Die Abgasjäger
Axel Friedrich und Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe sind der Albtraum der deutschen Automobilindustrie. Seit mehr als einem Jahr bringen sie Licht in den Skandal um manipulierte Abgaswerte. Dafür wurden sie massiv von den Autokonzernen bedroht.
Als herauskam, dass VW seine Abgaswerte manipuliert hatte, präsentierten sich die anderen Autokonzerne als Saubermänner. Doch Axel Friedrich und Jürgen Resch zeigten mit eigenen Messungen:
Berlin, Anfang Februar. Oben auf dem Hochgleis quietscht die S-Bahn. Unten eilt Axel Friedrich über die Straßen im Regierungsviertel. Und telefoniert.
"Hallo, hier ist Axel. Der Termin steht... kein Problem."
Ein kalter Wind zaust dem 69-Jährigen das graue Haar, prallgepackt drückt ein schwarzer Rucksack auf die weiße Winterjacke. An der Seite lugt die abgenutzte Ecke eines Tablets heraus. Axel Friedrich, promovierter Chemiker, ehemaliger Abteilungsleiter im Umweltbundesamt, ist unterwegs als Berater: "Consultant" und "Internationaler Verkehrsexperte" steht auf seiner Visitenkarte.
"Wir haben die Chance, das erste Mal seit langem, die Industrie in der Defensive zu haben, das heißt das System neu zu gestalten. Wir haben jetzt ein Fenster von sieben bis acht Monaten, wenn wir es bis dahin schaffen, das System neu zu gestalten, dann haben wir vielleicht in Zukunft eine Chance, Autos zu haben, wo das drin ist, was draufsteht."
Seit fünf Monaten beschäftigt der Diesel-Skandal die Automobilbranche. Ein VW-Problem – versichern die anderen Autohersteller und präsentieren sich als Saubermänner.
Axel Friedrich sieht das anders. In den letzten Monaten hat er etliche Diesel-PKW getestet, zusammen mit der Deutschen Umwelthilfe, einer kleinen, aber schlagkräftigen Nichtregierungsorganisation. Heute werden die Messergebnisse präsentiert.
In Raum 1 der Bundespressekonferenz warten bereits gut 30 Journalisten. Jürgen Resch nickt grüßend in die Runde, schüttelt ein paar Hände, sucht sich seinen Platz auf dem Podium.
Drohungen seitens der Autoindustrie
Resch ist Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Mit guten Verbindungen in die Schweiz. Dort hat seine Organisation in den letzten Wochen etliche Diesel-PKW auf den Prüfstand gebracht. Denn in Deutschland waren weder TÜV noch DEKRA bereit, die Abgastests durchzuführen. Resch glaubt zu wissen, warum.
"Man hat offensichtlich seitens der Autoindustrie massiv gedroht, dort keine Aufträge mehr zu platzieren, so wurde uns das dann auch immer wieder mündlich erläutert. "
Der Mittfünfziger legt einen Stapel Unterlagen vor sich. Er weiß, was er heute auf keinen Fall sagen darf.
"Wir haben von Opel ein Schreiben bekommen, vom Chefsyndikus, das man jedes unserer Worte genau beobachten und bewerten werde, wegen rechtlicher Schritte. Wir haben sehr klar signalisiert bekommen, wenn sie eine Möglichkeit finden, werden wir sofort mit einer Schadensersatzklage überzogen."
Vor Resch liegt auch, verdeckt, ein Schreiben des Anwalts Christian Schertz. Eine Androhung von Schadensersatzklagen im Namen der Daimler-AG, falls behauptet wird, dass der Automobilkonzern Abgaswerte manipuliert.
Auch wenn Resch aus dem Schreiben zitiert, wird eine Strafe fällig. 250.000 Euro oder sechs Monate Haft. Ein juristischer Maulkorb, der die Arbeit des Umweltverbandes erheblich erschwert. Die Deutsche Umwelthilfe hat dagegen Klage eingereicht. Doch die Verhandlung steht zu diesem Zeitpunkt noch aus.
