Und alle Welt schaut zu
Für seinen "Othello" in Halle kümmert sich Wolfgang Engel nicht um die politische Korrektheit - zum Glück. Besonders sein zweiter Teil, in dem er alle Szenen aneinanderfügt, markiert einen starken Blick auf den Shakespeare-Klassiker.
Neuerdings zeigt ja wieder Mut, wer "Othello" auf den Spielplan setzt – denn die Rassismuspolizei ist überall vor Ort. Nach den vehementen Auseinandersetzung um "Blackfacing", also um schwarze Schminke auf weißen Schauspielergesichtern, um diese als "POC" agieren zu lassen, als "People of Colour" (wie das neuerdings politisch korrekt heißt), bescherte das Plakat zu Wolfgang Engels "Othello"-Inszenierung auch dem Neuen Theater in Halle schon im Vorfeld beträchtlichen Streit.
"Othello. Venedigsneger" steht darauf, und es zeigt den "Othello"-Darsteller Martin Reik schwarz geschminkt. Mit der Formulierung "Venedigs Neger" waren die Plakatmacher dem Untertitel der Übersetzung des Dramatikers Werner Buhss gefolgt, der den "Mohr von Venedig" (wie Shakespeare gemeinhin untertitelt wird) mit viel Sinn für Struktur und Politik anders beschrieben hatte: als quasi "Eigentum" der Republik, an sich verhasst und nur geschätzt aufgrund der kriegerischen Qualitäten als Feldherr. Der "Venedigsneger" las (und liest) sich nun in der Hallenser Fassung wie eine Art Satansbraten – und so sieht ja die Republik am Rialto ihren prominenten Krieger in der Tat. Auch sonst scheut die außerordentlich zupackende, zuweilen nachgerade rabiate und ruppige Übertragung von Buchpreisträger Buhss vor keinem noch so scharfen Wort zurück.
Othello allerdings (um noch einmal auf Fragen der Farbenlehre zurück zu kommen) ist auf der Bühne schwarz nur im allerletzten Moment – die unschuldige Gattin hat er gerade im Eifersuchtswahn gemordet (übrigens auf höchst spektakuläre Weise: indem er sie am Halse hochhebt, bis sie mit den Füßen strampelt, also mit den Händen hängt!), und sich selber wird er gleich mit einem Dolchstich richten. Für den schmiert Martin Reik sich rote Farbe auf den Bauch – und zuvor schwarze in Gesicht und Haare.
Künstlichkeit im Exzess, Kunst in der Behauptung rechtfertigt jeden Farb-Gebrauch; "Blackfacing"-Protest war und ist nicht zu erwarten. Ohnehin haben die Aktivisten der Bewegung speziell um Shakespeares schwarze Geister, eben um Othello, aber auch den mörderischen Aaron in "Titus Andronicus", bislang einen erstaunlich weiten ideologischen Bogen gemacht. Mit Spannung wird nun der Kampf um Koltés erwartet, wenn zu dessen 70. Geburtstag hier und da "Der Kampf des Negers und der Hunde" wieder entdeckt werden wird.
Wolfgang Engel schert sich für "Othello" in Halle kein Jota um diese Debatte; zum Glück. Des Rassismus ist er ohnedies völlig unverdächtig – er findet Töne und Bilder für das Ausgegrenztsein des Fremden in der Gesellschaft und braucht dafür keine schwarze Farbe; und er hat mit Hendrik Scheers Bühne einen Raum, der sehr eigenwillig den Weg zu Shakespeare weist. Wie eine Insel, wie Venedig und/oder Zypern liegt das Podest im Theatersaal, davor und links danebensitzen wir, das Publikum; die beiden anderen Seiten umschlingt eine geschwungene Wand mit Wellen drauf. Ein Podest im Podest ist versenkbar; hier ist das Haus des seiner Tochter Desdemona beraubten Senators Brabantio, hier wird getafelt bei des Feldherrn Othello Ankunft auf Zypern, hier treibt der finstre Jago kurz vor Schluss in einer Art Spiegelkabinett das Morden an den Bauernopfern voran.
