Umstrittener Wiederaufbau des Berliner Schlosses

Kann und darf der Architekt Franco Stella in Berlin-Mitte das Humboldforum bauen, ein zentrales Gebäude, das an drei Fassadenseiten so aussehen soll wie das alte Berliner Stadtschloss? Diese Frage wurde in den vergangenen Monaten viel diskutiert - und schließlich vor Gericht geklärt.
Dieter Kassel: Auf den Streit um das Humboldt-Forum wollen wir heute noch einmal zurückblicken, jenes Gebäude mitten in Berlin, das dort entstehen soll, wo einst das Stadtschloss stand und dessen Fassade an drei Seiten auch so aussehen soll wie früher das Schloss. Diskutiert wurde ungefähr bis zum Sommer 2009 vor allem auch über die Nutzung des neuen Gebäudes, über die Frage, wie es denn eigentlich von innen aussehen soll und dann tauchte plötzlich die Frage auf, ob die Vergabe des Bauauftrags an den Architekten Franco Stella überhaupt rechtens war.

Aber gehen wir der Reihe nach vor. Anfang Juli sprach meine Kollegin Susanne Führer mit Hermann Parzinger, dem Präsidenten der Stiftung Preussischer Kulturbesitz, über das, was er immer gern als wichtigstes Kulturprojekt des 21. Jahrhunderts bezeichnet und fragte ihn, warum es denn so wichtig ist.

Hermann Parzinger: Nun, das Besondere ist eben nicht nur, dass es ein reines Museum wird, wie viele auch annehmen oder befürchten, wo dann ein bisschen Uni, ein bisschen Bibliothek dazukommt, sondern dass wir versuchen, wirklich Wissensarchive mit Kunstschätzen zusammenzubringen und zu einer ganz neuen Verknüpfung zu kommen.

Und das Entscheidende wird die Agora sein, die Agora im Erdgeschoss, wo ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm stattfinden wird mit Film, Theater, Musik, Podiumsdiskussionen. Das wird das Herz sein, das wird die Schlagzahl vorgeben, das wird die Themen vorgeben und die Agora wird auch Bereiche oder wird Möglichkeiten haben, in die anderen Bereiche auszugreifen. Das ist ganz, ganz wichtig.

Und in diesem Zusammenwirken, und das macht ja auch der Vergleich mit dem Centre Pompidou, Ausstellung und Bibliothek, wir gehen noch darüber hinaus und vor allem für die Kultur in der Welt, das ist ja das große Thema, die Weltkulturen, dieses Zusammenwirken der verschiedenen Einrichtungen, das Integrative, das ist das Neue dabei.

Susanne Führer: Nun ist ja dieser Siegerentwurf gekürt worden von Franco Stella, jetzt geht es darum, wie der Bau bespielt wird sozusagen und ich habe gehört, dass es doch einige Änderungswünsche von Ihrer Seite gibt, nach dem, was Stella geplant hat. Wie kooperativ zeigt er sich da?

Parzinger: Ich kann nur sagen, dass das ein sehr, sehr kooperatives Zusammenarbeiten mit ihm ist. Es ist wichtig, dass der Architekt versteht über das, was im Auslobungstext, was ja Grundlage des Wettbewerbes und seines Entwurfes ist, was darüber hinausgeht, die vielen Details, die wichtig sind, dass er offen ist dafür und dass er sie mit einbezieht in seine weiteren Raumplanungen.

Führer: Und das ist er?

Parzinger: Also, ich kann nur sagen, das ist eine sehr harmonische und wunderbare Zusammenarbeit und der Entwurf ist in wichtigen Punkten, die ganz entscheidend sind, auch für das integrative Zusammenwirken, ist auf einem guten Wege.

Führer: Nun gab es ja einen großen Schreck, als herauskam oder beziehungsweise gemutmaßt wurde, dass Franco Stella ja die Bedingungen, um an diesem Wettbewerb teilzunehmen, gar nicht erfüllt hat. Nun ist zu erfahren, dass einer der unterlegenen Mitbewerber tatsächlich eine Rüge beim Bundesamt für Bauwesen und Bauordnung eingereicht haben soll, nämlich Hans Kollhoff, und es droht damit ja möglicherweise ein Gerichtsverfahren. Das wäre doch eine Katastrophe für Sie, oder? Das würde das Ganze doch wahrscheinlich um Jahre aufhalten.

