Umweltschutz in Mikronesien
Auf etwa der Fläche Spaniens beheimatet das pazifische Inselreich Palau 1300 Fisch- und 700 Korallenarten. Doch das Unterwasserparadies ist bedroht. © AFP / Matt Rand
Kampf gegen die Zeit
26:19 Minuten
Mehr als 2000 tropische Inseln und Atolle – das ist Mikronesien im Westpazifik. Bekannt wegen der einzigartigen Unterwasserwelt. Vor einigen Jahren wurde die Region zum Meeres- und Haischutzgebiet erklärt. Doch der Klimawandel wird immer spürbarer.
Ein Stoßgebet vor dem Abflug, Pilot Amos hat die Augen geschlossen, der 41-Jährige arbeitet für die evangelikale Fluggesellschaft PMA, das steht für Pacific Mission Airline. „Ich will einfach Gott meine Ehre erweisen und ihn bitten, auf uns aufzupassen.“
Wer auf die Inselgruppe Yap im Westpazifik will, kommt kaum um die PMA herum. Sie fliegt einmal die Woche mit ihren Propellermaschinen von der besser angebundenen Insel Palau dorthin und damit derzeit so häufig wie keine andere.
Yap gehört zur Konföderation Mikronesiens und hat rund 13.000 Einwohner, die teils weit verstreut leben. Gerade während der Pandemie waren Amos und seine Kolleginnen wichtige Helfer.
„Wir sind auf Abruf für einfache, medizinische Notfälle, aber wenn es die nicht gibt, bieten wir kommerzielle Flüge an, um die Menschen von und auf die Inseln zu befördern.“
Klimawandel erschwert Anbau traditioneller Pflanzen
Und ganz nebenbei will die PMA natürlich auch neue Anhänger gewinnen und Gotteshäuser eröffnen, denn Menschen wie Pilot Amos leben zum Teil auch von den Spenden. Die Kirche finanziert dem fünffachen Familienvater nur das Nötigste.
Immerhin, sein Gebet wurde erhört, und nach gut einer Stunde landet die Maschine butterweich auf Yap.
Dort geht es beschaulich zu. Die Inseln, die teils nur knapp über dem Meeresspiegel liegen, sind von dichtem, tropischem Urwald geprägt. Hier und da gibt es am Wegesrand kleine Supermärkte, die meist mit Importwaren vollgestellt sind. Wegen der Hitze öffnen viele Geschäfte schon früh, mit Einbruch der Dunkelheit gegen 17.30 Uhr ist es hingegen menschenleer und fast gespenstisch auf den Straßen.
Anfang November ist Wahltag auf den Yapinseln, ein neuer Gouverneur und mehrere Senatoren werden gewählt. Eilig scheint es keiner zu haben. Gemütlich schlurfen die Menschen in Badelatschen zum Wahllokal.
Der Wasserspiegel steigt
Gertrud, eine zierliche Rentnerin mit ausdrucksstarkem Gesicht, hat schon früh am Morgen abgestimmt. Ihr Anliegen: der Klimawandel, von dem einige der Inseln besonders betroffen sind, weil sie so tief liegen. Und im Brackwasser nahe der Küste wird Taro angebaut, sozusagen das yapische Pendant zur deutschen Kartoffel. Taro ist das wichtigste Nahrungsmittel auf Yap.
„Auf der Hauptinsel sind wir von unserem Taro abhängig, doch die meisten dieser Felder stehen jetzt unter Wasser. Da ist jetzt Salzwasser drin, man kann dort kein Taro mehr anpflanzen. Und auf den Inseln ist es sogar noch schlimmer, weil sie wie eine niedrige Sandbank sind. Und der Wasserspiegel steigt, und sehr bald werden die Leute von diesen Inseln wegziehen."
Einfach, weil ihnen die wichtigste Lebensgrundlage fehlt, sagt Gertrud und nickt mit dem Kopf.
