UN-Bericht zu Geschlechterrollen
Mehr als ein Jahrhundert Frauenemanzipation und MeToo-Bewegung, trotzdem herrschen weltweit Vorurteile gegen Frauen vor - selbst bei Frauen. © imago images / Ikon Images / Oivind Hovland via www.imago-images.de
Vorurteile gegen Frauen bleiben weit verbreitet
Neun von zehn Menschen weltweit hegen Vorurteile gegen Frauen. Zu dem Ergebnis ist eine UN-Studie gekommen. Eine positive Entwicklung ist nicht zu beobachten – trotz MeToo und anderer Kampagnen. In Deutschland sieht es aber anders aus.
Eine Studie der UN zeigt, dass Vorurteile gegenüber Frauen weltweit verbreitet und leider noch immer traurige Normalität sind. Deutschland schneidet in dem "2023 Gender Social Norms Index" (GSNI) allerdings recht gut ab.
Für manche mag das unerwartet kommen – sorgte eine wenige Tage vorher veröffentlichte Umfrage der Organisation Plan International doch für ganz andere Schlagzeilen. „Ein Drittel der Männer findet Gewalt gegen Frau akzeptabel“, hieß es laut der mittlerweile des Öfteren kritisierten Studie.
- Zu welchen Ergebnissen kommt der UN-Bericht zu Vorurteilen gegenüber Frauen und Gleichberechtigung?
- Wie wurde die Befragung für den UN-Bericht "2023 Gender Social Norms Index" durchgeführt?
- Zu welchen Schlüssen kommt der UN-Bericht?
- Wie ist die Situation in Deutschland?
- Zu welchen Ergebnissen kommt die Umfrage der Organisation Plan International?
- Wie ist die Plan-Umfrage einzuordnen?
Zu welchen Ergebnissen kommt der UN-Bericht zu Vorurteilen gegenüber Frauen und Gleichberechtigung?
Vorurteile gegen Frauen sind dem UN-Bericht zufolge weltweit unverändert weit verbreitet. Denn etwa neun von zehn Männern und Frauen hegen grundsätzliche Vorurteile gegenüber Frauen, heißt es in dem in New York vorgelegten "2023 Gender Social Norms Index" (GSNI).
So glaubt beispielsweise fast die Hälfte der Weltbevölkerung, dass Männer bessere politische Führungskräfte sind als Frauen. Und zwei von fünf Menschen sind davon überzeugt, dass Männer als Chefs in der Wirtschaft besser abschneiden. Mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung findet, es sei gerechtfertigt, dass ein Mann seine Frau schlägt.
Diese Vorurteile seien sowohl in Ländern mit niedrigem als auch hohem Wohlstandsindikator – dem Human Development Index (HDI) – ausgeprägt und gelten für alle Regionen, Einkommen, Entwicklungsstufen und Kulturen.
Wie wurde die Befragung für den UN-Bericht "2023 Gender Social Norms Index" durchgeführt?
Die Daten erhob die „United Nations' lead agency on international development“ (UNDP) auf Basis von Umfragen aus den Jahren 2010 bis 2014 sowie 2017 bis 2022 mit insgesamt Antworten aus 80 Ländern und Territorien, die rund 85 Prozent der Weltbevölkerung abdecken.
Der so erhobene „Gender Social Norms Index“ (GSNI) quantifiziert Vorurteile gegenüber Frauen und erfasst die Einstellung der Menschen zu Frauenrollen in vier Schlüsseldimensionen: in den Bereichen Politik, Bildung, Wirtschaft und in Bezug auf körperliche Integrität. Jeder dieser Bereiche wird durch ein oder zwei Indikatoren für Vorurteile gegenüber Frauen abgedeckt.
So wird im Bereich Wirtschaft beispielsweise gefragt, ob die Befragten glauben, Männer sollten mehr Anspruch auf einen Job haben als Frauen, und ob sie glauben, Männer seien bessere Führungskräfte als Frauen.
Im Bereich Bildung wurde erfragt, ob die Betroffenen glauben, für Männer sei Universitätsbildung wichtiger als für Frauen, im Bereich Politik, ob Gleichberechtigung für die Demokratie essenziell sei und ob Männer bessere politische Führungskräfte seien.
In Bezug auf körperliche Unversehrtheit ging es um Gewalt gegenüber der Partnerin und die Entscheidungsgewalt in Bezug auf Fortpflanzung beziehungsweise Abtreibung.
Zu welchen Schlüssen kommt der UN-Bericht?
Dass Vorurteile gegenüber Frauen weltweit so weit verbreitetet sind, mache sie zu einem „globalen Problem“, schlussfolgert die UNDP. „Die Welt ist nicht auf dem richtigen Weg, um die Gleichstellung der Geschlechter bis 2030 zu erreichen“ – eigentlich ein erklärtes Ziel der internationalen Staatengemeinschaft. Denn der Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit - Gender Inequality Index (GII) - stagniere seit 2019. Und das "trotz einflussreicher globaler und lokaler Kampagnen für Frauenrechte" wie MeToo.
„Die Aussichten werden durch eine globale Gegenreaktion noch weiter eingetrübt“, heißt es weiter. „In vielen Teilen der Welt haben Bewegungen gegen die Gleichstellung der Geschlechter an Zugkraft gewonnen, und die Rechte der Frauen wurden beschnitten. Diese Rückschläge wirken sich auf die menschliche Entwicklung aus.“
Der Bericht ruft Regierungen weltweit dazu auf, ihre „entscheidende Rolle“ bei den sich verändernden Geschlechterrollen wahrzunehmen - unter anderem mit der Unterstützung von Elternzeit.
Wie ist die Situation in Deutschland?
