Klaus Englert promovierte in Germanistik und Philosophie an der Heinrich Heine-Universität Düsseldorf, ist Journalist und Buchautor. Er schreibt für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" und den Hörfunk, vornehmlich über architektonische und philosophische Themen. Des Weiteren ist er als Kurator für Architektur-Ausstellungen tätig. Seine letzten Bücher sind "Jacques Derrida" (2009) und "New Museums in Spain"(2010), "Barcelona" (DOM Publishers, 2018). In Vorbereitung ist ein Buch über die Entstehung der modernen Wohnkultur.
Der Trend zur Drittgarage
Der globale CO2-Ausstoß befindet sich weltweit auf Rekordhöhe – auch in Deutschland. Doch der Normalbürger schert sich nicht um den Klimawandel und fährt mit wachsender Vorliebe SUV. Höchste Zeit, heilige Kühe zu schlachten, meint Philosoph Klaus Englert.
Der epochale Report "Grenzen des Wachstums" des Club of Rome liegt nun ganze 46 Jahre zurück. Die Folge: Die Wissenschaftler appellieren in immer kürzeren Abständen, dass sich der Klimawandel mittlerweile unumkehrbar verfestigte und dass wir unsere Anstrengungen zum Erreichen der Klimaziele drastisch steigern müssen. Die zweiten Akteure sind die Politiker: Sie schauen hauptsächlich darauf, was Wählerstimmen bringt und machen hin und wieder kleine Zugeständnisse an den klimapolitischen Zeitgeist, um es möglichst allen recht zu machen. Und der dritte Akteur, der so genannte Normalbürger, schert sich wenig um die Kassandrarufe der Wissenschaftler, die ja sowieso auf einem anderen Planeten zu leben scheinen.
SUV und Verpackungsorgien
Der Normalbürger hat sich’s gemütlich in seiner egogetriebenen Konsumismusfalle eingerichtet. Er fährt unvermindert sein Auto, mit wachsender Vorliebe den Klimakiller SUV, fliegt mehrmals im Jahr in den wohlverdienten Urlaub und macht sich wenig Gedanken über die umweltschädlichen Verpackungsorgien in den Supermärkten. So weit die bundesdeutsche Normalität.
Zugegeben, in den deutschen Großstädten ist man da schon etwas weiter: Verdichtete Stadtstrukturen drosseln den Energieverbrauch und machen den Einsatz des eigenen Autos zunehmend überflüssig. Anders in Kleinstadt und Provinz: Hier sind die Mentalitätsstrukturen festgezurrt wie zu Beginn der 1970er-Jahre, als der Report "Grenzen des Wachstums" erschien. Hier hat man eigene Normalitätskriterien, an denen kaum jemand zu rütteln wagt.
Der ungemein sinnige Spruch "Freie Fahrt für freie Bürger", in den fortschrittsgläubigen 70er-Jahren entstanden, gilt unter Kleinstädtern noch heute als Gesetz. Als normal wird angesehen, einem 17-jährigen Jugendlichen ein Auto zu schenken, das er noch gar nicht fahren darf. Nicht zuletzt, dass zu jedem Zweitwagen eine Drittgarage gehört. Denn auch das eigene Kind, das den Eltern nacheifert, denkt schon vorsorglich ans eigene Auto.
Die autofreundliche Stadt
Und weil es so viele Autos gibt, braucht es auch viele öffentliche Parkplätze, die größtenteils wie innerstädtische Brachen aussehen. Statt Parks und Grünanlagen sind weiträumige Asphaltflächen zum Wiedererkennungsmerkmal der Provinzstädte geworden. Und warum ist das so? Natürlich könnte der ÖPNV ausgebaut werden, aber das ist nicht das einzige Problem. Wer sein Kind schon früher mit dem SUV zur Schule in der Nachbarschaft gefahren hat, wird das auch in Zukunft so tun. Habitualitäten sind nun einmal zur zweiten Natur des Menschen geworden.
Und wer es in seinem Kulturkreis gelernt hat, dass es eine tolle Sache ist, seine 50 Plastiksäcke auf die Straße zu stellen, dem wird nicht auffallen, dass hierzulande vor dem Gebot der Mülltrennung das der Müllvermeidung steht. In unserer Gesellschaft muss so manche heilige Kuh zwangsgeschlachtet werden.
Verständnis und Vorstellungskraft
Schon die Autoren des Club of Rome haben vor der menschenerzeugten Klimakatastrophe gewarnt, aber hinzugefügt, dass es an den Menschen liegt, die Wende herbeizuführen. 1972 forderten sie dafür "ein außergewöhnliches Maß von Verständnis und Vorstellungskraft, von politischem und moralischem Mut."
Es wäre eine Wende, auf die wir alle mit vollem Recht verdammt stolz sein könnten. Auf jeden Fall bräuchte es dafür mehr Aufgeschlossenheit, mehr Aufklärung, mehr Bildung. Mag sein, dass Immanuel Kant ein typisch deutscher Philosoph war. Aber seine Aufklärungsdevise "Sapere aude" – "Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen", hat universale Gültigkeit. Bis heute.