Windparks bedrohen die Idylle der Ägäischen Inseln
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Die konservative Regierung Mistotakis setzt bei der Energiegewinnung ganz auf Griechenlands Reichtum: auf Sonne und Wind. Doch ob das Errichten zahlloser Windräder auf den Inseln in der Ägäis eine gute Lösung ist? Nein, sagen deren Bewohner.
Im Hafen von Katapola auf der Insel Amorgos. Die weißen Häuser mit den blau gestrichenen Fensterläden leuchten im Morgenlicht, Fischerboote schaukeln auf dem Wasser, Amorgos liegt etwa 30 Kilometer von Naxos entfernt im südlichen Ägäischen Meer.
Ein Naturparadies mit 73 Windrädern?
Ein Naturparadies mit nur 2000 Einwohnern, doch allein hier sollen auf den unberührten Bergrücken bald 73 Windräder stehen. So zeigt es der Plan der griechischen Energie-Regulierungsbehörde. Obwohl für den Energiebedarf der Insel zwei Anlagen ausreichen würden.
Vor einem der Boote begrüßen sich Elena Beis und Akis Papasarantis. Sie sind Teil einer Bürgerbewegung, die sich gegen den massiven Ausbau der Windenergie wehrt. Und sie wollen uns mit auf die Inseln nehmen. Griechin Elena Beis ist in Deutschland aufgewachsen.
"Wenn man sich die Karte der Regulierungsbehörde anschaut: Es ist unvorstellbar, wo sie welche planen. Auch kleine Inseln, die unbewohnt sind, wo Felsen sind, die abgetragen werden müssen, auch dort planen sie", sagt sie.
"Es wird keine Ägäis mehr geben, etwas, was wirklich seit Jahrtausenden erhalten geblieben ist, wird innerhalb von fünf bis zehn Jahren kaputt gemacht sein, und zwar für immer. Man kann Berge, die abgetragen werden, das kann man nicht wieder gut machen."
Bewohner werden über die Pläne nicht informiert
Akis Papasarantis nickt. Er ist Skipper und kennt die Inselwelt seit Jahrzehnten. Über 3000 Inseln gibt es im Ägäischen Meer. Viele Bewohner wissen nicht, was die Regierung vorhat. Das wollen Akis und Elena ändern.
"Wir müssen die Menschen informieren über das, was sie vorhaben. Sie haben keine Ahnung. Und die Regierung gibt ihnen auch nicht das Recht, über ihre Insel zu entscheiden. Das ist ein sehr großes Problem."
Die geplanten Anlagen sind riesig, bis zu 200 Meter hohe Windräder sollen auf den felsigen Ägäischen Inseln und auf den Bergkämmen im Festland stehen. Die meisten in Naturschutzgebieten.
Die griechische Regierung will den Ausbau vorantreiben und hat während des Lockdowns ein Gesetz geändert. Dadurch können Windkraftwerke wesentlich schneller und ohne komplizierte Genehmigungsverfahren gebaut werden.
"Ich wusste nicht, dass sie so viel Lärm machen"
Elena und Akis steigen in ein Boot. Sie wollen zu den kleinen Inseln Kinaros und Levitha, etwa eine Stunde entfernt von Amorgos. Auch dort sind große Windparks geplant. Die Einwohner wurden nicht gefragt. Die zuständige griechische Behörde hat die Inseln kurzerhand für unbewohnt erklärt.
Auf Kinaros empfängt uns Irini Katsotourchi. Sie ist 75 Jahre alt und auf der Insel aufgewachsen. Seit ihr Mann tot ist, lebt sie als einzige Bewohnerin auf Kinaros. Die Hütte liegt direkt am Anlegesteg.
Vor ein paar Jahren hat das griechische Energieunternehmen Eunice Energy sie angerufen.
"Man sagte mir, ich soll selbst entscheiden, wo die Windräder aufgestellt werden sollen", erzählt sie. "Ich sagte, da drüben an der Ostseite, wo nichts ist. Ich wusste damals nicht, dass sie so viel Lärm machen. Nun sagen die, die werden hier hingestellt. Hier, von hier bis da oben."
Irini Katsotourchi weist auf den Felsen direkt über ihrer Hütte. Zehn riesige Anlagen würden dort stehen. Die schmale Bucht würde verschwinden, stattdessen eine breite geteerte Straße bis zu dem Felsen gebaut, genau oberhalb ihrer Gemüsefelder und Hühnerställe.
