Andachten an verseuchten Gewässern
Verpestete Luft, die Elbe ein Abwasserkanal, das Waldsterben dramatisch: Die DDR war einer der am stärksten verschmutzten Staaten der Erde. Eine Gegenbewegung organisierte sich in den Kirchen. Bis heute besteht die Tradition beim Elbe-Schutz fort.
Magdeburg im Juli. Am sogenannten Domfelsen, direkt an der Elbe, feiert eine große Gemeinde Taufgottesdienst. Damit endet der 7. Elbe-Kirchentag, ein zweitägiges Forum für Menschen, die ein Ziel vereint. Sie wollen verhindern, dass die Elbe zu einer ganzjährig befahrbaren Wasserstraße ausgebaut wird. Gegen diesen politischen Plan wehren sich Elb-Aktivisten aus West- und Ostdeutschland sowie Tschechien. Noch vor 25 Jahren wäre das unmöglich gewesen, sagt Hans-Joachim Döring, Umweltbeauftragter der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.
"Wir müssen ja bei der DDR immer davon ausgehen, dass das ein ideologischer, aber auch ein informationsgeschlossener Raum war. Und jeder, der eine eigene Idee hatte, die konnte durchaus auch reformsozialistisch sein, wenn sie von der SED nicht legitimiert war, stand in der Gefahr, angezählt zu werden oder behindert zu werden."
Kaum verlässliche Informationen über den Zustand der Umwelt
DDR-Bürger kamen nur auf Umwegen an verlässliche Informationen über den Zustand ihrer Umwelt. Christoph Hackbeil, Regionalbischof im evangelischen Sprengel Stendal-Magdeburg, spricht aus eigener Erfahrung.
"Dann hab ich mal von einer Tante aus Polen einen UNESCO-Kurier bekommen, wo gezeigt wurde, wie die Menschen in Japan gegen die Umweltverschmutzung auftreten. Ich erzähle das deshalb, weil es für uns wichtig war, dass es Impulse aus dem Ausland gab über Besuche von Kirchenvertretern aus dem Westen oder über Literatur, die mitgebracht oder geschmuggelt wurde, dass wir verstanden, was bei uns passierte. Denn wir waren ja in einem der am meisten verschmutzten Gebiete der Erde damals."
Extrem verschmutzte Luft, das Waldsterben im Erzgebirge und die zum Abwasserkanal degradierte Elbe – das waren die drei großen Themen, die eine Umweltbewegung in Gang brachten.
Döring: "Die Kirchen waren ein Freiraum, wo man reden konnte, unabhängig von der religiösen Sozialisation, eine gute Fläche, Gedanken auszutauschen, auch Westliteratur auszutauschen und quer zu denken."
Kleine symbolische Protest-Aktionen waren möglich
Zum Zentrum der kirchlichen Umweltbewegung entwickelte sich in den 1980er-Jahren das Forschungsheim Wittenberg. Dort wurden Informationen gesammelt, wissenschaftlich aufgearbeitet, vervielfältigt und unter der Hand weitergegeben. Regionalbischof Christoph Hackbeil:
"Also für mich war es wahnsinnig aufregend, über eine kirchliche Studie das erste Mal davon zu hören, was in der Wismut passierte, also bei Uranförderung. Das war der Bevölkerung ja nicht bekannt, dass hier Uran gefördert wurde für die ganzen sowjetischen Atomraketen, ja, und was die Menschen da durchlitten haben. Und so sickerte Information, die vom Staat wirklich dichtgehalten wurde, in die Kirche ein und dort in den Umweltgruppen verstärkte sich damit natürlich das Bewusstsein: Wir müssen irgendwas tun."
Kleine symbolische Aktionen waren möglich, etwa Andachten an einem verseuchten Gewässer. Vor allem aber leistete die Kirche Bildungsarbeit. Das änderte sich nach der Wende, als viele Bürger sich Umweltverbänden anschlossen oder ökologisch geprägten Parteien.