"Wir haben nichts gemacht ohne unseren Anwalt Prof. Klinger, der bei allem dabei war, wir haben drei Monate den Begriff Abschalteinrichtungen auf seine dringende Empfehlung immer umschreiben müssen und zwar mit der Formulierung 'diese Werte sind technisch nicht erklärbar'. Das ist natürlich sehr schwer, mit diesen Umschreibungen klarzumachen, dass es sich hier um illegale Abschalteinrichtungen handelt."
Resch blickt auf die Uhr, noch 20 Minuten bis zu Beginn der Pressekonferenz.
VDA spricht von sauberer Dieseltechnologie
Eckehart Rotter: "Die deutsche Automobilindustrie ist führend in der Dieseltechnologie. Und das weltweit. Wir sind im Grunde die Dieselnation, wir haben den Diesel salonfähig gemacht, insofern, der war ja früher laut und schmutzig, dass er leistungsstark, effizient und sauber ist."
Nur wenige hundert Meter weiter preist Eckehart Rotter den deutschen Diesel: Sauber, umweltschonend, effizient - Hightech made in Germany. Rotter ist Sprecher des Verbandes der Automobilindustrie, kurz VDA.
"Wir kennen Herrn Resch. Herr Resch kennt uns. Und das über viele Jahre."
Alle zwei Jahre kommt es zum Showdown. In Frankfurt. Bei der IAA – der internationalen Automobilausstellung für PKW.
Die Hersteller zeigen da ihre neuen Modelle. Die Umweltverbände prangern Umweltbelastungen an. Bis zu 25 Mal höhere Schadstoffmengen als erlaubt würden von Diesel-Fahrzeugen emittiert, warnte die Deutsche Umwelthilfe beim letzten Mal. Und gab den Herstellern eine Mitschuld am vorzeitigen Tod von zehntausenden Menschen, die - laut Statistik - aufgrund der Luftbelastung frühzeitig versterben.
Rotter: "Und man sollte auch nicht wie Herr Resch das immer wieder tut, von fahrlässiger Körperverletzung mit Todesfolge in Zehntausenden von Fällen reden, das ist einfach Unsinn, das ist auch unethisch den Verkehrstoten gegenüber. "
Auf der letzten IAA lief anfänglich alles wie immer. In den Hallen glänzender Lack, hübsche Hostessen und lächelnde Manager, vor der Tür protestierende Umweltschützer. Die kritisierten auch, dass BMW, Daimler und VW in den USA viel sauberere Autos auf die Straße bringen als in Europa.
Einen Tag später ist dieses Argument Geschichte. Der VW-Betrug fliegt auf. Und überrascht Umweltschützer und Autohersteller. Mauschelei made in Germany. Eckehart Rotter ahnt, dass von dieser IAA kein automobiles Aufbruchssignal ausgehen wird.
"Klar war damals schon, dass es eine große Kampagne auch gibt, den gesamten Diesel und damit die deutsche Automobilindustrie als die Dieselexperten unter Generalverdacht zu stellen."
"Es ist ein System-Problem"
Noch zehn Minuten bis zur Pressekonferenz. Axel Friedrich kommt in den Raum, setzt sich neben Jürgen Resch. Die beiden stecken kurz die Köpfe zusammen. Sie kennen sich seit Jahrzehnten.
Axel Friedrich reckt sein abgenutztes Tablet in die Höhe, präsentiert eine Schlagzeile aus der italienischen Zeitung "La Republica": "Fiat-Chrysler hält alle Vorgaben ein", heißt es da. Darunter ein Bild des Konzernchefs mit gefalteten Händen.
Der 69-Jährige legt das Tablet auf den Tisch, greift zum Pointer, federt vom Stuhl, geht fünf Schritte zum großen Smartboard.
"Hier sehen sie das Auto; Einen Fiat 500 Crossover, SUV, Vierradantrieb, neuestes Modell, Euro 6."
