UN-Volkswirt warnt vor Rezession in Deutschland
Angesichts des stetig sinkenden Dollarkurses hält Volkswirt Heiner Flassbeck für das kommende Jahr eine Rezession in Deutschland für möglich. Sollten die Exporte nächstes Jahr sogar sinken, drohe eine Rezession aufgrund des noch immer schwachen deutschen Binnenmarktes, sagte der Ökonom der UN-Handelsorganisation UNCTAD. Die Kursverluste des Dollars und die dadurch drohende Entwicklung seien allerdings eine normale Reaktion der Devisenmärkte.
Degenhardt: Die Angst geht um, die Angst vor dem Euro, vor dem starken Euro. Für den Chemiekonzern BASF zum Beispiel bedeutet jeder Cent, den der Euro gegenüber dem Dollar zulegt, 250 Millionen Euro weniger Umsatz, und auch der Automobilbau leidet unter der Dollarabwertung, der Maschinenbau ebenso, also all die Branchen, die von ihren Kunden in Dollar bezahlt werden. Kurz: Der Höhenflug der europäischen Leitwährung und die Krise an den Finanzmärkten drohen dem Exportweltmeister Deutschland auf die Füße zu fallen. Schon wird darüber spekuliert, ob die Bundesregierung ihre Wachstumsprognose für 2008 korrigieren muss, und der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück sieht eingetrübte Wachstumsaussichten. Alles falscher Alarm? Dazu Fragen an Heiner Flassbeck, er ist der Chefvolkswirt der UN-Organisation für Handel und Entwicklung, kurz UNCTAD, in Genf. Guten Morgen, Herr Flassbeck!
Heiner Flassbeck: Guten Morgen!
Degenhardt: Stimmen auch Sie ein in das allgemeine Wehklagen über den starken Euro?
Flassbeck: Na ja, Wehklagen ist insofern richtig, als die deutsche Konjunktur sicherlich in negativer Weise betroffen wird, aber man muss ja sehen, das ist die normale Reaktion sozusagen des Devisenmarktes gegenüber einem Land, das sich selbst extrem wettbewerbsfähig gemacht hat in den letzten zehn Jahren - und das ist Deutschland - und das einen gewaltigen Überschuss in seiner Leistungsbilanz hat. Insofern muss man auch hinnehmen, dass hier eine normale Reaktion des Devisenmarktes stattfindet, aber die wird natürlich für die deutsche Konjunktur schon sehr negative Wirkung haben.
Degenhardt: Das heißt nun, dass wir die Konjunkturprognosen für 2008 über den Haufen schmeißen müssen?
Flassbeck: Ja, das denke ich. Die Konjunkturprognosen sind sehr optimistisch, was auch noch den Export anbetrifft, weil man nicht berücksichtigt hat in meinen Augen, dass Deutschland in den letzten drei Jahren schon extrem, extrem gut exportiert hat, also extrem hohe Zuwachsraten hatte, also auf einem sehr hohen Niveau ist. Und wenn man sehr hoch gestiegen ist, kann man auch sehr tief fallen. Also wenn es jetzt eine starke Gegenreaktion gibt, sozusagen infolge eines Doppelschlages deutliche Abschwächung der amerikanischen Konjunktur, wofür vieles spricht, und der hohe Euro, dann wird in der Tat der deutsche Export nicht nur weniger steigen, sondern vielleicht insgesamt sinken. Und das würde dann natürlich bedeuten, dass wir in Deutschland in eine Rezession gehen, weil der Binnenmarkt immer noch sehr schwach ist.
Degenhardt: Viele Analysten rechnen in Kürze mit einem Erreichen der psychologisch wichtigen Marke von 1,50 Dollar, an die sich ja der Euro die letzten Tage schon kräftig herangepirscht hat. Sie auch?
Flassbeck: Ja, das kann man nicht vorhersagen, ich meine, das ist keine ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema das vorherzusagen, ob psychologisch wichtig, weiß ich nicht. Jedenfalls 1,48, wenn es nur so bleibt, das ist schon deutlich über dem, was man Kaufkraftparität nennt, also dem, was man sagen könnte, wäre der normale Wechselkurs, der liegt irgendwo bei 1,15 - 1,20. Und insofern ist es schon, auch wenn man gegenüber der DM rechnet, da hatten wir den höchsten Kurs von 1,36, ich glaub 1994, auch da gegenüber ist es noch mal deutlich höher jetzt der Euro-Kurs.
