Ungarische Literatur im Exil

Systematischer Vertrauensverlust

08:29 Minuten
Péter Nádas, ungarischer Schriftsteller und Fotograf, steht in der Akademie der Künste. Nádas hat sein künstlerisches Archiv der Akademie der Künste übergeben.
Dass sich Ungarns größte Autoren wie Péter Nádas (Bild) in Berlin "verschanzen", habe Systematik, meint unser Gesprächspartner Wilhelm Droste. Das Archiv von Péter Nádas wurde nun in Berlin eröffnet. © picture alliance / dpa / Carsten Koall
Wilhelm Droste im Gespräch mit Andrea Gerk |
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Péter Nádas übergab sein Archiv der Akademie der Künste in Berlin, wie zuvor schon Imre Kertész und Péter Esterházy. Dies geschah aus Misstrauen der ungarischen Schriftsteller gegen die Kulturinstitutionen des eigenen Landes, meint Wilhelm Droste.
Im Beisein von Péter Nádas ist in der Berliner Akademie der Künste das Archiv des ungarischen Schriftstellers und Fotografen feierlich eröffnet worden. Schriften und Erinnerungsstücke geben Einblick in den umfangreichen Vorlass des Künstlers.
"Dass große Autoren ihr Werk schon zu Lebzeiten außer Landes schaffen, ist eine Systematik, die sich in Ungarn immer mehr durchsetzt", sagt der Literaturwissenschaftler und Ungarn-Kenner Wilhelm Droste. Das sei so seit der Einführung dieser "illiberalen Demokratie, Orban regiert hier schon 15 Jahre".
Drostes Meinung nach verlieren die Autoren das Vertrauen in die eigenen Kulturorganisationen, auch in die Archive. Jeder versuche, sich irgendwie "in Sicherheit" zu bringen. Das Vertrauen gegenüber der Akademie der Künste in Berlin sei gleichzeitig ein Misstrauen gegenüber dem eigenen Land, so Droste.

"Charakterzug der ungarischen Literatur"

Das "Weite suchen" habe auch eine gewisse Tradition in Ungarn, erklärt der Ungarn-Kenner. "Viele ungarische Schriftsteller haben außerhalb gearbeitet und gewirkt und konnten nur so Ungarn bleiben. Der spät berühmt gewordene Sándor Márai hat Ewigkeiten in Amerika und vorher in Italien und der Schweiz gelebt, hat das Land bis 1989 nicht wieder betreten. Als dann der Kommunismus abgeschafft wurde, starb er 1989 in Amerika." Dieses "Eremitendasein" gehöre zu den Charakterzügen der ungarischen Literatur.

"Gequält von den ungarischen Verhältnissen"

Wie Péter Nádas in Berlin zur Eröffnung seines Archivs auf die Frage geantwortet hat, warum er sein Werk in Berlin und nicht Budapest archiviert, kommentiert Wilhelm Droste so: "Nádas hat zwar gesagt, dass ihn die Institutionen langweilen und er stolz darauf sei, fünf verschiedene politische Regime überlebt zu haben und zu allen eine riesige Distanz zu haben. Aber das kann er vielleicht in Berlin sagen."
Droste glaubt, dass Péter Nádas von den ungarischen Verhältnissen gequält ist. Es sei nicht einfach, seinen Nachlass nicht "zu Hause lassen zu dürfen", so Droste.
Hätte Péter Nádas den Nobelpreis bekommen, so vermutet Droste, hätte Viktor Orbán wohl ein Péter-Nádas-Institut gegründet. "Dann würden sie ihn unbedingt halten wollen. Dann ginge es darum, Goldmedaillen festzuhalten. Das ist hier das Verhältnis zur Kultur."
Es sei aber eine Art offenes Geheimnis gewesen, dass Nádas keinerlei Willen verspüre, seinen Vor- und Nachlass in Ungarn zu lassen. Von daher habe es keine großen Reaktionen aus der Kulturpolitik gegeben.
(mfied)
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