Wiege der Menschheit ist gefährdet
Für Mechthild Rössler sind zahlreiche kulturelle Schätze durch die Kriege in Syrien und im Irak gefährdet. Das seien extreme Islamisten-Gruppierungen, die "einfach kein Verständnis für Kultur und ihre eigene Kultur haben", sagte die Vizedirektorin des Unesco-Welterbeprogramms.
Deutschlandradio Kultur: Was haben der Kölner Dom, die Berliner Museumsinsel und die Zeche Zollverein in Essen gemeinsam? Sie gehören zum Weltkulturerbe, ein Titel, der Prestige, weltweite Aufmerksamkeit und Touristen bringt, der aber nicht schützt vor Krieg und Zerstörung, wie sich gerade in Syrien und im Irak zeigt.
Was verliert die Menschheit in diesen Kriegen gerade? Und welchen Einfluss haben Kulturorganisationen? Das kann uns Mechthild Rössler sagen. Sie ist Vize-Direktorin des Welterbeprogramms der UNESCO und heute unser Gast in Tacheles. Schön, dass Sie da sind, Frau Rössler.
Mechthild Rössler: Guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir die Bilder sehen aus dem Irak, Islamisten kämpfen im Norden gegen die irakische Armee, unsere erste Sorge gilt da in der Regel den Hunderttausenden Flüchtlingen. Was denken Sie denn, wenn Sie die Bilder im Fernsehen sehen?
Mechthild Rössler: Unsere Sorge gilt natürlich auch den Menschen, aber was wichtig ist für die Menschen ist, dass im Wiederaufbau auch das Kulturerbe dann geschützt wird und versucht wird, während einer Kriegssituation auch Kulturerbe und Naturerbe zu schützen – soweit es geht. Das ist natürlich schwierig, aber wir arbeiten hier nicht nur mit einem internationalen Instrument der Welterbekonvention, sondern mit vielen anderen Instrumenten zusammen, zum Beispiel mit der 1970er Konvention über Kulturobjekte, die illegal aus den Ländern rausgenommen werden.
Insgesamt muss man sagen, dass wir sehr viele Konfliktherde auf der Welt haben und versuchen eben, diese Kultur- und Naturgüter zu schützen für die künftigen Generationen. Ich denke, dass ganz wichtig ist für die Menschen, die dort leben, für ihre Identität, für ihre Zukunft und ihre eigene Geschichte, diese Kulturgüter zu erhalten, so dass sie auch etwas haben, an dem sie sich festhalten können, wenn alles andere zerstört ist.
Deutschlandradio Kultur: Im Irak gab es ja lange drei Weltkulturerbestädten. Seit ein paar Tagen sind es vier. Die Zitadelle von Arbil in den Kurdengebieten ist dazu gekommen. Die Kurdengebiete sind ja noch sicher, aber wie steht es denn um die anderen drei im Irak?
Mechthild Rössler: Es sieht sehr schwierig aus. Wir versuchen mit unserem Büro, das in Amman ist und in Bagdad eine Außenstation hat, zu kooperieren für die neue Stätte im kurdischen Gebiet. Die wurde gerade in Doha diskutiert. Ich kam jetzt gerade aus Doha zurück. Das war also schon toll zu sehen, dass das aufgenommen wurde und dass das wirklich von außergewöhnlichem universellem Wert ist.
Dort sieht es noch relativ gut aus, keine Zerstörungen. Und wir arbeiten jetzt mit den Leuten vor Ort, um den Managementplan abzudaten, dass er wirklich auf Niveau der Welterbekonvention ist.
"Diese Stätten zeigen uns unsere eigene Geschichte"
Deutschlandradio Kultur: In Doha haben Sie wieder beraten über neue Weltkulturerbestädten. Unter anderem ist, wie gesagt, die Zitadelle von Arbil dazu gekommen. Aber, wer noch nie im Irak war, die anderen Städte, die archäologische Stadt von Samara oder die historische Stadt Aššur, warum sind die so bedeutend?
Mechthild Rössler: Es ist eigentlich ein Teil der Wiege der Menschheit uns ist weltweit bedeutend, also nicht nur für den Irak selber, sondern für die Region und für die internationale Gemeinschaft. Diese Stätten zeigen uns unsere eigene Geschichte. Woher kommt die Schriftkultur usw.? Und ich denke, das ist wichtig für die Weltgemeinschaft.
