Unbekannte Jesusworte und außerbiblische Legenden
"Worte christlicher Araber", so der Untertitel, enthält Klaus Bergers Buch. Genauer: Es handelt sich um eine Auswahl aus Texten des christlichen Arabiens vor der Entstehung und Verbreitung des Islam, die - das ist der Clou - "ausschließlich bei islamischen Schriftstellern und im Koran (zu) finden" sind. Nach der Lektüre wüsste man freilich gerne mehr über den größeren Kontext der einzelnen Schriften.
Was haben Abwasserrohre und weise Männer gemeinsam? Im Grunde nichts. Manchmal muss man jedoch entdecken:
"Die Weisen, die nichts taugen, sind ... wie eine Latrinenröhre. Außen sind sie mit weißem Gips verkleidet, innen voller Gestank."
Klare, drastische Worte - aus dem Munde Jesu. Sie haben richtig gehört. Das zitierte Bildwort zählt zu den unbekannten Jesusworten, die im christlichen Arabien mündlich tradiert wurden.
Agrapha nennt man derartige Texte, wörtlich übersetzt: Ungeschriebenes. Der Terminus technicus bezeichnet Worte, Dialoge und Episoden von und über Jesus, die nicht in den vier Evangelien überliefert sind, sondern in anderen Schriften des Neuen Testamentes oder in sons-tigen Quellen.
"Johannes der Täufer lächelte Jesus an. Jesus sagte zu Johannes: 'Du lächelst, als wärest du des Heiles sicher.' Johannes erwiderte: 'Du siehst so traurig aus, als verzweifeltest du am Heil.' Da offenbarte Gott Jesus: 'Was Johannes tut, ist mir lieber.'"
75 Agrapha findet man in Bergers Büchlein. Sie sind auf Arabisch überliefert und - das ist der Clou - "ausschließlich bei islamischen Schriftstellern und im Koran (zu) finden."
Neben unbekannten Jesusworten und außerbiblischen Legenden nehmen die Worte heiliger Mönchsväter in der alten christlich-arabischen Literatur großen Raum ein. Seinerzeit war das arabische Christentum, sieht man von den Bischöfen ab, ein Christentum der Mönche. Von Johannes Climacus ist überliefert:
"Stille ... bedeutet die ununterbrochene Anrufung Gottes und das Stehen in seiner Gegenwart."
Mit derlei Sentenzen vermittelt der Eremit und zeitweilige Abt eine tiefgehende Ahnung davon, warum er und viele andere in die Wüste zum Berg Sinai gezogen sind - auf der Suche nach Stille und der Nähe Gottes.
Als letzten Beitrag liest man in Bergers Buch das Trostschreiben Jakobs von Sarug an die himjaritischen Christen. Kurz zum Hintergrund, den der Herausgeber verschweigt: Mit Himjariten bezeichnet man bis zum 19. Jahrhundert die Bewohner Südarabiens. Als im 6. Jahrhundert der König von Jemen aus politischen Gründen zum Judentum konvertiert, hat das für die Christen fatale Folgen. Daher schreibt Jakob von Sarug:
"Wo es keine Bedrückung gibt, da ist auch nicht das Kreuz, und wo Leiden fehlen, zeigt sich auch nicht die Herrlichkeit des Bekennertums. ... Nun aber, da Juden, die Feinde des Kreuzes, sich gegen euch geschart haben, sind eure Leiden erhabener als Leiden sonst, sind eure Kronen berühmter als Kronen sonst."
Klaus Berger, Professor für Neues Testament in Heidelberg, hat die vorliegenden Texte ins Deutsche übertragen, aus dem Syrischen und Äthiopischen, aus dem Arabischen und Griechischen. Einige Anmerkungen, meist Quellenangaben, und Literaturhinweise beschließen das wissenschaftlich solide Büchlein, runden es aber keineswegs ab.
