Klimaschutz ist "Teil des Grundauftrags des Christentums"
Nicht erst seit der Umweltenzyklika von Papst Franziskus melden sich Vertreter der Kirchen und Religionen zu Wort, um beim Klimaschutz zu helfen. Was kann dieses Engagement bringen? Das fragen wir Wolfgang Lucht, den Leiter des Forschungsbereichs Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
Anne Françoise Weber: In Paris treffen jetzt Delegationen aus aller Welt zum Klimagipfel zusammen. Viel steht auf dem Spiel, vieles muss geschehen, damit die Erderwärmung zwei Grad Celsius nicht überschreitet und die Folgen des Klimawandels möglichst gering gehalten werden. Nicht nur Politiker und Experten sind deswegen angereist, sondern auch Vertreter vieler Nicht-Regierungsorganisationen und zahlreiche Kirchen- und Religionsvertreter sind auch dabei. Nicht erst seit der Umweltenzyklika von Papst Franziskus melden sie sich zu Wort, um den Klimaschutz voranzutreiben. Aber was bringt das Engagement der Kirchen?
Darüber habe ich mit Wolfgang Lucht gesprochen – er ist Leiter des Forschungsbereichs Erdsystemanalyse beim Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Professor an der Humboldt-Universität Berlin. Zunächst wollte ich von Wolfgang Lucht wissen, was seiner Meinung nach im kirchlichen Engagement für Klimaschutz Priorität haben sollte. Muss es vor allem darum gehen, Privatleute zum Klimaschutz zu bewegen, also zum Beispiel in der Sonntagspredigt dazu aufzurufen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln statt dem eigenen PKW zu fahren? Oder sollten die Kirchen ganz einfach bei sich selbst anfangen als Großunternehmen mit vielen Immobilien und Arbeitsplätzen, beispielsweise alle Gemeindehäuser und kirchlichen Kindertagesstätten mit Solaranlagen ausstatten? Oder muss die Priorität doch darin liegen, gesellschaftlich-moralischen Druck auf Unternehmen und Politiker aufzubauen, um Veränderungen im großen Stil wie eine Schließung aller Kohlekraftwerke zu bewirken?
Wolfgang Lucht: Sie haben eigentlich alle drei Bereiche schon angesprochen, in denen die Kirche eine sehr wichtige Rolle spielt. Erstens ist die Kirche als Institution, als Organisation natürlich auch zuständig dafür, dass das eigene Verhalten klimafreundlich wird, umweltfreundlich ist, das heißt, die CO2-Bilanz der Kirche als Eigentümerin von Gebäuden, Organisatorin von Veranstaltungen ist angesprochen. Zum zweiten ist die Kirche natürlich ein großer gesellschaftlicher Akteur, der in das politische Geschehen einbezogen ist und dort auch Positionen formulieren kann. In beiden diesen Bereichen spiegeln kirchliche Positionen mehr oder weniger auch mehrheitsgesellschaftliche Positionen wider zum größten Teil. Zum dritten aber ist die Kirche natürlich Kirche und kann theologisch argumentieren, und diesen dritten Bereich finde ich besonders spannend, dass man sich fragen kann, was hat eigentlich für die Verantwortung für das Klima – jenseits der allgemeinen bürgerlichen Verantwortung aus einer christlichen Perspektive, wie kann man das behandeln und welche theologischen Begründungen gibt es für ein Umweltengagement der Kirche.
Weber: Da können wir ja gleich uns mal das konkrete Beispiel der Umweltenzyklika anschauen: Papst Franziskus sagt, es reicht eben nicht, oberflächlich-ökologische Überlegungen anzustellen, sondern man muss die grundsätzliche Logik infrage stellen, die der gegenwärtigen Kultur zugrunde liegt und stellt damit wirklich die kapitalistische Wachstumsideologie infrage. Halten Sie das für eine hilfreiche, eben theologisch argumentierende Positionierung oder sind das naive Sätze von einem, der letztlich nicht versteht, wie die Welt funktioniert?