Wir versuchen diese archäologischen Stätten besonders zu schützen, indem wir auch den Markt beobachten, ob irgendwelche Objekte illegal aus dem Irak - das machen wir übrigens auch in Syrien oder in anderen Konfliktregionen - raustransportiert werden, und versuchen das zu verhindern bzw. versuchen mit anderen Organisationen wie Interpol zusammenzuarbeiten, dass das nicht passiert.
Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie jetzt die Nachricht erhalten, dass Krieg ist im Irak, wie müssen wir uns das vorstellen bei der UNESCO? Gibt es dann einige Telefongespräche? Schicken Sie Beobachter? Wie reagiert die UNESCO?
Mechthild Rössler: Das hängt von der jeweiligen Konfliktsituation ab, ob wir vor Ort gehen können. Da richten wir uns nach den UN-Regeln. Wir haben ein Büro vor Ort in Bagdad. Die sind sehr detailliert informiert über die jeweiligen Konfliktsituationen. Und soweit wir können schicken wir auch Leute vor Ort, das hängt von der jeweiligen Situation natürlich ab, um den Erhaltungszustand zu überprüfen und Bericht zu erstatten.
Und dann gibt es natürlich noch andere Möglichkeiten. Die UNESCO ist ja eine Organisation mit 194 Mitgliedsstaaten. Das heißt, wir arbeiten auch natürlich auf diplomatischer Ebene. Und die Generaldirektorin, regelmäßig appelliert sie an alle Konfliktparteien, das Welterbe zu schützen.
Deutschlandradio Kultur: Aber Monuments Men, wie wir vielleicht im Kino gesehen haben, haben Sie nicht bei der UNESCO?
Mechthild Rössler: Wir sind keine Einsatztruppe. Wir sind geschaffen als Organisation nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Menschheit gesehen hat die Zerstörung des Zweiten Weltkriegs. Und aus dieser Idee ist ja die UNESCO entstanden, sowohl Kultur als auch Wissenschaft als auch Erziehung weltweit voranzutragen. Und ich glaube, da sind wir sehr weit gekommen. Wir haben sechs internationale Konventionen, um Kulturgüter und Naturgüter zu schützen. Die Welterbekonvention ist unterzeichnet von 191 Staaten. Das muss man sich mal vorstellen. Das ist also das universellste Instrument, was wir haben. Und da appellieren wir nicht nur an den Staat selber, der teilweise natürlich auch die Kontrolle über Objekte dann verloren hat, sondern wir appellieren an die internationale Gemeinschaft, das heißt, dass andere Staaten sich auch dran halten, das Welterbe zu schützen und im Falle von illegalem Transfer von Kulturobjekten, eben auch eingreifen.
Da beobachten wir natürlich auch die Verkäufe usw. Also, da sind wir sehr dahinter, um zu verhindern, dass eben diese Objekte aus den Staaten auch rauskommen.
Deutschlandradio Kultur: Auf diesen illegalen Handel gehen wir auch noch ein hier bei Tacheles. Unser Gast ist Mechthild Rössler. Seit über 20 Jahren arbeitet sie für den Schutz des Welterbes. Nun sind Sie Vize-Direktorin des UNESCO-Programms und haben sicherlich in den vergangenen drei Jahren aufgrund eines Landes besonders gelitten – Syrien.
Der Krieg zwischen gemäßigter Opposition, Islamisten und den Truppen von Staatschef Assad geht mit unveränderter Brutalität weiter. Schätzungen gehen von 150.000 Toten aus. Und auch das Land hat ja sechs Welterbestätten, unter anderem die Altstadt von Aleppo und Damaskus. Alle sechs sind jetzt auf der Roten Liste. Was bedeutet das?
Der Krieg zwischen gemäßigter Opposition, Islamisten und den Truppen von Staatschef Assad geht mit unveränderter Brutalität weiter. Schätzungen gehen von 150.000 Toten aus. Und auch das Land hat ja sechs Welterbestätten, unter anderem die Altstadt von Aleppo und Damaskus. Alle sechs sind jetzt auf der Roten Liste. Was bedeutet das?
Mechthild Rössler: Ja, diese sechs Stätten haben wir letztes Jahr die Rote Liste genommen, weil sie zum Teil stark zerstört waren, wie bereits gesagt, Aleppo. Einige sind weniger betroffen, wie die Dörfer im Norden Syriens. Und da hat das Komitee gesagt, wir nehmen die jetzt auf die Gefahrenliste, um die internationale Gemeinschaft aufzufordern zu helfen.