Ein roter, bulliger, Diesel-Allrad-PKW. Auf den Prüfstand gebracht in der Schweiz.
Den Pointer in der rechten Hand, die linke entspannt in der der Hosentasche, erläutert der Chemiker die Ergebnisse.
Wieder einmal liegen Welten zwischen den Stickoxid-Werten aus dem Labor und dem Realbetrieb. Nur, dass die Messgeräte jetzt ein paar Mal kapitulierten, weil zu viel NOx, also Stickoxid ausgestoßen wurde. Friedrichs Fazit:
"Es ist überhaupt kein VW-Skandal, VW ist ein graues Schaf, wir haben aber schwarze, heute haben wir tiefschwarze Schafe gesehen, das heißt, es ist keine Problematik, die VW alleine betrifft. Denn es ist ein System-Problem."
Einige Tage später sitzt Axel Friedrich in seinem Arbeitszimmer in einem Altbau, gleich unterm Dach, im Berliner Bezirk Zehlendorf. Der Chemiker ist zufrieden, der Fall Fiat macht Schlagzeilen. Der Diesel bleibt in der Diskussion.
"Es gibt immer die gleichen Reaktionen von allen Firmen. Erst sagt man, das Problem gibt es gar nicht. Dann sagt man, wir verhalten uns konform mit dem Gesetz. Und drittens sagt man: Das Problem ist ja gar nicht problematisch. Das sind die drei Ebenen. Und das ist immer das Gleiche."
Friedrich lächelt, nimmt einen Schluck Tee. Den trinkt er kannenweise. Das Reaktionsschema von Unternehmen, das Verhältnis von der Wirtschafts- zur Umweltpolitik hat er fast drei Jahrzehnte lang studiert. Als Beamter beim Umweltbundesamt:
"Es gab unter jedem Minister immer wieder Konflikte, egal ob er schwarz, grün, gelb war, völlig egal. Oder rot. Denn wenn man sich der Wahrheit nähert, das ist ja die Aufgabe des Umweltbundesamtes, nämlich den Status dazustellen und Vorschläge zu machen, wie es gehen muss, dann gibt es Konflikte. Und natürlich in keinem Bereich sind die Konflikte so groß wie beim Thema Verkehr."
Friedrich wird kaltgestellt - vom damaligen Umweltminister Gabriel
Jahrelang leitete Friedrich die Abteilung für Verkehr, Luftreinhaltung und Lärm. Er kritisierte immer wieder die Abgaspolitik der Automobilindustrie, forderte ein Tempolimit, effizientere Fahrzeuge. Von den Umweltverbänden bekam er regelmäßig Beifall. Von der Automobilindustrie Beschwerden:
"Das ist einfach so, damit muss man leben. Und damit muss man umgehen können. Wer es nicht kann, ich habe es gesehen, Kollegen sind kaputt gegangen dran, die haben das nicht ausgehalten. Ich bin etwas robuster gestrickt und wehre mich. Aber angenehm ist das natürlich nicht."
Auch für Friedrich wird es am Ende seiner Beamtenlaufbahn unangenehm. Er verliert die Zuständigkeit für den Verkehrsbereich. Im Skandal um nicht funktionierende Diesel-Filter, die zehntausendfach in Deutschland verbaut wurden, macht der damalige Umweltminister Sigmar Gabriel den Abteilungsleiter verantwortlich.
"Man hat versucht, mich da hinzustellen, ich habe genau das Gegenteil gemacht, ich habe gewarnt vor den schlechten Filtern, also deswegen schon interessant, wie man hier Verantwortlichkeit abschieben wollte auf eine Person, die man aus anderen Gründen abschießen wollte."
Die Umweltverbände protestieren. Die Deutsche Umwelthilfe klagt auf Einsicht in die Unterlagen. Bekommt Recht. Und kann nachweisen, dass Axel Friedrich schon frühzeitig vor den falschen Filtern gewarnt hatte. Dem Beamten hilft das wenig.
