"Koalition der Ambitionierten ist ein Durchbruch"
Klima-Experte Messner geht von einem erfolgreichen Abschluss der Klimakonferenz aus – trotzdem gebe es viel zu tun. Überprüfungsmechanismen beispielsweise seien unerlässlich.
Der Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), Dirk Messner, geht davon aus, dass bei der UN-Klimakonferenz in Paris ein neuer Klimavertrag unterschrieben wird. Ein entscheidender Durchbruch sei, dass sich Entwicklungs- und Industrieländer zusammengeschlossen hätten, so Messner, Mitglied im Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung, am Samstag im Deutschlandradio Kultur.
Die sogenannte Koalition der Ambitionierten mit den USA, Europa, den kleinen Inselstaaten und den meisten afrikanischen Staaten habe der Konferenz eine neue Dynamik gegeben, so Messner. Er begrüßte ausdrücklich, dass im Vertragsentwurf, der am Samstag vorgestellt werden soll, das Ziel enthalten ist, die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen und in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts eine umweltverträgliche Weltwirtschaft zu schaffen.
"Die Länder müssen noch drauflegen"
Gleichzeitig gab Messner zu Bedenken, dass es für diese Ziele noch viel zu tun gebe.
"Die Verpflichtungen, die jetzt die Staaten vorgelegt haben, reichen nicht aus, die Länder müssen noch drauflegen."
Deswegen sei es wichtig, wie im Vertragsentwurf vorgesehen, ab 2019 Überprüfungsmechanismen einzuführen. Mit Blick auf die Koalition der Ambitionierten sagte Messner:
"Meine Hoffnung ist, dieser Club der Ambitionierten kann Dinge schneller vorantreiben nach Paris und über das, was in Paris jetzt festgehalten wird, auch noch mal deutlich hinausgehen."
Das Interview im Wortlaut:
Ute Welty: Ich stapel mal ein bisschen hoch und sage, in Paris soll Geschichte geschrieben werden. Die Weltgemeinschaft will gemeinsam den Klimawandel stoppen und hat sich offenbar tatsächlich auf einen Entwurf für ein Abkommen einigen können, der heute Vormittag vorgestellt werden soll. Die geplanten zwei Wochen haben für die Verhandlungen nicht ausgereicht, um einen Tag musste die Klimakonferenz verlängert werden, und auch Dirk Messner war in Paris, einer der beiden Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung und seines Zeichens Direktor des Deutschen Institutes für Entwicklungspolitik. Guten Morgen, Herr Messner!
Dirk Messner: Schönen guten Morgen!
Welty: Wie haben Sie denn die Verhandlungen erlebt und beobachtet?
Messner: Insgesamt war es eine sehr konstruktive Stimmung. Wir haben alle gespürt, dass die Verhandler kein Debakel erleben wollten, wie das 2009 in Kopenhagen passiert war, da haben wir ja im Grunde genommen am Ende die Konferenz zusammenbrechen sehen. Diesmal werden wir auf alle Fälle ein Ergebnis bekommen.
Welty: Und was hat am Ende geholfen, um sich auf dieses Ergebnis zu einigen?
Messner: Ich glaube, sehr wichtig ist, dass relevante Spieler sich umorientiert haben, die USA gehören dieses Mal zu der Koalition, die sich in Richtung Klimaschutz bewegt hat. Wir haben auch in China …
Welty: Die selbst ernannte Koalition der Ehrgeizigen.
Messner: Genau. Das ist überhaupt eine neue Konstruktion, die sehr interessant deswegen ist, weil hier Entwicklungs- und Industrieländer erstmals wirklich konzertiert zusammenarbeiten. Die USA, Europa, die kleinen Inselstaaten, die meisten afrikanischen Staaten haben sich hier zusammengeschlossen, und das verändert die gesamte Dynamik der Konferenz.
Welty: Trotzdem war es ja einer der Streitpunkte bis zuletzt, nämlich die Finanzhilfen für weniger entwickelte Länder festzuzurren. Was denken Sie da, wer hat sich da auf wen zubewegt?
Schwarzer Peter bei China und Indien
Messner: Hier gibt es eigentlich zwei Problempunkte, da kann man nicht einfach nur Schwarz und Weiß unterscheiden. Der eine Problempunkt ist, die Schwellenländer, insbesondere China und Indien, wollen sich nicht verpflichten, andere Entwicklungsländer zu unterstützen, sich klimaverträglich zu entwickeln, da liegt also der Schwarze Peter bei China und Indien. Auf der anderen Seite werfen die Entwicklungsländer auch mit ein paar guten Argumenten den Industrieländern vor, sie wollen keine Kompensation verpflichtend zugestehen, wenn größere Klimaschäden in der Zukunft tatsächlich auftreten. Der Begriff der Kompensation steht hier im Raum.
Welty: Und wie kommt man dem dann näher, wie kann man den definieren?
Messner: Ja, bei dieser Kompensation geht … der Begriff, um den gestritten wird, heißt "Verluste und Zerstörung durch den Klimawandel – Loss and Damage". Da mag es auch um Klimaflüchtlinge in der Zukunft gehen, und die Industrieländer sind da nicht bereit, verpflichtend jetzt schon einzugestehen, dass sie dann gewisse Kompensationen leisten müssen. Das wird man dadurch versuchen können zu kompensieren, dass man höhere Klimainvestitionen heute in Adaption und klimaverträgliche Entwicklungen in Entwicklungsländern zusagt, als es bisher geplant war.
Welty: Das klingt so ein bisschen nach einem faulen Kompromiss?
Messner: Na, das klingt nach einem Verhandlungsergebnis, alle müssen da aufeinander zugehen. Aber am Ende …
Welty: Wo ist der Unterschied zwischen Kompromiss, fauler Kompromiss und Verhandlungsergebnis?
