Dokumentarfilmwoche mit seinem Film "Roger and me" die silberne Taube. Und schon dieser Film galt als manipulativer Dokumentarfilm. Was war denn das Manipulative daran?
Danielsen: Ja, es ist so, dass er ja damals sich auf die Suche gemacht hat nach dem Chef von General Motors, der das Werk des Autoherstellers in Flint, Michigan, schließen wollte, und die ganze Spannung des Films oder die Dramaturgie bezog sich daraus, dass er immer wieder versuchte, den Chef damals vor die Kamera zu bekommen, und eigentlich daran scheiterte. Und es hat sich jetzt später, durch Recherchen von kanadischen Dokumentarfilmern, die einen Film über Michael Moore, also ein Porträt von ihm anfertigen wollten, herausgestellt zum Beispiel, dass ihm dieser Chef von General Motors damals ein Interview gegeben hat, aber Moore es lieber aus dem Film herausgelassen hat, weil es natürlich die Pointe gestohlen hätte, und er den Film nicht so hätte zuspitzen können, wie er es getan hat, und was den Film natürlich auch so erfolgreich gemacht hat, dass er auch hier in Leipzig damals, '89, als auf den Straßen der Stadt die Menschen für Freiheit und Demokratie demonstrierten, er auf die Straße hinauslief und sagte, was ist denn eigentlich hier los, warum sind die alle auf der Straße, was demonstrieren die. Und dann hat er auch noch einen Preis für seinen Film gewonnen.
Karkowsky: Halten Sie das denn für legitim, diese Michael-Moore-Methode, oder sollte er seinen Preis eher mal zurückgeben?
Moore hat "Grenzen der Sorgfalt überschritten"
Danielsen: Wir haben ihn ja noch versucht, 2007, als das Festival sein 50. Jubiläum feierte, diesen Preis zu übergeben und ihn einzuladen, und dann hat er aber leider kurzfristig abgesagt. Da wurde noch – die Ostmark wurde noch in tausend-irgendwas West-Mark transferiert, aber er ist dann leider nicht gekommen.
Also seine Methoden sind natürlich umstritten, und es ist auch so, dass man einerseits manchmal denkt, natürlich ist es auch okay, bestimmte Dinge zuzuspitzen und nicht alles im Detail darzustellen, aber wenn man dann sozusagen die Wahrheit wirklich verdreht oder ganz bewusst Falschaussagen macht, dann ist das etwas, wo Michael Moore meines Erachtens nach wirklich Grenzen auch der Sorgfalt überschritten hat - was ich jungen Dokumentarfilmern, wenn ich sie unterrichten würde, immer als tabu erklären würde, dass so was einfach nicht geht, weil man natürlich im Endeffekt sich selber unglaubwürdig macht.
Karkowsky: Reden wir über "Bowling for Columbine". Für diesen Film gab es 2003 den Oscar. Es war seinerzeit der finanziell erfolgreichste Dokumentarfilm aller Zeiten. Da zeigt Moore die USA als aggressiv-imperialistische, rassistische und natürlich waffenstarrende Nation. Bis heute streiten die Kritiker über den Wahrheitsgehalt der präsentierten Fakten. Was war das in Ihren Augen? War das ein Aufklärungsfilm oder blanker Antiamerikanismus?
Danielsen: Ich hab den Film damals im Kino gesehen, und ich habe ihn nicht als blanken Antiamerikanismus gesehen, sondern ich habe vielmehr die Bedeutung des Films darin für mich festgestellt, dass er auch so eine Art von Psychologie vieler Amerikaner aufgezeigt hat, was mir auch ein Verständnis verschafft hat, dass die Angst, die da tief eingegraben ist, nicht nur bei den Amerikanern, sondern das kennen wir natürlich auch, dass Angst ein ganz großes Machtinstrument auch ist, wenn sie von Politikern ausgenutzt wird. Und das, finde ich, ist nach wie vor eine große Leistung dieses Films, wo Michael Moore natürlich wiederum auch vieles zugespitzt hat, und manche werfen ihm Propaganda vor.