Und wir hatten jetzt gerade Anfang Juni ein ganz, ganz spannendes Treffen in der UNESCO, wo wir die Vertreter der syrischen Regierung, Oppositionsvertreter, NGO, wie World Monunments Fund, ICOM, also das International Council of Museums, zusammen in einem Raum hatten. Und das war eine fantastische Diskussion, das muss ich Ihnen wirklich sagen, wo wir die Informationen zusammengetragen haben zu verschiedenen Themen: also, das built heritage, das gebaute Erbe, der Handel von Kulturgütern. Was machen wir in Konfliktfällen usw.? Und da haben wir drei Tage bei UNESCO alle zusammengebracht um einen runden Tisch sozusagen. Und ich denke, das ist einzigartig in dieser Situation.
Darüber hinaus haben wir bereits jetzt Gelder gesammelt und Fundraising gemacht und haben ein sehr großes Projekt mit der Europäischen Union ins Leben gerufen. Wir haben ein Büro im Libanon. Von dort aus wird dieses Projekt betreut. Und wir hoffen, dass sich viele dahinter stellen und uns auch helfen.
Deutschlandradio Kultur: Sie waren bei solchen Gesprächen ja schon öfter mal erfolgreich. Zum Beispiel haben Sie mit Putin gestritten, damit er eine Ölpipeline nicht in die Nähe des Baikalsees baut. Das war 2006. Damals haben Sie gewonnen. Die Ölpipeline wurde etwas weiter weg gebaut. Und Sie haben auch verhindert, dass der Gazprom-Tower in Sankt Petersburg in die Altstadt kommt.
Was glauben Sie, welche Erfolgschancen haben Sie jetzt in Syrien nach diesen Besprechungen?
Mechthild Rössler: Ich glaube, wir haben große Erfolgschancen, einfach erst mal die Basisdokumente zusammenzutragen. In Syrien haben wir jetzt ganz viele archäologische Teams zusammenbekommen, die auch uns Dokumente zur Verfügung stellen, so dass wir sozusagen die Informationen erstmal alle in einem so genannten Observatorium zusammentragen und sehen, wer hat zu was welche Dokumente, so dass wir dann auch den Erhaltungszustand zu vorher vergleichen können, das ist ganz, ganz wichtig, und auch sehen können, wenn irgendwelche Objekte, also von archäologischen Stätten zum Beispiel, weggetragen werden.
Ich meine, man muss sich ja auch vorstellen, dass die Bevölkerung sehr viel leidet und natürlich auch versucht zu überleben. Das kann man verstehen. Aber ich denke, für die Zukunft dieses Landes, für die Identität der Bevölkerung ist es unheimlich wichtig, diese Stätten zu erhalten. Und man sieht ja auch, wie die Leute auch an ihrem Erbe hängen. Das ist ja das Erbe, was sie an die anderen Generationen weitergeben. Und das hat sich gezeigt bei unserem Treffen. Und ich fand es also ganz wunderbar, dass ganz viele archäologische Missionen, die seit Jahrzehnten nach Syrien gehen, versprochen haben, der UNESCO zu helfen, um diese Informationen zusammenzutragen. Und das ist ein ganz, ganz großer Schritt weiter.
Im Falle mit Russland, mit Baikalsee und dem Gazprom-Tower, das waren Entscheidungen des Welterbekomitees, die ich natürlich mit vorbereitet habe, aber es war auch ein ganz großer Schritt, dass das Land selber sich bereiterklärt hat, die Welterbekonvention korrekt zu beachten. Und ich denke, die Message muss man weitertragen. Es ist eine internationale Konvention, die von allen abhängt. Das ist nicht nur das Sekretariat bei der UNESCO. Das sind die Komiteemitglieder, die die richtigen Entscheidungen treffen. Und das sind die Staaten, die sie dann umsetzen.
Und im Falle Russland hat das geklappt. In anderen Situationen, in Konfliktherden ist es natürlich sehr viel komplizierter. Das muss man auch dazu sagen. Aber wir haben Gott sei Dank Kollegen auch vor Ort in den verschiedenen Büros, wo wir dann Leute vor Ort haben, die auch gleich intervenieren können.