Nicht nur der steigende Meeresspiegel bereitet der Rentnerin Sorgen. Auf den Inseln regne es immer häufiger und heftiger und es gebe mehr Wirbelstürme. „Wenn ich zum Beispiel eine Bananenstaude pflanze, wird sie schon vom Wind umgeworfen, bevor sie überhaupt Früchte tragen kann.“
Auch Familienvater Jim ist zum Wahlbüro gekommen, auf dem Arm seine bezaubernde Tochter, die ihm dauernd irgendwo im Gesicht rumfummelt. Auch ihm ist der Klimawandel das wichtigste Anliegen.
„Wir haben jetzt zwar einige sogenannte Taro-Beete aus Beton, die die Leute jetzt anfangen zu benutzen. Aber wir brauchen mehr davon. Denn die Beete werden durch Salzwasser von unten her zerstört.“
Verlust einer Kultur
Besuch mit Nelly in ihrem Dorf im nördlichen Teil Yaps, in dem Taro angepflanzt wird. Die Straße ist voller Schlaglöcher, es geht nur langsam voran. Die dreifache Mutter verdient sich ihr Geld mit Taxifahren, unentwegt schiebt sie sich Betelnüsse in den Mund, manchmal legt sie dort einen in Wodka getränkten Zigarettenstummel mit rein, erzählt sie ein bisschen verdruckst.
Durch die Betelnüsse, die auf Yap fast jeder kaut, sehen die Menschen aus, als hätten sie gerade in ein blutiges Steak gebissen.
An einer Stelle fährt sie langsamer. Der Boden ist lehmig rot, links am Wegesrand steht das Wasser, aus dem dichten Grün stechen einige besonders große Blätter heraus: die Taropflanze.
„Das ist unser einheimisches Essen. Wir pflanzen sie an, nach fünf Jahren gehen wir einfach hin und ernten sie, die Großen. Die Kleinen da, die pflanzen wir neu an“, sagt Nelly.
Eine Arbeit, die allein den Frauen vorbehalten und harte Arbeit ist. Die Tarofrucht, die schmeckt wie eine hart gekochte Kartoffel, steht tief im Wasser. Zu tief, also stirbt sie ab, denn die Frucht wächst unten in der Pflanze.
Das sei früher nicht so gewesen, sagt Nelly. Doch nicht nur der steigende Meeresspiegel sei dafür verantwortlich, dass oft eben kein Taro mehr auf den Tisch kommt.
„Die Leute kaufen stattdessen Reis und essen den, wir sind alle so beschäftigt und haben keine Zeit mehr, uns um die Pflege der Pflanzen zu kümmern. Wenn wir sie putzen und wieder neu pflanzen würden, hätten wir noch jeden Tag und jedes Jahr Taro zu essen.“
Im Supermarkt wird Taro bereits gekocht in kleinen Plastiktüten verkauft. Ein etwa 300 Gramm schweres Stück kostet mehr als vier Dollar. In einem Land, wo der Mindestlohn pro Stunde aktuell bei 1,60 Dollar liegt.
Haifischschutz entgegen der Tradition
Im Wahllokal ist mittlerweile schon mehr los und der Besuch aus westlicher Sicht auch ein Erlebnis der besonderen Art. Manche Männer kommen im traditionellen Lendenschurz mit darüberhängenden Bäuchen, einige Frauen sogar oben ohne. Bevor die Frauen ihr Kreuzchen machen, gehen sie in die Knie. Aber nicht etwa aus Dankbarkeit, wählen zu dürfen.
„Das ist eine Tradition. Die Frauen müssen vor ihren männlichen Angehörigen knien, das können Brüder, Cousins sein. Damit bringen sie ihren Respekt zum Ausdruck. Wenn sie auf der Straße einen Verwandten sehen, müssen sie immer knien.“ Oder einen Bogen machen, sagt Wahlhelfer Jeffrey lachend.
Allerdings sei das Hinknien nur noch eine Tradition auf einigen, wenigen Inseln. Dazu gehört bei manchen Stämmen auch der Verzehr von Haifisch, obwohl der Fang eigentlich verboten ist, seitdem sich Mikronesien 2015 zum Haischutzgebiet erklärt hat. Das Gebiet umfasst fast drei Millionen Quadratkilometer und ist eines der weltweit größten.