"Diese Art von Raum geben, Diskussionen ermöglichen, unterschiedliche Meinungen aushalten, das war nicht mehr die Funktion der Kirche",
sagt Hans-Joachim Döring. Doch die Kirche hat diese Funktion eines Forums zurückerobert. Jedenfalls was die Elbe angeht. Von der Flussmündung bis nach Tschechien haben sich kirchliche Umweltgruppen und regionale Umweltverbände eng vernetzt. Gemeinsamer Treffpunkt ist seit 2008 einmal im Jahr der Elbe-Kirchentag. Christen und Atheisten wollen verhindern, dass ein 20 Jahre alter politischer Plan umgesetzt wird. Hinter diesem Plan steht eine einflussreiche Allianz aus Hafenbetrieben, Transportunternehmen sowie Industrie- und Handelskammern. Deren Ziel: Dreilagig beladene Containerschiffe sollen die Elbe befahren können, das ganze Jahr über.
Dörfler:"Die Elbe ist ja bekanntermaßen ein Niedrigwasserfluss. Die Niedrigwasserzeiten werden häufiger und länger, und Schiffe brauchen ein Mindestmaß an Wasser, ein Mindestmaß an Wassertiefe, wenn sie rentabel fahren wollen und genau das kann die Elbe nicht bieten."
Kirche knickt ein
Ernst Paul Dörfler vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland beobachtet seit Jahren die Entwicklungen an der Elbe von Mecklenburg bis Sachsen. Ist also der Elbeausbau sinnlos, ein Millionengrab und ein großer Schaden für die Natur? Diese Fragen werden bei den Elbe-Kirchentagen auch mit Vertretern aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung diskutiert. Walter Rademacher, in Cuxhaven Sprecher des Bündnisses gegen Elbvertiefung, hat schon mehrere Elbe-Kirchentage miterlebt.
Rademacher: "Mein Eindruck ist, dass hier schon einiges passiert ist, dass also, vor sechs Jahren war das ja, dass da also die Fronten vollkommen verhärtet gewesen sind, dass man also heute schon n bisschen miteinander auch schon reden kann, ein gewisses Umdenken schon eingesetzt hat – nicht bei allen, aber doch ne veränderte Situation gegenüber 2008."
Einen Erfolg erreichten die kirchlichen Umweltgruppen auch 2010. Die damals sieben evangelischen Landeskirchen entlang der Elbe forderten mehr Umwelt- und Naturschutz am Fluss. Das Bundesverkehrsministerium arbeitet zwar mittlerweile an einem entsprechenden Konzept. Doch die politischen Verhandlungen laufen zäh. Und der innerkirchliche Konsens ist brüchig. Beispiel Nordkirche: Zu ihrem Gebiet gehört auch Hamburg. Die Hansestadt plant für ihren Hafen eine weitere Elbvertiefung. Die ist allerdings heftig umstritten. Als bekannt wurde, dass die evangelische Landeskirche den Sinn der Vertiefung infrage stellt, gab es massiven Druck aus Hafenwirtschaft und Politik. Seitdem äußert sich die Nordkirche nur noch neutral zur Elbe. Das Engagement für Natur und Umwelt ist also offenbar eine Frage der Machtverhältnisse. Und ein Generationenfrage.
Erika Tipke: "Die Bewahrung der Schöpfung, wenn da die Kirche sich nicht für einsetzt, dann weiß ich nicht, wer das machen soll."
Erika Tipke aus dem Elbstädtchen Bleckede in Niedersachsen ist 70.
Angela Stephan: "Schöpfung bewahren heißt, Natur bewahren auch für unsere künftigen Generationen."
Angela Stephan, Ärztin in Magdeburg in Sachsen-Anhalt, ist 58. Wie Erika Tipke engagiert sie sich unter dem Dach der Kirche für den Schutz der Umwelt. Beide Frauen sind, wie die meisten Elbaktivisten, geprägt durch die 1980er-Jahre. Damals entwickelte sich weltweit eine Bewegung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Doch diese Bewegung trägt offenbar nicht mehr.
Stephan: "Es gibt da auch Differenzen, auch innerhalb der Kirche, man kann nicht sagen, die Kirche ist generell dem Umweltthema aufgeschlossen, es ist wie immer ein Teil, der dann auch aktiv ist."
Die Aktiven werden jedoch weniger, im Osten wie im Westen. Den Kirchen fehlt heute also beides: das verbindende Thema und der Nachwuchs.