Deutschlandradio Kultur: Bleiben wir nochmal bei Syrien. Also, was verliert denn die Menschheit gerade in Syrien? Die UNESCO hat ja mittlerweile, ich glaube, 1007 Kultur- und Naturdenkmäler auf ihrer Liste in 161 Ländern. Warum kommt es dann gerade auf diese sechs in Syrien an?
Mechthild Rössler: Die sechs in Syrien sind wichtig, weil das sich hier auch um die Wiege der Menschheit handelt, die Wiege der Kultur, wenn Sie so wollen. Und leider werden diese Objekte benutzt für militärische Zwecke. Das haben wir gesehen teilweise in Aleppo mit dem Souk, der jetzt ganz zerstört ist, und mit dem Krak des Chevaliers, wo sich auch das Militär verschanzt hat.
Also, unser Appell geht natürlich an alle Konfliktparteien, das Welterbe zu schützen und nicht für militärische Zwecke zu benutzen.
Deutschlandradio Kultur: Wie weit oben auf der Agenda vermuten Sie denn dieses Thema bei den Staats- und Regierungschefs?
Mechthild Rössler: Ich denke, dass es in den letzten Jahren sehr viel höher auf der Agenda ist. Ich weiß, dass das für verschiedene Staatspräsidenten auch sehr wichtig ist, dieses Erbe zu erhalten. Und ich denke, die Weltöffentlichkeit hat seit der Zerstörung der Buddhastatuen in Afghanistan viel dazugelernt. Das war, glaube ich, der Anfangspunkt, wo wirklich eine Schockwelle durch die internationale Gemeinschaft ging und wo auch gesagt wurde, nein, wir müssen jetzt wirklich mehr tun, um diese Objekte zu schützen – auch in Konflikt- und Kriegsfällen. Und ich denke, da hat die UNESCO sehr viel gemacht, um auch direkt eingreifen zu können, soweit es möglich ist.
24 Personen kümmern sich um 1007 Welterbe-Stätten
Deutschlandradio Kultur: Aber welche Macht hat denn die UNESCO, also vielleicht sogar politische Möglichkeiten des Einflusses? Sie haben zwar einen großen Namen, aber ein relativ kleines Budget. Sie können mich korrigieren, aber es sind ja wohl nur vier Millionen Dollar.
Mechthild Rössler: Ja, absolut. Wir haben im Welterbezentrum im Moment 24 Personen, die sich um 1007 Stätten kümmern. Und nicht nur das, wir haben ja ganz viele Stätten, ungefähr 2.000 Stätten auf der Tentativliste. Das ist übrigens auch ein Punkt mit Syrien, dass natürlich auch noch mehr Objekte auf der Tentativliste sind, die eventuell irgendwann mal in die Welterbe-Liste aufgenommen werden. Und da haben wir mit vier Millionen Dollar vom Welterbe-Fond ein sehr geringes Budget, das wir natürlich aufstocken, weil wir Projekte machen im Kongo zum Beispiel, größere Projekte, jetzt in Syrien mit der Europäischen Union. Wir haben weltweit noch das Doppelte an extrabudgetären Fonds. Aber das ist natürlich überhaupt nicht genug. Man kann wirklich sagen, das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Das heißt, wir bitten also Länder und Personal zur Verfügung zu stellen oder Gelder.
Und da möchte ich Ihnen mitteilen, dass jetzt in Katar wir sehr erfolgreich waren, dass Sheika al Mayassa, die die Sitzung geleitet hat, einen Fond für zehn Millionen Dollar für das gefährdete Erbe ins Leben gerufen hat. Und das ist eine ganz wunderbare Nachricht.
Deutschlandradio Kultur: Und was sind Ihre schärfsten Waffen, um da eben Druck auszuüben?
Mechthild Rössler: Es ist eine internationale Konvention. Das heißt, wir arbeiten mit Staaten. Das hat Vor- und Nachteile, aber die Vorteile sind, dass wir direkt mit diesen Staaten arbeiten können. Und wir werden informiert von allen Seiten. Also, es gibt viele NGO und Individuen, die sich an uns richten und sagen, ich habe dies und jenes hier mitbekommen. Kann die UNESCO nicht etwas machen?
Also, wir bekommen hunderte von Briefen pro Tag oder Emails. Und das zeigt doch, dass das Interesse der Bevölkerung da ist, dieses Erbe zu schützen. Aber unsere Hände sind natürlich im Konfliktfall auch etwas gebunden, indem wir nicht mit irgendwelchen Einsatztruppen hinkommen können. Das heißt, wir müssen auf einer anderen Ebene arbeiten. Und das tun wir.
