Martin Ahrends, geboren 1951 in Berlin. Studium der Musik, Philosophie und Theaterregie. Anfang der 80er-Jahre politisch motiviertes Arbeitsverbot in der DDR. 1984 Ausreise aus der DDR. Redakteur bei der Wochenzeitung "Die Zeit" und seit 1996 freier Autor und Publizist.
Der Traum vom Bahnhof als Wohlfühloase
Verspätete Züge, abgeranzte Provinzbahnhöfe – für das Reisen mit der Bahn zu argumentieren, ist nicht leicht. Ökologisches Gewissen verliert hier schnell gegen den Komfort eines SUV, meint Autor Martin Ahrends. Er ersinnt den Bahnhof der Zukunft.
Nach meinem Umzug will mich ein alter Freund besuchen und fragt am Telefon nach dem Weg. "Komm doch mit dem Zug, das geht schneller und macht weniger Stress", schlage ich vor. "Mit dem Zug?", fragt er, als wäre es eine Zumutung, "warst du mal auf unserem Bahnhof?" Das muss ich verneinen, womit sich das Thema für ihn erledigt hat.
Als er dann bei mir angekommen ist, hat er im Auto darüber nachgedacht, warum der Bahnhof an seinem Wohnort seit Jahren einen so schäbigen Eindruck macht, dass er sich da ungern hin begibt, weder, um jemanden abzuholen noch um dort auf einen Zug zu warten. Warum das Zugfahren für ihn und manchen, den er kennt, so ein negatives Image hat. Warum die ökologische Guttat, mit dem Zug zu fahren als sozial abwertend erlebt wird.
Offenbar will er sich rechtfertigen. Er referiert, was er vom Hörensagen übers Zugfahren weiß: Da gibt es ständig Verspätungen oder die Züge fallen ganz aus. Die Heizung streikt oder die Kühlung. Oder die Lokführer streiken. Was man eben so liest und im Fernsehen sieht… Nein, da fährt er lieber mit seinem Auto, da ist er sicher, da fühlt er sich einfach besser.
Eine Verschwörung der Auto-Lobby?
Ich verstehe nur Bahnhof, weil ich meinen Freund so ignorant nicht in Erinnerung hatte. Ich finde es paradox, dass sein Besserfühlen im SUV so gar nichts mit seinem Öko-Gewissen zu tun hat. Wozu man ein Gewissen habe, wenn man nicht danach handelt, frage ich ihn und wie der Bahnhof aussehen müsste, den er gern frequentieren würde.
Das hätte ich nicht tun sollen, denn jetzt holt er ganz weit aus, erzählt mir von Moskauer U-Bahnhöfen, die er für Paläste hält und einer Schweizer Wartehalle, die auf ihn den Eindruck einer Galerie gemacht habe. Mein alter Freund versteigt sich zu der Behauptung, mit der Bahn zu fahren wäre ihm ein Fest, wenn nur ein Bruchteil jener schöpferischen Energien in unsere Bahnhöfe flössen, die seit Jahrzehnten in unsere Autos fließen, damit wir uns darin so ganz und gar wohl fühlen. Sicher und geborgen. Wie in einer zweiten Haut…
Nun ja, ganz unrecht hat er nicht. Sein zu Recht schlechtes Gewissen beim Autofahren bildet sich natürlich nirgends ab im Design seines Wagens. Die Car-Designer haben es weit gebracht mit den Irrationalitäten bei der Wahl unserer Fortbewegungsmittel. Und zu diesen irrationalen Aspekten gehört natürlich auch das demütigende Gefühl, auf so einem heruntergekommenen Bahnhof zu stehen. Diese Demütigung muss im Interesse der Autoverkäufer sein.
Vielleicht steckt sogar ein geheimes Kalkül dahinter, vielleicht stecken die Manager des schlechten Bahn-Images mit der Auto-Lobby unter einer Decke. Wie viele Bahnchefs waren vorher in der Autobranche?
Die grüne Ästhetik einer möglichen Bahnhofskultur
Ich hab mich ja längst an die abgeranzten Bahnhöfe gewöhnt, aber nun muss ich ihm doch recht geben: Auch ich fühle mich dort eher geduldet als willkommen und in meinen ökologisch korrekten Absichten verhöhnt. Ich sage ihm das, und nun kommen wir auf die grüne Ästhetik einer möglichen Bahnhofskultur.
Wir entwerfen Bahnhöfe, die das ökologisch Sinnvolle des Zug Fahrens widerspiegeln. Einen Provinzbahnhof, der mit demselben Aufwand an kreativer Energie gestaltet ist wie das Wohlfühl-Image seines SUV und mit einem ähnlichen Effekt der sozialen Aufwertung. Ein Bahnhof, der den Reisenden das Gefühl gibt, das Richtige zu tun und willkommen zu sein.
Wir fantasieren über das Bahnhofdesign der Zukunft. Wir erfinden sogar einen Werbeslogan: "Schneller als auf Gummireifen / offroad durch die Pampa gleiten / ohne Schadstoff zu verbreiten / ist ein Fahrspaß der Gescheiten." Dann ist es Zeit zum Aufbruch und mein Freund fährt wieder heim. Im Auto.