Lucht: Nein, der Aufruf des Papstes zu einer ökologischen Umkehr kommt zu einem sehr, sehr wichtigen Zeitpunkt und findet ja klare Worte, denn die Positionierung der Enzyklika jetzt vor der entscheidenden Pariser Klimaverhandlung, die ja historische Wegmarke sein kann oder ein historisches Versagen markieren könnte, ist natürlich nicht ganz zufällig, sondern ruft einfach noch mal auf, dass diese Frage so wichtig ist, dass die Gesellschaften der Erde, die Politikerinnen und Politiker der Erde das mit ganzer Kraft aufgreifen müssen. Der Papst spricht als Theologe natürlich, als Führer der katholischen Kirche und entwickelt eine Position, die sehr der katholischen Grundauffassung der Welt gegenüber entspricht. Er entwickelt ein wenig das Bild, dass die Menschen sich an der Erde vergangen haben, die Erde wurde missbraucht, und durch diesen Sündenfall des Menschen den Mitgeschöpfen gegenüber ist die Erde zu einem Müllhaufen geworden. Er führt das in seiner Enzyklika sehr stark auf das, was er eine starke Selbstbezogenheit des Menschen nennt, dass wir nur noch an uns denken und unsere Beziehung zu den Mitmenschen und zu den anderen Geschöpfen vernachlässigt haben. Die Position, die er vertritt, ist, dass man diesen Irrtum erkennen kann, dass es also diesen Naturzustand gibt, der gestört worden ist, dass wir Menschen diesen Naturzustand erkennen können, unsere Fehler erkennen können und durch unsere Einsicht, durch unser Handeln wir das auch wieder heilen können, dass wir also dieses Verhältnis wieder herstellen können, sowohl zu den Mitmenschen, da für ihn das Ganze ja eine sehr starke soziale Dimension hat – soziale Gerechtigkeit ist nur schaffbar auf der Basis von Umweltgerechtigkeit – und umgekehrt aber auch das Verhältnis zur Umwelt wieder heilen können, indem wir unsere Fehler bekennen. Das ist natürlich eine katholische Position, dass die Sünden vergeben werden können und auch wieder heilbar sind.
Weber: Sie sagen schon, eine katholische Position. Sie selbst sind Teil einer Arbeitsgruppe, der evangelischen Kirche in Deutschland zum Thema Nachhaltigkeit. Auch da wird ein Papier vorbereitet – argumentiert man denn da ganz anders oder sind das nicht letztendlich doch gemeinsame Positionen, auf die man da auch zurückgreifen kann?
Lucht: Ich spreche natürlich als Erdsystemwissenschaftler und als Bürger, bin kein Theologe. Das ist das, was ich in der Diskussion wahrnehme und zu diesen Diskussionen trage ich die wissenschaftliche Perspektive bei. Die Situation, die sich aus der protestantischen Kirche ergibt, ist diejenige, dass größere Skepsis besteht, in guter protestantischer Tradition, dass man erkennen könne, was denn der richtige Zustand der Natur sei und dass auch die Hoffnung, dass der Mensch durch seine Einsicht die Situation schon heilen könne, wird dort skeptischer gesehen. Dort wird darauf verwiesen, dass die Schwierigkeiten zwischen den Menschen und der Welt Teil der Struktur der Welt sind, aber eine große Verheißung in der Welt ist nämlich die Verheißung des Paradieses und die Verheißung der Stadt Gottes, die ganz am Anfang und am Ende der Bibel stehen, und beide Verheißungsbilder sprechen von einem friedlichen Miteinander von Kultur und Natur. Diese Verheißungsbilder, die beide utopische Visionen sind, die geben aber Leitlinien für ein Handeln der Verantwortung in der heutigen Zeit. Es wird also sehr stark an die Verantwortung des Menschen für diese Themen appelliert aufgrund der Verheißungen und darauf verwiesen, dass in einem Gespräch zwischen den Menschen nach Lösungen gesucht werden muss, wie man verantwortlich handeln kann. Dort wird sehr stark darauf verwiesen, dass die Verantwortung wieder in das Zentrum christlichen Handelns, protestantischen Handelns, geraten muss. Was dann genau die richtigen Wege sind und wo man sich da einfindet im Verhältnis zur Natur, das wird dort etwas offener formuliert. Da geht es also nicht zurück zu einem guten Verhältnis zur Natur, wo man sie nutzt, aber auch respektiert, sondern es ist viel offener, was eigentlich vertretbar ist in dieser Beziehung. Das entspricht interessanterweise sehr gut zwei naturwissenschaftlichen Positionen. Die katholische Position würde eher dem entsprechen, dass man sagt, der Planet hat Belastungsgrenzen, wir leben in einer sehr warmen Zwischeneiszeit, die uns die Zivilisation der Menschheit ermöglicht hat, und diesen Zustand möchten wir nicht gefährden, wir möchten ihn bewahren, weil nur auf der Grundlage dieses stabilen Umweltzustandes menschliche Entwicklung möglich ist. Das ist der einzige Zustand, den wir kennen, und den zu gefährden, wäre ein unvertretbar hohes Risiko, während die protestantische Position eher einer ebenfalls wissenschaftlichen Analyse entsprechen würde, dass die Veränderungen ja ohnehin abläuft und wir ohnehin mit der modernen Industrie und der Technik in einem Zeitalter leben, das wir ohnehin nicht mehr zurückdrehen können. Die Frage ist, welche neuen Wege gibt es nach vorne, die stärker Umweltbelange in den Blick nimmt, und beides ist richtig und gemeinsam ist natürlich beiden Positionen, sowohl wissenschaftlich als auch theologisch die Sorge um den künftigen Zustand der Umwelt, auch um den heutigen Zustand, aber vor allem um die künftige Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten.