Also, wir bekommen hunderte von Briefen pro Tag oder Emails. Und das zeigt doch, dass das Interesse der Bevölkerung da ist, dieses Erbe zu schützen. Aber unsere Hände sind natürlich im Konfliktfall auch etwas gebunden, indem wir nicht mit irgendwelchen Einsatztruppen hinkommen können. Das heißt, wir müssen auf einer anderen Ebene arbeiten. Und das tun wir.
Deutschlandradio Kultur: Mit Ihrem Titel „Welterbe" da können und da machen Sie ja sogar auch selbst Politik, sagen zumindest Kritiker. Es gibt zum Beispiel den Vorwurf, dass Sie die palästinensische Hügellandschaft bei Battir südlich von Jerusalem nur kürzlich als Welterbe aufgenommen haben, damit Israel dort keinen weiteren Zaun baut. – Wie stehen Sie dazu?
Mechthild Rössler: Die Kulturlandschaft von Battir wurde von Palästina eingereicht. Palästina wurde ja ein Mitgliedsstaat der UNESCO im Jahr 2011 und hat bereits eine Stätte auf der Welterbe-Liste, wie Sie wissen, Bethlehem.
Battir wurde als Emergency Dossier eingereicht wegen dem Bau dieser Mauer. Das wurde nicht von ICOMOS empfohlen ans Komitee, aber das Komitee hat den Beschluss gefasst, es doch einzuschreiben. Und es ist eine Kulturlandschaft, eine Olivenkulturlandschaft, die eben durch den Bau dieser Mauer beeinträchtigt ist und wo die Felder in zwei Bereiche zerschnitten werden sozusagen. Und das Komitee hat den Beschluss gefasst, dass dieses Objekt aufgenommen werden sollte, und hat es auch getan in Katar.
Deutschlandradio Kultur: Und die Mauer oder der Zaun, den Israel dann baut, der hat dabei keine Rolle gespielt?
Mechthild Rössler: Doch, das war der Hauptgrund, warum die palästinensische Regierung dieses Objekt eingereicht hat und das ist aber auch ein Fall, der vor Gericht ist mit dieser Mauer. Also, zu diesem Thema möchte ich mich da nicht weiter äußern, weil das eine juristische Frage ist.
Deutschlandradio Kultur: Mechthild Rössler ist uns zugeschaltet aus Paris. Das politische Fundament Ihrer Arbeit, das haben Sie schon öfter gesagt, ist die Welterbekonvention von 1972. Der sind ja inzwischen 191 Staaten beigetreten. Sie verpflichtet alle Unterzeichner zum Schutz der anerkannten Stätten. Wie viele Islamistengruppen sind denn schon beigetreten?
Mechthild Rössler: Wie meinen Sie Islamistengruppen? Wir arbeiten mit Staaten. Also, wir haben 191 Staaten. Der letzte Staat war die Bahamas. In drei Monaten tritt das in Kraft, deren Unterzeichnung. Und also, wir arbeiten mit Staaten. Wir arbeiten nicht mit Islamistengruppen. Wir arbeiten auch mit der Zivilbevölkerung.
Deutschlandradio Kultur: Hintergrund meiner Frage ist: Wie groß ist denn Ihr Einfluss bei Islamisten, die ja, wie jetzt im Irak oder auch in Syrien, dort durchaus Weltkulturerbe gefährden?
Mechthild Rössler: Wir arbeiten mit allen Teilen der Bevölkerung und Vertretern der Regierungen. Ich habe bereits erwähnt diese Sitzung, die wir hatten zum Thema Syrien. Da waren ganz verschiedene Gruppen im Raum. Wir arbeiten aber nicht in diesem Sinne politisch, sondern wir haben gesagt: Wir diskutieren nur inhaltlich, was die Stätten betrifft. Und das haben wir auch getan – drei Tage lang. Also, von daher war es weniger eine politische Diskussion als eine inhaltliche Diskussion: Wie kann man das Erbe schützen und welche anderen Stätten sind auch noch potenziell da, wo Ausgrabungen, illegale Ausgrabungen gemacht werden zum Beispiel? Gibt es Informationen darüber usw.?