Also es ist eine ganz klare Verschlechterung der deutschen Wettbewerbsbedingungen, aber, wie gesagt, man muss sich selbst an die Brust klopfen in Deutschland und muss sich darüber im Klaren werden, dass die gesamte Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre insofern verfehlt war, und man eigentlich Glück hatte, dass diese Reaktion jetzt so spät kommt. Die hätte können schon vor fünf Jahren kommen, und ich hab sie in der Tat vor fünf Jahren schon vorhergesagt. Aber das ist nie ganz klar zu sagen, wann es dann passiert.
Degenhardt: Herr Flassbeck, Sie sind der Experte, aber so viel immerhin weiß ich auch, dass ein starker Euro ja nicht nur Nachteile hat, und ich meine jetzt nicht die immer wieder gern zitierten USA-Urlauber. Ich habe gelesen, er bremst zum Beispiel auch den Ölpreis?
Flassbeck: Ja, natürlich. Die Importpreise steigen nicht so stark, das hat einen positiven Effekt, aber per saldo, ich meine, machen wir uns nix vor, ist der Effekt negativ, und das soll er ja auch so sein, das ist ja der Sinn, weswegen man eine Wechselkursänderung hat. Sie soll ja die amerikanische Leistungsbilanz in Ordnung bringen, das heißt, dort zu einer Umkehr des enormen Defizits führen. Und das geht nur, wenn irgendwo die Überschusse schrumpfen, und das muss in Deutschland, Japan, China, überall der Fall sein, und insofern ist es im Grunde eine normale Reaktion, die, wie ich schon sagte, relativ spät kommt.
Degenhardt: Und das heißt, die Europäische Zentralbank beispielsweise kann in der momentanen Situation relativ wenig tun, obwohl das beispielsweise von den europäischen Gewerkschaften angesichts des Euro-Höhenflugs vehement verlangt wird? Da wird nämlich gefordert, die Regierungen, also die Europas und eben die EZB, müssten jetzt aktiv werden, sie müssten zum Beispiel intervenieren am Devisenmarkt, und es müsse auch nachgedacht werden über eine Zinssenkung. Was halten Sie davon?
Flassbeck: Ja, das Intervenieren am Devisenmarkt kann man so sagen, und sie könnte das auch machen, sie könnte den Dollarverfall sofort stoppen, so, wie das die Chinesische Zentralbank auch in gewissen Grenzen macht. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, was man dann weltwirtschaftlich anrichtet. Man sagt dann, also wir Europäer verhindern jetzt, dass das amerikanische Defizit verschwindet. Die Amerikaner sollen ein Defizit für alle Zeiten haben. Das ist völlig unmöglich, und man kann nicht gleichzeitig China auf die Anklageseite setzen und selbst das Gleiche tun. Herr Junker ist ja grade nach China gefahren, um die Chinesen zu beschimpfen sozusagen, dass sie ihre Währung nicht stark genug aufwerten, obwohl die auch aufgewertet hat in den letzten Jahren, also von daher muss man das auch global sehen.
Natürlich zu Recht klagen die Gewerkschaften, denn das ist wie eine gewaltige Lohnerhöhung, und man wundert sich ja manchmal, dass viele deutsche Beobachter so relativ gelassen sind; wenn die Löhne um 20, 30 Prozent steigen würden, dann würden sie ganz sicherlich ganz anders auf die Barrikaden gehen. Aber wiederum vor dem Hintergrund der Lohnzurückhaltung der letzten zehn Jahre ist es eine Gegenreaktion, die unabänderlich war.
Degenhardt: Noch ein globaler Blick zum Schluss, Herr Flassbeck, eine Frage, die in dem Zusammenhang natürlich immer wieder gern gestellt wird, die Sie wahrscheinlich auch schon mehrfach beantworten mussten, dennoch: Wann löst denn der Euro den Dollar als Weltleitwährung ab?