Auf der Suche nach "grünen Lösungen"
Weber: Der Direktor Ihres Instituts Hans-Joachim Schellnhuber hat neulich in einem Interview mit einer Tageszeitung gesagt, die evangelische Kirche habe ein Problem mit ihrem Fortschrittsbegriff, es müsse darum gehen, eben eher die Bewahrung der Schöpfung in den Vordergrund zu rücken, als die immerwährende Expansion der fleißigen Menschen über die Erde. Teilen Sie diese Ansicht, ist das da ein Grundproblem in der evangelischen Kirche?
Lucht: Das ist ein generelles Grundproblem, dass die Frage sich stellt, wie die Innovationskraft des Menschen und die Gestaltungskraft des Menschen einerseits nicht negativ gesehen werden kann, denn darauf beruht ja der ganze zivilisatorische Fortschritt, auch dieser politische Fortschritt hin in der Aufklärung zu den Demokratien, die wir heute haben, zu unseren guten Sozialsystemen. Auf der anderen Seite ist klar, dass diese Situation mit Entwicklungen, mit jetzt diese Probleme verursacht haben. Nachhaltigkeit, wie stark ist Nachhaltigkeit mit einer Bescheidenheitsgestik verbunden, da ist sicherlich sehr viel dran, gleichzeitig braucht man innovative Lösungen, und diese Spannung ist in diesen Diskussionen drin. Ist Nachhaltigkeit ein Bewahren bestehender Strukturen oder ist es auch ein Schaffen neuer Strukturen? Und das sehen verschiedene Gruppen verschieden. Die größeren Versprechungen machen, glaube ich, die Klimaökonomen oder die Umweltökonomen, die der Ansicht sind, dass man auf die innovativen Grundstrukturen aus der Gesellschaft nicht verzichten muss, weil es grüne Lösungen gibt, die an den Grundparadigmen unserer Wirtschaftsweise, unserer politischen Organisation nichts verändern müssen. Da ist natürlich die Frage, ob das wirklich zutrifft.
Weber: Wenn wir uns jetzt mal ein ganz konkretes kirchliches Projekt vornehmen, die Klimakollekte: Da kann man also sogenannten unvermeidlichen CO2-Ausstoß durch eine Spende kompensieren, auf der Webseite geht das ganz einfach, also kurz gesagt: Ich spende etwas und mache dann trotzdem meine Flugreise und habe aber ein etwas besseres Gewissen, weil durch meine Spende jetzt in Indien ein bisschen mehr Geld da ist, um eine Biogasanlage zu bauen. Halten Sie das für eine sinnvolle Aktion oder reproduziert das nicht letztlich doch den vielkritisierten Handel mit den Emissionszertifikaten, natürlich auf viel kleinerem Niveau?
Lucht: Ja, wenn die Kompensation ernsthaft läuft, ist sie sicherlich ein Beitrag, aber ist natürlich nicht im Bereich der Kernlösungen anzusiedeln. Die Kernlösungen sind einfach bei der Vermeidung der Emissionen zu sehen. Die Emissionen müssen stark reduziert werden, sie müssen in unseren Ländern auf fast Null reduziert werden in den nächsten Jahrzehnten, sonst wird aus der ganzen Geschichte nichts. Da nützen auch Kompensationen nichts.