Messner: Ja, das ist die Frage des Ambitionsniveaus, also was soll am Ende angesteuert werden, das ist ja wirklich wichtig. Wir haben das 2-Grad-Ziel drinstehen, das ist von großer Bedeutung, wir haben drinstehen – das ist auch neu und das erste Mal in einem Klimavertrag wäre das festgehalten –, in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts soll eine klimaverträgliche Weltwirtschaft entstehen, und das ist eine sehr wichtige Orientierung.
Welty: Warum das?
"Verpflichtungen, die jetzt die Staaten freiwillig vorgelegt haben, reichen noch nicht aus"
Messner: Ja, am Ende des Tages, das sagen unsere Daten jetzt aus der Wissenschaft, wenn wir das 2-Grad-Ziel noch halten wollen, also gefährlichen Klimawandel vermeiden wollen, dann müssen wir gegen 2070 bei null Emissionen in der Weltwirtschaft landen. Im Text steht jetzt in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts, uns wäre es wichtiger gewesen oder uns wäre es noch besser vorgekommen, wenn da 2 Grad bis würde bedeuten 2070 null Emissionen gestanden hätte, aber zweite Hälfte des Jahrhunderts ist schon mal ein wichtiges Zeichen in die richtige Richtung.
Welty: Die Erderwärmung auf 2 Grad begrenzen, möglichst sogar auf 1,5 Grad – Umweltschützer bezweifeln jetzt schon, ob dieses Ziel erreicht wird, und Sie gehen von einer Erwärmung von 2,7 Grad aus. Ist das eine hilfreiche Debatte, über diese Gradzahlen zu debattieren, lässt sich das überhaupt so festmachen?
Messner: Ja, das ist eine hilfreiche Debatte. Wir müssen ja irgendeine Obergrenze setzen, und was wir in der Wissenschaft herausgearbeitet haben, ist, dass jenseits von 2 Grad es wirklich gefährlich wird und Dynamiken in Gang kommen, die wir später nicht mehr kontrollieren können, zum Beispiel das Abschmelzen des Nordpol-Eisschildes. Das können wir dann nicht mehr rückgängig machen und bekämen sieben Meter Meeresspiegelanstieg. Also wir plädieren für 2 Grad globale Erwärmung. Die Verpflichtungen, die jetzt die Staaten freiwillig vorgelegt haben, reichen noch nicht aus, die liegen irgendwo zwischen 2,7 und 3,2 Grad, also die Länder müssen noch drauflegen, und deswegen ist es auch wichtig, dass im Vertrag jetzt drinsteht – jedenfalls in dem, der im Augenblick vorliegt –, dass ab 2019 dann bereits Überprüfungsmechanismen greifen sollen, wo die Länder zeigen müssen, was sie wirklich umgesetzt haben, und um zu gucken, dass wir möglichst nah an die 2 Grad herankommen.
Welty: Nach der Konferenz ist, wie Sie schon sagten, vor der Nachbesserung, alle fünf Jahre sollen die Klimaziele in Zukunft überprüft werden. Macht das Ihrer Meinung nach Sinn oder müssten solche Überprüfungen nicht kontinuierlich geschehen?
Messner: Ja, die sollen 2019 beginnen, das ist ja kontinuierlich, weil 2020 tritt dieser Vertrag erst in Kraft, ab dann setzen die Länder wirklich um, und dann soll alle fünf Jahre ein solcher Überprüfungsmechanismus stattfinden. Uns wäre es lieber gewesen, wenn das noch konkreter ausgefüllt worden wäre, also wenn man konkreter definiert hätte, was für Fahrpläne die Entwicklungsländer vorlegen müssen. Uns hätte es auch gepasst, wenn die Konferenz ein Wissenschaftlergremium eingesetzt hätte, das dann diese Pläne überprüft, sodass man dann ja Objektivität reinkriegt, das nicht so stark den Ländern überlässt, aber das scheint im Augenblick nicht durchsetzbar zu sein.
Welty: Es gibt also viel Licht und viel Schatten. Welche Rolle hat bei den Verhandlungen der französische Gastgeber gespielt? Wie wichtig war Frankreich der Erfolg dieser Klimagipfels?
Frankreich hat viel politisches Kapital investiert
Messner: Ja, Frankreich ist der Erfolg dieses Gipfels sehr, sehr wichtig, sie haben viel politisches Kapital investiert. Fabius hat das außerordentlich gut gemacht, der hat das sehr gut gemanagt. Er hat jetzt auch in der letzten Phase, als die Konfliktpunkte allesamt auf dem Tisch lagen, durch eine Vielzahl von Einzelgesprächen versucht, in die richtige Richtung zu drängen. Er hat stark dazu beigetragen, dass diese Koalition der Ambitionierten zustande gekommen ist, das ist wirklich ein Durchbruch, weil das ist auch für nach Paris sehr, sehr wichtig. Niemand hindert ja diesen Club der Ambitionierten daran, wenn der Klimavertrag dann mal unterschrieben ist, noch rascher voranzugehen, als man das in diesem internationalen Vertrag festgelegt hat. Also meine Hoffnung ist, dieser Club der Ambitionierten kann Dinge viel schneller vorantreiben nach Paris und über das, was in Paris jetzt festgehalten wird, auch noch mal deutlich hinausgehen.
Welty: Lob für den Club der Ambitionierten oder den Kreis, die Koalition der Ehrgeizigen von Dirk Messner vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung. Er hat mit uns über das neue Klimaschutzabkommen gesprochen, das noch heute Vormittag in Paris vorgestellt werden soll. Ich danke sehr für diese ganz aktuelle Einschätzung hier in "Studio 9".
Messner: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.