Flassbeck: Ja, das passiert genau dann, wenn Europa die USA als Wachstumslokomotive der Welt ablöst. Wenn wir also in den nächsten zehn Jahren so viel innere Dynamik zustande bringen, Binnendynamik, wie die USA in den letzten zehn Jahren, dann würde vieles dafür sprechen, dass der Euro zur Leitwährung wird, aber davon sind wir noch weit entfernt. Wie gesagt, zunächst mal betreiben die Europäer wieder Nabelschau und sagen, oh, wie schrecklich geht es uns, anstatt zu fragen, was man im Inneren tun könnte, und dazu gehört dann in der Tat auch eine Zinssenkung. Dazu gehört auch eine Anregung auf breiter Front der Binnennachfrage, und dazu gehört in Deutschland vor allem eine Normalisierung der Lohnverhandlungen, der Lohnabschlüsse.
Degenhardt: Über den starken Euro und die Folgen sprach ich mit Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt in der UN-Organisation für Handel und Entwicklung, UNCTAD, in Genf. Vielen Dank, Herr Flassbeck, für das Gespräch!
Heiner Flassbeck: Guten Morgen!
Degenhardt: Stimmen auch Sie ein in das allgemeine Wehklagen über den starken Euro?
Flassbeck: Na ja, Wehklagen ist insofern richtig, als die deutsche Konjunktur sicherlich in negativer Weise betroffen wird, aber man muss ja sehen, das ist die normale Reaktion sozusagen des Devisenmarktes gegenüber einem Land, das sich selbst extrem wettbewerbsfähig gemacht hat in den letzten zehn Jahren - und das ist Deutschland - und das einen gewaltigen Überschuss in seiner Leistungsbilanz hat. Insofern muss man auch hinnehmen, dass hier eine normale Reaktion des Devisenmarktes stattfindet, aber die wird natürlich für die deutsche Konjunktur schon sehr negative Wirkung haben.
Degenhardt: Das heißt nun, dass wir die Konjunkturprognosen für 2008 über den Haufen schmeißen müssen?
Flassbeck: Ja, das denke ich. Die Konjunkturprognosen sind sehr optimistisch, was auch noch den Export anbetrifft, weil man nicht berücksichtigt hat in meinen Augen, dass Deutschland in den letzten drei Jahren schon extrem, extrem gut exportiert hat, also extrem hohe Zuwachsraten hatte, also auf einem sehr hohen Niveau ist. Und wenn man sehr hoch gestiegen ist, kann man auch sehr tief fallen. Also wenn es jetzt eine starke Gegenreaktion gibt, sozusagen infolge eines Doppelschlages deutliche Abschwächung der amerikanischen Konjunktur, wofür vieles spricht, und der hohe Euro, dann wird in der Tat der deutsche Export nicht nur weniger steigen, sondern vielleicht insgesamt sinken. Und das würde dann natürlich bedeuten, dass wir in Deutschland in eine Rezession gehen, weil der Binnenmarkt immer noch sehr schwach ist.
Degenhardt: Viele Analysten rechnen in Kürze mit einem Erreichen der psychologisch wichtigen Marke von 1,50 Dollar, an die sich ja der Euro die letzten Tage schon kräftig herangepirscht hat. Sie auch?
Flassbeck: Ja, das kann man nicht vorhersagen, ich meine, das ist keine ernsthafte Beschäftigung mit dem Thema das vorherzusagen, ob psychologisch wichtig, weiß ich nicht. Jedenfalls 1,48, wenn es nur so bleibt, das ist schon deutlich über dem, was man Kaufkraftparität nennt, also dem, was man sagen könnte, wäre der normale Wechselkurs, der liegt irgendwo bei 1,15 - 1,20. Und insofern ist es schon, auch wenn man gegenüber der DM rechnet, da hatten wir den höchsten Kurs von 1,36, ich glaub 1994, auch da gegenüber ist es noch mal deutlich höher jetzt der Euro-Kurs.
Also es ist eine ganz klare Verschlechterung der deutschen Wettbewerbsbedingungen, aber, wie gesagt, man muss sich selbst an die Brust klopfen in Deutschland und muss sich darüber im Klaren werden, dass die gesamte Wirtschaftspolitik der letzten zehn Jahre insofern verfehlt war, und man eigentlich Glück hatte, dass diese Reaktion jetzt so spät kommt. Die hätte können schon vor fünf Jahren kommen, und ich hab sie in der Tat vor fünf Jahren schon vorhergesagt. Aber das ist nie ganz klar zu sagen, wann es dann passiert.