Also, wir tragen die Informationen zusammen und versuchen zu schützen, was zu schützen ist.
Also, wir tragen die Informationen zusammen und versuchen zu schützen, was zu schützen ist.
Deutschlandradio Kultur: In Timbuktu in Mali, da haben Kämpfer von Ansar Dine, von Islamisten, bevor sie die Mausoleen zerstört haben, gesagt: „Wir tun das im Namen Gottes." Und dann haben sie gefragt: „Was ist die UNESCO?" – Wie erklären Sie sich diese Abneigung gegenüber Ihrer Organisation?
Mechthild Rössler: Das sind extreme Gruppen, die einfach kein Verständnis für Kultur und auch ihre eigene Kultur haben. Das tut mir wirklich leid. Und ich denke, da haben wir sehr erfolgreich zusammen mit Frankreich eingegriffen, um die Manuskripte zu schützen. Ein Großteil ist geschützt worden. Und was ich da sehr dringend finde, ist die Digitalisierung dieser Manuskripte. Und wir haben bereits mit dem Wiederaufbau der zerstörten Welterbestätten begonnen, und zwar im Mai bereits dieses Jahres – mit meinem Kollegen, der der Direktor des Büros in Bamako ist. Und ich denke, da waren wir ganz erfolgreich, dass das Welterbe relativ gut noch da rausgekommen ist und wir mit traditionellen Mitteln, man muss sich das ja auch vorstellen, dass wir, das sind ja Erdmoscheen, die dort gebaut werden, und dass wir da auch diese traditionellen Methoden des Erhaltungszustandes auch weitertragen. Das finde ich ganz, ganz wichtig für den Erhalt des Welterbes und der Kultur dort.
Deutschlandradio Kultur: Sind die Islamisten Ihre größte Angst für den Erhalt der Welterbestätten?
Mechthild Rössler: Wir haben ganz, ganz viele Probleme mit Welterbestätten. Das können Konflikte sein, militärische Konflikte. Das können vereinzelte Gruppen sein, die Sie jetzt gerade nennen. Das können auch Desaster sein, die aus Erdbeben usw. (...). Aber ich muss wirklich sagen, dass jedes einzelne Welterbeobjekt gefährdet ist, wenn es nicht richtig gemanagt wird. Und ich habe in meiner 22-jährigen Arbeit viel festgestellt, dass nämlich einige Welterbestätten nicht mal einen Managementplan haben, niemand vor Ort haben. Und ich denke, da müssen wir uns alle an die eigene Nase fassen in allen Ländern, um zu sehen, dass die Welterbestätten so erhalten werden, wie es diesem Titel gebührt. Und da sehen wir, wir haben dieses Jahr zum Beispiel nach Doha in Katar 150 Berichte gebracht von Welterbestätten, die in Gefahr sind und wo einiges noch besser laufen könnte. Und das Komitee hat 150 Entscheidungen getroffen zu diesen Stätten.
"Ein riesiger Verlust bei Raubgrabungen"
Und ich denke, diese Nachricht müsste auch weitergetragen werden. Also, es sind nicht nur die Fälle Mali, Syrien, Libyen usw. oder im Kongo, wo wir die fünf Naturstätten schützen, die alle fünf auf der Gefahrenliste sind, sondern es ist auch der tägliche Verfall, den wir beobachten und wo einfach zu wenig Mittel da sind, zum Erhaltungszustand dieser Stätten beizutragen.
Deutschlandradio Kultur: Welche Rolle, Sie haben es schon länger her mal angesprochen, spielen denn Raubgrabungen und der illegale Kunsthandel als Motiv für die Zerstörung von Welterbestätten?
Mechthild Rössler: Das ist wirklich dramatisch. Da haben wir einen großen Anstieg in den letzten Jahren gesehen. Wir haben ja dazu eine eigene Konvention, die 1970er Konvention, um diesen illegalen Handel zu verhindern. Und die war lange schlafend sozusagen in der UNESCO. Und wir haben gerade nächste Woche das Komitee von der 1970er-Konvention, das sich trifft in Paris, um auch zu sehen, wie man da viel engagierter vorgehen kann. Und wir haben Kooperation, die bereits besteht, mit Interpol. Und heutzutage, ich muss Ihnen auch sagen, mit dem Internet, man kann sehr viel von Paris auch aus beobachten, was mit diesem Handel stattfindet.