Jess Raglmar-Subolmar war mal Außenamtssprecher Yaps und gehört zu einem solchen Stamm. Um den Hals trägt er eine typische Blumenkette. „Wir fangen Haie zum Verzehr, das ist unsere Tradition. Also wurde für das Haischutzgebiet eine Ausnahme gemacht, auch weil es nicht sehr viele Haie sind. Aber wir dürfen nur das Fleisch essen, der Verkauf ist verboten.“
Ein lebender Hai ist mehr wert als ein toter
Grundsätzlich befürwortet er das Schutzgebiet. "Dadurch sollte verhindert werden, dass andere Staaten die Haie fangen, um ihre Flossen oder andere Körperteile zu verkaufen.“
Vor allem chinesische und taiwanische Fischer hätten den Tieren die Flossen abgeschnitten und sie dann wieder ins Meer geworfen. Früher, so heißt es, habe man kaum noch Haie erblickt, aber wer jetzt mit dem Boot raus aufs Meer fährt, kann sie sogar beim Schnorcheln sehen. Friedlich schwimmen Riffhaie an einem vorbei.
Ein gelungener Coup für den Tourismus, denn damit konnten und können die Inselstaaten für sich werben. Ein lebender Hai sei eben mehr wert als ein toter, meint Igelau Otto vom Internationalen Korallenschutzcenter in Palau.
„Wenn Du einen Hai fängst, bekommst du für die Flossen 100 Dollar. Dabei kann ein einziger Hai Palau Millionen einbringen. Außerdem spielen Haie eine so große Rolle im Ökosystem. Es wird immer wieder behauptet, es gäbe zu viele Haie, sie würden alle Fische fressen, aber die Haie sorgen für ein natürliches Gleichgewicht. Haie haben Feinde, und Haie sind Feinde für kleinere Fische.“
Die Präsidialrepublik Palau gehört ebenfalls zur Region Mikronesien und ist einer größeren deutschen Öffentlichkeit durch den Besuch der grünen Außenministerin Annalena Baerbock im Sommer 2022 bekannt geworden.
Palaus Präsident Surangel Whipps hat zuletzt auf der Klimakonferenz COP27 in Ägypten für mehr Klimaschutz geworben. Was er dabei unerwähnt ließ: Dass er das Meeresschutzgebiet von Palau, das seit 2020 zusätzlich in Kraft ist, erheblich verkleinern wollte.
Ein Schutzgebiet, um den Bestand zu erhalten
Im Korallenforschungscenter hält man diese Idee für kurzsichtig.
„Wenn wir Naturschutz betreiben, denken wir unter anderem auch an den Spillover-Effekt", sagt Igelau Otto.
"Wir schützen also ein Gebiet, in dem die Tiere gefahrlos gedeihen können. Und dann, wenn sie älter werden und anfangen, sich in andere, größere Gebiete zu wagen, wandern sie in die Fanggebiete hinaus, sodass wir sie dort fangen können, ohne dass der ursprüngliche Bestand in unserem Schutzgebiet dezimiert wird. Das ist also das Konzept des Meeresschutzgebietes.“
Von dem auf lange Sicht alle profitieren.
Das spendenfinanzierte Institut liegt an einer hübschen Bucht, Boote schaukeln langsam hin und her. Mitarbeiterin Igelau Otto und ihr Team untersuchen an 23 Stellen rund um die weitläufige Insel in regelmäßigen Abständen Korallenriffe, aber auch Muscheln und Seegurken. Die Korallen verlieren in regelmäßigen Abständen ihre Farbe. Warum das so ist, erklärt Otto im Gespräch mit der ARD.
„Im Wesentlichen sind es die Algen, die in den Korallen leben. Es ist eine symbiotische Beziehung. Aber wenn die Temperaturen zu hoch gehen, dann fangen die Korallen an, für sich selbst zu denken. Und sie verdrängen gewissermaßen die Algen, die in ihnen leben. Und wenn das passiert, verlieren sie ihre Farbe.“
Theoretisch können die Korallen die Algen zurückgewinnen, aber wenn das über einen längeren Zeitraum nicht geht, weil die Temperaturen gleichbleibend hoch sind, dann wachsen andere Algen und die Korallen können sterben.
