Umweltschutz auf den Andamanen

Ein "Hoffnungsort" in Gefahr

20:23 Minuten
The Andaman Islans, India 2019
Imposante Mangrovenwälder und ein malerischer Ozean: Auf den Andaman-Inseln gibt es mehrere Tausend Pflanzenarten und rund 2400 Tierarten. © Emre Caylak
Von Nicole Graaf |
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Die Strände der Andamanen gehören zu den schönsten der Welt. Die Inselgruppe liegt im Golf von Bengalen und gehört zu Indien. Ein Paradies für Aussteiger und seit einigen Jahren auch für Touristen. Noch. Denn der Klimawandel ist auch schon da.
Sajan Pulinchery sitzt auf seiner kleinen Ferienanlage in einem überdachten Rondell auf einem Barhocker. Der Ort dient ihm als Büro. Von hier aus blickt der 43-Jährige mit Vollbart, Cargohose und Flipflops auf das von Kokosnusspalmen gesäumte Ufer. Keine fünfzig Meter davor liegt ein ausgedehntes Korallenriff. "Wenn wir die Korallenriffe nicht schützen, wird das Auswirkungen auf dem halben Globus haben."

Die Andamanen – ein "Hoffnungsort"

Seine Ferienanlage liegt auf der Insel Havelock im Archipel der Andamanen und Nikobaren. Die Gruppe aus 572 Inseln, von denen nur 37 bewohnt sind, liegt im Golf von Bengalen und gehört zu Indien. In unzähligen Korallenriffen leben dort Fische, Korallen und Weichtiere, deren Larven und Eier sich von hier aus über den halben Globus verteilen. Deshalb hat die internationale Meeresschutzorganisation Mission Blue die Inseln in die Liste ihrer Hope Spots – Hoffnungsorte – aufgenommen. Das sind Orte mit artenreicher Unterwasserwelt, die zur Gesundheit der Weltmeere beitragen und deshalb besonders schützenswert sind.
"Wenn man in Zukunft weiter atmen will, dann braucht man gesunde Meere. Bäume produzieren 30 Prozent unseres Sauerstoffs, aber die Meere produzieren siebzig Prozent."
Ein Mann mit schwarzem Vollbart und Tauchausrüstung taucht in Strandnähe aus dem Wasser auf und lächelt.
"Der Korallenretter": Sajan Pulinchery zog vor 26 Jahren aus dem lauten Bangalore auf die Andamanen um.© Emre Caylak
Nur wenige Meter vom Ufer entfernt beginnt ein ausgedehntes Korallenriff, um das Pulinchery sich kümmert. Und er versucht seine Gäste für den Umweltschutz zu sensibilisieren.
"Ich bringe den Leuten etwas bei über Meereskunde, darüber, wie die natürliche Balance funktioniert und wie sie sich verhalten sollten. Wir suchen aktuell nach Freiwilligen, mit einem guten Umweltbewusstsein. Wir planen etwa zwei bis drei pro Monat aufzunehmen, gegen Kost und Logis sowie ein Taschengeld von 300 bis 400 US-Dollar. Wir brauchen Schnorchler, die die Korallen von der Wasseroberfläche aus beobachten. Wir werden ihnen beibringen, wie sie die Standorte markieren, die Farben erkennen und wie sie zwischen gesunden und angeschlagenen Korallen unterscheiden."

Im Süden Naturschutzgebiet, im Norden Ferienanlagen

Havelock ist neben der Hauptstadt Port Blair und ihren Sehenswürdigkeiten das Hauptziel für Besucher auf den Andamanen. Die gesamte Insel ist kaum größer als das Stadtgebiet von Tübingen. Der Süden ist komplett von Wald bedeckt und steht unter Naturschutz, nur die Strände im Norden sind touristisch erschlossen.
Ein Tourist mit Gepäck. läuft einen breiten Sandstrand am Meer entlang. Im Hintergrund die Wälder der Andamanen.
Havelock, Radanagar Beach: Touristen tummeln sich meist auf einer Stelle. Ansonsten sind die Strände fast menschenleer.© Nicole Graaf
Entlang der Nordostküste reiht sich eine Ferienanlage an die nächste, entlang einer einzigen Straße. Die Anlage von Pulinchery liegt etwa 200 Meter ab der Straße in einem Kokosnusshain, nicht weit vom kleinen Hafen, wo die Fähre nach Port Blair ablegt.

