Unabhängigkeit der Ukraine

Bewusstsein für die Vergangenheit

09:26 Minuten
Gedenkstein an der Gedenkstätte für die Opfer des Nazi-Massakers an ukrainischen Juden in Babyn Jar in Kiew
Gedenken an Besatzung: An die deutschen Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg erinnern Dutzende Mahnmale in Kiew. © imago images / Stefan M
Volker Weichsel im Gespräch mit Marietta Schwarz · 11.11.2021
Audio herunterladen
Vor 30 Jahren wurde die Ukraine unabhängig. Dazu befasst sich ein Symposium auch mit der Vergangenheit des Landes. Wie dort an die Ermordung von Juden im Zweiten Weltkrieg erinnert werden soll, sei umstritten, sagt der Historiker Volker Weichsel.
Als vor 30 Jahren die Ukraine unabhängig wurde, war dort schon jahrzehntelang bekannt und anerkannt, welche Gräueltaten deutsche Besatzer an Juden in dem Land im Zweiten Weltkrieg begangen hatten. Das sei in Deutschland ganz anders, sagt der Historiker Volker Weichsel: Es werde überschätzt, was hierzulande "über das Ereignis Babyn Jar und über den Massenmord an den sowjetischen Juden mit 1,5 Millionen Opfern gewusst wird."
Weichsel ist Redakteur der Zeitschrift "Osteuropa" und hat in Berlin aus Anlass der Unabhängigkeit der Ukraine das Symposium "Ukraine 30" über die Gegenwart und Vergangenheit des Landes mitorganisiert.
In Deutschland werde noch immer verdrängt, dass 1941 beim Massaker in Babyn Jar mehr als 33.000 Juden an zwei Tagen von Angehörigen der SS und der Wehrmacht ermordet wurden. In der Ukraine habe dagegen bereits 1971 ein Umdenken stattgefunden.

Versöhnung mit Überlebenden

"Das war der Beginn einer Anerkennung, dass es sich um einen Mord spezifisch an den Juden handelt – und der Beginn einer ukrainischen nationalen Versöhnung mit den Überlebenden und der gesamten jüdischen Gemeinschaft in der Ukraine, in Israel und weltweit."
Deshalb drehten sich in Kiew die Fragen zu einem aktuellen Erinnerungsprojekt nur darum, wie erinnert werden soll. Geplant ist die Entstehung eines Babyn Jar Holocaust Memorial Centre – ursprünglich orientiert unter anderem an Yad-Vashem in Jerusalem oder das Holocaust-Museum in Washington, so Weichsel: "Man wollte sich an den internationalen Stand der internationalen Holocaust- und Genozidforschung anschließen".

Umstrittenes Erinnerungskonzept

Umstritten sei, dass dieses Konzept von russischen Oligarchen mitfinanziert werde und dass der aktuelle künstlerische Leiter für das museumspädagogische Konzept von einer Fokussierung auf Menschenrechte und den internationalen Stand der wissenschaftlichen Forschung abgerückt ist: "Es geht jetzt darum, mit Emotionen zu bewältigen. Die Gegner bezeichneten das Konzept als sehr oberflächlich."
Angekündigt werde, so Weichsel, dass man alle technischen Möglichkeiten der modernen Welt und Ergebnisse der Sozialpsychologie nutzen wolle, um das Ereignis erfahrbar zu machen. "Jeder, der dort hinkommt, soll spüren, fühlen und sich selber hineinversetzen können, wie es am 29. September 1941 war, als dort Tausende Menschen erschossen wurden."
Mehr zum Thema