Weber: Ihr Arbeitsbereich ist die Erdsystemanalyse: Wenn ich das jetzt mal als Laiin sehr vereinfacht sagen darf, die Frage, wie Natur und Mensch auf die menschgemachte Klimaveränderung reagieren. Kommen in Ihren Berechnungen denn Religionen auch vor als zumindest indirekter Faktor, der das Verhalten von Menschen beeinflussen kann?
Lucht: Leider eben noch gar nicht. Das geht ja nicht nur um Religion, sondern überhaupt über die Frage, wie Menschen sich Meinungen bilden, wie ihre Lebensweisen entstehen, wie die kulturellen Ansichten, die in verschiedenen Weltregionen existieren, sich materiell ausdrücken. Das sind alles Dinge, die die Zukunft der Erde unheimlich stark bestimmen und trotzdem in den Modellen nicht drin sind. Wir arbeiten dort mit Szenarien, was wäre wenn, was wäre, wenn so und so viel Energie verbraucht würde und dabei Emissionen entstehen, wie würde sich das Klima verändern. Aber man kann sicherlich nicht fehlgehen, wenn man sagt, dass die zukünftige Temperatur der Erde sehr, sehr stark von dem abhängt, was in den Köpfen der Menschen und kollektiv in den Gesellschaften, die aus ihrem Gespräch entstehen, passiert. Dieser Feedback, wie wir sagen, diese Rückwirkungsmechanismen im Erdsystem, ist wahrscheinlich der stärkste, und von dem hängt die zukünftige Temperatur ab, und das ist genau der, der noch am allerwenigsten modelliert und einbezogen wird. An dieser Front arbeiten wir jetzt, wir haben Pläne und diskutieren das auch im internationalen wissenschaftlichen Kontext, hier ein bisschen weiterzugehen und solche Dinge stärker einzubeziehen als bisher. Im Grunde ist die Natur ja in einem Durchgangsstadium – die Veränderungen der Umwelt heute gehen vom Menschen aus vor allem, sie werden im Umweltsystem prozessiert und wirken nachher auf den Menschen zurück. Insofern beginnt es in der Gesellschaft und endet in der Gesellschaft, und am Schluss sind vor allem wir selbst davon betroffen. Deswegen ist ganz wichtig, dass wir den Blick auf die Gesellschaften viel stärker wenden als das bisher der Fall gewesen ist. Da haben die Naturwissenschaften erst mal den Weg vorangefunden, aber nun ist es ganz wichtig, dass die Sozial- und Geisteswissenschaften an Bord kommen, und genau in diese Richtung geht auch die internationale Diskussion darüber, was in der Forschung zum globalen Wandel in den nächsten zehn Jahren passieren sollte.
Weber: Wenn Sie sich jetzt noch etwas wünschen könnten von den Kirchen, wie die Sie in der Arbeit für den Klimaschutz unterstützen könnten, was würden Sie da formulieren?
Lucht: Einerseits, dass sie als Organisation Vorbild für umweltgerechte Verfahrensweisen sind, aber vor allem würde ich mir wünschen, dass sie sich dem Thema viel stärker widmen als bisher, ob es nicht eine Kernaufgabe christlichen Daseins ist, Umweltverantwortung wahrzunehmen und wie sich das theologisch begründen lässt. So wie es zum Christentum gehört, für den Mitmenschen da zu sein, gilt das auch für das Mitgeschöpf, für das die Kirchen dazu aufrufen wollen, zu fragen, ob das Klimaproblem zu ignorieren, ob das mit christlichem Dasein vereinbar ist. Dann wäre nämlich das Engagement der Kirchen nicht nur das Engagement, das sie aus genereller Verantwortung haben, sondern explizit Teil des Grundauftrags des Christentums. Mein Verdacht ist, so wie Bonhoeffer sagte, dass man kein Christ sein kann, wenn man nicht für die Juden eintritt, genauso gilt das für Mitgeschöpfe allgemein. Das betrifft eben nicht nur die Mitchristen oder auch nicht nur die Mitmenschen, sondern die gesamte Schöpfung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.