"Ich hatte Bangalore satt"

Als Pulinchery vor 26 Jahren hierherkam, gab es hier nichts als Palmen und Ackerland. Er war einer der ersten Rucksacktouristen auf Havelock. Er stammt aus dem südindischen Kerala und studierte damals noch Computerwissenschaften. Und dann tauschte der Mann mit den langen wilden Locken die Hektik der Großstadt Bangalore gerne gegen diese atemberaubend schöne Inselwelt ein.
"Ich kam hierher und dann war da so viel Natur. Ich hatte Bangalore satt. Wie können Leute so leben, nur fürs Geld verdienen und jeder macht dasselbe? Man verdient Geld, kauft vielleicht ein Haus, dann stirbt man und die Kinder tun wieder dasselbe. Hier zwischen diesen zwei Bäumen in meiner Hängematte fühlte ich mich so gut. Ich lebte fünf Jahre so, dann zehn Jahre in unserem offenen Restaurant. Ich habe immer noch kein Haus, denn ich möchte meine Kinder nicht in einer Komfortzone einschließen. Sie sollen frei sein und diesen Planeten erkunden und tun, was immer sie wollen."
Landung am Strand der Andaman-Insel: Die Tauch-Crew ist zurück
Die besten Tauchgründe weltweit: Landung am Strand, eine Tauch-Crew ist zurück.© Nicole Graaf
In das Tourismusgeschäft ist er eher durch Zufall gekommen: er fragte den Mann, auf dessen Land er damals campte, ob er verkaufen würde.
"Für Inder waren die Strände damals vor 26 Jahren nur als Toilette gut. Man ging zum Strand und verrichtete sein Geschäft. Wer möchte sein Land da gleich am Strand haben?"
Sie einigten sich auf 3000 Rupien, heute keine vierzig Euro. Damals viel Geld für einen Kokosnusshain, der ansonsten nur als Toilette und Müllhalde diente. Heute gilt das Land als Prime Location, direkt am Meer. Pulinchery ist aber nicht wie die meisten Hotel- und Restaurantbesitzer auf Havelock am Geld verdienen interessiert sondern daran, mit dem Geschäft seine Umweltschutzprojekte zu finanzieren.

Die Korallen leiden unter der Erwärmung der Meere

Wie die Riffe weltweit, so leiden auch die auf den Andamanen und Nikobaren unter der Erwärmung der Meere. 2010 und 2015 war es wegen warmer Strömungen durch das "El Niño"-Phänomen zu einer Korallenbleiche gekommen. El Niños treten zwar natürlicherweise alle paar Jahre auf. Klimaforscher vermuten jedoch, dass sie mit steigender Erderwärmung möglicherweise häufiger vorkommen.
Ausgebleichte Korallen brauchen rund zehn Jahre, um sich zu erholen und währenddessen darf es nicht zu weiterem Stress durch zu starke Erwärmung oder durch Unwetter kommen. Sonst sterben sie langfristig ganz ab.
Ein gestreifter bunter Fisch versteckt sich in den langen Armen einer braunen Koralle.
Schützenswert: eine Anemonen-Pilzkoralle mit einem Clownfisch an einem Riff der Insel Havelock.© Emre Caylak
Um die Korallenriffe vor Havelock wiederzubeleben, züchtet Pulinchery Korallen nach. Die Idee kam ihm bei einem Besuch in Thailand, wo er ein solches Projekt besucht hatte:
"Wir kamen zurück und ich dachte, wir müssen unsere Riffe auch schützen. Denn nach Angaben von Wissenschaftlern verteilen sich die Eier von hier aus über den halben Globus. Die Riffe in Thailand - ganz in unserer Nähe - sind geschützt, aber die Riffe hier stehen nicht unter Schutz."
An mehreren sandigen Stellen nahe des Riffs hat Pulinchery in circa acht bis zehn Metern Wassertiefe sogenannte Korallentische aufgestellt. Rahmen aus Eisen auf etwa eineinhalb Meter hohen Stelzen, die er und sein Team selbst gebaut haben. Die Flächen bestehen aus einem Gitter mit etwa fünf Zentimeter breiten Lücken.