Sicher, der bibelfeste Leser wird bei Texten wie Über die Weisheit zahlreiche Wendungen und Motive aus dem Alten Testament wieder erkennen. Hier und da regt die Lektüre gar zum Schmunzeln an, wenn es etwa in der apokryphen Schrift Leben Johannes des Täufers heißt:
"Und der gesegnete Johannes wanderte mit seiner Mutter in die Wüste, und Gott bereitete für ihn Heuschrecken und wilden Honig als Nahrung ... Nach fünf Jahren verstarb die from-me und gesegnete Mutter Elisabeth, und der heilige Johannes saß da (, sieben Monate und sechs Jahre alt,) und weinte über sie ... - Der Herr Jesus Christus, dessen Augen Himmel und Erde erblicken, sah seinen Mann Johannes sitzen und bei seiner Mutter weinen. Da weinte auch Jesus lange ... Als die Mutter Jesu ihn weinen sah, fragte sie ihn: Warum weinst du? Hat der alte Mann Josef oder irgend jemand anders etwas gegen dich gesagt? ... Nein, Mutter, der wahre Grund ist, dass deine Tante, die alte Elisabeth, meinen geliebten Johannes als Waisenkind zurückgelassen hat."
Nach der Lektüre von Bergers Textauswahl wüsste man gerne mehr über den größeren Kontext der einzelnen Schriften. Welche regionalen sowie überregionalen Konflikte der Kirchen- und Theologiegeschichte spiegeln sich in den Texten wieder? Und: Wie haben Sentenzen und Themen dieses stark monastisch geprägten Christentums Eingang in den Koran gefunden?
Derartige Informationen, diesen theologischen Krimi, der hinter den Texten liegt, hält Klaus Berger der Leserschaft weitgehend vor. Anders gewendet: Mit dem Bändchen "Zwischen Welt und Wüste" werden exklusive Appetithäppchen gereicht. Sie machen Lust auf mehr und nähren den Wunsch, Klaus Berger möge alsbald das Hauptgericht auftischen.
Zwischen Welt und Wüste. Worte christlicher Araber
Aus dem Syrischen, Äthiopischen, Arabischen und Griechischen übersetzt und herausgegeben von Klaus Berger
Insel Bücherei Nr. 1275, Insel Verlag: Frankfurt am Main und Leipzig 2006, 144 Seiten
"Die Weisen, die nichts taugen, sind ... wie eine Latrinenröhre. Außen sind sie mit weißem Gips verkleidet, innen voller Gestank."
Klare, drastische Worte - aus dem Munde Jesu. Sie haben richtig gehört. Das zitierte Bildwort zählt zu den unbekannten Jesusworten, die im christlichen Arabien mündlich tradiert wurden.
Agrapha nennt man derartige Texte, wörtlich übersetzt: Ungeschriebenes. Der Terminus technicus bezeichnet Worte, Dialoge und Episoden von und über Jesus, die nicht in den vier Evangelien überliefert sind, sondern in anderen Schriften des Neuen Testamentes oder in sons-tigen Quellen.
"Johannes der Täufer lächelte Jesus an. Jesus sagte zu Johannes: 'Du lächelst, als wärest du des Heiles sicher.' Johannes erwiderte: 'Du siehst so traurig aus, als verzweifeltest du am Heil.' Da offenbarte Gott Jesus: 'Was Johannes tut, ist mir lieber.'"
75 Agrapha findet man in Bergers Büchlein. Sie sind auf Arabisch überliefert und - das ist der Clou - "ausschließlich bei islamischen Schriftstellern und im Koran (zu) finden."
Neben unbekannten Jesusworten und außerbiblischen Legenden nehmen die Worte heiliger Mönchsväter in der alten christlich-arabischen Literatur großen Raum ein. Seinerzeit war das arabische Christentum, sieht man von den Bischöfen ab, ein Christentum der Mönche. Von Johannes Climacus ist überliefert:
"Stille ... bedeutet die ununterbrochene Anrufung Gottes und das Stehen in seiner Gegenwart."