"Wenn ich hier weggehen würde, würden alle meine Tiere sterben", sagt sie. "Ich will aber nicht weg, auf gar keinen Fall. Ich habe gesehen, was auf anderen Inseln passiert ist. Ich habe gesehen, wie die Insel Agios Georgios jetzt aussieht, und ich bin fast verrückt geworden."
"Es gibt kein Leben mehr dort, keine Vögel"
Diese tatsächlich unbewohnte Insel ist etwa eine Stunde von Piräus entfernt und bereits zum Windpark umgebaut.
"Eine Insel, die komplett kaputtgemacht worden ist", sagt Elena Beis. "Es ist ein einziger Windpark. Es gibt kein Leben mehr dort, keine Vögel, es war eine sehr schöne Insel, da stehen nur noch Windkraftanlagen. Es ist eine Industriezone geworden."
Der gewonnene Strom aus den geplanten Anlagen soll über Unterwasserkabel aufs Festland geleitet und verteilt werden. Von dort gelangt er dann auch in internationale Stromnetze. Derzeit erzeugt Griechenland 10 Gigawatt Strom aus Erneuerbaren Energien.
Um die Klimaziele 2030 zu erreichen müssen es 19 sein. Wenn alle geplanten Windkraftanlagen realisiert würden, wären es 70 Gigawatt. Viel mehr als benötigt. Warum diese Masse an Anlagen? Die Regierung will sich dazu nicht äußern, eine Anfrage bleibt unbeantwortet.
Eine halbe Stunde mit dem Boot von Kinaros entfernt liegt die Felseninsel Levitha. Hier wohnt die Familie Kamposos. Vor 200 Jahren kamen ihre Vorfahren hierher. Sie haben das Land fruchtbar gemacht, Kartoffeln gepflanzt, Zwiebeln gesetzt.
"Hier wird alles tot sein"
Hinter Steinmauern liegt ein kleines Anwesen mit Innenhof und Feigenbaum. In der Küche bereitet Irini Kamposos das Mittagessen zu. Sie betreibt eine kleine Taverne für die Segelboote, die hin und wieder anlegen. Heute gibt es geschmortes Gemüse und Ziegenleber.
"Ich bin 73 Jahre alt", sagt sie. "Wenn sie die Windräder aufbauen, werden sie nicht mir etwas antun, sie werden diese Insel zerstören. Das, was sie jetzt hier sehen, werden sie nicht wiedersehen können. Hier wird alles tot sein. Ein Grab."
Wenn wirklich bald 30 Windkraftanlagen auf den zerklüfteten Felsen stehen, wird das Leben hier für sie nicht mehr möglich sein. Das griechische Umweltministerium hat ein negatives Gutachten ausgestellt und warnt davor, dass die einzigartige Natur der Inseln zerstört wird.
Doch die Regierung ignoriert die Einwände. Das Paradoxe an dem neuen griechischen Gesetz: Die Windräder werden erst einmal von der Energie-Regulierungsbehörde genehmigt, dann erst folgt ein Umweltgutachten. Und selbst das kann mittlerweile von privaten Unternehmen erstellt werden.
Inselbewohner gelten offiziell als nicht existent
Auf Levitha, der angeblich unbewohnten Insel, hat einer der Söhne von Irini Kamposos begonnen, den Acker pflügen, der 47-jährige Anastasios.
Er sitzt auf seinem Traktor und wischt sich eine Träne aus dem Gesicht. Es verletzt ihn, dass er und seine Familie angeblich nicht existieren. Obwohl sie Steuern zahlen, obwohl einmal die Woche ein Versorgungsschiff von der Regierung kommt. Obwohl der Verteidigungsminister selbst schon auf der Insel war, als vor ein paar Jahren ein Militärflugzeug über Levitha abgestürzt ist. Es ist einfach nur absurd:
"Sie sagen, dass die Felder und die Häuser verlassen sind, dass die Mauer nur Stacheldraht ist. Ihr seid aber hier und könnt mit eigenen Augen sehen, dass nichts davon stimmt", sagt er.
"Das sind alles Lügen. Manche haben ihre Gründe, solche Lügen zu erzählen. Wenn sie uns als nicht existent betrachten, heißt das, dass sie so viele Windräder wie sie wollen aufstellen können, dass niemand hier Widerstand ausüben wird, und dass sie machen können, was sie wollen."
Wer profitiert von den Windkraftanlagen?
Es bleibt die Frage, wer davon eigentlich profitiert? Zunächst sind das die griechischen Baufirmen, welche die Inseln erschließen, die Straßen teeren, Betonfundamente gießen.