Korallenriffe beleben sich weltweit gegenseitig

Regelmäßig muss er die Korallentische kontrollieren und von Algen befreien. Mit seiner Tauchausrüstung watet er ins Wasser und taucht ab. Keine 100 Meter muss er bis zum ersten Korallentisch zurücklegen. Auf dem Tisch liegen Stücke weißer verästelter Steinkorallen scheinbar wild durcheinander.
Pulinchery nimmt einen der Äste um ihn näher zu inspizieren. Er sieht aus wie der Ast einer stacheligen weißen Pflanze. Aber Korallen sind keine Pflanzen sondern Tiere, genau genommen eine Kolonie kleiner Polypen.
Ein Taucher schwebt unter Wasser über einem Tisch, der völlig bedeckt ist mit Korallen und hebt eine einzelne hoch.
Tauchgang am Tisch: Sajan Pulinchery säubert die Korallen unter Wasser am Riff.© Emre Caylak
Pulinchery taucht unter den Tisch, nimmt sein frei hängendes zweites Mundstück, hält es unter die Korallen und pustet Luft aus seiner Tauchflasche hindurch, um die Algen zu entfernen. Später wird er die nachgewachsenen Korallenäste im Riff einpflanzen. Dafür muss er nur ein kleines Loch in eine versteinerte Koralle bohren und sie hineinstecken.
"Normalerweise wachsen diese Akroporas etwa sieben Zentimeter pro Jahr, aber hier haben wir ein Wachstum von etwa zwölf Zentimeter gemessen. Dafür sorgt der Tisch und die gründliche Reinigung von den Algen. Etwa zur Zeit des Vollmonds im Juni laichen die Korallen in Massen. Die Larven verteilen sich mit der Strömung um den Globus. Entlang des Äquators, da wo Korallen wachsen, siedeln sie sich in geeigneter Umgebung neu an."
Internationale Unterwasserbefruchtung - so beleben Korallenriffe in einem Teil der Welt auch die Riffe in anderen Teilen.

Die Müllbelastung wird zunehmend zum Problem

Nicht nur die Erwärmung der Meere macht den Korallenriffen zu schaffen, sondern auch Müll, der sich darin verfängt. Auf den Andamanen und Nikobaren wird durch die Strömung viel Müll aus den Nachbarländern Thailand und Burma angeschwemmt.
Selbst Strände, die kaum je ein Mensch betritt, sind von Plastikflaschen, kaputten Schuhen und Resten von Bojen und Fischernetzen übersät. Und durch die steigenden Touristenzahlen fällt seit ein paar Jahren auch auf den Inseln selbst mehr und mehr Verpackungsmüll an.