Parzinger: Ich kann nur sagen: Wir als Nutzer und ich persönlich auch als Mitglied der Jury müssen uns natürlich darauf verlassen, dass der Herr des Verfahrens, das ist das Bundesbauministerium, dafür sorgt, dass das so läuft und durchgeführt wird, wie es zu sein hat. Franco Stella hat ja schon vor einiger Zeit eine Pressemitteilung veröffentlicht, in der er sagt, er hatte eben die nötige Zahl an Mitarbeitern, ich sehe jetzt eigentlich keinen Grund, das anzuzweifeln, nur man wird einfach sehen, wie sich die Sache weiterentwickelt. Von meiner Seite kann ich nur sagen, dass ich davon ausgehe, dass wir mit ihm das weiter voranbringen werden.

Kassel: Das sagte Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preussischer Kulturbesitz, am 9. Juli 2009. Dann vergingen noch ein paar Wochen und dann wurde aus dem bereits erwähnten Beschwerdevorgang des unterlegenen Architekten Hans Kollhoff zwischendurch mal ernst, denn am 11. September 2009 gab das Bundeskartellamt ihm zunächst Recht. Mein Kollege Matthias Hanselmann hat an diesem Tag im Deutschlandradio Kultur mit ihm gesprochen und ihn gefragt, was ihn überhaupt zu seiner Beschwerde bewogen habe.

Hans Kollhoff: Ja, ursprünglich wurden ja erst mal Zweifel laut an der Teilnahmeberechtigung von Herrn Stella, und es sah auch so aus, als sieht sich das Ministerium nicht in der Pflicht, da nun nachzuprüfen und bis heute hat es nicht nachgeprüft, sondern behauptet, das gehört nicht zu den Gepflogenheiten in solchen Wettbewerbsverfahren. Und ich meine, dass solche Bedingungen, wenn sie denn vom Auslober – und das war das Ministerium – aufgestellt werden, auch verifiziert werden müssen und das aus gutem Grund, weil man ja damit – und das war keine große Hürde, die mit diesen Bedingungen verknüpft war –, man wollte damit sichergehen, dass der Wettbewerbssieger dieses Projekt auch realisieren kann. Und genau das wird nun infrage gestellt, aber mit diesem Beschluss heute wird das Ministerium dazu aufgefordert, die Teilnahmeberechtigung von Herrn Stella zu prüfen. Das ist erst mal ein wichtiger Schritt.

Matthias Hanselmann: Hätten Sie denn einen solchen Schritt auch unternommen oder eingeleitet, wenn Sie der Siegerentwurf überzeugt hätte?

Kollhoff: Natürlich. Erst mal geht es hier, vor allen Dingen, wenn das Ministerium immer über Baukultur redet, um ein transparentes Verfahren und um Fairness und letztlich auch um unser Berufsverständnis als Architekten. Sind wir einfach nur Ideengeber, und man kann dann mit dieser Idee machen, was man will? Oder haben wir den Stolz im Leib, diese Idee auch umzusetzen bis ins Detail?

Kassel: So der Architekt Hans Kollhoff am 11. September 2009 hier bei uns im Deutschlandradio Kultur. Bei unserem Schwesterprogramm Deutschlandfunk fragte am gleichen Tag mein Kollege Rainer Berthold-Schossig den Architekturkritiker Heinrich Wefing, ob hinter der Beschwerde von Kollhoff ein bisschen mehr stecken könnte, ob es sein könnte, dass sich hier die Front der Schlossnachbau-Gegner eine neue Chance verspreche.

Heinrich Wefing: Das tun sie sicherlich. Die Ironie dabei ist, dass die Vergabekammer ja angerufen worden ist von Hans Kollhoff, dem Berliner Architekten, der selber einen Entwurf für den Schlossbauwettbewerb eingereicht hat und auf dem dritten Platz gelandet ist und einer der vehementesten Verfechter einer Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses ist. Also, wenn jetzt hier jemand Morgenluft wittern sollte, jemand, der darauf hofft, dass das Berliner Stadtschloss nicht gebaut wird, dann wäre das ausgerechnet jemandem zu verdanken, der seit Jahren vehement dafür kämpft, dass das Stadtschloss gebaut wird. Das ist die Ironie. Dahinter steht, glaube ich, etwas anderes, der politische Wille nämlich, dieses lang, lang, lang sich hinziehende Verfahren endlich zum Abschluss zu bringen.

