Mit Smartphone gegen den Hunger
Es soll ein wenig so funktionieren wie Essenslieferdienste in Deutschland. Mithilfe von Smartphones und Apps können Kleinbauern in ärmeren Regionen jetzt auch selbst Händler werden, so Bernhard Kowatsch von der UNO. So könne der Hunger auf der Welt reduziert werden.
Dieter Kassel: Wir können auch neun Milliarden Menschen ernähren, die 2050 auf diesem Planeten leben. Das Wissen ist da, Technologien und Lösungen sind bekannt, wir müssen sie nur einsetzen. Wir brauchen eine Welternährung 2.0. Das schreibt Bundesentwicklungsminister Gert Müller heute in einem Gastbeitrag für den Berliner "Tagesspiegel", und dass er es gerade da tut, ist kein Zufall, denn der "Tagesspiegel" ist der Veranstalter der World Food Convention, die heute in Berlin stattfindet und in der es eben tatsächlich auch um die Frage geht, was digitale Technik dazu beitragen kann, alle Menschen auf dieser Welt ausreichend zu ernähren. Moderne Konzepte dazu entwickelt unter anderem der Innovation Accelerator, also der Innovationsbeschleuniger des Welternährungsprogramms der UNO. Dieser Thinktank sitzt in München und wird geleitet von Bernhard Kowatsch. Schönen guten Morgen, Herr Kowatsch!
Bernhard Kowatsch: Guten Morgen!
Kassel: Daten kann man nicht essen, das wissen wir alle, und diesen blöden Spruch hören Sie bestimmt häufig. Deshalb die sachliche Frage, wie können denn Daten trotzdem dazu beitragen, dass alle Menschen was zu essen bekommen?
Kowatsch: Prinzipiell ist es wichtig, mal darüber nachzudenken, wie kann man es schaffen, Hunger weltweit zu beenden und auch die Nahrungsmittelproduktion zu vergrößern. Das heißt, eine der Kernfragen ist natürlich einmal, man muss Nahrungsmittel anbauen. Es muss gleichzeitig dann aber auch verteilt werden, und Menschen müssen eben auch wissen, wie sie zu diesen Daten kommen. Jetzt in einer Vielzahl von Möglichkeiten helfen uns jetzt eben Daten oder Informationen, Dinge, die man jetzt schon seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten gemacht hat, einfach effizienter zu gestalten oder auch neue Geschäftsmöglichkeiten umzusetzen. Sei es jetzt eben, durch das Internet einerseits Wissen zu vermitteln, aber gleichzeitig auch zum Beispiel Marktpreise zu vergleichen oder einfach, wenn man sich zum Beispiel digitale Marktplätze vorstellt – man kennt das ja über Apps –, dass das eben einfach auch viel effizienter geht, als wenn man jetzt händisch miteinander verhandeln muss.
Kassel: Ist das ein Konzept eher für große Konzerne, für große Netzwerke, oder auch für Kleinbauern?
Kowatsch: Natürlich sind jetzt Großkonzerne in den meisten Fällen schneller dabei, solche neue Konzepte umzusetzen. Aber gerade durch neue Technologien, und sei es jetzt eben auch Internetzugang und Mobiltelefon, also Smartphones, ist es jetzt eben auch möglich, das für Kleinbauern umzusetzen. Und spannend ist dabei natürlich auch, dass das Wissen, das vorher Leuten, die zum Beispiel eine formale Ausbildung gehabt haben, nur denen zugänglich war. Aber heute ist es auch möglich, dass jemand, der eigentlich noch nie zum Beispiel wirklich eine Schule offiziell abgeschlossen hat oder eine offizielle Agraringenieurausbildung, kann einfach im Internet nachsehen.
"Wir sehen viele Start-ups, aber auch Innovationen"
Kassel: Aber machen wir es doch noch mal ganz praktisch, wirklich ganz unten an der Wurzel. Wenn ich mir jetzt einen Bauern vorstelle, einen Kleinbauern in Afrika oder irgendwo in Asien, der zum Beispiel Reis anbaut, irgendeine Getreideart, was hat der denn von digitaler Technik?
Kowatsch: Wir sehen viele Startups, aber auch Innovationen, die dabei helfen, jetzt zum Beispiel Märkte effizienter zu gestalten. Zum Beispiel sehen wir viele Apps, die so was Ähnliches machen wie zum Beispiel auch in Deutschland, man kennt das von den Essenslieferdiensten. So was Ähnliches können Kleinbauern inzwischen auch nutzen in Entwicklungsländern, und das haben wir auch unterstützt vom World Food Program, wo dann zum Beispiel ein Kleinbauer auf einem Smartphone in einer App sehen kann, was ist denn heute der aktuelle Marktpreis für Mais. Und er muss sich jetzt dafür nicht mehr darauf verlassen, dass jetzt der Händler, der zufällig gerade in seinem Dorf durchfährt, ihm sagt, ich gebe dir den fairen Marktpreis. Nein, er kann jetzt zum Beispiel auch, sei es auf einem normalen Nokia-Telefon oder eben auch auf einem Smartphone, nachsehen, was ist denn der aktuelle Preis, und eben auch sogar online inzwischen Geschäfte abschließen, um sich dann zu überlegen, okay, ich kann jetzt tatsächlich eine rationale Entscheidung treffen, will ich jetzt heute verkaufen an einen fliegenden Händler, oder ich warte darauf und organisiere zum Beispiel den Transport des Getreides selbst.
Kassel: Ist natürlich auch eine Herausforderung. Das heißt ja, ein Kleinbauer braucht dann auch mehr als bisher betriebswirtschaftliche Kenntnisse, und er braucht schlicht und ergreifend einen flotten Internetzugang.