Er wird für die letzten Monate seines Berufslebens Leiter eines neuen Schwerpunktes: "Umwelt und Lebensqualität", heißt der. Ein Arbeitsbereich ohne Mitarbeiter. Ohne Zuständigkeit. "Ich bin nicht nachtragend", sagt Friedrich heute. Eher immer noch verwundert. Wie die Verantwortlichen auf den Gedanken kommen konnten, ihn auf diese Weise ruhigstellen zu können.
Rotter (VDA): "Wir kennen Herrn Axel Friedrich und schätzen ihn als Experten auf seinem Gebiet seit vielen Jahren. Die Kompetenz, die ein Herr Friedrich aufweist, das ist sicherlich so, die andere Frage ist die: Macht es nicht manchmal Sinn, ein bisschen verbal abzurüsten? Macht es nicht auch Sinn; von der Emotionalität etwas runter zu gehen und sich mehr auf die Fakten zu konzentrieren?
Bei der DUH muss man dazu sagen, dass ist nicht nur eine NGO, deren Name fast schon hoheitlich wirkt, mit 'Deutsche Umwelt Hilfe'. Da meint man ja, das müsste eine große Behörde sein, wenn man genauer hinschaut, ist es zu großen Teilen auch einfach ein Abmahnverein, dessen Aktivitäten darauf abzielen, durch Abmahnverfahren Geld in die Kasse zu spülen. Das ist ein Verein, der durchaus auch im Interesse von Einzelnen Kampagnen startet, das ist die Mehrwegverpackung."
Makler und Autohändler fürchten die DUH
Berlin, Hackescher Markt. Zwölf große Messingschilder glänzen neben dem Eingang von Haus Nummer 4. Die Deutsche Umwelthilfe, kurz DUH, zeigt gleich mehrfach Präsenz: Zweimal mit ihrem offiziellen Logo, dann noch einmal mit der "DUH Umweltschutzservice GmbH". Auch der "Global Nature Fund" und die "Private Brauereien Deutschland" bitten, bei der Umwelthilfe zu klingeln…
Jürgen Reschs Büro liegt im vierten Stock. Hohe Decken, feines Fischgrät-Parkett, Sitzecke mit Sofa und drei Lounge-Sesseln, ein Kamin.
Resch kommt herein. Graues Haar, kurzärmeliges blaues Hemd, Jeans, federnder Schritt. Seit drei Jahrzehnten ist er einer der Bundesgeschäftsführer der DUH. Von einem Verein, der gerade mal 300 Mitglieder hat.
"Wir sind so ein Zwitterwesen. Die deutsche Umwelthilfe ist Umwelt- und gleichzeitig klageberechtigter Verbraucherschutzverband. Und in dieser Doppelrolle haben wir, glaube ich, eine Alleinstellung in Deutschland. Wir können also für Umweltthemen eintreten, wir können diese aber auch vor Gericht durchsetzen und führen im Moment ungefähr 1600 Rechtsverfahren gegen die Industrie. Aber zunehmend auch gegen Bundesregierung, Landesregierungen und eben Kommunen."
Vor allem Makler und Autohändler fürchten die DUH. Wenn sie sich in ihrer Werbung nicht an gesetzliche Vorgaben halten, etwa keine Energie- bzw. Verbrauchshinweise angeben, flattert ihnen oft eine Abmahnung der Umwelthilfe ins Haus. Dann sind 200 Euro fällig. Im Wiederholungsfall wird es richtig teuer.
Wo andere Umweltverbände zur Demonstration aufrufen, reicht die Umwelthilfe Klage ein.
"Wir sprechen davon, dass wir einfach so eine Musketier-Truppe sind, wir haben mit die besten Anwälte in Deutschland, mit denen wir seit über zehn Jahren diese umweltbezogenen Verbraucherfragen klären, wir haben, glaube ich, vor dem europäischen Gerichtshof in den letzten zehn Jahren alle Verfahren gewonnen, wir haben die meisten Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gewonnen. Wir überlegen uns natürlich ganz genau, wann wir den juristischen Weg wählen und wo wir im Politischen bleiben können."