Aber es ist natürlich ein Pamphlet, was er da erstellt hat, und er hat damit, muss man auch sagen, dem Dokumentarfilm im Kino zu großem Erfolg verholfen. Es war so, dass danach auch große Verleiher plötzlich die Angst davor verloren, mal Dokumentarfilme ins Kino zu bringen und diese dann auch, sagen wir mal, sorgfältiger hergestellte Filme ein breiteres Publikum gefunden haben.
Karkowsky: Sie hören zum 60. Geburtstag von Michael Moore den Direktor des Internationalen Leipziger Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm, Claas Danielsen. Herr Danielsen, Sie haben es gesagt, Michael Moore hat natürlich auch etwas getan für den Dokumentarfilm. Würden Sie sagen, bis zu seinen Filmen hatten Dokumentarfilme im Kino eher wenig Zuschauer und dann kam "Fahrenheit 9/11", der Film nach "Columbine", der erste Dok-Film an der Spitze der US-Kinocharts, haben also Moores Filme anderen, wie zum Beispiel "Die Reise der Pinguine" oder Al Gores "Eine unbequeme Wahrheit" erst den roten Teppich ausgelegt?
Danielsen: Ich glaube, dass sie zum Beispiel den Filmverleihern die Angst vor dem Dokumentarfilm genommen haben, und dass sie auch ein breites Publikum in die Kinos gelockt haben, die gesagt haben, ah, so was Dokumentarisches ist ja auch interessant, kann sogar unterhaltsam sein. Es ist also auch vielleicht in eine Zeit hereingekommen, wo alte Dogmen etwas über den Haufen geworfen wurden und der Dokumentarfilm an sich auch reicher wurde dadurch, dass er auch verschiedene Elemente, von Spielfilmelementen über Animationsfilmelemente in den Dokumentarfilm Einzug gehalten haben. Das hat ihn sicherlich etwas aufgewirbelt und aufgefrischt.
Ich glaube aber, dass man da vielleicht auch ein bisschen unterscheiden muss: Die Bedeutung von Michael Moore in den USA scheint mir noch viel größer zu sein, weil dort ja viele Medien auch einfach von einigen großen Firmen bestimmt, besessen und damit auch kontrolliert werden und Michael Moores Filme dort vielleicht auch noch viel stärker die Rolle einer Gegenöffentlichkeit haben.
Karkowsky: Nun hat Michael Moore natürlich auch sich eigene Zuschauer herangezogen, die wissen, wenn wir in einen Dokumentarfilm gehen, dann muss das nicht einfach nur eine Aneinanderreihung von trockenen, sachlichen Fakten sein. Das kann spannend sein wie ein Kinospielfilm. Glauben Sie, dass das vielleicht auch junge Filmemacher, mit denen Sie ja viel zusammenkommen bei der Vorbereitung Ihres Festivals, verführt, dass sie sagen, wir wollen selbst Fakten manipulieren, ähnlich wie Michael Moore, weil wir sehen, dass das die Zuschauer zieht?
Dokumentarfilmer gehen mit "großem Idealismus ans Werk"
Danielsen: Nein, das glaube ich eigentlich nicht. Also, es ist so, dass die meisten Dokumentarfilmer eigentlich eine Spezies von Medienschaffenden sind, die mit einem großen Bewusstsein und auch meistens einem großen Idealismus ans Werk gehen. Denen geht es nicht so sehr darum, dass sie mit ihren Filmen reich werden. Ich möchte mal unterstellen, darum geht es Michael Moore auch, dass er damit wirklich wirtschaftlichen Erfolg hat, den hat er ja auch gehabt. Sondern die meisten Dokumentarfilmer versuchen eher, Aufmerksamkeit für Themen, die sie unterrepräsentiert empfinden, zu schaffen, die Welt zu verändern.
Und dann ist es auch so, dass, wenn ich so denke, wie an den Filmhochschulen in Deutschland und auch in anderen Ländern Dokumentarfilm unterrichtet wird und Filmemacher da rangeführt werden, da geht es schon sehr, sehr klar um Qualität von Recherche, genauso, wie es in der Journalistenausbildung auch ein Prinzip der Ehre ist, dass man nicht Fakten verdreht oder auch falsch darstellt.
Karkowsky: Gibt es so was wie eine Berufsethik unter Dokumentarfilmern?