„Das aktuelle Problem ist, dass sich durch die steigenden Temperaturen im Zuge des Klimawandels die Korallenbleiche beschleunigt. In diesem Moment, im Jahr 2022, haben wir wieder eine Massenbleiche. Um das Bild zu verdeutlichen: Wir hatten eine 1998, 2010, 2017, 2020 und jetzt 2022.“
Korallen können sich kaum noch regenerieren
Die Korallen haben also immer weniger Zeit sich zu erholen. Ob ihnen das gelingt, sei schwer zu sagen und müsse noch genau erforscht werden. Einige sind bereits gestorben, andere offenbar widerstandsfähiger.
Die Fische, die Korallen, das Meer – alles gehört nicht nur untrennbar zur Kultur Ozeaniens. Sie sind auch das Aushängeschild der Region. Palau ist zu 60 Prozent vom Tourismus abhängig. Wegen der Pandemie war das Land rund zwei Jahre geschlossen.
Nun soll es wieder losgehen, aber vorsichtig, denn Palau hat vor einigen Jahren einen Ansturm nicht gerade umweltbewusster chinesischer Touristinnen und Touristen erlebt. Damit das nicht wieder passiert, wurden nicht nur Flüge aus Macau und Hongkong reduziert, sondern Umweltschützerin Jennifer Koskelin-Gibbons rief mit anderen Einwohnern das sogenannte Palau-Versprechen ins Leben. Es verpflichtet alle Einreisenden per Unterschrift zum Umweltschutz.
Doch unterschreiben kann man natürlich viel. Die umtriebige Koskelin-Gibbons will deshalb noch weiter gehen. Im Frühjahr 2023 soll die weltweit erste Nachhaltigkeits-App für Touristen freigeschaltet werden.
„Das ist eine App, mit der wir nicht nur signalisieren, dass man Teil der Gemeinschaft ist, sondern Du erhältst auch einen Zugang zur Gemeinschaft, wenn Du Dich an das hältst, was für die Menschen hier selbstverständlich ist.“
Mit der App zu mehr Naturschutz
Wenn man also umweltfreundliche Sonnencreme benutzt, auf Plastik verzichtet, beim Schnorcheln oder Tauchen weder Korallen noch Fische berührt.
„Jedes Mal, wenn du diese Aktivität durchführst, sei es an einem bestimmten Ort oder durch die Verwendung eines QR-Codes, erhältst du Punkte. Und so gibt es verschiedene Stufen, die Dir Zugang zu Aktivitäten verschaffen, zu denen du auf andere Weise keinen Zugang hättest, weil du ja nur Tourist bist.“
Das kann ein Ausflug in eine Region sein, in die sonst kein Tourist kommt, wie zum Beispiel ins Naturschutzgebiet Ngardok im Norden Palaus an diesem Sonntagmorgen.
Freiwillige aus dem lokalen Rotaryclub haben sich versammelt, um Bäume zu pflanzen, denn das Gebiet ist nach mehreren Bränden erosionsgefährdet. Und unterhalb eines Abhangs liegt der größte Frischwassersee Mikronesiens.
"Die Gegend hat eine einzigartige Flora und Fauna", sagt Jennifer Koskelin-Gibbons. "Es gibt Vögel und Orchideen, die Sie nirgendwo anders finden können.“
Die Wege sind fest in der Hand eines Clans und dürfen nur mit Genehmigung betreten werden, denn, das betont Jennifer gleich mehrmals: Auf Palau läuft nichts ohne die Zustimmung des Dorfoberhauptes.
Was die von der App halten, ist nicht bekannt. Aber es ist ein Signal nach innen und außen: Wir schützen unsere Umwelt und erwarten, dass ihr das auch tut. Ob und wie das Projekt letztlich funktioniert, muss sich natürlich erst noch zeigen.