Bundesweite Aufmerksamkeit garantiert erst ein handfester Konflikt. "Skandalisierungs- und Eskalationspotential" – diese beiden Faktoren sind der Treibstoff für eine gelungene Kampagne, weiß Resch. Der Diesel-Skandal bietet beides.
"Als die VW-Meldung kam, da muss ich wirklich sagen, ich habe das Wochenende durchgearbeitet und zwei Tage auch zum Leidwesen meiner Pressestelle unredigierte Pressemitteilungen rausgegeben. Also wenn sie da die Fassung noch lesen, da finden sie Schreibfehler, weil es darum ging, in der Kampagne auch 'ne gewisse Kommentierungshoheit zu erreichen."
DUH spricht von Verbrauchertäuschung bei Opel
Kommentierungshoheit – das bedeutet auch schneller und lauter zu sein als andere Umweltverbände. Die Deutsche Umwelthilfe veröffentlicht das Originalschreiben der US-amerikanischen Umweltbehörde an VW, wirft Volkswagen-Chef Winterkorn zweimal vor, die Unwahrheit gesagt zu haben, bezichtigt die Bundesregierung der Kungeleien mit den Autobauern. Und klagt vor Gericht gegen einzelne Hersteller:
"Opel hat seinen Zafira, der eben einer der schlimmsten Abgassünder ist, beworben mit: Das beste Auto bezüglich Abgaswerte seiner Klasse. So sauber wie ein moderner Benziner, im heißen Italien entwickelt, bei minus 30 Grad auf die Funktionstüchtigkeit der Abgasreinigung getestet."
Auch das Opel-Modell hatte die Umwelthilfe auf dem Prüfstand.
"Und tatsächlich ist dieses Fahrzeug 30-40 mal schmutziger als selbst ein Opel-Benziner und schaltet bei +17 Grad und allen Minustemperaturen die Abgasreinigung einfach ab. Der Staat weigert sich, gegen so eine Verbrauchertäuschung vorzugehen. Wir mussten vor Gericht ziehen und haben uns auch mit den wesentlichen Kernforderungen durchgesetzt und haben eben Opel verbieten lassen, solche Aussagen zu treffen."
Auch VW beschäftigt die Deutsche Umwelthilfe. 2,4 Millionen Halter von Dieselfahrzeugen bekommen Post von ihrem Hersteller. Das Kraftfahrtbundesamt, die Bundesoberbehörde für Verkehrsfragen, hat den Rückruf angeordnet. Schritt für Schritt sollen die Fahrzeuge in die Vertragswerkstätten rollen, um die Schummel-Software der Gesetzeslage anzupassen. Doch welche Auflagen dabei erfüllt werden müssen, dazu schweigt die Behörde.
"Die Deutsche Umwelthilfe hat auch geklagt auf die Offenlegung der Rückrufvorschriften für die VW-Modelle. Und die Bundesregierung wurde verurteilt, die Unterlagen offen zu legen. Daraufhin hat das Kraftfahrtbundesamt eine 580-seitige Akte praktisch von der ersten bis zur letzten Seite, bis hin zur Seitenpaginierung Zeile für Zeile geschwärzt."
Also müssen wieder die Rechtsanwälte ran. Und erneut klagen. Diesmal auf eine Entschwärzung der Unterlagen. Das kostet Zeit. Und Geld.
Nur 27 von 53 Fahrzeugen halten die Grenzwerte ein
Im Frühjahr ist die Diesel-Debatte an einem Wendepunkt angekommen. Das Thema VW ist medial fast erledigt, der Rückruf läuft. Und auch das Kraftfahrtbundesamt meldet sich nun zu Wort.
Ende April präsentiert Verkehrsminister Alexander Dobrindt die Ergebnisse der ersten größeren Diesel-Untersuchung. 53 PKW-Modelle testete die Bundesoberbehörde. Nicht nur auf dem Prüfstand, diesmal auch auf der Straße. Nur 27 Fahrzeuge blieben dabei im gesetzlichen Rahmen. Beim Rest wurden deutlich erhöhte Stickoxid-Werte gemessen.
