"Unbedingt verdient"

Aris Fioretos im Gespräch mit Klaus Pokatzky |
In Schweden ist die Freude groß, dass es nun doch noch geklappt hat. Die Lyrik von Tranströmer zeichne sich aus durch sehr genaue Beobachtung und eine sanfte Strenge, sagt Aris Fioretos. Die Verleihung des Nobelpreises an Tomas Tranströmer sei ein Triumph der Poesie.
Klaus Pokatzky: Und nun begrüße ich im Studio von Deutschlandradio Kultur den schwedischen Schriftsteller Aris Fioretos, früher schwedischer Kulturattaché in Berlin und in diesem Jahr Autor des vielgelobten Romans "Der letzte Grieche". Willkommen im Studio, Aris Fioretos!

Aris Fioretos: Vielen Dank!

Pokatzky: Herr Fioretos, was bedeutet das für Schweden und die schwedische Literatur? Ist das ein Triumph für Sie?

Fioretos: Triumph – ja, für die Literatur sicherlich. Wir haben lange darauf gewartet, glaube ich, dass Tomas Tranströmer den Preis erhalten sollte, aber wer hätte das nach so vielen Jahren auch der Enttäuschung eigentlich nunmehr erwartet? Er ist in seinem 80. Lebensjahr, seit 20 Jahren spricht er nicht mehr, er schreibt sehr wenig, wenn überhaupt mehr, und vielleicht hätte man doch gedacht, der Zug wäre schon längst weg. Und jetzt ist er doch Nobelpreisträger, und wir können uns, glaube ich, mit ihm sehr, sehr freuen. Aber was das für die schwedische Literatur betrifft oder bedeutet, das wage ich nicht zu sagen. Ich glaube, es ist eher ein Gewinn für die Literatur überhaupt und vor allem für die Poesie.

Pokatzky: Wie haben Sie das denn heute Mittag miterlebt? Haben Sie genauso wie wir gebannt vor dem Computer gesessen, wo da ja sekundenweise abgezählt wurde, wann es endlich bekannt gegeben wird?

Fioretos: Im Rundfunk, ja, habe ich es gehört.

Pokatzky: Was ging da ganz schnell durch Ihren Kopf und Ihr Herz?

Fioretos: Na, Freude!

Pokatzky: Er hat es verdient?

Fioretos: Er hat es unbedingt verdient.

Pokatzky: Es ist ein Lyriker mal wieder, das hatten wir auch lange nicht.

Fioretos: Ja, seit, glaube ich, 15 Jahren oder mehr, 17 Jahren vielleicht? Nun, man könnte vielleicht Herta Müller zu der Kategorie der Lyriker auch – der geheimen Lyriker – zählen, …

Pokatzky: … der geheimen?

Fioretos: …aber er ist der erste Dichter in sehr vielen Jahren, und verdienterweise bekommt er jetzt den Preis. Er hat auch Prosagedichte geschrieben, gelegentlich auch memoirisch geprägten Prosatext, aber vor allem ist er natürlich in erster Linie auch Dichter.

Pokatzky: Es ist ja ein Werk doch mit eher kargen Texten von der Sprache her. Wie würden Sie seine Poesie beschreiben?

Fioretos: Karg wäre vielleicht nicht unbedingt das erste Wort, das mir einfiele, aber sie sind in sanfter Weise streng. Er vermeidet die vielen Worte, er ist ein sehr genauer Dichter, ein präziser Dichter. Er wäre vielleicht in einem anderen Leben so etwas wie ein Schneider oder ein Uhrmacher.

Pokatzky: Also Handwerker auch?

Fioretos: Ein Handwerk, es gibt etwas Handwerkliches bei ihm, es gibt aber auch eine Liebe zum Detail, nicht umsonst und nicht überraschenderweise ist er auch in einem früheren Leben, also im Alter von zehn bis 20, Entomologe gewesen: Er hat Schmetterlinge, Insekten gesammelt. Das spürt man auch in seinen Gedichten, diese Liebe zu den Details des Lebens.

Pokatzky: In Schweden hat er ja geschrieben im Grunde doch fernab von jedem politischen Zeitgeist und auch von den großen Auflagen?

Fioretos: Na ja, ich glaube, mit der Bibel ist er der Meistverkaufte in Schweden inzwischen.

Pokatzky: Ja, aber er hat sich nicht dem politischen Zeitgeist untergeordnet?