Dann kommen die Unternehmen zum Zuge, die Windkraftanlagen bauen, hauptsächlich Firmen aus dem Ausland. Wie der deutsche Konzern Enercon oder das dänische Unternehmen Vestas. Und schließlich die nationalen und internationalen Energieunternehmen, die den Strom verkaufen.
Zurück auf Amorgos. Ziegen stehen oder liegen auf der Straße und schauen die Autofahrer neugierig an. 20.000 Ziegen leben hier bei nur 2000 Inselbewohnern. Eine einzige geteerte Straße führt vom Hafen in Katapola hoch in die Berge zur Chora, der Hauptstadt der Insel, besser Hauptdorf der Insel: eine kleine Ansammlung von weißen Häusern mit blauen Fensterläden. Darüber Felsen und alte Windmühlen.
Im Café Jasmin haben sich besorgte Bürger versammelt. Auf der Insel waren wieder Abgesandte der Energie-Unternehmen unterwegs, um Privatgrundstücke zu kaufen. Diesmal hat es nicht geklappt. Sie haben sie weggeschickt, die Grundstücksbesitzer.
Michalis Koveos lacht, endlich mal gute Nachrichten. Sie haben es von Akis und seinen Mitstreitern erfahren. 73 Windräder auf dem unberührten Bergrücken von Amorgos. Das ist selbst Michalis Koveos zu viel. Der Rentner kennt sich aus, er war bis vor einem Jahr Direktor beim griechischen Stromversorgungswerk DEDDIE.
"Die Insel hatte vor 50 Jahren noch gar keinen Strom und plötzlich verwandelt sie sich in ein Kraftwerk", sagt er. "Obwohl ich ein Technikfreund bin und so einem Projekt eigentlich zustimmen sollte, sind die Ausmaße dieses Vorhabens so riesig, so extrem, so gigantisch, weswegen ich absolut dagegen bin."
Nicht alle auf den Inseln sind gegen die Windkraft
Nicht alle Bürgermeister der Ägäischen Inseln sind gegen den massiven Ausbau der Windkraft. Auf der Insel Leros hat der Bürgermeister vier zugehörige Inseln an ein Energieunternehmen verpachtet. 6000 Euro zahlt das Unternehmen während der Bauphase im Jahr für vier Inseln und kann jetzt im Prinzip machen, was es will. 6000 Euro, ein lächerlicher Betrag, sagen die Naturschützer.
Ein großer Teil von Amorgos ist Naturschutzgebiet. Insgesamt sind 70 Prozent der griechischen Inseln geschützt zumindest auf den Papieren. Sie zählen zu den sogenannten Natura-2000-Gebieten in Europa. Die Europäische Union will damit gefährdete Tier und Pflanzenarten schützen. Das Problem ist nur, dass jedes Land selber dafür sorgen muss, dass die Maßnahmen umgesetzt werden. Griechenland hat das nie gemacht.
"Die Inseln werden aktuell nicht geschützt", sagt der Aktivist Akis Papasarantis. "Natura 2000 ist so etwas wie ein weiches Gesetz. Es existiert, aber die Regierung tut nichts, um den Schutz wirklich durchzusetzen."
Mehrmals hat die EU-Kommission Griechenland schon aufgefordert, die Natura 2000 Gebiete zu schützen. Ohne Erfolg. Jetzt läuft eine Klage gegen das Land vor dem Europäischen Gerichtshof. Bislang ohne Ergebnis.
Die stillen weißen Dörfer, die unberührte Landschaft, all das was auch deutsche Urlauber an Griechenland so schätzen, könnte es in zehn Jahren so nicht mehr geben, befürchtet Elena Beis.
Sie sitzt in einem Café unten im Hafen. Die Menschen werden mit der Fähre an lauter Industriezonen vorbeikommen. Denn auf jeder Insel sind Windräder geplant. Außer auf zweien.
"Ausgerechnet die zwei Inseln, die am meisten Energie verbrauchen, vorne voran Santorini und Mykonos: Für dort sind keine Windkraftanlagen geplant. Was auch zeigt, dass sich die Regierung oder Regulierungsbehörde durchaus bewusst ist, dass die Windkraftanlagen schwere Folgen für den Tourismus haben werden", sagt sie.
"Das sind die Inseln, wo reiche Bevölkerungsschichten aus Griechenland Urlaub machen. Aber die Inseln, die vom alternativen Tourismus leben, die werden zugepflastert."