In einigen Ländern der Welt habe sich die Situation aber verbessert, heißt es in dem Bericht. In insgesamt 27 Staaten hat der Anteil der Befragten, die keinerlei Vorurteile gegenüber Frauen haben, zugenommen. Bei dieser Entwicklung steht Deutschland ganz an der Spitze. Waren es im Befragungszeitraum 2010 bis 2014 noch etwa 42 Prozent in Deutschland, die keinerlei Vorurteile gegenüber Frauen hegten, sind es im Befragungszeitraum 2017 bis 2022 knapp 63 Prozent.
Auch die übrigen Daten aus Deutschland zeigen eine positive Entwicklung: Der Anteil von Menschen, die in der Umfrage mindestens ein Vorurteil bestätigten, sank in Deutschland von etwa 58 Prozent auf etwa 37 Prozent. Mehrere der Vorurteile bestätigen in Deutschland nur noch 13 Prozent der Befragten. Zuvor waren es noch 28 Prozent.
Zwar ist Deutschland damit nicht das Land, in dem am wenigsten Vorurteile gegenüber Frauen herrschen. Neuseeland (etwa 73 Prozent ohne Vorurteile) oder die Niederlande (69 Prozent ohne Vorurteile) liegen hier beispielsweise noch weiter vorne. Aber es ist das Land, in dem zurzeit die größte positive Entwicklung auszumachen ist.
Im weltweiten Vergleich nimmt die Zahl derer, die keine Vorurteile Frauen gegenüber hegen nur minimal zu: von 13 auf etwa 15 Prozent.
Zu welchen Ergebnissen kommt die Umfrage der Organisation Plan International?
Zu einem sehr viel alarmierenderen Ergebnis in Bezug auf Geschlechterrollen in Deutschland kommt eine – sehr viel kleinere – Studie der Organisation Plan International, die wenige Tage zuvor veröffentlicht wurde. Diese meldete: Ein Drittel der Männer in Deutschland finde Gewalt gegen die Partnerin „akzeptabel“.
Auch sonst zeichnet sie ein eher sehr konservatives Rollenbild, das junge Männer hierzulande haben: So würden 52 Prozent der befragten jungen Männer ihre Rolle darin sehen, im Beruf genug Geld zu verdienen. Für Hausarbeit ist ihrer Meinung nach vor allem die Partnerin zuständig. 49 Prozent finden es wichtig, in der Beziehung oder Ehe das letzte Wort bei Entscheidungen zu haben.
Befragt worden waren knapp 1000 Männer und 1000 Frauen zwischen 18 und 35 Jahren zu verschiedenen Aspekten von Männlichkeit, zum Beispiel der Aufgabenverteilung im Haushalt und dem Umgang mit den eigenen Gefühlen. Dazu hatten sie einen längeren Online-Fragebogen ausgefüllt.
Wie ist die Plan-Umfrage einzuordnen?
Plan International spricht von einer repräsentativen Umfrage. So berücksichtige das Umfragedesign das Alter, die Region und der Bildungsstand der Befragten. Dies entspreche der Verteilung der Bevölkerung. „Das Bild, das wir zeichnen, passt und ist stimmig“, sagt der Marktforscher Eckhard Preis, der die Umfrage im Auftrag von Plan International entworfen hat.
Andere zweifeln jedoch an der Aussagekraft der Studie, wie beispielsweise die Statistikerin Sabine Zinn. Entscheidend sei, wie Teilnehmende einer Befragung rekrutiert würden, erklärt Zinn. Befragungsteilnehmer beispielsweise über Online-Banner, Newsletter oder Zeitungsanzeigen für die Umfrage zu gewinnen, führe beispielsweise dazu, dass sich vor allem Menschen mit hohem Mitteilungsbedürfnis melden. Das könne zu großen Verzerrungen führen.
Auch müssten bei einer Studie zu diesem Thema möglicherweise noch andere Kriterien als Alter, Region und Bildungsstand bei der Auswahl der Teilnehmer berücksichtigt werden, findet der Journalist Tobi Müller. „Wir wissen einfach viel zu wenig über die soziale Streuung der Befragten. Das wären aber relevante Daten.“
Trotz der Kritik an der Studie: Er sei über jeden Anlass froh, um „über Männlichkeit zu reden und die Dinge so ein bisschen in Beziehung zu setzen und eine Perspektive zu gewinnen. Wir sind mitten in einem sehr hässlichen Kulturkampf, der nicht nur von ganz rechts, sondern auch von der CDU aggressiv mitgetragen wird, wenn es um die sogenannte Gender-Ideologie geht, wo jeder Fall sofort aufgeblasen wird und so getan wird, als sei das tatsächlich eine Ideologie – und damit Hetze geschürt wird, bis weit in die bürgerliche Mitte. Das ist gerade ein sehr, sehr unangenehmes Klima.“
Auch Dag Schölper, Geschäftsführer des Bundesforum Männer, ein Interessenverband für Jungen, Männer und Väter, findet es längst überfällig über Geschlechterrollen und Männlichkeitsbilder zu sprechen. Dabei sieht er die Gesellschaft und Politik in der Pflicht. „Die Kita müsste eigentlich auch schon anfangen, hier andere Normalitäten zu leben. Denn wenn hier gesagt wird: Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, als Mann in die Fürsorgearbeit zu gehen, in die Care-Arbeit, in die Familienarbeit, sondern das ist Aufgabe von Frauen, dann zeigt das, dass nichts anderes gelernt wurde. Bin ich aber in einer Kita als kleines Kind und sehe dort ganz selbstverständlich auch Männer mit den kleinen Kindern arbeiten, dann bricht dieses Bild ja von vorneherein in sich zusammen und kann nicht so stabil aufrecht gehalten werden, und das fehlt einfach.“
Nicole Dittmer, Korbinian Frenzel, dpa, lkn