Rotter: "Und als diese Ergebnisse dann vorlagen, es gibt nur diesen einen Fall der illegalen Manipulation."
Das ist die gute Nachricht für Eckehart Rotter vom VdA.
"Es gibt aber auf der anderen Seite und das ist bedingt durch die Richtlinie der EU eine Bandbreite an Möglichkeiten, eine Grauzone, einen Spielraum, der genutzt wurde, von allen Herstellern, nicht nur von den Deutschen auch von den Importeuren."
Die Grauzone – das ist der sogenannte Motorschutz. Um den Motor vor Schäden zu bewahren, darf die Abgasreinigung in Ausnahmesituationen abgeschaltet werden.
Ein Schummler. Viele Trickser. Die ganz legal Hintertürchen im Genehmigungsverfahren nutzten. Neben 2,4 Millionen VW müssen nun auch 600.000 andere PKW nachgebessert werden. Freiwillig, wie Eckehart Rotter immer wieder betont:
"Es ist eine Aufforderung auch vom Ministerium gewesen, also eine Maßnahme die für den Kunden kostenlos ist, die sein Fahrzeug in einen besseren Zustand bringt, die den Verbrauch nicht erhöht. Und insofern eine Maßnahme, die das Fahrzeug noch besser macht."
Noch besser. Aber erst durch Nachbesserung. Und der angebliche Motorschutz? Unangenehme Fragen, die Mitarbeiter in den Service-Werkstätten nun öfter zu hören bekommen.
Die Branche bessert nach. Fall erledigt?
Für die Autobranche scheint der Fall Anfang Mai damit weitgehend erledigt. Das Kraftfahrtbundesamt hat gemessen, die Branche bessert nach. Und konzentriert sich wieder auf ihre gesamtgesellschaftliche Verantwortung:
Rotter: "Die DUH hat 80 Mitarbeiter, die deutsche Automobilindustrie hat 800.000, das ist eine Verantwortung, die wir haben, und hier sehen wir uns auch dem gesamtgesellschaftlichen Wohl verpflichtet. Das ist nicht nur ein Einzelinteresse, das wir haben, darum sind wir auch so wichtig für den Standort Deutschland, als Industrie, als Arbeitgeber, als Arbeitnehmer, als Innovationsmotor, als Exportweltmeister, wir können uns hier keine Schwächen leisten."
Axel Friedrich: "Ich bin noch nicht arbeitsfähig, ich habe noch keine Kanne Tee getrunken."
B: "Soviel trinken Sie immer?"
"Ja, am Tag trinke ich drei Kannen. "
B: "Soviel trinken Sie immer?"
"Ja, am Tag trinke ich drei Kannen. "
Berlin-Zehlendorf, an einem Sommertag, morgens um 8. Gut gelaunt kommt Axel Friedrich durch die Gartentür. In der einen Hand eine Teekanne, in der anderen drei Tassen. Zwei Fahrer warten schon auf dem Bürgersteig.
Es gibt Tee für alle. Ein Morgenritual. Vor der Testfahrt. Am Bürgersteig parkt ein Kombi, natürlich ein Diesel. Ein Rohr führt vom Auspuff zu metallenen Zylindern, die hinter der Heckklappe angebracht sind. Kabel laufen ins Innere. Dort surren Computer:
"Portable Emissions-Messeinrichtung, das heißt hier haben wir ein System, das analog wie im Labor die Auspuffabgase misst. Das heißt, hier werden die Abgase gesammelt, über einen Durchflussmesser die Volumenströme erfasst, ein kleiner Teilstrom wird abgezogen und über Analysegeräte analysiert."
Mobile Abgasmessung
PEMS heißt das System - ein Messgerät für den Straßenbetrieb, mit dem sich mögliche Abschalteinrichtungen ausbremsen lassen, die erkennen können, wenn ein Modell auf den Prüfstand rollt.