Der erste Teil geht wenig speziell von Szene zu Szene – und erst der zweite hat es wirklich in sich. Hier fügt Engel wie vor einem Tribunal alle Szenen ineinander, vor ständig versammeltem Ensemble wie vor der ganzen Welt – jeder und jede schaut halt immer nur zu und rührt zur Hilfe keine Hand, wenn das Schreckliche erst einmal unausweichlich voranschreitet. Ein starkes Bild – so sitzt ja die zivilisierte Welt auch im Alltag meist still und stumm herum um das Fiasko mancher tragischen Verblendung ...
Reiks Othello, rein äußerlich mächtig gewaltig, tappt wie ein zunehmend verwirrter, orientierungsloser Bär von Falle zu Falle; Bettina Schneider leuchtet derweil im Bewusstsein, an nichts wirklich schuldig zu sein – und nur eine Szene lang gibt sie sich mit deutlicher Lust (und gemeinsam mit Nicoline Schuberts zupackender Emilia) der Fantasie von Betrug der Frauen an den Männern hin. Für den Verschwörer Jago, den Glücksspieler, der bei allem Hass auf Othello über das eigene Schicksal die Münze wirft (und verliert!), hat Regisseur Engel in Matthias Brenners Hallenser Ensemble mit Petra Ehlert eine starke Frau gefunden – scharf und angriffslustig geht sie zu Werke; und da kommt dann zwar der Männer- und Machowettbewerb zwischen Held und Anti-Held weithin abhanden, dafür wächst aber ein anderer, viel rätselhafterer Zauber zwischen den beiden. Was sie aneinander haben, haben könnten – wir wissen es nicht. Ich bin nicht, was ich bin, sagt Jago über sich selber: in diesem Falle eben Frau. Das ist nicht zwingend, funktioniert aber (nicht zum ersten Mal) gut.
Mit dem zweiten Teil markiert Wolfgang Engel prinzipiell einen starken, klugen Blick auf Shakespeares Klassiker; ein Highlight für Halle und darüber hinaus – und er kann auch darum das aktuelle Gezeter übererregter Zeitgenossen über diesen "Venedigsneger" guten Gewissens links liegen lassen.
Othello. Venedigs Neger
Drama von William Shakespeare
Deutsch von Werner Buhss
Regie: Wolfgang Engel
Neues Theater Halle
"Othello. Venedigsneger" steht darauf, und es zeigt den "Othello"-Darsteller Martin Reik schwarz geschminkt. Mit der Formulierung "Venedigs Neger" waren die Plakatmacher dem Untertitel der Übersetzung des Dramatikers Werner Buhss gefolgt, der den "Mohr von Venedig" (wie Shakespeare gemeinhin untertitelt wird) mit viel Sinn für Struktur und Politik anders beschrieben hatte: als quasi "Eigentum" der Republik, an sich verhasst und nur geschätzt aufgrund der kriegerischen Qualitäten als Feldherr. Der "Venedigsneger" las (und liest) sich nun in der Hallenser Fassung wie eine Art Satansbraten – und so sieht ja die Republik am Rialto ihren prominenten Krieger in der Tat. Auch sonst scheut die außerordentlich zupackende, zuweilen nachgerade rabiate und ruppige Übertragung von Buchpreisträger Buhss vor keinem noch so scharfen Wort zurück.
Othello allerdings (um noch einmal auf Fragen der Farbenlehre zurück zu kommen) ist auf der Bühne schwarz nur im allerletzten Moment – die unschuldige Gattin hat er gerade im Eifersuchtswahn gemordet (übrigens auf höchst spektakuläre Weise: indem er sie am Halse hochhebt, bis sie mit den Füßen strampelt, also mit den Händen hängt!), und sich selber wird er gleich mit einem Dolchstich richten. Für den schmiert Martin Reik sich rote Farbe auf den Bauch – und zuvor schwarze in Gesicht und Haare.