Degenhardt: Herr Flassbeck, Sie sind der Experte, aber so viel immerhin weiß ich auch, dass ein starker Euro ja nicht nur Nachteile hat, und ich meine jetzt nicht die immer wieder gern zitierten USA-Urlauber. Ich habe gelesen, er bremst zum Beispiel auch den Ölpreis?
Flassbeck: Ja, natürlich. Die Importpreise steigen nicht so stark, das hat einen positiven Effekt, aber per saldo, ich meine, machen wir uns nix vor, ist der Effekt negativ, und das soll er ja auch so sein, das ist ja der Sinn, weswegen man eine Wechselkursänderung hat. Sie soll ja die amerikanische Leistungsbilanz in Ordnung bringen, das heißt, dort zu einer Umkehr des enormen Defizits führen. Und das geht nur, wenn irgendwo die Überschusse schrumpfen, und das muss in Deutschland, Japan, China, überall der Fall sein, und insofern ist es im Grunde eine normale Reaktion, die, wie ich schon sagte, relativ spät kommt.
Degenhardt: Und das heißt, die Europäische Zentralbank beispielsweise kann in der momentanen Situation relativ wenig tun, obwohl das beispielsweise von den europäischen Gewerkschaften angesichts des Euro-Höhenflugs vehement verlangt wird? Da wird nämlich gefordert, die Regierungen, also die Europas und eben die EZB, müssten jetzt aktiv werden, sie müssten zum Beispiel intervenieren am Devisenmarkt, und es müsse auch nachgedacht werden über eine Zinssenkung. Was halten Sie davon?
Flassbeck: Ja, das Intervenieren am Devisenmarkt kann man so sagen, und sie könnte das auch machen, sie könnte den Dollarverfall sofort stoppen, so, wie das die Chinesische Zentralbank auch in gewissen Grenzen macht. Aber man muss sich darüber im Klaren sein, was man dann weltwirtschaftlich anrichtet. Man sagt dann, also wir Europäer verhindern jetzt, dass das amerikanische Defizit verschwindet. Die Amerikaner sollen ein Defizit für alle Zeiten haben. Das ist völlig unmöglich, und man kann nicht gleichzeitig China auf die Anklageseite setzen und selbst das Gleiche tun. Herr Junker ist ja grade nach China gefahren, um die Chinesen zu beschimpfen sozusagen, dass sie ihre Währung nicht stark genug aufwerten, obwohl die auch aufgewertet hat in den letzten Jahren, also von daher muss man das auch global sehen.
Natürlich zu Recht klagen die Gewerkschaften, denn das ist wie eine gewaltige Lohnerhöhung, und man wundert sich ja manchmal, dass viele deutsche Beobachter so relativ gelassen sind; wenn die Löhne um 20, 30 Prozent steigen würden, dann würden sie ganz sicherlich ganz anders auf die Barrikaden gehen. Aber wiederum vor dem Hintergrund der Lohnzurückhaltung der letzten zehn Jahre ist es eine Gegenreaktion, die unabänderlich war.
Degenhardt: Noch ein globaler Blick zum Schluss, Herr Flassbeck, eine Frage, die in dem Zusammenhang natürlich immer wieder gern gestellt wird, die Sie wahrscheinlich auch schon mehrfach beantworten mussten, dennoch: Wann löst denn der Euro den Dollar als Weltleitwährung ab?
Flassbeck: Ja, das passiert genau dann, wenn Europa die USA als Wachstumslokomotive der Welt ablöst. Wenn wir also in den nächsten zehn Jahren so viel innere Dynamik zustande bringen, Binnendynamik, wie die USA in den letzten zehn Jahren, dann würde vieles dafür sprechen, dass der Euro zur Leitwährung wird, aber davon sind wir noch weit entfernt. Wie gesagt, zunächst mal betreiben die Europäer wieder Nabelschau und sagen, oh, wie schrecklich geht es uns, anstatt zu fragen, was man im Inneren tun könnte, und dazu gehört dann in der Tat auch eine Zinssenkung. Dazu gehört auch eine Anregung auf breiter Front der Binnennachfrage, und dazu gehört in Deutschland vor allem eine Normalisierung der Lohnverhandlungen, der Lohnabschlüsse.
Degenhardt: Über den starken Euro und die Folgen sprach ich mit Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt in der UN-Organisation für Handel und Entwicklung, UNCTAD, in Genf. Vielen Dank, Herr Flassbeck, für das Gespräch!