Unaufgeregte Erinnerung an die Teilung
23 Autoren schreiben in "Grenzübergänge" von ihren Erfahrungen mit der geteilten Republik. Dabei entsteht kein verbindliches Panorama, sondern ein Sammelsurium aus Polemik, ironischen Alltagsbetrachtungen und persönlichen Erinnerungsbildern jenseits von Hurra-Patriotismus oder Betroffenheitskitsch.
Implizit bezeugt "Grenzgänge" ein gewisses Desinteresse an der ehemaligen deutsch-deutschen Demarkation. Die seit dem Roman "Die Mittagsfrau" berühmte Autorin Julia Franck musste für ihren Band im renommierten S. Fischer Verlag gleich neun anderswo veröffentlichte Beiträge übernehmen. Offenbar ließen sich nicht genügend Autoren auf Frischware verpflichten. Das Ergebnis ist ein äußerst buntes Sammelsurium. Der einzelne Text wird deshalb nicht entwertet, doch man neigt zum Schmökern und Blättern und fragt sich: Wer schreibt was und in welchem Stil?
Nichts gegen Pathos - aber Uwe Kolbe, der von seinem Grenzübertritt im April 1982 am Tränenpalast in der Berliner Friedrichstraße berichtet, verfällt ins Pubertär-Existenzialistische:
"Mir war warm, war mir kalt? Mir war nicht, mir war nach nichts, ich war nicht anwesend."
Ergriffenheitskitsch bleibt allerdings die Ausnahme. Berührend, aber kalkuliert in den Mitteln ist Marica Bodrozics Beobachtung von Grenzsoldaten am Eisernen Vorhang. "Sie üben das Sterben zuerst an sich selbst. Und wenn man so ein Toter ist, ein Mensch, der längst an sich selbst gestorben ist, dann ist es einfach, im Grunde ein Spiel (...), einen anderen zu töten", schreibt die in Dalmatien geborene Autorin und bekennt, was ihr der Systemwechsel ästhetisch gebracht hat:
"Kaum war ich der kommunistischen Welt entkommen, fand ich die hessische sofort schrecklich hässlich."
Der Larmoyanz macht sich übrigens kein Autor in "Grenzübergänge" schuldig, Humor ist anzutreffen.
Auf Bodrozic folgt Friedrich Christian Delius mit ganz anderen Interessen. Der Lyriker und ehemalige Lektor im Rotbuch Verlag rechnet mit Schriftsteller-Kollege Thomas Brasch ab. Delius' Privatfehde ist eine Zweitverwertung. Was soll sie in dieser Anthologie? Das könnte man sich auch bei Ingo Schulzes "Noch eine Geschichte" fragen, entnommen aus seinem Erzählband "Handy".
Literarisch unambitioniert, aber als Szene plausibel: Viola Roggenkamps Bericht über die Ängste während einer banalen Fahrt auf der Transitstrecke zwischen Berlin und Hamburg. Bei Emine Sevgi Özdamar lernt man eine weitgehend unbekannte Perspektive kennen. Die geborene Türkin beschreibt, wie sie 1976 von Istanbul nach Ostberlin reiste, um an der Volksbühne Theater im Geiste Brechts zu studieren.
Der Band enthält keine Stasi-Geschichten, keine ostentative Totalitarismus-Verdammung, keinen Jubel nach dem Motto "vom Todesstreifen zur Lebenslinie". Die Widerständigkeit gegen selbstzufriedene westdeutsche Sieger-Diskurse ist zumindest indirekt zu spüren. Insgesamt vermittelt sich, dass die Mauer in den Köpfen und Herzen poröser wird. Aggressive Aufgeregtheit im Zeichen von Schwarz-Rot-Gold scheint out zu sein.
Rezensiert von Arno Orzessek
Julia Franck (Hrsg.): Grenzübergänge . Autoren aus Ost und West erinnern sich
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
281 Seiten, 19,95 Euro
Nichts gegen Pathos - aber Uwe Kolbe, der von seinem Grenzübertritt im April 1982 am Tränenpalast in der Berliner Friedrichstraße berichtet, verfällt ins Pubertär-Existenzialistische:
"Mir war warm, war mir kalt? Mir war nicht, mir war nach nichts, ich war nicht anwesend."
Ergriffenheitskitsch bleibt allerdings die Ausnahme. Berührend, aber kalkuliert in den Mitteln ist Marica Bodrozics Beobachtung von Grenzsoldaten am Eisernen Vorhang. "Sie üben das Sterben zuerst an sich selbst. Und wenn man so ein Toter ist, ein Mensch, der längst an sich selbst gestorben ist, dann ist es einfach, im Grunde ein Spiel (...), einen anderen zu töten", schreibt die in Dalmatien geborene Autorin und bekennt, was ihr der Systemwechsel ästhetisch gebracht hat:
"Kaum war ich der kommunistischen Welt entkommen, fand ich die hessische sofort schrecklich hässlich."
Der Larmoyanz macht sich übrigens kein Autor in "Grenzübergänge" schuldig, Humor ist anzutreffen.
Auf Bodrozic folgt Friedrich Christian Delius mit ganz anderen Interessen. Der Lyriker und ehemalige Lektor im Rotbuch Verlag rechnet mit Schriftsteller-Kollege Thomas Brasch ab. Delius' Privatfehde ist eine Zweitverwertung. Was soll sie in dieser Anthologie? Das könnte man sich auch bei Ingo Schulzes "Noch eine Geschichte" fragen, entnommen aus seinem Erzählband "Handy".
Literarisch unambitioniert, aber als Szene plausibel: Viola Roggenkamps Bericht über die Ängste während einer banalen Fahrt auf der Transitstrecke zwischen Berlin und Hamburg. Bei Emine Sevgi Özdamar lernt man eine weitgehend unbekannte Perspektive kennen. Die geborene Türkin beschreibt, wie sie 1976 von Istanbul nach Ostberlin reiste, um an der Volksbühne Theater im Geiste Brechts zu studieren.
Der Band enthält keine Stasi-Geschichten, keine ostentative Totalitarismus-Verdammung, keinen Jubel nach dem Motto "vom Todesstreifen zur Lebenslinie". Die Widerständigkeit gegen selbstzufriedene westdeutsche Sieger-Diskurse ist zumindest indirekt zu spüren. Insgesamt vermittelt sich, dass die Mauer in den Köpfen und Herzen poröser wird. Aggressive Aufgeregtheit im Zeichen von Schwarz-Rot-Gold scheint out zu sein.
Rezensiert von Arno Orzessek
Julia Franck (Hrsg.): Grenzübergänge . Autoren aus Ost und West erinnern sich
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009
281 Seiten, 19,95 Euro