Danielsen: Ja, würde ich schon sagen. Es ist so, dass man versucht, im Dokumentarfilm Licht auf gesellschaftliche Zustände oder auf Entwicklungen zu lenken, die sonst im Schatten liegen, die nicht so sehr wahrgenommen werden. Oder auch gesellschaftliche Prozesse, Veränderungen der Welt, auch die Folgen von Konflikten und Krisen, immer wieder daran aufzuzeigen, dass man in das Schicksal einzelner Menschen eintaucht und dadurch den Zuschauern auch ermöglicht, sich zu identifizieren und ein tieferes Verständnis der Welt und der Wirklichkeit zu erhalten.
Karkowsky: Haben Moores Filme denn noch auf andere Art die Ästhetik des modernen Dokumentarfilms verändert, weil er ja als einer der ersten selbst als Filmer als Akteur auftrat in seinen Filmen und ganz wichtig war für die Inhalte?
Danielsen: Mir ist so ein bisschen aufgefallen, dass es bei einer Reihe von amerikanischen Filmen immer wieder ein gern genutztes Mittel ist, selber vor die Kamera zu treten und damit zu provozieren und auch Missstände aufzuzeigen. Ich denke zum Beispiel an die Yes-Men, die auch in ihren Filmen selber undercover arbeiten und damit einen Zugang verschaffen zu Milieus oder zu Zuständen, die man sonst nicht sehen würde.
Das ist in Europa nicht so weit verbreitet. Es gibt aber immer wieder, natürlich, wenn man überlegt, wie erzähle ich eine Geschichte, wenn ich einen klaren Protagonisten habe, die Rolle des Filmemachers immer wieder diskutiert wird und auch für jeden Regisseur ein wichtiges Kriterium ist. Es kann aber auch, zum Beispiel, wenn ich an David Sieveking, den deutschen Regisseur denke, Mittel sein, sehr persönliche Geschichten zu erzählen und durch die eigene Betroffenheit noch einmal eine ganz andere Dimension eines Schicksals aufzuzeigen.
Karkowsky: Oder Werner Herzog.
Danielsen: Absolut. Und das sind dann nicht unbedingt manipulative Zugänge, sondern es ist etwas, was natürlich auch dramaturgisch wirkt, weil man selber als Zuschauer sich in die Position dieses Erzählers, nämlich des Filmemachers, versetzen kann.
Karkowsky: Wie ist denn Ihr Fazit heute am 60. Geburtstag Moores? Ist er mehr eine Schande für den Dok-Film wegen seiner manipulativen Filme oder war er wirklich seine Rettung?
Danielsen: Ich würde weder das eine noch das andere sagen. Ich glaube, Michael Moore hat dem Dokumentarfilm auch Türen geöffnet. Er ist sehr umstritten und er wird zu Recht für viele seiner Methoden kritisiert. Er hat andererseits aber auch Diskussionsprozesse gerade in den USA ins Rollen gebracht, die, glaube ich, für die dortige Gesellschaft unheimlich wichtig waren und auch weiterhin sind. Also, Gegenöffentlichkeit, das ist eine ganz wichtige Rolle, die er eingenommen hat, und da ist er vielleicht auch öfter übers Ziel hinausgeschossen und hat auch so ein bisschen die Distanz verloren und sich selber vielleicht auch zu wichtig genommen.
Karkowsky: Und Sie hätten auch nichts dagegen, den nächsten Michael-Moore-Film in Leipzig zu zeigen.
Danielsen: Ich glaube, dass wir, ehrlich gesagt, die letzten Filme von ihm nicht ausgewählt hätten, weil sie uns in der Arbeitsweise nicht sorgfältig genug sind, und weil wir uns auch von der ganzen Erzählweise und Ästhetik – ich sag jetzt mal so ein hochstechendes Wort – nicht anspruchsvoll genug sind. Also, es sind vom Filmischen, von der Kameraführung und so weiter, sind sie vielmehr journalistisch. Und das ist etwas, wo wir sagen, das finden wir auf der großen Leinwand nicht unbedingt immer bei so einem Festival richtig aufgehoben.
Karkowsky: Zum 60. Geburtstag des US-Filmemachers Michael Moore hörten Sie den Direktor des Internationalen Festivals für Dokumentar- und Animationsfilm, Claas Danielsen. Ihnen herzlichen Dank!
Danielsen: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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