Friedrich holt zwei schwere Gasflaschen aus seinem Lagerraum. "Frisierkunst" steht darüber in geschwungenen Lettern. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Im Frühjahr hat die Umwelthilfe das "Emissions-Kontroll-Institut", kurz EKI, gegründet, um das Diesel-Thema weiter voranzutreiben. Und nicht zuletzt über die parlamentarische Sommerpause zu retten.
"Wenn Sie ein Thema zum dritten, vierten Mal bringen, sagen die Journalisten: nicht schon wieder! Das heißt, Sie müssen das Thema so aufbereiten, dass es auch einen Neuigkeitswert behält. Und das haben wir, glaube ich, ganz gut geschafft."
Leiter des EKI ist – natürlich – Axel Friedrich. Der 69-Jährige schwingt sich auf den Beifahrersitz, klappt den tragbaren Computer auf, verkabelt ihn mit dem Analysegerät. Getestet werden fabrikneue Modelle.
Der Diesel rollt auf die Teststrecke, das Pemsgerät surrt, die Analysegeräte messen, die Computer zeichnen die Daten auf. Ein international anerkanntes Verfahren, sagt Friedrich. Dass in Deutschland allerdings bisher nur selten angewandt wurde. Das ändert sich gerade:
"Das System, das hier steht, das gibt es für 80.000 Euro und das kann sich ein großer Verband wie der ADAC, die sich gerade eins gekauft haben oder große Universitäten, sowas auch leisten."
Einige Wochen später, Anfang September. Strategietreffen am Hackeschen Markt. Im hellen Dachgeschoss der Deutschen Umwelthilfe. Die Sommerferien sind vorbei.
Gut 20 Mitarbeiter und Kollegen sind zum Fachgespräch "Luftreinhaltung" gekommen. Hinter Jürgen Resch lehnt ein großes Verkehrsschild: Durchfahrt verboten. Mit einem Zusatz:
"Dass wir das Verkehrszeichen 251 kombinieren mit dem Zusatzschild: gilt für Diesel."
Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge?
Dass Verkehrsschild ist Teil der erweiterten Diesel-Strategie. Die Deutsche Umwelthilfe klagt immer öfter auf Reinhaltung der Innenstadtluft. Dazu sind die Kommunen schon seit Jahren verpflichtet. Doch in den meisten Innenstädten werden die Grenzwerte für Stickstoffdioxid weiter überschritten.
Resch: "Aus diesem Grund haben wir eine ganze Reihe von Klagen gestartet. Das sind im Moment 15 Klagen gegen 6 Bundesländer und 15 betroffene Städte, da haben wir auch schon viele Klagen entschieden bekommen, alle gewonnen, viele sind auch schon rechtskräftig, wir sind einigen Fällen in einer Zwangsvollstreckung gegen ein Bundesland, das hätte ich mir vor ein paar Jahren auch nicht vorstellen können."
In den Innenstädten sind Dieselfahrzeuge für einen großen Teil der Stickstoffdioxid Belastung verantwortlich. Die liegt vor allem im Winter hoch. Dann, wenn bei vielen Fahrzeugen die Abgasreinigung abschaltet.
"Im Moment ist es so, dass sich die meisten Dieselfahrzeuge rausnehmen, zu 50-80 Prozent der Winterjahreszeit einfach abzuschalten. Und das ist auch der Grund dafür, warum wir im Winter so besonders hohe Belastungswerte haben. Wir haben jetzt gelernt, weil sich die Automobilindustrie einfach erlaubt hat, im Winter nicht den Katalysator scharf zu stellen."
Axel Friedrich sitzt daneben. Und lächelt. Luftreinhaltung und Verkehr – sein altes Thema ist wieder aktuell. Der Bundestag hat mittlerweile einen Untersuchungsausschuss zum Thema Dieselgate eingesetzt, das EU-Parlament untersucht das Thema schon länger.
