Hören Sie zu dem Thema auch einen Bericht aus Berlin von Claudia van Laak.
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Hamburg übernimmt Vorreiterrolle
Theorie und Praxis - was bringt das im Juli in Kraft getretene Prostituiertenschutzgesetz? Hamburg hat die darin vorgeschriebene Gesundheitsberatungen und Anmeldestellen auf den Weg gebracht. Doch einige Sex-Dienstleisterinnen sehen ihren Arbeitsplatz dadurch in Gefahr.
Undine de Riviere hat keine Scheu, über ihren Beruf zu reden. Mit engem Rock, in weißer, gebügelter Bluse, mit penibel gezeichneten, rotbraunen Lippen führt sie durch ihre Räumlichkeiten in Hamburg St. Georg:
"Wir sind jetzt hier gerade im Studio Rex. Das ist meine Arbeitsstätte. Wir sind hier im großen Salon, mit einem großen, 2,80 Meter großen Orgien-Bett. Und ein paar SM-Möbeln. Für die Menschen, die es gerne ein bisschen härter mögen. Und ja, hier arbeite ich mehrere Tage die Woche."
In einer Ecke steht ein schwarzer Gynäkologenstuhl, es gibt jede Menge Peitschen, ein Dutzend verschiedene Perücken. Drei Räume, die sich die Sexarbeiterin mit zwei, drei Kolleginnen teilt.
"Wir haben alle einen Schlüssel hier. Wir koordinieren uns über einen Online-Kalender, damit wir vorher wissen, welches Zimmer frei ist, machen alle unsere eigene Werbung. Wir sind selbständige Sex-Dienstleisterinnen, die sich hier Räume teilen. Und das ist für uns ein guter Arbeitsplatz hier. Und der ist massiv gefährdet durch dieses Prostituiertenschutzgesetz."
Denn das Gesetz schreibt vor, dass überall dort, wo mehr als eine Frau Räumlichkeiten für sexuelle Dienstleistungen nutzen, eine Konzession notwendig ist. Dazu kommen getrennte Badezimmer für Frauen und Freier. Und spätestens dann stünden für viele Kleinstbetriebe Umbauten an, die sich einige gar nicht leisten könnten, erklärt Undine de Riviere, die auch Sprecherin des Bundesverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen ist.
"Kleine Zusammenschlüsse von Sex-Workern, wie sie jetzt existieren, die oft gute Arbeitsbedingungen bilden, die werden sehr, sehr zurückgehen. Und wir gehen davon aus, dass ein Großteil der Infrastruktur unserer Branche in vielen Städten zerstört werden wird."
Beratung unter dem Dach der Gesundheitsbehörde
Die großen Sauna- oder FKK-Clubs hätten damit keine Probleme, oft sind dort die im Gesetz vorgeschriebenen Alarmsysteme schon installiert, die die Prostituierten vor Übergriffen durch Freier schützen sollen. Unter den deutschen Kommunen übernimmt der Stadtstaat Hamburg bei der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes eine Vorreiterrolle. An einem "Runden Tisch Prostitution" wurde erarbeitet, welchen Anforderungen die Gesundheitsberatungen und die vom Gesetz verlangte Meldepflicht genügen sollte.
Anfang November lief die Beratung unter dem Dach der Hamburger Gesundheitsbehörde dann an. Mit guter Resonanz, erklärte damals Behördensprecher Rico Schmitt:
"Der Zulauf ist sehr rege. Schon in der ersten Woche fanden bereits 13 Beratungen statt. Und die Anmeldezahlen sind auch sehr hoch. Für die kommenden Wochen haben wir schon über 150 Anmeldungen für Beratungen, die nicht von Frauen sind, sondern es betrifft ja genauso Transsexuelle und Männer. Aber Frauen sind bis dato in der Mehrzahl."
In den Gesprächen klären drei speziell dafür geschulten Behördenmitarbeiterinnen über Geschlechtskrankheiten und den Schutz davor auf, darüber, welcher Schutz für welche Art von Sex nötig ist, um gesund zu bleiben. Eine Untersuchung, betont Rico Schmitt, findet nicht statt. Dafür wird aber hingewiesen auf das "Casa Blanca", die behördeneigene Anlaufstelle für Prostituierte, aber auch auf nichtbehördliche Hilfseinrichtungen. Natürlich bestehe die Hoffnung, so der Behördensprecher, dass die Pflichtberatung auch Menschen erreicht, die bislang im Verborgenen, unter besonders prekären Umständen gearbeitet haben:
"Es ist jetzt noch zu früh, zu sagen: Wir erreichen damit auch jemand anderes. Was wissen wir jetzt noch nicht. Dazu stehen wir noch zu sehr am Anfang. Die Hoffnung, die ist da. Aber das können wir jetzt noch nicht so bilanzieren."
CDU und SPD ging es in den Verhandlungen über das Prostituiertenschutzgesetz weniger um Hilfe für Sexarbeiterinnen wie Undine de Riviere, nicht um selbstbestimmt arbeitende, in Verbänden organisierte Frauen oder Männer. Das erklärt Marcus Weinberg, der familienpolitische Sprecher der CDU und Mitglied des Bundestags.