Wir alle erinnern uns ja daran, dass es seit bald 15 Jahren oder noch länger darum geht: Soll dieses Schloss gebaut werden? Es hat unzählige Wettbewerbe gegeben, es hat unzählige Verfahren, Ausschüsse, Kommissionen gegeben, und über diese ganze Zeit ist dem Projekt sowas wie der Enthusiasmus, den es am Anfang mal gegeben hat, doch sehr weit abhanden gekommen, und mein Eindruck, jedenfalls auch schon aus dem Wettbewerb und der Wettbewerbsentscheidung, ist, dass man sich eigentlich durchgerungen hat: Wir wollen es jetzt machen, wir wollen es möglichst schnell und schmerzlos machen. Deswegen hat man sich auch auf einen eher unentschiedenen und wenig inspirierten Entwurf wie den von Franco Stella geeinigt.

Und nachdem man nun festgestellt hat, das ist jemand, der so ein großes Projekt wahrscheinlich allein gar nicht stemmen kann, hat man ihm halt schnell, schnell jemanden zur Seite gestellt. Das alles deutet, in meiner Lesart jedenfalls, darauf hin, dass jetzt hier Fakten geschaffen werden sollen.

Ein weiteres Problem scheint mir zu sein, dass hinter diesen ganzen Vergabeschwierigkeiten die eigentlichen architektonischen und inhaltlichen Probleme dieses Projektes wieder mal in den Hintergrund treten. Immer noch ist völlig unklar, was denn dieses Humboldt-Forum eigentlich sein soll, wie es bespielt werden soll, welche Funktion es innerhalb der Berliner Museumslandschaft haben sollte und welches seine Funktion in der kulturellen Landschaft in Deutschland sein soll.

Kassel: Der Architekturkritiker Heinrich Wefing. Ende Oktober ging es im Zusammenhang mit dem Berliner Stadtschloss noch einmal um das, was da am Schluss jetzt auch gerade Thema war, nämlich die Frage, wie es eigentlich von innen aussehen soll. Hermann Parzinger von der Stiftung Preussischer Kulturbesitz legt ja Wert auf die Agora, diesen großen Hauptraum. Darüber sprach mein Kollege Vladimir Balzer mit dem Architekturkritiker Nikolaus Bernau, und er sprach über die Veränderungen dieser Agora, die ja bereits geplant sind.

Nikolaus Bernau: Das zentrale Problem bei diesem Raum ist: Es ist eine ganz, ganz strenge Architektur, kantig, rechteckig, hat oben eine Glasdecke, bei der man sich unwillkürlich fragt, wie man mit derartig gewaltigen Glaskassetten überhaupt diesen Raum überspannen will, da braucht man leider nämlich trotz allem historischen Aussehen eine ganz, ganz moderne Baukonstruktion.

Dieser riesige Saal ist so was von steif und so vollkommen humorlos und langweilig, dass man sich einfach nicht vorstellen kann, dass da zum Beispiel ein lustiges Symposium drin stattfindet oder, sagen wir, eine erregende Debatte zur Berliner Entwicklungshilfepolitik oder ein Rumbafestival oder sowas. Das wird dort alles nicht stattfinden.

Das Beste, was man sich noch vorstellen kann, ist eine staatstragende Veranstaltung: Herr Parzinger hält eine Rede zur Bedeutung der Kultur in der Bundesrepublik. Es ist kein Plan für das Obergeschoss vorgelegt worden, kein Plan für das Kellergeschoss, wir wissen nicht, wie mit den Ausgrabungen umgegangen werden soll, wir wissen nicht, wie mit den erheblichen Kostensteigerungen umgegangen werden soll, die absehbar sind, die jeder weiß, dass sie kommen werden sollen. Aber es wird derzeit einfach nicht darüber geredet.

Kassel: Soweit Nikolaus Bernau in unserem Programm am 26. Oktober. Die Debatte darüber, wie denn das Humboldt-Forum von innen aussehen soll, die ist damit noch lange nicht zu Ende, der Streit allerdings darüber, ob die Vergabe des Bauauftrags an Franco Stella zulässig war, die ist inzwischen entschieden: Sie war es, sagte das Oberlandesgericht Düsseldorf am 2. Dezember.