Weiterhin massive Überschreitungen der Abgasgrenzwerte
Eine Woche später, wieder in einem Raum der Bundespressekonferenz. Auf dem Podium sitzen Jürgen Resch und Axel Friedrich. Vier Kameras sind in Position, zwei Dutzend Journalisten warten. Resch hat schon ein paarmal mit dem Diesel-Verbotsschild für die Fotografen posiert:
"Wir haben 36 Dieselfahrzeuge und drei Benziner untersucht. Wir stellen fest, dass es Überschreitungen bei sommerlichen Temperaturen um das bis zu 9,2-Fache gibt, da waren wir wirklich sehr negativ überrascht."
Wieder übernimmt Axel Friedrich. Erläutert die Untersuchung.
"Wir sehen hier den Spitzenreiter Ford Mondeo mit einem Durchschnitt von 739 Milligramm NOx. Der Grenzwert ist 80."
In der Pressemappe sind alle PKW mit Abgaswerten aufgelistet. Die dreckigsten stehen oben. Ganz unten auf der Seite werden die Abgaswerte immer besser. Dort finden sich viele Neu-Fahrzeuge des VW-Konzerns.
Axel Friedrich: "Der, der jetzt durch sein Verhalten in den USA den ganzen Skandal – Gott sei Dank - ausgelöst hat, ist inzwischen der, der die besten Fahrzeuge im Mittel auf die Straße bringt. Man könnte vermuten, dass dieser Konzern seine Lektion gelernt hat. Wir erwarten, dass diese Hersteller diese Lektion auch wahrnehmen und kapieren."
Auch ein Opel Zafira habe sich nach einem Software-Update deutlich verbessert, sagt Friedrich. Und erzählt lächelnd, dass einige Hersteller nun von sich aus ihre PKW in Zehlendorf zum Testen vorbeibringen. Abgasreinigung ist möglich - das ist die Botschaft.
Im Winter Ausnahmen für Abgase?
Jürgen Resch übernimmt. Reckt ein DIN A4-Blatt in die Höhe. Ein Schreiben von Verkehrsminister Dobrindt. Es geht um den Porsche Makan. Der soll in den nächsten Wochen in die Werkstätten rollen. Zum Softwareupdate für eine bessere Abgasreinigung. Die Umrüstung ist vom Kraftfahrtbundesamt freigegeben. Doch wieder gibt es eine Temperaturgrenze:
"Wenn Porsche bei plus 5 Grad mit Billigung von Dobrindt abschalten darf, können es andere auch. Bloß leider haben wir plus fünf Grad als überwiegende Temperatur zwischen Oktober und März eines jeden Jahres, dass sind auch die Monate, in denen wir besonders hohe Abgaswerte in den Städten haben."
Die Deutsche Umwelthilfe wird dagegen Klage einreichen, kündigt Resch an. Und deutet auf das Verkehrszeichen vor dem Podium. Dreckige Diesel gleich dreckige Innenstadtluft – das gibt reichlich Stoff für weitere Kampagnen. Ein Jahr nach dem VW-Skandal...
"Für die Städte hat das die Folge, dass wir auf absehbare Zeit nicht umhin kommen, Dieselverkehr auszusperren.
Das, was wir jetzt mit der Autoindustrie in den letzten zwölf Monaten erlebt haben, das ist nochmal eine Schippe drauf. So massiv bedroht, so unter Druck gesetzt wurde ich noch nie. Und meine Mitarbeiter. Solche Ängste, die wir hatten, um Fortbestand, um mögliche persönliche Folgen, da sieht man, was passiert, wenn innerhalb einer Gesellschaft Teile der Industrie sich selbstständig machen und durchregieren können."
Axel Friedrich: "Wenn wir nicht klagen würden, dann würden sich Politik und Industrie nicht bewegen. Nur aufgrund des Drucks hat man manchmal Bewegung. Nicht immer. Manchmal braucht man viel Druck. Wir haben aufgrund dieser ganzen Klagen den Druck jetzt so erhöht, dass die Politik reagieren muss. Gott sei Dank reagieren unsere Gerichte noch unabhängig."