Wir hatten gerade kürzlich auch eine Sitzung hier in Paris, wo auch eben die Vertreter dieser Handelskommissionen sozusagen, wenn Sie so wollen, auch da waren. Zum Beispiel Christie's aus London, die kamen auch. Und die arbeiten jetzt mit der UNESCO zusammen. Und das ist doch ein schöner Schritt in die richtige Richtung.
Deutschlandradio Kultur: Ein weiteres Projekt, um gestohlene Kulturgüter zurückzuerhalten, das haben Sie speziell für Syrien initiiert, eine besondere Rote Liste mit Bildern gestohlener Artefakte herausgeben für Zoll und Grenzbeamte. – Wie erfolgreich ist die denn bisher?
Mechthild Rössler: Ich denke, da sind schon einige Objekte aufgetaucht. Das ist natürlich eine Kooperation, die wir haben auch mit den Museen, mit ICOM, dem International Council zu Museen. Und ich denke, dass das ein richtiger Schritt ist, um auch die Bevölkerung insgesamt, also in den USA oder in Deutschland, aufmerksam zu machen: Bitte kauft keine Objekte, die eventuell aus diesen Welterbestätten oder anderen Stätten, anderen archäologischen Stätten kommen.
Die Provenienz muss immer ganz klar festgestellt werden. Und das ist ja auch ein riesiger Verlust bei Raubgrabungen. Man weiß ja nicht genau, wo die Sachen herkommen. Und das ist ein Verlust von Kultur, von Identität der Bevölkerung, die dort vor Ort lebt.
Deutschlandradio Kultur: Wie behalten Sie den Überblick zum Beispiel in Syrien über die Kulturgüter?
Mechthild Rössler: Ja. Wir haben ein Büro vor Ort in Beirut. Und unser Projekt zu Syrien geht von Beirut aus. Das heißt, sobald wir vor Ort gehen können, tun wir das auch. Wir haben jetzt eine Person vor Ort, die Spezialistin in Kulturgütern ist und die das Projekt mit der Europäischen Union leitet. Das heißt, dieses Projekt ist in guten Händen, aber wir arbeiten ja nicht allein. Wir sind wirklich drauf angewiesen, dass die Nachbarstaaten mit uns arbeiten. Das ist ja ganz wichtig, dass eben auch geschaut wird, dass keine illegalen Objekte von Syrien nach Libanon oder nach Jordanien usw. transportiert werden. Und da arbeiten wir Hand in Hand mit den Staaten, die die Nachbarstaaten sind, auch mit der Türkei.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben bei uns im Deutschland Radio Kultur eine sehr beliebte Kindersendung, „Kakadu". Wie würden Sie jetzt einem Kind erklären, was dieses große Wort „Welterbe" bedeutet und warum die Menschheit darauf achtgeben sollte?
Mechthild Rössler: Das ist ja eine schöne Frage. Also, ich würde sagen: Du kennst doch den Kölner Dom oder du kennst den Speyrer Dom oder die Museumsinsel. Das ist doch etwas ganz Wunderbares, dass du dort die Geschichte, deine eigene Geschichte siehst. Du hast bestimmt schon gehört von der Krönung von dem Kaiser Karl dem Großen. Und dass du selber in diesen Ort gehen kannst und das anfassen kannst und anschauen kannst, trägt zu deiner eigenen Geschichte mit bei.
Deutschlandradio Kultur: Sagt Mechthild Rössler, Vizedirektorin des UNESCO-Welterbeprogramms, die in ihrer persönlichen Hitliste der Welterbestätten gern auf die Philippinen reist. – Richtig?
Mechthild Rössler: Ich glaube, das ist so durchgedrungen. Es gibt ganz wunderbare Welterbestätten, aber die Banauer Reisterrassen werden so auch als das achte Weltwunder genannt. Die sind wirklich fantastisch. Ich meine, von der UNESCO hat man keine persönlichen Hitlisten, aber es gibt natürlich Stätten, die – was wir so sagen – den Wow-Effekt haben, wie das Taj Mahal oder Machu Picchu oder, jetzt haben wir eine neue Stätte, Okavango Delta. Da haben wir schon ganz, ganz lange drauf gewartet, dass dieses Delta auf die Welterbeliste kommt in Botswana. Und das hat doch jetzt geklappt nach Jahren, Jahren von Diskussionen. Und da haben wir uns sehr gefreut.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank für Ihren Besuch hier bei Tacheles.