Mit derlei Sentenzen vermittelt der Eremit und zeitweilige Abt eine tiefgehende Ahnung davon, warum er und viele andere in die Wüste zum Berg Sinai gezogen sind - auf der Suche nach Stille und der Nähe Gottes.
Als letzten Beitrag liest man in Bergers Buch das Trostschreiben Jakobs von Sarug an die himjaritischen Christen. Kurz zum Hintergrund, den der Herausgeber verschweigt: Mit Himjariten bezeichnet man bis zum 19. Jahrhundert die Bewohner Südarabiens. Als im 6. Jahrhundert der König von Jemen aus politischen Gründen zum Judentum konvertiert, hat das für die Christen fatale Folgen. Daher schreibt Jakob von Sarug:
"Wo es keine Bedrückung gibt, da ist auch nicht das Kreuz, und wo Leiden fehlen, zeigt sich auch nicht die Herrlichkeit des Bekennertums. ... Nun aber, da Juden, die Feinde des Kreuzes, sich gegen euch geschart haben, sind eure Leiden erhabener als Leiden sonst, sind eure Kronen berühmter als Kronen sonst."
Klaus Berger, Professor für Neues Testament in Heidelberg, hat die vorliegenden Texte ins Deutsche übertragen, aus dem Syrischen und Äthiopischen, aus dem Arabischen und Griechischen. Einige Anmerkungen, meist Quellenangaben, und Literaturhinweise beschließen das wissenschaftlich solide Büchlein, runden es aber keineswegs ab.
Sicher, der bibelfeste Leser wird bei Texten wie Über die Weisheit zahlreiche Wendungen und Motive aus dem Alten Testament wieder erkennen. Hier und da regt die Lektüre gar zum Schmunzeln an, wenn es etwa in der apokryphen Schrift Leben Johannes des Täufers heißt:
"Und der gesegnete Johannes wanderte mit seiner Mutter in die Wüste, und Gott bereitete für ihn Heuschrecken und wilden Honig als Nahrung ... Nach fünf Jahren verstarb die from-me und gesegnete Mutter Elisabeth, und der heilige Johannes saß da (, sieben Monate und sechs Jahre alt,) und weinte über sie ... - Der Herr Jesus Christus, dessen Augen Himmel und Erde erblicken, sah seinen Mann Johannes sitzen und bei seiner Mutter weinen. Da weinte auch Jesus lange ... Als die Mutter Jesu ihn weinen sah, fragte sie ihn: Warum weinst du? Hat der alte Mann Josef oder irgend jemand anders etwas gegen dich gesagt? ... Nein, Mutter, der wahre Grund ist, dass deine Tante, die alte Elisabeth, meinen geliebten Johannes als Waisenkind zurückgelassen hat."
Nach der Lektüre von Bergers Textauswahl wüsste man gerne mehr über den größeren Kontext der einzelnen Schriften. Welche regionalen sowie überregionalen Konflikte der Kirchen- und Theologiegeschichte spiegeln sich in den Texten wieder? Und: Wie haben Sentenzen und Themen dieses stark monastisch geprägten Christentums Eingang in den Koran gefunden?
Derartige Informationen, diesen theologischen Krimi, der hinter den Texten liegt, hält Klaus Berger der Leserschaft weitgehend vor. Anders gewendet: Mit dem Bändchen "Zwischen Welt und Wüste" werden exklusive Appetithäppchen gereicht. Sie machen Lust auf mehr und nähren den Wunsch, Klaus Berger möge alsbald das Hauptgericht auftischen.
Zwischen Welt und Wüste. Worte christlicher Araber
Aus dem Syrischen, Äthiopischen, Arabischen und Griechischen übersetzt und herausgegeben von Klaus Berger
Insel Bücherei Nr. 1275, Insel Verlag: Frankfurt am Main und Leipzig 2006, 144 Seiten