"Und was ist mit ...?"

Perfider Trick aus der Mottenkiste der Rhetorik

US-Präsident Donald Trump auf dem Weg ins Weiße Haus.
Donald Trump, Meister der Ablenkung und Gegenfrage © picture alliance / Ron Sachs/Consolidated News Photos/Ron Sachs - Pool via CNP
Von Enno Park |
Donald Trump beherrscht ihn perfekt und auch viele Diskutanten in den sozialen Medien: Mit "Und was ist mit…?" kann man jede Debatte torpedieren und als Sieger hervorgehen. Doch die Strategie des Whataboutism lässt sich auch entlarven.
Wie staunte man, als Donald Trump im Wahlkampf alle möglichen Vorhaltungen einfach an sich abperlen lassen konnte. Dafür griff er zu einem rhetorischen Taschenspielertrick: Wann immer er angegriffen wurde, attackierte er Hillary Clinton wegen ihrer E-Mail-Affäre. Wer könnte heute noch all die Skandale aufzählen, die Trump im Wochentakt produzierte? Haften blieb stattdessen das böse Wort von "crooked Hillary" – der unehrlichen Hillary Clinton.
Genannt wird dieses Muster "Whataboutismus". Der Begriff stammt von der englischen Frage "What about…?", was auf Deutsch bedeutet: "Und was ist mit…?" Beklagt jemand zum Beispiel die Zunahme von Rechtsextremismus, heißt es nur allzu oft: "Und was ist mit den Linken?" – als ob das rechtsextreme Gewalt irgendwie besser machen würde.

Maskulinisten grätschen in feministische Debatten

Oder Maskulinisten. Sie grätschen regelmäßig in feministische Debatten und zählen auf, in welchen Bereichen Männer benachteiligt seien – als ob das etwas an der Ungleichbehandlung der Frau ändern würde. Und die Klage über miese Zustände in deutschen Flüchtlingsunterkünften wird gerne damit beantwortet, dass es den Flüchtlingen in anderen Ländern noch viel schlechter ginge – als ob diese Antwort auch nur einem Flüchtling hierzulande weiterhelfen würde.
Als politische Propaganda-Taktik hat der Whataboutismus eine lange Tradition, die mindestens bis in den Kalten Krieg zurück reicht. Tadelte der Westen die Menschenrechtssituation in den Gulags, war die Antwort: "In den USA lynchen sie Schwarze." Wer so kontert, will Doppelmoral entlarven und Wichtigtuer bloßstellen – oder tut nur so.
Der Whataboutist beruft sich auf die allerhöchsten moralischen Instanzen. Vokabeln wie Zensur oder Meinungsfreiheit gehören zu seinem Standard-Repertoire.

Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein

Als Pharisäer eine Ehebrecherin steinigen wollten, sagte Jesus: "Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein." Das ist das Perfide daran: Der Whataboutist spielt Jesus und ernennt seine Kritiker zu Pharisäern. Antworten bleibt er schuldig, dafür relativiert er alles und jeden. Wer dem Gegenangriff eines Whataboutisten ausgesetzt ist, verstummt. Und wer darauf verärgert reagiert, wirkt auf das Publikum sofort unsympathischer, was dem Whataboutisten weitere Punkte bringt.
Natürlich kann es bei Gegenvorwürfen wirklich um die Entlarvung von Doppelmoral gehen. Doch fällt auf, dass sich plötzlich Menschen zu Wort melden, die sich jahrelang nicht für Frauenrechte interessiert haben, bis das Thema plötzlich im Zusammenhang mit dem Islam auftaucht. Oder wer über Ernährung diskutiert, bekommt zu hören, die Menschen in der sogenannten Dritten Welt hätten ganz andere Sorgen. Ein Vorwurf, der nur selten von Leuten kommt, die sich auch sonst für Entwicklungsländer einsetzen.

Mit Totschlagargumenten als Gewinner dastehen

Wer solche Totschlagargumente benutzt, will gar nicht diskutieren. Er lenkt bewusst vom Thema ab und gibt sich dabei als Skeptiker oder Querdenker. So will er Kritik am eigenen Fehlverhalten klein reden, recht behalten und als Gewinner vom Platz gehen. Im Grunde kennen wir das vom Schulhof. Drauf hereinfallen tun wir trotzdem immer wieder.
Nicht nur in Politdebatten und Talkshows erlebt der Whataboutismus sein Comeback. Mittlerweile ist er auch im Internet nerviger Alltag und versaut die Stimmung in Kommentarspalten und auf Facebook. Wenn Whataboutisten Missstände nur noch mit anderen Missständen beantworten, bis Fakten und Meinungen durcheinander schwirren, bleibt am Ende nichts Gutes und die ganze Welt wirkt schlecht. Eigentlich ist es ärgerlich, wieviel Zeit wir im Netz damit verbringen, uns mit Menschen herumzustreiten, die uns egal sind. Und das über Themen, die wir am nächsten Tag schon wieder vergessen haben. Und oft genug waren wir dabei selber der Whataboutist.

Enno Park ist Journalist und Wirtschaftsinformatiker. Er beschäftigt sich mit den Auswirkungen des digitalen Wandels auf die Gesellschaft bis hin zur Verschmelzung von Mensch und Maschine. Seit er Cochlea-Implantate trägt, bezeichnet er sich selbst als Cyborg und ist einer der Gründer des Cyborgs e.V. in Berlin.

© Deutschlandradio / Cara Wuchold
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