"Uns geht es nicht um die Studierende, die nebenbei ein bisschen Geld verdient oder um die Hausfrau, die nebenbei ein bisschen Geld verdient. Uns geht es nicht um spezielle Serviceangebote, wo man Tausende von Euro pro Nacht verdient. Das sind diejenigen, die können sich wehren, die können sich ausdrücken, die können ihre Interessen darstellen. Der Staat hat die Aufgabe, gerade die zu schützen, die das nicht können."
Um einige dieser Frauen, um drogenabhängige Prostituierte kümmert sich schon seit Jahren das Team von "ragazza".
Der Wind weht die gelbvertrockneten Lindenblätter über den weiten Hansaplatz im Hamburger Bahnhofsviertel. In der Mitte plätschert lautlos ein prächtiger Brunnen aus dem vorletzten Jahrhundert. In einem Café am Rand des Platzes sitzt Gudrun Greb, die Leiterin von "ragazza". Vor sich einen Milchkaffee.
"Wir machen als Ragazza ja auch aufsuchende Arbeit in Modellwohnungen und Bordellen. Und da haben wir ohnehin schon eine ungeheuer hohe Hürde, die Menschen zu überzeugen, dass wir nichts Böses wollen, dass wir ihnen Informationen geben wollen, dass wir ihnen Hilfe anbieten wollen, dass sie überhaupt die Tür aufmachen und das auch annehmen können. Und da haben wir ganz, ganz große Befürchtungen, dass diese Hürden noch höher werden."
Gudrun Greb befürchtet, dass einige von denen, die heute noch durch freiwillige Hilfsangebote erreichbar sind, durch die Einführung einer Meldepflicht in viel weniger kontrollierbare Bereiche abwandern. Einige vielleicht auf Druck ihrer Zuhälter. Schon heute würden die Drogenprostituierten vom Hansaplatz wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz und Verstößen gegen die Sperrgebietsverordnung verfolgt. Nun kämen auch noch Bußgelder hinzu, wenn die Meldepflicht nicht befolgt werde.
Mehr Klarheit über das schwer quantifizierbare Geschäft?
Auf der neuen Meldestelle müssen alle Prostituierten ihren Klarnamen und ihre Wohnadresse angeben. Gegen Vorlage einer Bescheinigung über die vorherige obligatorische, aber anonyme Gesundheitsberatung, wird dann ein, wie Gudrun Greb es ausdrückt, "Huren-Pass" ausgestellt. Nur so, das ist eine Idee des Gesetzes, könne mehr Klarheit über das bislang nur schwer quantifizierbare Geschäft mit käuflichem Sex erreicht werden.
"Es kommt natürlich darauf an, dass die Anonymität gewahrt ist, es kommt natürlich darauf an, dass Menschen, die da hingehen, nicht von vornherein das Gefühl haben, dass sie sowieso geoutet sind, dass ihnen Beraterinnen ihnen gegenüber sitzen, die ihnen vielleicht nicht zugewandt sind. Auf all sowas kommt es an und all sowas kann ich zumindest nach der Besichtigung der Räume nur ganz schwer beurteilen, ob das dort gegeben sein wird. Ich muss allerdings dazu sagen, was ich schon beurteilen kann, dass man sich in Hamburg doch relativ viel Mühe gegeben hat."
"Wenn man uns unterstützen will, dann brauchen wir Rechte"
Demnächst will auch Josefa Nereus ihren Pflicht-Beratungstermin hinter sich bringen. Sie arbeitet schon seit einigen Jahren als Escort. Wie ihre Kollegin Undine de Riviere engagiert auch sie sich im Vorstand des "Berufsverbands Erotik und sexuelle Dienstleistungen" für die Rechte von Prostituierten. Das Prostituiertenschutzgesetz setze grundsätzlich falsche Prioritären, kritisiert Josefa Nereus.
"Wenn man uns tatsächlich unterstützen und schützen will, dann brauchen wir Rechte. Zum Beispiel, das wir im Geweberecht verankert werden, dass wir zu den freien Berufen zählen, dass wir nicht mehr darauf angewiesen sind, nur in Industriegebieten arbeiten zu dürfen. Solche Maßnahmen würden uns tatsächlich weiterhelfen, uns bis ins kleinste Detail auf die Finger zu schauen, sondern uns einfach stärkt mit Rechten."
Sorgen bereitet ihr vor allem der Datenschutz beim Anmeldeverfahren. Denn auch wenn auf dem "Prostituierten-Ausweis" ein Alias-Name stehen darf, wird bei der Anmeldung auch der Klarname in der Behörden-Software gespeichert:
"Einmal in diesem System drin, weiß man natürlich auch nicht, wer darauf zugreifen kann. Menschliches Versagen ist auch eine sehr, sehr wichtige Komponente. Was passiert in zehn Jahren mit diesen Daten, wenn die Frauen eventuell ganz normalen, bürgerlichen Berufen nachgehen, bei der Versicherung arbeiten wollen? Da können einen diese Daten einen dann vielleicht in Teufels Küche bringen."
Hören Sie zu dem Thema auch einen Bericht aus München von Tobias Krone.
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