Unda Hörner: "Nancy Cunard. Zwischen Black Pride und Avantgarde"
Ebersbach & Simon, Berlin 2021
144 Seiten, 18 Euro
Vergessene Ikone
06:03 Minuten
Wichtige Protagonistin der Avantgarde: Nancy Cunard, Schriftstellerin, Verlegerin und Millionärstochter, lebte fernab der Familie in Paris. Dass sie auch leidenschaftlich gegen Rassentrennung kämpfte, zeigt nun eindrucksvoll eine neue Biografie.
Ein aufsehenerregendes Paar spazierte 1931 durch die Straßen von New York: eine Weiße, in Lederjacke, mit einem Turban-artigen Tuch um den Kopf und zahllosen Armreifen hoch bis zu den Ellenbogen, und ein Schwarzer in einem eleganten Gehrock und mit einem Bowler-Hut obenauf. Nancy Cunard, britische Millionärstochter und Henry Crowder, afroamerikanischer Jazzmusiker, waren vereint ein Hingucker zu ihrer Zeit; nicht nur wegen des Aufzugs!
Verlegerin der ersten schwarzen Kulturgeschichte
Tatsächlich waren die beiden auf Recherchereise für ein ambitioniertes Buchprojekt. "Negro", das 1934 in Cunards eigenem Verlag erschien, sollte die erste schwarze Kulturgeschichte werden.
Seiner Zeit weit voraus, floppte das Werk jedoch und geriet in Vergessenheit, so wie auch seine schillernde Herausgeberin. Nachdem das Buch 2020 zumindest in Auszügen erstmals ins Deutsche übersetzt wurde, lässt sich nun auch Nancy Cunard mit einer Biografie neu entdecken.
Die Germanistin Unda Hörner porträtiert die 1896 im englischen Leicestershire geborene und 1965 in Paris gestorbene Verlegerin, Schriftstellerin, Reporterin und politische Aktivistin als Frau "zwischen Black Pride und Avantgarde".
Biografie: Chronologisch aufgebaut
Chronologisch erzählend berichtet Unda Hörner zunächst anschaulich vom imposanten Elternhaus (Reederei Cunard), dem illustren Salon der Mutter, in dem Maler und Dichter verkehrten, aber auch den gesellschaftlichen Konventionen, gegen die die Tochter bereits als Jugendliche rebellierte.
Früh fand Nancy Cunard ihren eigenen Stil und trug Schlauchkleider mit Applikationen aus Raubkatzenfell, dazu giftgrüne Handschuhe und ein ganzes Sortiment afrikanischer Armreifen.
Berühmte Muse und Protagonistin der Avantgarde
So zeigt sie auch eine berühmte Fotografie von Man Ray (einige sind in dem Buch zu sehen), aufgenommen in Paris. Dorthin war die Jazzliebhaberin Anfang der 1920er-Jahre dem Einflussbereich der Mutter entflohen.
Atmosphärisch dicht beschreibt Hörner diese Zeit der Befreiung, in der Nancy Cunard – nun mit eigenem Salon – zu einer wichtigen Protagonistin der Avantgarde wurde. Sie verkehrte in den Kreisen der Surrealisten, hatte diverse Liebesbeziehungen (unter anderen mit Louis Aragon), schloss Freundschaften mit Dichterinnen und Malern, schrieb Gedichte und Reportagen und gründete schließlich mit der "Hours Press" ihren eigenen Verlag.
Gegen Faschismus und Rassismus
Viel Raum widmet die Autorin neben dieser funkelnden Bohème-Zeit auch dem politischen Engagement ihrer Protagonistin. So kämpfte Cunard gegen den Faschismus wie auch immer wieder gegen Rassismus.
Die "Negro"-Anthologie beschreibt die Biografin folgerichtig als das "Herzstück ihres Lebenswerks", und auch die Zustände in den Kolonien prangerte "die Radikale" (Klaus Mann) wiederholt an. Auch darin war Cunard Avantgarde.
Zu Unrecht vergessen
Es ist spannend, diese Lebenslinien zu verfolgen, zumal Unda Hörner auch die Untiefen Nancy Cunards in den Blick nimmt: Alkoholprobleme, zahllose Liebschaften, große Unrast, Einsamkeitsgefühle und schließlich, nach Verlagspleite und Krieg: Armut und nervliche Zerrüttung.
Was für eine faszinierende Persönlichkeit, und wie unverständlich, dass sie fast vergessen wurde!