Fioretos: Nein, er hat sich immer fern der Extremen gehalten, aber er ist ein sehr engagierter Mensch, politisch, auch ideologisch sehr interessierter Mensch. Aber er hat sich in der Tat den großen Ideologien der letzten 50 Jahre ferngehalten. Auch, weil ich glaube, es zu ihm, zu seinem Temperament, seinem Gemüt gehört, Balance zu finden und zu erfinden, vor allem in seinen Gedichten.

Pokatzky: Sie haben ihn vor sechs Jahren zur Leipziger Buchmesse eingeladen. Was ist das für ein Mensch?

Fioretos: Er ist ein sehr netter, zurückhaltender und höflicher Mensch. Er ist ein Mensch, der immer darauf bedacht ist, dass es den Anderen gut geht. Er ist ein Mensch, der gar nicht sein Ich in die Mitte stellt, sondern ganz im Gegenteil, erst mal diesen Platz offen halten möchte.

Pokatzky: Gibt es von ihm noch etwas, was noch nicht übersetzt ist in Deutschland, und wo sie unheimlich hoffen würden, dass das noch hier übersetzt wird?

Fioretos: Ich glaube, die meisten Sachen sind ja inzwischen im Laufe der Jahre im Hanser Verlag mehrfach sogar erschienen. Der alte Freund von Tomas Tranströmer, der Verleger Michael Krüger, hat sich sehr verdient gemacht und die Bücher immer wieder aufgelegt. Es gibt Neuauflagen, ich glaube sogar, es gibt mehrere verschieden Übersetzungen mancher Gedichte. Insofern, glaube ich, müsste eigentlich Tomas Tranströmer für das deutsche Publikum in voller Größe präsent sein.

Pokatzky: Wenn es diesen Hanser Verlag nicht gegeben hätte, der sich ja auch um andere Schriftsteller sehr verdient gemacht hat, würden wir ihn überhaupt in Deutschland zur Kenntnis genommen haben?

Fioretos: Denke ich schon. Ich meine, Qualität lässt sich nicht verleugnen, nicht über lange Strecken der Zeit.

Pokatzky: Gibt es etwas, das Ihr Lieblingswerk ist von ihm, das Sie auch geprägt hat, mitbestimmt hat für Ihre schriftstellerische Arbeit?

Fioretos: Na, ich kenne ihn ja persönlich, und er ist ein alter Freund meiner Familie. Mein Vater hat ihn in den 50er-Jahren kennengelernt und neugriechische Gedichte damals ins Schwedische übersetzt. Insofern war er immer der große Dichter in meinem Privatleben – das mag nicht viel bedeuten, aber wenn man zehn, zwölf, 14 Jahre alt ist und anfängt, selber zu schreiben, dann versucht man natürlich, hier und da, sich an jemanden zu lehnen, und in meinem Falle waren das eben diese beiden großgeschriebenen Ts: Tomas Tranströmer. Gemeinsam haben sie so etwas wie die Portale zum Parnass sozusagen dargestellt. Und in den Büchern, die er uns schickte, gab es immer wieder Widmungen, und die wurden immer mit TT unterzeichnet. Das war sozusagen die Siegel der Poesie überhaupt für mich.

Pokatzky: Heißt das, dass ohne ihn Sie vielleicht selber nicht zum Schreiben und zur Literatur gefunden hätten?

Fioretos: Nein, ich bin ja kein Dichter, ich bin ja Prosaist, insofern glaube ich, dass ich den Weg schon selbst ohne seine Hilfe hätte finden können, aber er hat ein Beispiel gemacht – wie sagt man auf Deutsch? –, er ist ein exemplarischer Dichter, der lieber schweigt, als ein Wort zu viel von sich gibt. Und das, finde ich, ist sehr empfehlenswert.

Pokatzky: Und nun schweigen wir auch zunächst einmal, aber ich darf noch darauf hinweisen, um 19:07 Uhr heute in "Fazit am Abend" werden wir sprechen mit Michael Krüger vom Hanser Verlag, den wir ja schon erwähnt haben, den verdienstvollen deutschen Verleger von Tomas Tranströmer. Herr Fioretos, bevor ich danke sage, noch ein Wort: was heißt Glückwunsch auf Schwedisch?

Fioretos: Gratulationen.

Pokatzky: Und Dank heißt, glaube ich, tack?

Fioretos: Tack heißt tack, danke.

Pokatzky: Gratulationen und tack!

Fioretos: Ich danke Ihnen!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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"Aktuell" vom 6.10.2011: Literaturnobelpreis geht an Tomas Tranströmer - Schwedischer Lyriker erhält wichtigste Literaturauszeichnung