Unbekannte Seiten des Malers Manet

Von Kathrin Hondl |
Edouard Manet (1832-1882) galt lange als der "Vater" der Impressionisten, obwohl seine Malerei mit der der Impressionisten nicht viel zu tun hat. Zweifellos ist er dennoch ein, wenn nicht DER Wegbereiter der modernen Malerei.
Es ist keine klassische Retrospektive, die da im Musée d'Orsay zu sehen ist. Statt alle bekannten Manet-Meisterwerke aus aller Welt zu einer Megaschau in Paris zu versammeln, - was ohnehin schwierig gewesen wäre -, hat sich Kurator Stéphane Guégan für ein nicht weniger ambitioniertes Projekt entschieden: den ganzen Manet zeigen, auch und gerade die unbekannteren Aspekte seines Werks.

Zum Beispiel ist da ein ganzer Saal der wenig beachteten religiösen Malerei Manets gewidmet. Im Mittelpunkt: - eine Leihgabe aus dem Metropolitan Museum - das großformatige Bild "Toter Christus von Engeln gehalten". Das Gemälde mit dem schwarz gefleckten Christus-Körper verstörte Manets Zeitgenossen, während die 'moderne' Nachwelt sich an der düsteren katholischen Wucht störte.

"Die gängige Sichtweise seit dem 20. Jahrhundert ist, Manet habe Helligkeit in die französische Malerei gebracht, den Impressionismus erfunden und den klassischen Sujets und der ganzen Tradition den Rücken gekehrt. Wir aber sagen genau das Gegenteil. Und besonders wichtig ist mir dabei der Begriff des 'Erfinders'. Es geht nicht darum, die Wirklichkeit abzubilden, es geht darum sie gewissermaßen zu verklären. Daraus etwas Poetisches zu machen."

Das Paris des Zweiten Kaiserreichs ist zunächst die Wirklichkeit, in der Manet seine Themen findet und - so Stéphane Guégan - die Historienmalerei neu erfindet. Er ist damit ganz auf einer Linie mit seinem Freund dem Dichter Baudelaire, der von einem "modernen Heldentum" und einer "modernen Schönheit" schwärmte. Heldentum und Schönheit, die, so Baudelaire, unter "den Tausenden unsicheren Existenzen (...) einer großen Stadt" zu finden seien.

"Für Manet ist das zeitgenössische Leben ein historisches Sujet. Die jungen Leute, die in Gennevilliers rumflirten, die Prostitution, die Eisenbahn, Freizeitvergnügen. Hier sucht er, was den Menschen ausmacht, das Metaphysische und die Poesie des modernen Lebens. Er will so die Prinzipien der Historienmalerei beibehalten und sich gleichzeitig von der Genremalerei distanzieren, die die sozialen Hintergründe banalisiert. Wahrheit und Poesie in der Sicht auf die Welt der Gegenwart, das ist sein Anspruch."

Und er macht das auf eine sehr eigenwillige Weise, die seine Zeitgenossen oft schockierte. Manets berühmte Skandalbilder, das monumentale "Frühstück im Grünen" und seine "Olympia" strahlen im Musée d'Orsay in ihrer ganzen Pracht. Nicht nur die offensive Nacktheit der Damen brüskierte damals das Pariser Publikum, auch Manets ironischer Umgang mit den Vor-Bildern alter Meister. Tizians "Venus von Urbino", eine Göttin wird bei Manet zu einer real existierenden Prostituierten.

Auch die Malerei von Velazquez beeinflusste Manet entscheidend. Und schon diese permanente Auseinandersetzung mit der Tradition der europäischen Malerei weist darauf hin, dass Manet trotz oft ähnlicher Motive und wechselseitiger Einflüsse, auf einem anderen Weg war als die Impressionisten, als deren "Vater" oder gar "Chef" er oft gesehen wurde.

"Böse gesagt, ist die Malerei der Impressionisten oberflächlicher, allerdings bewusst oberflächlich, sagt Stéphane Guégan. Menschliche Figuren spielen nicht dieselbe Rolle. Wenn Sie Flirtszenen bei Manet und bei Renoir vergleichen, spüren Sie, dass es bei Manet entscheidend bleibt, was sich zwischen den beiden abspielt, Renoir ist da viel distanzierter."

Dass es Manet um mehr ging als um Impressionen, zeigt auch das Bild "Rue Mosnier mit Fahnen" von 1878. Zu sehen ist eine mit französischen Flaggen geschmückte Straße - ein Motiv, das im gleichen Jahr auch der Impressionist Monet gemalt hat. Doch während sich bei Monet Fahnen, Fassaden, Himmel und Menschen in Licht und Farbe auflösen, hat Manet ganz vorne in seine ebenfalls luftig lichte Fahnenstraße die Silhouette eines einbeinigen Mannes auf Krücken gemalt. Die junge Dritte Französische Republik hinkt noch. Und Manet - so die Botschaft dieser sehr intelligent gemachten Ausstellung - Manet war Zeit seines Lebens ein Historienmaler. Und zwar ein moderner.