Wenn der Müll einfach ins Meer gekippt wird

Die Insel Neil ist so klein, dass man sie binnen einer halben Stunde mit einem Motorroller einmal komplett durchqueren kann. Aber inzwischen gibt es hier mehr als drei Dutzend Hotels und Bungalowanlagen. Bis vor kurzem existierte nicht einmal eine Müllhalde, so dass alles auf den Grundstücken der Hotels verbrannt, vergraben oder einfach ins Meer gekippt wurde. Als Garima Poonia vor zwei Jahren zum Urlaub nach Neil kam, dachte sie, dass das nicht so bleiben könne.
Die quirlige 26-Jährige mit schwarzer Hornbrille, Pferdeschwanz und Jeans hat ihr Fahrrad vor einer der Lodges abgestellt, die sie regelmäßig besucht. Sie berät einige Hotelbesitzer beim Müllmanagement und versucht dabei so etwas wie Problembewußtsein zu schaffen. Poonia ist sichtlich begeistert bei der Sache und bändigt beim Reden immer wieder ihre herabgleitende Brille.
"Wir machen gerade eine Umfrage bei den Resorts, um herauszufinden wieviel Müll da anfällt und was damit geschieht. Wir versuchen sie auch davon zu überzeugen, in den Zimmern und auch in den Küchen Informationsposter zur Mülltrennung aufzuhängen. Momentan sind Plastikflaschen das größte Problem."
Eine große dampfende Müllkippe inmitten eines Waldes. Auf dem Feldweg steht ein Hund.
Wegkippen als Lösung: Müllmanagement ist auf den Andamanen bislang unbekannt.© Emre Caylak
Poonia hat früher auf dem indischen Festland in der Großstadt Pune bereits in einer Nichtregierungsorganisation gearbeitet, die sich um Projekte zum Thema Müllmanagement kümmert. Inzwischen verbringt sie die meiste Zeit des Jahres auf Neil. Sie will versuchen, eine Müllabfuhr zu organisieren und den Abfall zumindest nach Port Blair zu transportieren. Runter von der kleinen Insel.
"Es bestehen schon Transportmöglichkeiten von Port Blair auf das indische Festland, denn es gibt einige Recyclinghändler. Es existiert also ein Geschäftssektor, wenn auch ein informeller. Aber wenn es darum geht, den Müll von anderen Inseln nach Port Blair zu bringen, dafür existiert kein System".

Eigentlich müsste sich der Staat um den Müll kümmern

Eigentlich wäre das Müllmanagement Aufgabe des Staates, aber das gehe nur langsam voran, sagt Poonia. Erst mit der Kampagne "Sauberes Indien", die die Regierung vor fünf Jahren gestartet habe, seien parallel zu einem sich allmählich entwickelnden Problembewußtsein auch die ersten Lösungsansätze entstanden.
"Gleichgültig, wohin man geht in Indien, die meisten Behördenmitarbeiter wissen nichts über Müllmanagement. Wenn ich also als Distriktmagistrat einen guten Job machen will, dann sorge ich vielleicht dafür, dass es eine funktionierende Müllabfuhr gibt. Aber am Ende werde ich das Zeug auch nur auf einer Müllhalde abladen lassen. Ein tieferes Wissen macht sich da erst seit den letzten vier oder fünf Jahren bemerkbar."
Vier Personen stehen am felsigen Strand und packen Dutzende Plastikflaschen, die im Sand liegen, in große Eimer.
"Plastikflaschen sind das größte Problem": Garima Poonia sammelt mit freiwilligen Helfern das Plastik am Strand der Insel Neil.© Emre Caylak
Zudem sind die Andaman- und Nikobarinseln kein eigener Bundesstaat, sondern unterstehen als Unionsterritorium direkt der Zentralregierung in Neu-Delhi. Und die hat andere Prioritäten, als für die abgelegenen Inseln ein Müllmanagement zu organisieren. Die junge Poonia hat auch noch keine Lösung parat, denn der Transport zwischen den Inseln und zum Festland ist teuer und kompliziert. Alle Güter, die dort verbraucht werden, kommen mit Frachtschiffen die rund 1400 Kilometer vom indischen Festland, manche per Flugzeug. Von Port Blair nach Havelock und Neil werden sie entweder mit den wenigen Fähren transportiert, oder die Ladenbesitzer mieten kleine Motorboote.

