Unbewusste Essensmuster

Der Ernährungsforscher Brian Wansink hat über Jahre die Essensgewohnheiten der US-Bürger analysiert. Die Ergebnisse seiner Forschungen hat er in dem Buch "Essen ohne Sinn und Verstand" zusammengefasst. Sein Fazit: Durch minimale Eingriffe wie z.B. kleinere Portionen oder unbequemere Aufbewahrungsorte von Süßigkeiten kann man Übergewicht sehr leicht entgegenwirken.
Mehr als die Hälfte der Bundesdeutschen ist zu dick. Das ergab die jüngste Umfrage des Verbraucherschutzministeriums. Beunruhigend ist dabei, dass auch immer mehr Jugendliche zu viel Gewicht auf die Waage bringen. Ein Ergebnis falscher Ernährung, zu vieler Süßigkeiten, Softdrinks, Snacks und Fastfood. Deutschland nähert sich - so befürchten Ernährungsexperten - mit Riesenschritten amerikanischen Verhältnissen an, die der amerikanische Ernährungswissenschaftler Brian Wansink mit der knackigen These "Essen ohne Sinn und Verstand" umschreibt.

Unter gleichnamigem Titel ist jetzt sein Buch erschienen, in dem Brian Wansink, Leiter eines Forschungslabors der Cornell University, die Ergebnisse seiner über Jahre gemachten Untersuchungen zu den Essensgewohnheiten der Amerikaner amüsant und aufschlussreich beschreibt. Denn die Untersuchungen zeigen, dass die meisten Menschen keineswegs so bewusst essen, wie sie von sich selbst annehmen. Sie lassen sich vielmehr sehr stark von Äußerlichkeiten lenken, überschreiten oftmals unbemerkt den Punkt, an dem sie längst satt sind.

Büffets sind ein gutes Beispiel dafür, dass die meisten Menschen das rechte Maß nicht kennen. Da das gebrauchte Geschirr ständig abgeräumt wird, verliert man rasch den Überblick über die Menge, die man bereits verzehrt hat, isst also mehr als gewohnt. Je mehr von etwas vorhanden ist, desto häufiger greift man zu.

Auch unser Geschmackssinn lässt sich gerne täuschen. Je luxuriöser das Essen oder der Wein wirken, desto eher sind wir davon überzeugt, dass beides gut ist und schmeckt. Wenn es also ums Essen geht, so Wansink, lassen Menschen sich von Ambiente, Geruch, Geschirr, Portionsgrößen leicht und gerne beeinflussen.

Außerdem greift man eher zu, wenn es keine Mühe macht. Etwa dann, wenn die Schale mit Süßigkeiten auf dem Schreibtisch steht, dann wird ständig genascht. Ist die Schale hingegen im Büroschrank zwei Meter weiter weg untergebracht, steht man seltener auf, um sich zu bedienen. Ganz nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.

Wansink präsentiert zahlreiche solcher Beispiele, die auch den deutschen Leser nachdenklich machen. Wer allerdings tiefer gehende Informationen sucht, der wird enttäuscht. Zumal der deutsche Untertitel des Buches anderes verspricht: Wie die Lebensmittelindustrie uns manipuliert, dazu findet sich hier wenig. (Wohl deshalb fehlt dieser Zusatz im amerikanischen Original zu Recht.) So geht der Autor darauf nur am Rande ein, wenn er zum Beispiel verführerische Werbung, übergroße Lebensmittelpackungen oder appetitanregenden Geruchsnoten bei Fertiggerichten als Fallen für übermäßiges Essen erwähnt.

Brian Wansink ist insofern Realist, als er seine Leser nun nicht auffordert, auf Süßigkeiten und Softdrinks, auf Fastfood oder Chips zu verzichten. Er will darüber hinaus zu bewusstem und geplantem Essen ohne Verzichtsgefühle animieren. Sein Ziel: jeden Tag hundert Kalorien einsparen. Dann, so rechnet er vor, nimmt man nicht weiter zu oder kann sogar in einem Jahr bis zu zwanzig Pfund abnehmen, ohne sich zu quälen. Allerdings erfordert dieses Ziel eine gewisse Disziplin, eine Verhaltensänderung, die sich nach Ansicht des Ernährungswissenschaftlers mit ein paar Tricks erreichen lässt.

Man sollte zum Beispiel stets darauf achten, dass auf dem Teller mindestens genauso viel Gemüse liegt wie Fleisch. Übergroße Teller gilt es zu meiden, wirken auf ihnen doch normale Portionen stets zu klein. Wenn man im Supermarkt zu den größten Packungen greift, nicht zuletzt weil sie oftmals billiger sind, dann sollte man zuhause den Inhalt in kleinere Gefäße füllen. Das verhindert, dass man ständig nachnimmt.

Überhaupt gilt: je kleiner die Ess- und Trinkbehälter, desto früher hat man das Gefühl, satt zu sein. Man sollte sich auf alle Fälle abgewöhnen, nebenher beim Fernsehen, Zeitungslesen oder Autofahren zu essen. Man stopft dabei prinzipiell zu viel in sich hinein, so Wansink. Besser, so der Autor, ist es, sich beim Essen Zeit zu lassen, denn der Magen meldet erst nach gut 20 Minuten, ob er wohlgefüllt ist oder nicht. Wer sein Essen runter schlingt, merkt also zu spät, dass er längst genug hat.

Wer mit Übergewicht kämpft, wird in dem Buch manche nützliche Anregung finden. Abnehmen ist auch ohne harte Entbehrungen durchaus möglich, sofern man sich seiner Schwächen bewusst wird. Das ist Brian Wansins Botschaft. Sie ist schlicht, sie ist einfach, sie ist praktikabel.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Brian Wansink: Essen ohne Sinn und Verstand - Wie die Lebensmittelindustrie uns manipuliert
Aus dem Englischen von Sonja Hauser
Campus Verlag Frankfurt a. M. 2008
127 Seiten. 17,90 EUR