Künstlichkeit im Exzess, Kunst in der Behauptung rechtfertigt jeden Farb-Gebrauch; "Blackfacing"-Protest war und ist nicht zu erwarten. Ohnehin haben die Aktivisten der Bewegung speziell um Shakespeares schwarze Geister, eben um Othello, aber auch den mörderischen Aaron in "Titus Andronicus", bislang einen erstaunlich weiten ideologischen Bogen gemacht. Mit Spannung wird nun der Kampf um Koltés erwartet, wenn zu dessen 70. Geburtstag hier und da "Der Kampf des Negers und der Hunde" wieder entdeckt werden wird.
Wolfgang Engel schert sich für "Othello" in Halle kein Jota um diese Debatte; zum Glück. Des Rassismus ist er ohnedies völlig unverdächtig – er findet Töne und Bilder für das Ausgegrenztsein des Fremden in der Gesellschaft und braucht dafür keine schwarze Farbe; und er hat mit Hendrik Scheers Bühne einen Raum, der sehr eigenwillig den Weg zu Shakespeare weist. Wie eine Insel, wie Venedig und/oder Zypern liegt das Podest im Theatersaal, davor und links danebensitzen wir, das Publikum; die beiden anderen Seiten umschlingt eine geschwungene Wand mit Wellen drauf. Ein Podest im Podest ist versenkbar; hier ist das Haus des seiner Tochter Desdemona beraubten Senators Brabantio, hier wird getafelt bei des Feldherrn Othello Ankunft auf Zypern, hier treibt der finstre Jago kurz vor Schluss in einer Art Spiegelkabinett das Morden an den Bauernopfern voran.
Der erste Teil geht wenig speziell von Szene zu Szene – und erst der zweite hat es wirklich in sich. Hier fügt Engel wie vor einem Tribunal alle Szenen ineinander, vor ständig versammeltem Ensemble wie vor der ganzen Welt – jeder und jede schaut halt immer nur zu und rührt zur Hilfe keine Hand, wenn das Schreckliche erst einmal unausweichlich voranschreitet. Ein starkes Bild – so sitzt ja die zivilisierte Welt auch im Alltag meist still und stumm herum um das Fiasko mancher tragischen Verblendung ...
Reiks Othello, rein äußerlich mächtig gewaltig, tappt wie ein zunehmend verwirrter, orientierungsloser Bär von Falle zu Falle; Bettina Schneider leuchtet derweil im Bewusstsein, an nichts wirklich schuldig zu sein – und nur eine Szene lang gibt sie sich mit deutlicher Lust (und gemeinsam mit Nicoline Schuberts zupackender Emilia) der Fantasie von Betrug der Frauen an den Männern hin. Für den Verschwörer Jago, den Glücksspieler, der bei allem Hass auf Othello über das eigene Schicksal die Münze wirft (und verliert!), hat Regisseur Engel in Matthias Brenners Hallenser Ensemble mit Petra Ehlert eine starke Frau gefunden – scharf und angriffslustig geht sie zu Werke; und da kommt dann zwar der Männer- und Machowettbewerb zwischen Held und Anti-Held weithin abhanden, dafür wächst aber ein anderer, viel rätselhafterer Zauber zwischen den beiden. Was sie aneinander haben, haben könnten – wir wissen es nicht. Ich bin nicht, was ich bin, sagt Jago über sich selber: in diesem Falle eben Frau. Das ist nicht zwingend, funktioniert aber (nicht zum ersten Mal) gut.
Mit dem zweiten Teil markiert Wolfgang Engel prinzipiell einen starken, klugen Blick auf Shakespeares Klassiker; ein Highlight für Halle und darüber hinaus – und er kann auch darum das aktuelle Gezeter übererregter Zeitgenossen über diesen "Venedigsneger" guten Gewissens links liegen lassen.
Othello. Venedigs Neger
Drama von William Shakespeare
Deutsch von Werner Buhss
Regie: Wolfgang Engel
Neues Theater Halle