Eine junge Frau hat einen Lösungsvorschlag

Poonia stellt sich vor, dass die Boote, die leer zurückfahren, um in Port Blair neue Waren zu holen, den anfallenden Müll mitnehmen könnten. Die Kosten könnten die Resorts in Form einer Müllgebühr zahlen. Bei den meisten ist Poonia mit ihrem Projekt auf offene Ohren gestoßen, denn eine vermüllte Insel ist schlecht fürs Tourismusgeschäft.
"Wir werden als Erstes eine Lagerhalle einrichten. Die Resorts sollen den Müll dann gut säubern, so dass wir dort erst einmal alles schön zusammengefaltet aufstapeln und lagern können. Wir wollen dann die Schiffe nutzen, die sowieso hierherkommen. Wir können jeden Tag etwas Müll mit ihnen zurückschicken, oder zumindest jede Woche. Ich würde gern ein System etablieren, mit dem hier nichts mehr deponiert werden muss, oder wenigstens eines, mit dem wir den größten Teil des Mülls von der Insel bringen können. Das Projekt wird Zeit brauchen."
Andere haben bereits Ähnliches versucht, vor allem auf Havelock, so auch Sajan Pulinchery. Aber diese Initiativen waren an Bürokratie, Desinteresse, Kosten und auch Korruption gescheitert. Dieses Mal könnte es besser laufen, denn Poonia hat gute Kontakte zu Regierungsstellen. Das A und O wenn man in Indien irgendetwas erreichen will.
"Bei einigen wichtigen Entscheidern hat das Projekt Interesse geweckt. Sie verstehen, dass es ein Müllproblem gibt. Das hat mich erstaunt, aber ich war sehr froh, das zu sehen."

Der Müll lockt auch die Tiere an

Der Müll schadet nicht nur den Ökosystemen, er zieht auch Tiere in die Nähe von Menschen, die normalerweise lieber im Dickicht verborgen bleiben. Darunter auch gefährliche wie Krokodile und Schlangen, sagt Aaron Fernandes, der in einem Schlangenforschungsprojekt auf der Insel Havelock arbeitet.
"Havelock ist nur 24 mal 12 Kilometer groß und es gibt hier eine sehr große Population an Königskobras. Früher war diese Schlange auch schon da, aber es gab nicht viel Berührung mit Menschen und daher nicht so viele Probleme. Ihr Lebensraum war nicht so fragmentiert. Doch mit der zunehmenden Anzahl von Menschen, die hierher kommen, kommt auch der Müll. Das zieht Nagetiere an und dann kommen Nattern, um die Nagetiere zu fressen und Nattern sind wiederum die Hauptbeutetiere von Königskobras."

Schlangen beißen nur zu, wenn sie sich bedroht fühlen

Schlangen, und vor allem die imposante Königskobra, die bis zu fünf Meter lang werden kann, haben es Aaron Fernandes angetan. Der charismatische 34-Jährige stammt aus Goa und trägt Ziegenbart, Haardutt und eine Kette aus einem Schlangenskelett um den Hals, das Geschenk eines Freundes. Er wohnt in einer kleinen Bungalowanlage, in der auch viele Rucksacktouristen einquartiert sind und ist gerade dabei, seine Sachen für einen Kurzurlaub zu packen.
Neben der Forschungsarbeit engagiert Fernandes sich als Schlangenretter. Das heißt, wenn jemand eine Schlange auf seinem Grundstück oder in seinem Haus findet, kann er ihn anrufen. Die Menschen wissen zu wenig über Schlangen und darüber, wie man sich ihnen gegenüber verhalten soll. Deshalb bekommen sie schnell Angst. Und verhalten sich deshalb oft falsch. Die Schlange ihrerseits fühlt sich dann bedroht und beißt vielleicht zu. Fernandes versucht daher, die Anwohner aufzuklären.
"Aus ihrer Sicht sind Schlangen eine Bedrohung. Sie glauben, diese Tiere waren bisher nicht da und jetzt gebe es plötzlich so viele. Sie denken, man sollte sie umsiedeln. Sie verstehen nicht, dass es zu keinem einzigen Schlangenbiss kommt, es sei denn man ärgert die Schlange. Gerade Königskobras versuchen eigentlich Menschen aus dem Weg zu gehen. Aber erzähl das mal jemandem der gerade eine vier Meter lange Schlange in seinem Haus gefunden hat. Die Leute halten nicht viel von Koexistenz."

