Lumpensammler, Unruhestifter, Weltstar
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Am 6. Juli 1971 starb Louis Armstrong, eine der Jazzlegenden der Musikgeschichte. Kurz vor seinem 50. Todestag erinnern wir an Details aus seinem Leben, die wenigen bekannt sein dürften. Zum Beispiel, dass er jiddisch sprach.
Louis Armstrong konnte jiddisch sprechen, trug einen Davidstern um den Hals und liebte die die jüdische Küche. Die Chronik jener vier Jahre des kleinen Louis, die er bei einer jüdischen Familie verbrachte, stammt aus einer späten Autobiographie Armstrongs, die erst zehn Jahre nach dem Tod des Musikers veröffentlicht wurde.
Darin schilderte er zum ersten Mal, wie ihm diese freundlichen Menschen neue musikalische Welten eröffnet und mit ihrem kulturellen Engagement einen großen Einfluss auf sein weiteres Leben ausgeübt hatten. Über diese Zeit und ihren prägenden Einfluss hatte er selbst lange geschwiegen.
Vom Straßenkind zum König des Jazz
Sein abenteuerliches Leben hat Louis Armstrong in zwei Autobiografien geschildert – flott geschriebene, spontan wirkende Erzählungen, die von Armut sprechen und vom Erziehungsheim, von Bohnen mit Fischköpfen in Tomatensauce und von der Musik, der über alles geliebten.
Späte Erinnerungen
Doch kurz vor seinem Tod, in seinem 68. Lebensjahr, veränderte sich das Bild. Da schimmerte in der wundervollen Welt des Louis Armstrong etwas auf, was eine andere Wahrheit erahnen ließ.
Da war plötzlich auch Raum für Erinnerungen an Angst, Scham und Erniedrigung; und zum ersten Mal sprach Armstrong auch von der Zugehörigkeit und Wärme, die er als kleiner Junge von einer fremden, jüdischen Familie erfahren hatte. In dieser späten Chronik seiner frühen Jahre schreibt er plötzlich über Dinge, die er bis dahin nie erwähnt hatte.
Ein russisches Wiegenlied
Frühjahr 1969. Der inzwischen weltberühmte Louis Armstrong liegt wegen Problemen mit seiner Lunge im Beth Israel Hospital in New York. Mit seinem Arzt Dr. Zucker verbindet ihn bereits eine innige Freundschaft, und als dieser das russische Schlaflied anstimmt, weckt das bei Armstrong heftig und unversehens die Erinnerung an die Karnofskys.
Sie waren jüdische Emigranten aus Russland, die sich mit viel Fleiß aus größter Armut emporgearbeitet hatten. Sie beschäftigten den sechsjährigen Louis nicht nur, sie nahmen ihn auch bei sich auf, gaben ihm zu essen und schenkten ihm Melodien, wenn sie abends alle gemeinsam das Baby in den Schlaf sangen.
Das erste Kornett
Auf 77 Seiten beschreibt Armstrong in seinen späten Memoiren, wie er zu seinem ersten Instrument kam: nicht, wie immer behauptet wurde, erst im Erziehungsheim, sondern schon zuvor, bei den Karnofskys. Sie gaben ihm das Geld, damit er sich sein erstes, eigenes Kornett kaufen konnte, ein ramponiertes, gebrauchtes Instrument – für Louis eine Kostbarkeit.
Doch das aufgeweckte Kind sah wohl, dass nicht alles nur wundervoll war – es sah auch die Diskriminierung und Bosheit, die den jüdischen Emigranten entgegenschlug.
Den Einstieg in das wahrhaft harte Leben bildete nicht die Arbeitswelt des Sechsjährigen – es war das Erziehungsheim, in das er mit zwölf kam.
Leben als Heimkind
Silvester 1914. Auf den Straßen ballern die Männer mit Pistolen, das macht man nun mal so in New Orleans. Louis hat auch eine Pistole, von einem seiner vielen "Stiefväter" geliehen bekommen. Da erwischt ihn die Polizei. Der Junge wird verhaftet und ins Heim gesteckt.
Der zunächst verhasste Lehrer und Kapellmeister Mr. Davis schließt ihn ins Herz, nimmt Louis in die Schulband auf und lässt ihn zuletzt, nach anderen Instrumenten, sogar Kornett spielen.
Unbekümmert gewährt Armstrong in seiner Autobiografie Einblicke in die menschverachtende Realität seiner Kindheit in den Südstaaten der USA. Es sind zugleich auch Einblicke in seine Seelenwelt – schon dem Kind ist bewusst, dass es vor allem um eines geht: ums Überleben.
Vom Mississippi nach Chicago
Die nächste Entwicklungsstufe auf dem Weg zum Weltmusiker war ein Mississippi-Dampfer. Aus dieser Schule des Lebens kam der Achtzehnjährige bereits als Vollprofi heraus. In Musikerkreisen sprach es sich schnell herum, wenn einer hervorragte aus jener großen Schar begabter Musiker, die damals im Süden unterwegs waren.
Armstrong wird prompt vom König der Trompeter, Joe Oliver, besser bekannt als King Oliver, nach Chicago berufen. Als zweiter Trompeter. Doch wird er schon sehr bald der erste. Und jede Band, in der Louis Armstrong spielt, wird – wie sie zuvor auch geheißen haben mag – schon sehr bald zu einer Louis-Armstrong-Band.
Zwei Seiten eines Musikers
Die Öffentlichkeit kannte zwei Armstrongs: der eine spielte "Hello Dolly" und "Mack the Knife" und "What a Wonderfull World" – und dann gab es den anderen, den epochalen Erneuerer. Seine Popularität begründete sich zunächst auf der ersten Variante, doch zu richtigem Ruhm als singuläre Erscheinung kam er aufgrund seiner Leistung abseits der ausgetretenen Pfade.
Als Weltstar unterwegs
Der legendär gewordene schwarze Trompeter ging auf Tournee durch die ganze Welt. Das amerikanische Außenministerium organisierte für ihn viele Auslandsreisen. Eine davon führte auf den afrikanischen Kontinent – ein veritabler Triumphzug!
In Ghana trug ihn die Menge auf einem Thron durch die Straßen, zu seinem Konzert in einem Stadion kamen hunderttausend Besucher – für die damalige Zeit eine unerhörte Zahl.
Rückblick mit Bitternis
Als er im Beth Israel Hospital seinen Tod nahen fühlte, fiel zuletzt ein Teil seines Optimismus von ihm ab und machte einer lang gehegten Bitterkeit Platz. Auf jenen letzten 77 handgeschriebenen Seiten kritisierte Armstrong nicht nur die "unchristliche" Art, wie Juden und Schwarze in Amerika diskriminiert wurden.
Er kritisierte auch den Großteil der schwarzen Community, warf ihr Faulheit und mangelnden Ehrgeiz vor, und dass sie sich zu wenig für Kultur interessierte. Als Vorbild nannte er dabei stets die Mentalität und das kulturelle Engagement der jüdischen Einwanderer.
Jüdische Traditionen festgehalten
Seine Liebe und Hochachtung für die jüdische Kultur, für Feiertage und Bräuche behielt Louis Armstrong bis an sein Lebensende. Er vergaß nie die jiddische Sprache, die er bei den Karnofskys gelernt hatte und trug immer eine Kette mit einem Davidstern um den Hals. In seinem Haus hing auch die Mesusa am Türrahmen, das kleine Metallgefäß mit einem jüdischen Gebet darin, wie es die Tradition vorschreibt.