Kowatsch: Ja. Wir sehen auch tatsächlich, dass sich dadurch neue Möglichkeiten ergeben. Man muss sich das tatsächlich anders vorstellen als hier in Deutschland zum Beispiel. In dem Fall ist es dann oft so, dass zum Beispiel eine junge Dame oder ein junger Herr wird dann ein Unternehmer, der zum Beispiel ein Smartphone hat, und der wiederum bietet das als Dienstleistung für mehrere Kleinbauern in seinem Dorf oder in seiner Gemeinschaft an. Und das ist insofern spannend, das heißt, einerseits die Kleinbauern müssen jetzt in vielen Fällen gar nicht so digital sich anpassen, und gleichzeitig ergeben sich aber auch neue Geschäftsmodelle für junge Erwachsene, die eben damit auch eine Beschäftigung haben.
Blockchain-Technologie für ein Flüchtlingscamp
Kassel: Was Sie da entwickeln, also Sie und Ihre Kolleginnen und Kollegen in diesem Innovation Accelerator des Welternährungsprogramms, geht ja teilweise noch über das hinaus, über was wir jetzt gerade gesprochen haben. Nehmen wir noch mal so ein Beispiel, was viele Leute vielleicht ein bisschen überraschen wird: Verteilung von Lebensmitteln zum Beispiel in großen Flüchtlingslagern. Da schlagen Sie sogar vor, die Blockchain-Technologie einzusetzen. Die meisten haben das, glaube ich, mal gehört im Zusammenhang mit der Internetwährung Bitcoin. Nicht jeder hat überhaupt begriffen, was es ist, aber Blockchain-Technologie im Flüchtlingslager zur Verteilung von Nahrungsmitteln?
Kowatsch: Ja, das ist aus unserer Sicht ein sehr spannendes Projekt namens Building Blocks. Und zwar geht es darum, dass es in einer Vielzahl von Fällen ist es so, dass wir anstatt tatsächlichen Nahrungsmitteln inzwischen Bargeld oder Gutscheine an Flüchtlinge oder bedürftige Menschen verteilen. Das heißt, weltweit sind das jetzt schon ungefähr 30 Prozent der Hilfsleistungen, die wir zur Verfügung stellen. Wir haben also als Piloten im Flüchtlingscamp Azrak in Jordanien tatsächlich Blockchain-Technologie eingesetzt, um Flüchtlingen virtuelle Bankkonten zur Verfügung zu stellen. Und tatsächlich, der erste Pilot, nach nur sechs Monaten war er schon mit 10.000 Menschen, die das genutzt haben. Und inzwischen erreichen wir damit schon 100.000 Menschen, die tatsächlich diese Lösung nutzen. Und das ist deswegen spannend, weil durch diese Bankkonten, die auf der Blockchain zur Verfügung stehen, können wir einerseits einen besseren Datenschutz gewährleisten, wir haben eine bessere Zusammenarbeit mit anderen UNO-Organisationen und NGOs, und gleichzeitig können wir auch Kosten sparen, die ansonsten an Banktransaktionsgebühren abgegangen wären, das heißt, mehr Geld bleibt bei den bedürftigen Menschen, um Essen einzukaufen.
Kassel: Das bringt mich, wo Sie gerade das Pilotprojekt in Jordanien erwähnt haben, doch noch zum Schluss zu einer grundsätzlichen Frage. Dieser Innovation Accelerator, also der Innovationsbeschleuniger in München, da sind Sie ja ein relativ kleines Team, ich nehme an, auch mit flachen Hierarchien. Aber wenn Sie da etwas so weit entwickelt haben, dass Sie sagen, aus unserer Sicht funktioniert das, man muss es jetzt nur einfach machen, dann kommt das World Food Program, das ist schon mal ein viel größeres Unternehmen, und dahinter steckt die riesige UNO – geht Ihnen das eigentlich schnell genug?
Kowatsch: Generell als World Food Program sind wir aufgrund der Vielzahl der Aktivitäten, die wir in der Nothilfe machen, also gerade jetzt zum Beispiel Essenslieferungen auch in Syrien oder im Jemen oder im Südsudan natürlich als Organisation innovationsfreudig eingestellt. Das heißt, die Kolleginnen und Kollegen finden das prinzipiell toll, auch Innovationen zu machen. Anstatt halt Essenslieferungen durch ein Konfliktgebiet zu fahren, eben auch neue Technologien einzusetzen wie zum Beispiel selbstfahrende Lkws oder auch zum Beispiel selbstfliegende Drohnen in dem Sinne, um Nahrungsmittel an bedürftige Menschen zu bekommen. Gleichzeitig sehen wir auch, also als Accelerator, wir unterstützen eben Innovationsteams, das heißt, Startups extern wie auch interne Teams, die sagen, wir können etwas beitragen in der Nothilfe oder eben auch für die nachhaltige Hilfe von Menschen, dort neue Innovationen auf die Straße zu bringen. Und das ist, finde ich, schon spannend, weil wir eben auch als Accelerator als Brücke zwischen der UNO und dem World Food Program und der externen Welt, Startups oder auch Partnern stehen.
Kassel: Digitale Technologien zum Wohle der Menschheit. Der Innovationsbeschleuniger des Welternährungsprogramms macht dazu konkrete Vorschläge. Und über die wird es zum Teil auch heute auf einer Konferenz in Berlin gehen. Bernhard Kowatsch ist der Leiter des Innovation Accelerators. Danke für das Gespräch, Herr Kowatsch!
Kowatsch: Vielen herzlichen Dank!
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