Auch Schlangen brauchen Schutz

Dabei sei es gerade auf den Inseln besonders wichtig, die Schlangen und auch die anderen Tiere zu schützen, sagt der Wissenschaftler. Denn viele von ihnen seien noch gar nicht richtig erforscht, und außerdem gebe es viele endemische Arten.
"Viele typische Schlangen in dieser Gegend gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Das heißt, eine Bedrohung für eine Art muss auf den Andamanen ernster genommen werden als auf dem indischen Festland. Denn wenn hier eine Art verschwindet, dann ist sie für die ganze Welt verloren. Und vielleicht bekommt das nicht mal jemand mit. Deshalb gilt: Welche Tierarten auch immer wir hier finden - sie müssen geschützt werden."
Eine Königskobra in dramatischer Untersicht, die vor dem Hintergrund eines Waldes ihren Kopf aufrichtet.
Eine indische Königskobra (Ophiophagus hannah), hier ein Tier aus den Westghats, einem Gebirge im Westen Indiens.© imago/Yashpal Rathore
Fernandes hat bereits dutzende Schlangen gerettet. Wenn er gerufen wird, um eine Schlange aus einem Haus zu entfernen, rückt er mit einem Haken und einem Sack an, erzählt er.
"Wir benutzen einen Haken, um sie von uns fernzuhalten. Und dann leiten wir sie in eine Ecke des Raumes, wo wir einen Sack mit einer Röhre daran deponiert haben. Die Schlange will weg von all dem Trubel und sich verkriechen. So kriecht sie dann von selbst durch die Röhre in den Sack. Dann bringen wir sie weg und lassen sie in einem Radius von circa zwei Kilometern wieder frei. Das alles passiert möglichst schnell, um die Schlange keinem unnötigen Stress auszusetzen."
Die Rettungsaktionen kann Fernandes auch für seine Forschungsarbeit nutzen. Er vermisst die Schlange, wiegt sie und nimmt eine kleine Probe.
"Nur eine Schuppe, das ist wie einen Fingernagel zu kürzen. Es tut der Schlange nicht weh und es fliesst kein Blut."

"Wir können lernen, mit den Schlangen zu leben"

Fernandes bemüht sich auch darum, die Mitarbeiter der Forstbehörde im Umgang mit Schlangen zu schulen, denn am Ende wird es ihr Job sein, sich um die Schlangen zu kümmern.
"Viele Distrikte haben kein Personal, dass für solche Dinge ausgebildet ist. Wir haben schon ein paar Workshops mit Mitarbeitern der Forstbehörde gemacht und das Interesse war sehr groß. Jeder Distrikt soll bald eine Wildtiereinheit haben, die sich um Tiere kümmert, die sich in Häuser verirrt haben. Wir können die Schlangen nicht loswerden, aber wir können lernen, mit ihnen zu leben. In Südindien funktioniert das zum Beispiel sehr gut. Da gibt es eine große Population an Königskobras. Es kommt alles darauf an, wie man es den Leuten erklärt. Sie wissen ja quasi nichts über das richtige Verhalten gegenüber Schlangen, also muss man es ihnen beibringen."
Frisch geschlüpfte Schildkröten aus einem Schutzgebiet auf dem Weg ins Meer, Diglipur, Nord Andaman Insel, Andaman Inseln, Indien 2019.
Die Andamanen sind nicht nur ein Paradies für Aussteiger.© Emre Caylak
Für Forscher wie Fernandes sind die fernen Inseln ein unerschöpflicher Quell für neue Erfahrungen. Denn so Vieles bleibt in dieser abgelegenen Region noch zu erkunden. Und vor allem zu schützen.
Nur dann werden die Andamanen und die Nikobaren die ihnen verliehene Auszeichnung als "Hoffnungsorte" weiter behalten können.
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